Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Konsum in der sozialen Marktwirtschaft | Haushalt – Markt – Konsum | bpb.de

Haushalt – Markt – Konsum Editorial Private Haushalte - Quelle und Ziel wirtschaftlicher Aktivität Von der Selbstversorgung zum Konsum - Entwicklung und Situation privater Haushalte "Gutes Leben" oder maximaler Nutzen - ökonomische Entscheidungen im Haushalt Ökonomisierung versