Die Lithografie (um 1848 entstanden) nach einer Zeichnung von J. Ventadour zeigt den feierlichen Einzug der Abgeordneten des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche mit Aufstellung von Militär und Turnern am 30. März 1848. (© bpk-Fotoarchiv/Dietmar Katz)
Die Lithografie (um 1848 entstanden) nach einer Zeichnung von J. Ventadour zeigt den feierlichen Einzug der Abgeordneten des Vorparlaments in die Frankfurter Paulskirche mit Aufstellung von Militär und Turnern am 30. März 1848. (© bpk-Fotoarchiv/Dietmar Katz)
Revolution in Europa oder europäische Revolutionen?
Im Februar 1848 erfasste eine Welle revolutionärer Erschütterungen ganz Europa. Sie ging nicht zufällig von Paris aus, wo das Experiment einer bürgerlichen Monarchie scheiterte. Im Juli 1830 hatte König Louis-Philippe I. (1773–1850) eine liberale Herrschaft versprochen, sich programmatisch nicht mehr als König von Frankreich, sondern als König der Franzosen präsentiert und die 1815 eingesetzte, von seinem Vorgänger aber seit 1824 immer wieder missachtete französische Verfassung anerkannt. Aus der bourbonischen Nebenlinie des hochadligen Geschlechts Orléans stammend, hatte Louis-Philippe seit 1830 in den Augen weiter Teile der Öffentlichkeit nunmehr selbst seine Legitimation verloren. Große Teile des Bürgertums reagierten enttäuscht auf die seit Jahren immer weitergehende Abschottung des politischen Systems, vor allem durch die zahlreichen Verschärfungen des Zensuswahlrechts.
Zudem war die Unzufriedenheit in den unterbürgerlichen Schichten und bei den städtischen Industriearbeitern gewachsen, weil das Regime auf die sozialen Krisen der 1830er- und 1840er-Jahre vor allem mit Verfolgung und offener Repression reagiert hatte. So hatte sich die Opposition im Verlauf der 1840er-Jahre immer mehr in das außerparlamentarische Vereinswesen verlagert, und diese Entwicklung in Frankreich bestimmte auch die Eskalation im Februar 1848. Nachdem der König ein von der politischen Opposition geplantes Bankett verboten hatte, dessen Teilnehmer für eine Reform des Wahlrechts eintraten, kam es seit dem 21. Februar 1848 zu öffentlichen Protesten in Paris. Sie weiteten sich rasch aus und vereinten im Kampf gegen die Monarchie zunächst die Opposition aus Bürgertum, Kleinbürgertum und städtischen Arbeitern. Die in der Hauptstadt aufflammenden heftigen Barrikadenkämpfe endeten mit dem Rücktritt des französischen Ministerpräsidenten François Guizot (1787–1874). Louis-Philippe dankte am 24. Februar ab und floh nach Großbritannien. Die Einsetzung einer provisorischen Regierung unter dem liberalen Politiker Alphonse de Lamartine (1790–1869) und die Ausrufung der Republik wirkten wie ein Zeichen für mögliche Veränderungen weit über Frankreich hinaus und beschleunigten die Ereignisse an vielen anderen Orten Europas.
Daraus entstand ein gesamteuropäischer Ereigniszusammenhang, weil sich viele Oppositionsgruppen direkt auf die Ereignisse in Frankreich bezogen. Zugleich zeichneten sich aber auch die unterschiedlichen Bedingungen, die je besonderen Voraussetzungen, Krisenerfahrungen und Forderungen im europäischen „Völkerfrühling“ ab. In Frankreich sollte bald nach der Einrichtung der Republik die gemeinsame Opposition zerbrechen, was zu erbitterten Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der neuen demokratischen Republik führte, die im Juni 1848 in einen faktischen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern einer weitergehenden Revolution im Namen sozialer Gleichheit und den bürgerlichen Kräften mündete.
Im Gegensatz dazu überlebten Monarchen und Fürsten in den Staaten des Deutschen Bundes den Ausbruch der Revolution. Hier wie auch in Italien trat der Kampf um die nationale Einheit, gegen ständische Herrschaftsrelikte und für bürgerliche Freiheitsrechte ins Zentrum. In den Gesellschaften Ost-, Ostmittel- und Südeuropas schließlich prägte der mögliche Austritt aus den multiethnischen Imperien die weitere Entwicklung, wie sich in den Versuchen der Nationalbewegungen in Italien, Ungarn und Polen erwies, eigene Nationalstaaten zu gründen. Das aber berührte unmittelbar auch jene Reiche und Staaten, in denen Italiener, Ungarn und Polen lebten, also unter anderem die Habsburgermonarchie, das Zarenreich und Preußen.
(© Quelle: Eigene Darstellung nach LeMO, Encyclopædia Britannica und www.zeitreisen.de/1848/chronik.htm)
(© Quelle: Eigene Darstellung nach LeMO, Encyclopædia Britannica und www.zeitreisen.de/1848/chronik.htm)
Revolutionsimpuls und Protestvielfalt: Der März 1848
Die Entwicklungen in Frankreich lösten in Deutschland innerhalb kurzer Zeit eine ungeheure politische Dynamik aus, in der sich die große, seit Jahren aufgestaute Unzufriedenheit weiter Teile der Gesellschaft mit den politischen und sozialen Zuständen widerspiegelte. Nur fünf Tage nach Ausbruch der Revolution in Paris kam es am 27. Februar in Mannheim zu einer großen Volksversammlung, und bereits am 3. März hob der Deutsche Bund die Pressezensur auf. Als die Revolution Wien erreichte, symbolisierte die Flucht Metternichs aus der Hauptstadt am 13. März 1848 nicht nur das Ende eines autokratischen Regimes. Sie stand zugleich für eine neue revolutionär errungene Handlungsmacht. So rückte damit auch die Frage nach der Zukunft des von ihm wesentlich mitbegründeten Deutschen Bundes in den Mittelpunkt. Die Komplexität der folgenden Entwicklungen ergab sich dabei aus unterschiedlichen Handlungsebenen, die auch die folgenden Entwicklungen prägen sollten: Zum einen gab es in den Einzelstaaten des Deutschen Bundes Revolutionen, was den föderativen Charakter der deutschen Revolution unterstrich. Aber die Entwicklungen besaßen mit der Forderung nach einem deutschen Parlament und einer Verfassung als Basis für einen künftigen Nationalstaat von Anfang an auch einen Zielhorizont, der über die einzelstaatlichen Verhältnisse hinauswies. Parallel dazu versuchten auch die Repräsentanten des Deutschen Bundes, mit eigenen Reforminitiativen auf die Krise zu reagieren.
Zur Wahrnehmung der Ereignisse in Frankreich kam eine durch Missernten ausgelöste Hungerwelle seit 1847, aus der in den kommenden Monaten eine Agrar- und Wirtschaftskrise erwuchs. Anfang 1848 sahen sich viele Fabriken gezwungen, Arbeiter zu entlassen, während sich die Kreditsituation vieler Unternehmen verschlechterte. Die schlechten Ernten, eine um sich greifende Kartoffelfäule und die hohen Lebensmittelpreise verschärften die sozialen Spannungen. Bei regionalen Agrarrevolten im Odenwald, im Elsass und in Baden verbanden Teilnehmer revolutionäre Forderungen mit antisemitischen Positionen, die in Deutschland bereits früher artikuliert worden waren. So hieß es auf einem Plakat in Baden 1847: „Wir wollen nun sagen, weswegen die Revolution vonstatten gehen soll. 1.) Der Adel muss vernichtet werden. 2.) Die Juden müssen aus Deutschland vertrieben werden. 3.) Müssen alle Könige, Herzöge und Fürsten weg und Deutschland ein Freistaat wie Amerika werden. 4.) Müssen alle Beamten gemordet werden. Dann wird es wieder gut in Deutschland“.
Diese verdichteten Krisenanzeichen mobilisierten nicht allein die Mitglieder bestehender Landtage, sondern ließen eine soziale Protestbewegung entstehen, die sich bewusst im öffentlichen Raum konstituierte, auf Plätzen und Straßen agierte und auch die gewaltsame Konfrontation mit der Obrigkeit miteinschloss. Diese unterschiedlichen Handlungsebenen funktionieren nicht getrennt voneinander, sondern wirkten immer wieder unmittelbar aufeinander ein. Auf der Mannheimer Volksversammlung formulierten die Teilnehmer zentrale Positionen, die in den kommenden Wochen als „Märzforderungen“ an vielen Orten übernommen wurden. Dazu zählte die Volksbewaffnung mit der freien Wahl der Offiziere, die Abschaffung der Zensur und die Sicherung der Pressefreiheit, Schwurgerichte nach englischem Vorbild sowie die Wahl zu einem gesamtdeutschen Parlament. Auch das Offenburger Programm vom 19. März 1848 wies in diese Richtung, nahm viele Positionen radikaler Demokraten auf und schlug damit eine Brücke zu den beim Offenburger Treffen proklamierten Forderungen, die bereits ein Jahr zuvor von den Demokraten bestimmt worden waren. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse und auch aus Angst vor einer Zuspitzung der Gewalt beriefen zahlreiche Fürsten nun liberale Minister und sogenannte „Märzregierungen“, so etwa in den Königreichen Württemberg und Hannover und auch im Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die „Märzministerien“ kamen den Forderungen der Revolutionäre zunächst weit entgegen. Sie richteten Schwurgerichte ein, die nach französischem Vorbild in den linksrheinischen Gebieten schon lange existierten, verkündeten das Ende der Pressezensur, gewährten Versammlungsfreiheit und die Befreiung der Bauern von feudalen Abgaben und Lasten. Dazu kam die Ankündigung, bereits bestehende Verfassungen im liberalen Sinne fortzuentwickeln oder neue Verfassungen auszuarbeiten wie etwa in Preußen und Österreich. Über die Logik der einzelstaatlichen Politik hinaus nahmen die Märzminister schließlich Wahlen zu einem zentralen deutschen Parlament in den Blick, das den Auftrag zur Ausarbeitung einer Verfassung erhalten sollte. Obwohl es in einigen Einzelstaaten lediglich zur Ankündigung solcher Zugeständnisse kam, nahm die Entwicklung in den folgenden Monaten meist einen moderaten Verlauf.
Sahen sich viele Liberale dadurch in ihrem Kurs bestätigt, die Revolution zu kanalisieren, beharrten Vertreter der Demokraten darauf, dass diese Zugeständnisse nicht dem Entgegenkommen der Regierungen zu verdanken seien, sondern der Protestbewegung des Volkes, die sich auf das Prinzip der Volkssouveränität berief und auch mit der „sozialen Republik“ drohte. Dazu kamen die sozialen Forderungen der Demokraten, in denen sich die Krisenerfahrungen der späten 1840er-Jahre spiegelten, so etwa das Ziel, die Abgabenlast der Unterschichten zu senken. Das rief den entschiedenen Widerspruch der konstitutionellen Liberalen hervor. So erklärte Carl Theodor Welcker (1790–1869), einer der einflussreichen Vertreter des badischen Liberalismus, dass jedes republikanische Experiment eine Vereinbarung mit den alten Gewalten verhindere, den möglichen Reformkurs durch die Erinnerung an die radikale Französische Revolution überlagere und damit den Widerstand von Monarchie, Regierung und Armee provozieren müsse.
Vielfalt der Revolutionsorte
In Preußen eskalierte im März 1848 die Konfrontation zwischen Volksbewegung und Staat und unterstrich damit, dass der Weg vom revolutionären Impuls über die Bildung von Märzministerien nicht automatisch in die Frankfurter Nationalversammlung führen musste. Zunächst beschritt Preußen den Weg anderer Einzelstaaten. Unter dem Eindruck der Ereignisse schien der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zunächst zu weitreichenden Zugeständnissen bereit, die auf eine Anerkennung der Märzforderungen hinausliefen, also Presse- und Versammlungsfreiheit, die Einberufung eines Landtags, die Aufhebung von Zollschranken und eine umfassende Reform des Deutschen Bundes. Doch am 18. März eskalierte die Gewalt zwischen Demonstrierenden und dem Militär, als Soldaten auf dem Berliner Schlossplatz das Feuer eröffneten und damit erbitterte Barrikadenkämpfe auslösten. Über 250 Menschen wurden getötet und über tausend Personen verletzt.
Der König sah sich zunächst gezwungen, die Truppen aus der Hauptstadt abzuziehen und die aufgebahrten „Märzgefallenen“ am 19. März öffentlich zu ehren. Sein Konzessionskurs schien sich fortzusetzen, als Friedrich Wilhelm IV. am 21. März bei einem Umritt in Berlin demonstrativ die Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol der Oppositionsbewegung anlegte (↗ S. 15). Noch weiter ging er, als er in einem Aufruf „An mein Volk und an die deutsche Nation“ ankündigte, dass Preußen fortan in Deutschland aufgehe und damit Hoffnungen auf eine aktive nationalpolitische Rolle Preußens nährte. Nur acht Tage später folgte er der Politik anderer deutscher Fürsten, als er auch für Preußen eine liberale Regierung berief. Ihr gehörten mit den aus dem Rheinland stammenden Bankiers Ludolf Camphausen (1803–1890) und David Hansemann (1790–1864) gleich zwei prominente Vertreter des Wirtschaftsbürgertums an. Sie schlugen eine Brücke in die Phase vor 1848, denn beide waren 1847 auch Mitglieder des Vereinigten Landtags gewesen. So provozierte die Entwicklung in Preußen weitreichende Hoffnungen auf dem Weg zu einem deutschen Nationalstaat, und viele Mitglieder des Bürgertums setzten auf Friedrich Wilhelm IV. als Hoffnungsfigur.
Parallel zur Berufung von Märzministerien in den deutschen Einzelstaaten hatte sich seit Februar die Diskussion um den Weg zu einem deutschen Parlament zugespitzt. Bereits am 12. Februar, also noch vor der Eskalation der Krise in Frankreich und den Volksbewegungen in Deutschland, hatte Friedrich Daniel Bassermann (1811–1855) als Mitglied der badischen Ständekammer und Vertreter der bürgerlichen Liberalen eine Volksvertretung beim Deutschen Bundestag gefordert. So sollte die Revolution in eine Reform der bestehenden Institutionen überführt werden. Dahinter stand aber auch die Angst vor einem politischen Kontrollverlust unter dem Eindruck der Volksbewegungen auf der Straße. Diese Position sollte sich in den kommenden Wochen und Monaten unter dem Eindruck außerparlamentarischer Bewegungen und Protestformen immer wieder zuspitzen.
Auch die Vertreter der deutschen Einzelstaaten im Frankfurter Bundestag reagierten auf die Märzereignisse. Nachdem der Bundestag am 3. März die Pressefreiheit zugestanden hatte, versuchten seine Mitglieder auch in die Diskussion um ein deutsches Parlament und eine Verfassung einzugreifen. Um die politische Kontrolle wiederzugewinnen, gestand der Bundestag die notwendige Revision der Bundesakte zu und setzte einen Siebzehnerausschuss ein, der eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. Die Zahl der Stimmen ergab sich aus der Zahl der Sitze im engeren Rat der Bundesversammlung, also der Versammlung der deutschen Einzelstaaten beim Deutschen Bund. In diesem Rat saßen die elf größten deutschen Einzelstaaten als ständige Vertreter, während die kleineren Staaten durch sechs Mitglieder vertreten waren. Angesichts der zugespitzten politischen Situation wählten die deutschen Regierungen vor allem gemäßigte Repräsentanten des konstitutionellen Liberalismus als Vertreter aus. Obwohl die Dynamik der Ereignisse über diese Versuche des Bundestages hinweg ging, bewiesen die Reaktionen des preußischen Königs und des Bundestags, dass die Reformhoffnungen von Anfang an mit nationalpolitischen Erwartungen verbunden waren, indem Preußen und der Bundestag eigene Pläne für eine Bundesreform vorlegten.
Eine kanalisierte Revolution? Der Weg nach Frankfurt
Doch die konkrete Initiative lag jetzt nicht mehr beim Bundestag. Angesichts der Defensive des Bundestags und der Volksbewegungen organisierten süddeutsche Liberale eine Zusammenkunft führender Vertreter des konstitutionellen Liberalismus. Auf der Heidelberger Versammlung, an der am 5. März 1848 51 Männer teilnahmen, beschloss man gegen die Minderheit linker Demokraten um Friedrich Hecker (1811–1881) und Gustav von Struve (1805–1870), auf eine „Versammlung einer in allen deutschen Landen nach der Volkszahl gewählten Nationalversammlung“ hinzuwirken. Diese Grundentscheidung für den parlamentarischen Weg sollte die kommenden Entwicklungen maßgeblich bestimmen, aber sie provozierte auch Widerstand. Die Mehrheit der Liberalen strebte damit eine Zusammenarbeit mit den bestehenden Regierungen an, aber sie nutzte zugleich den Anfang März 1848 durch die Revolutionsbewegungen entstandenen Handlungsimpuls. Er beruhte auf dem Prinzip der Volkssouveränität und immer wieder auch auf der Androhung oder dem Einsatz von Gewalt. Der Zusammenhang zwischen einer revolutionär entstandenen Handlungsmacht und der Reformorientierung bei der bürgerlichen Bewegung war jedenfalls nicht widerspruchsfrei.
Das Ziel der Mehrheit in Heidelberg bestand darin, nach den Ereignissen seit Februar den konsequenten Weg zu einem nationalen Parlament zu beschreiten. Dazu wählte die Heidelberger Versammlung einen aus sieben Männern bestehenden Siebenerausschuss, der die Aufgabe hatte, eine weitere Versammlung einzuberufen, die dann als Vorparlament die eigentliche Wahl der Nationalversammlung vorbereiten sollte. Tatsächlich lud der Ausschuss am 12. März ausgesuchte Politiker aus deutschen Landtagen, aber auch andere bekannte Persönlichkeiten wie den bekannten demokratischen Publizisten und Verleger Robert Blum (1807–1848) ein. Das Frankfurter Vorparlament entstand also nicht mehr aus der überkommenen Ordnung des Deutschen Bundes, sondern aus der bewussten Entscheidung der Heidelberger Versammlung und entsprach damit einem revolutionären Bruch mit der Vergangenheit – ohne sich mit diesem Schritt zu einer Republik zu bekennen. Vom 31. März bis zum 3. April tagten am Sitz des Bundestages in Frankfurt die insgesamt 574 aus ganz Deutschland berufenen Persönlichkeiten. Weil der Kaisersaal im Römer, dem Frankfurter Rathaus, sich als zu klein erwies, wurde der Sitz dieses Vorparlaments in die nahegelegene Paulskirche verlegt. Wie auf der Heidelberger Versammlung setzte die Mehrheit der gemäßigten Liberalen ihre Hoffnungen auf eine konstitutionelle Monarchie. In einem parlamentarischen Verfassungsstaat sollten nationale Einheit und politische Freiheit verwirklicht werden. Die entschiedenen Demokraten der Linken bildeten im Vorparlament eine Minderheit, die sich in keiner wichtigen Abstimmung durchsetzen konnte. Gegen die Grundentscheidung, die Revolution durch ein Parlament zu legalisieren, appellierte nur eine republikanische Minderheit innerhalb des Lagers der Demokraten an die Bevölkerung, um die Revolutionsbewegung vom März jetzt außerhalb der Parlamente fortzusetzen. Doch der von Friedrich Hecker und Gustav Struve initiierte badische Aufstand wurde militärisch durch Bundestruppen niedergeschlagen.
QuellentextRobert Blum (1807–1848)
Als Sohn eines Fassbinders und aus einfachen sozialen Verhältnissen stammend, hatte Robert Blum in seiner Kindheit und Jugend früh die Konsequenzen von Hunger, Armut und Kinderarbeit erfahren. Trotz einer früh erkennbaren Begabung musste er das Gymnasium vorzeitig verlassen, um selbst Geld zu verdienen. Nach einer mehrfach unterbrochenen Lehre und Aufenthalten in München und Wien verdiente er schließlich seinen Lebensunterhalt in einer Laternenfabrik. Zurück in seiner Heimatstadt Köln bildete er sich durch autodidaktische Studien und intensive Lektüren selbst weiter. So gelang es ihm, Kontakte zum Theater zu knüpfen. 1831 wurde er Assistent des Kölner Theaterdirektors Friedrich Sebald Ringelhardt (1785–1855), mit dem zusammen er ein Jahr später zum Stadttheater Leipzig wechselte. Dort war er als Sekretär und Archivar tätig und gab zwischen 1839 und 1842 das mehrbändige „Allgemeine Theaterlexikon“ heraus. Seit den 1830er-Jahren verfasste Blum zahlreiche literarische Arbeiten, von Theaterstücken und Gedichten über Prosastücke bis zu Feuilletonartikeln, die stark von der Revolution 1830 in Frankreich inspiriert waren.
Spätestens ab 1837 war Blum im Hallgarten-Kreis, einem von Johann Adam von Itzstein (1775–1855) auf seinem gleichnamigen Weingut im Rheingau begründeten Netzwerk oppositioneller Politiker, und in Leipziger Oppositionsgruppen politisch aktiv, zunächst bei den Liberalen, dann bei linksliberalen und demokratischen Gruppen. Dabei erwies er sich als effizienter Organisator, bestens vernetzter Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Vereinen und begabter Redner. Aus dieser Zeit stammte auch sein Kontakt zu den Deutschkatholiken um Johannes Ronge (1813–1887), an deren Versammlungen Blum mitwirkte. Dabei handelte es sich um eine religiös-politische Bewegung, die sich gegen den von ihren Mitgliedern als reaktionär empfundenen Dogmatismus der etablierten Kirchen richtete und sich für die Ideen des sozialen Liberalismus und die Gründung eines gesamtdeutschen Nationalstaates einsetzte.
Seit den 1840er-Jahren knüpfte Blum Kontakte zur Opposition im sächsischen Landtag in Dresden und bemühte sich, die verschiedenen demokratischen Gruppen in den Staaten des Deutschen Bundes stärker miteinander zu verbinden. Schon vor Ausbruch der Revolution kam Blum eine führende Rolle als Führer des demokratisch-radikalen Flügels der sächsischen Oppositionsbewegung zu. Als 1845 der Protest der städtischen Bevölkerung Leipzigs gegen den sächsischen Thronfolger eskalierte und das lokale Militär eine Demonstration mit Schüssen aufgelöst hatte und Straßenkämpfe drohten, trat Blum als Vermittler zwischen den Behörden und den Oppositionellen auf. Ein Jahr später wurde er sogar unbesoldeter Stadtverordneter von Leipzig. 1847 schließlich kündigte er seine Stellung am Theater, gründete eine eigene Verlagsbuchhandlung und übernahm anonym die Leitung der „Constitutionellen Staatsbürger-Zeitung“.
1848 konnte Robert Blum vor diesem Hintergrund innerhalb kurzer Zeit zu einer der führenden und bekanntesten Persönlichkeiten der Revolution werden. Die Revolution markierte den Höhepunkt seines Wirkens innerhalb und außerhalb des Parlaments, aber sie verdeutlichte auch seine zunehmend kontrovers beurteilte Position. Zunächst vorgesehen als Mitglied einer liberalen Märzregierung in Sachsen wurde er als Delegierter Zwickaus Vizepräsident des Vorparlaments, Mitglied des von diesem eingesetzten Fünfzigerausschusses, der bis zur Wahl der Nationalversammlung den Bundestag kontrollieren sollte. In der Frankfurter Nationalversammlung vertrat Blum Leipzig und wurde Mitglied im einflussreichen Verfassungsausschuss. Als Führer der demokratischen Linken in der Paulskirche erwies er sich abermals als eindrucksvoller Redner und vielseitig aktiver Publizist, so etwa als Herausgeber der „Deutschen Reichstags-Zeitung“. Seine Bekanntheit und Popularität bezeugten zahlreiche Karikaturen. Zugleich provozierte sein Auftreten auch Kritik. Während seine Anhänger in ihm den Hoffnungsträger demokratischer Prinzipien sahen, erkannten seine konservativen Gegner in ihm das Schreckbild einer sozialen Revolution, und radikale Linke bezichtigten ihn des Verrats. Er erhielt Ehrenbürgerschaften und ebenso Morddrohungen.
Tatsächlich geriet Blum im Verlauf der Revolution immer mehr in die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Demokraten und wurde von beiden Seiten immer stärker kritisiert. Im Herbst 1848 lehnte er den Waffenstillstand von Malmö ab und setzte sich für eine deutsche Republik auf verfassungsrechtlichem Weg ein. Zudem plädierte er für eine stärkere Kooperation zwischen den Landtagen der einzelnen deutschen Staaten. Den Konservativen erschien er als Wegbereiter einer sozialrevolutionären Republik, während die radikalen Linken seine kompromissbereite Haltung gegenüber den Liberalen kritisierten.
Seine Entscheidung, den aufständischen Revolutionären in Wien im Herbst 1848 persönlich eine Solidaritätserklärung der Frankfurter Demokraten zu überbringen, fiel bereits in eine Phase persönlicher und politischer Krisen. Blums finanzielle Situation war prekär, während sich die Kritik von links und rechts zuspitzte. In Wien angekommen, nahm Blum aktiv an den Kämpfen gegen die Truppen des österreichischen Kaisers unter dem Kommando des Fürsten Windisch-Graetz (1787–1862) teil, die zur Niederschlagung der Revolution eingesetzt wurden. Blum trat im Gemeinderat, im Reichstag und bei studentischen Versammlungen auf und schloss sich dem Elitekorps der Aufständischen an. Nachdem er von kaiserlichen Truppen gefangengenommen worden war, wurde er trotz seiner Berufung auf die Immunität als Abgeordneter der Nationalversammlung am 9. November 1848 standrechtlich erschossen. Einerseits demonstrierte dies die Machtlosigkeit der Revolution und die Entschlossenheit der Gegenrevolution. Andererseits wurde Blum so in den kommenden Monaten zum häufig verklärten Märtyrer der Revolution, der Empörung und Solidarisierung provozierte. Neben zahllosen Gedenkreden und Gedichten erbrachte eine Sammlung für die Familie der Witwe mehr als 40 000 Taler.
Der Gegensatz zwischen diesem Kurs und der von den Liberalen vertretenen Kooperationstaktik gegenüber den Einzelstaaten und ihren Regierungen, der auf die Kontinuität der Institutionen setzte und den revolutionären Bruch vermied, zeigte sich Anfang April. Das Vorparlament beschloss, mit dem Deutschen Bund zusammenzuarbeiten und im Sinne einer Verrechtlichung der Revolution gemeinsam die Wahlen zur Nationalversammlung zu organisieren. Um die Bewegung gegenüber dem Bundestag zu repräsentieren, setzte das Vorparlament einen Fünfzigerausschuss ein. Tatsächlich war es formal der Bundestag, der die Staaten des Deutschen Bundes schließlich zur Durchführung der Wahl zur Nationalversammlung aufrief. Im Kern fiel in Heidelberg und im Frankfurter Vorparlament also eine weitreichende Grundentscheidung, die Revolution zu legalisieren, indem man sich auf einen parlamentarisch abgesicherten Kurs der Reform konzentrierte. Doch zugleich geschah dies im Bewusstsein eines Handlungsspielraums, der im März 1848 revolutionär entstanden war. Dieser Widerspruch zeigte sich auch daran, dass die Herrschaftsgrundlagen der einzelnen deutschen Staaten letztlich nicht in Frage gestellt wurden, was sich ab dem Herbst 1848 zu einem Einfallstor der Gegenrevolution entwickeln sollte.
Die Mehrheit des Vorparlaments setzte zwar auf allgemeine und gleiche Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung. Doch die Antwort auf die Frage, wer genau wählen durfte, blieb vage. Im Protokoll des Vorparlaments wurde dazu auf das Kriterium der „Selbständigkeit“ verwiesen. Bei den anschließenden Wahlen im Mai 1848 galt tatsächlich das allgemeine und gleiche Wahlrecht in 597 Wahlkreisen von jeweils rund 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Für die konkrete Umsetzung waren die Regierungen der deutschen Einzelstaaten verantwortlich, so dass die Wahlregelungen regional unterschiedlich ausfielen. Prinzipiell durften alle volljährigen Männer an den Wahlen teilnehmen, die deutsche Staatsangehörige waren und als „selbständig“ galten. Volljährigkeit und Selbständigkeit wurden jedoch regional unterschiedlich definiert: So blieben in Baden circa 25 Prozent der handarbeitenden Klassen ausgeschlossen, in Preußen dagegen höchstens zehn Prozent. In manchen Gebieten wurde öffentlich, in anderen geheim gewählt. Neben der direkten gab es auch indirekte Wahlen von Wahlmännern in sogenannten Urwahlen, die dann in einem zweiten Durchgang den eigentlichen Abgeordneten bestimmten. Theoretisch waren etwa 75 Prozent der volljährigen deutschen Männer wahlberechtigt, wobei Volljährigkeit in der Regel ab dem 25. Lebensjahr begann. In Württemberg fiel die Wahlbeteiligung mit circa 75 Prozent am höchsten aus. Damit verfügte das erste deutsche Parlament über eine für die damalige Zeit und im europäischen Vergleich herausragende demokratische Legitimation. Frauen die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen, lag nicht im Horizont ihrer Zeitgenossen.
Einheit, Freiheit, Handlungsmacht? Die Frankfurter Nationalversammlung und ihre Wirkungsgrenzen
Am 18. Mai 1848 zogen die neugewählten Abgeordneten unter „Glockenläuten und Kanonendonner“ vom Frankfurter Römer in die Paulskirche, um sich dort als deutsche Nationalversammlung zu konstituieren. Dieser Tag markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. In den Augen vieler Zeitgenossen schien die gewählte Versammlung den revolutionären Aufbruch vom März 1848 im Doppelziel von politischer Freiheit und nationaler Einheit einzuhegen. Zunächst wählten die Parlamentarier den Märzminister und Führer der hessen-darmstädtischen Liberalen, Heinrich Freiherr von Gagern (1799–1880), zum Parlamentspräsidenten. Nach der beruflichen Stellung dominierten in der Paulskirche Staatsbeamte, hinsichtlich der Ausbildung der Abgeordneten überwogen Juristen.
QuellentextHeinrich von Gagern (1799–1880)
Schon in seiner Kindheit und Jugend war Heinrich von Gagern mit den politischen Themen seiner Zeit konfrontiert worden. Sein Vater Hans Christoph Freiherr von Gagern (1766–1852), seit 1788 leitender Minister des Fürsten von Nassau-Weilburg (1768–1816), hatte sich während der Rheinbundzeit zusammen mit dem preußischen Reformer Freiherr vom Stein (1757–1831) gegen die französische Herrschaft Napoleons gewandt. Aufgrund seines Engagements für die deutsche Einheit war er nach dem Wiener Kongress auf Drängen des österreichischen Staatskanzlers Metternich entlassen worden. Sein Sohn Heinrich nahm an den antinapoleonischen Kriegen teil und wurde 1815 in der Schlacht von Waterloo verwundet. Während seines Jura-Studiums in Heidelberg, Göttingen und Jena gehörte er zu den Mitbegründern der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft. 1820 trat Gagern in den Justiz- und Verwaltungsdienst des Großherzogtums Hessen-Darmstadt ein und setzte sich für Reformen im Innen- und Justizministerium ein. Doch seine politische Haltung als Abgeordneter der zweiten Kammer des großherzoglichen Landtags führte 1833 zu seiner Entlassung aus dem Staatsdienst. 1836 verzichtete er auf eine erneute Landtagskandidatur und zog sich zunächst ins Privatleben zurück, blieb aber weiterhin politisch sehr aktiv und intensivierte den Kontakt zu Vertretern der liberalen Opposition im deutschen Westen und Süden.
1847 wurde Gagern erneut Mitglied im Darmstädter Landtag. Als Sprecher der liberalen Opposition stieg er noch vor Ausbruch der Revolution zu einer überregional bekannten Figur des konstitutionellen Liberalismus auf. Seine schnelle Karriere seit Frühjahr 1848 wäre ohne diese Position und seine Erfahrungen im Vormärz kaum denkbar gewesen. Im März 1848 kurzzeitig zum leitenden Minister der großherzoglich-hessischen Regierung berufen, verkörperte er das typische Programm der neuen Märzminister, strebte aber bald nach Frankfurt und damit auf die nationale Bühne der deutschen Politik. So wurde Gagern Mitglied des Vorparlaments und der Frankfurter Nationalversammlung, deren Abgeordnete ihn am 19. Mai 1848 zum Präsidenten wählten.
Als Sprecher der gemäßigten liberalen Mehrheit trat Gagern für einen gesamtdeutschen Bundesstaat mit monarchischer Staatsspitze ein. Als Zeichen des politischen Selbstbewusstseins der Nationalversammlung und aus Enttäuschung über das Verhalten der deutschen Fürsten setzte er am 29. Juni 1848 die Wahl des Erzherzogs Johann (1782–1859) zum Reichsverweser durch, so dass in Frankfurt eine provisorische Exekutive eingerichtet wurde. Zum Reichsminister ernannte Johann den österreichischen Politiker und Juristen Anton Ritter von Schmerling (1805–1893), der seinerseits für eine groß-deutsche Lösung eintrat, welche die deutschen Gebiete Österreichs in einen deutschen Nationalstaat eingeschlossen hätte. Nachdem diese Lösung am Widerstand des österreichischen Ministerpräsidenten Felix zu Schwarzenberg (1800–1852) gescheitert war und sich die Frankfurter Abgeordneten für eine kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung und unter Ausschluss Österreichs entschieden hatten, erklärte Schmerling im Dezember 1848 seinen Rücktritt. Neuer Reichsministerpräsident wurde nun Heinrich von Gagern, der so zu Schmerlings kleindeutschem Gegenspieler wurde.
Gagern hatte sich zunächst für das Konzept eines „engeren im weiteren Bund“ zur Lösung der deutschen Frage eingesetzt. Danach sollte Preußen mit den deutschen Mittel- und Kleinstaaten einen „engeren Bund“ bilden, dem sich Österreich später zu einem „weiteren Bund“ anschließen sollte. Nachdem dieser Idee durch die erfolgreiche Gegenrevolution in Wien und Berlin die Grundlage entzogen worden war, forcierte Gagern in der Frankfurter Nationalversammlung ein Bündnis mit der Gruppe der Erbkaiserlichen, um die kleindeutsche Lösung unter Führung Preußens durchzusetzen. Der von ihm ausgearbeitete Kompromiss mit der demokratischen Linken mündete schließlich in der Wahl Friedrich Wilhelms IV. von Preußen zum „Kaiser der Deutschen“ am 28. März 1849.
Doch nachdem der preußische Monarch die ihm angebotene Kaiserkrone im April 1849 abgelehnt hatte, schloss sich Gagern nicht der Reichsverfassungskampagne an, sondern erklärte am 21. Mai 1849 seinen Rücktritt aus der Nationalversammlung. Durchaus typisch für große Teile der konstitutionellen Liberalen, war Gagern letztlich nicht bereit, die verabschiedete Verfassung mit revolutionären Mitteln zu verteidigen. Nach dem Ende der Paulskirche und der militärischen Niederschlagung der Reichsverfassungskampagne setzte er sich im Herbst 1850 noch einmal für die Verwirklichung der preußischen Unionspläne ein, um so das politische Ziel eines deutschen Nationalstaats doch noch zu erreichen. Nach dem Scheitern des Unionsprojekts zog sich Gagern ins Privatleben zurück und ging aus Enttäuschung über seine Erfahrungen mit der Berliner Politik zwischen 1848 und 1850 immer mehr auf Distanz zu Preußen. Seine pro-österreichische Orientierung zeigte sich 1862, als er zu den Mitbegründern des großdeutsch orientierten Deutschen Reformvereins gehörte. Als hessischer Gesandter in Wien zwischen 1863 und 1872 unterstützte er die Wiener Pläne zur Reform des Deutschen Bundes. Dennoch begrüßte er die sich seit dem Sieg Preußens über Österreich 1866 abzeichnende kleindeutsche Reichseinigung unter Bismarcks Führung als Weg zu dem von ihm so lange erhofften deutschen Nationalstaat.
In einer Zeit, in der die Tätigkeit als Parlamentsabgeordneter noch nicht mit förmlichen Diäten vergolten wurde, konnten sich Beamte eine längere Abwesenheit eher leisten als selbständige Unternehmer. Rund 570 Abgeordnete verfügten über einen Universitätsabschluss. Unter den Mitgliedern der Paulskirche fanden sich auch 106 Rechtsanwälte, 35 Kaufleute, 23 Ärzte, 20 Schriftsteller, 14 Fabrikanten, 46 Landwirte, aber lediglich vier Handwerker und Vertreter der Lohnarbeiter suchte man vergebens. Damit spiegelte das Wahlergebnis das Übergewicht des Bildungsbürgertums in der politischen Öffentlichkeit seit den 1830er-Jahren wider, was neben den Handwerkern und Arbeitern auch Angehörige des Adels, Unternehmer und das Kleinbürgertum im Parlament marginalisierte. Die Mehrheit der Juristen und Beamten prägte eine besondere Nähe zum Staat, was sich zunächst auf die Verfassungsverhandlungen, aber auch auf das Ende der Revolution auswirken sollte. Als die einzelstaatlichen Regierungen seit Frühjahr 1849 ihre Abgeordneten aus Frankfurt abberiefen, fühlten sich viele beamtete Parlamentarier eher zur Loyalität gegenüber ihrer Regierung verpflichtet als dazu, die verabschiedete Verfassung zu verteidigen.
Dennoch war die Frankfurter Nationalversammlung kein bloßes „Professorenparlament“. In dieser bis in die Gegenwart häufig wiederholten Kritik steckte der Vorwurf, die akademisch gebildeten Abgeordneten hätten letztlich weltfremd und politisch naiv gehandelt, was wesentlich zum Scheitern der Revolution beigetragen habe. Dass dieser Vorwurf die konkrete parlamentarische Praxis nicht traf, erwies sich bereits wenige Wochen nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung. Im Blick auf das Doppelziel von nationaler Einheit und politischer Freiheit stellte sich die Frage, was an die Stelle der bisherigen Bundesversammlung treten sollte. Obwohl sich die Abgeordneten mehrheitlich einig darin waren, eine „Provisorische Zentralgewalt“ als eigene Exekutive zu bilden, blieb der Weg dahin umstritten. Plädierten viele Demokraten für einen Exekutivausschuss des Parlaments, forderten Abgeordnete der Liberalen und der gemäßigten Konservativen ein vom Parlament unabhängiges Direktorium.
Hinter dieser Auseinandersetzung schien der Grundsatzkonflikt auf, der die Revolution von Anfang an begleitet hatte: Sollte sich das Parlament auf das Prinzip der im März revolutionär erkämpften Volkssouveränität berufen und damit aus eigener Legitimation eine Regierung bilden, oder sollte die Nationalversammlung auf die Kooperation mit den bestehenden Einzelregierungen setzen und die staatsrechtliche Kontinuität betonen? Am Ende schlug Heinrich von Gagern am 24. Juni 1848 in einem „kühnen Griff“ den österreichischen Erzherzog Johann (1782–1859) als Reichsverweser vor, nicht weil, sondern „obgleich er ein Fürst“ sei. Mit 450 zu 100 Stimmen erhielt der populäre Fürst am 29. Juni eine überzeugende Mehrheit der anwesenden Abgeordneten.
Mit der Wahl des Reichsverwesers, der von der Frankfurter Nationalversammlung 1848 bis zur Kaiserwahl bestellt wurde, schuf sich die aus zumeist freien und gleichen Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung eine eigene exekutive Zentralgewalt. Ihre Legalität erkannte auch der Bundestag ausdrücklich an, indem er ihm seine bisherigen Kompetenzen übertrug. Nach dem feierlich inszenierten Einzug Erzherzog Johanns in Frankfurt am 15. Juli berief er ein eigenes Kabinett. An der Spitze des neu geschaffenen „Reichsministeriums“ stand Fürst Karl zu Leiningen (1804–1856) als Ministerpräsident. Zu den wichtigen Mitgliedern gehörten unter anderem Anton von Schmerling (1805–1893) als Innen- sowie Robert von Mohl (1799–1875) als Justizminister. Mindestens so wichtig wie die Tatsache, dass die Parlamentsmehrheit diesen Schritt zur Bildung einer eigenen Regierung ging, war die Grundentscheidung für das parlamentarische Regierungsprinzip, das bis zum Ende der Frankfurter Nationalversammlung gültig blieb. Denn das vom Reichsverweser berufene Kabinett war der Nationalversammlung gegenüber verantwortlich und zudem in der Praxis von der Unterstützung durch die Mehrheit der Abgeordneten abhängig. Doch weder Preußen noch Österreich erkannten als einflussreichste deutsche Einzelstaaten den Reichsverweser als obersten Kriegsherrn an. So blieb in den militärisch wichtigsten Staaten die Verfügungsgewalt über das Militär und damit über die entscheidende Institution staatlicher Gewaltanwendung bei den einzelstaatlichen Regierungen. Der Fortgang in Frankfurt hing also unmittelbar von der weiteren Entwicklung in Österreich und Preußen ab.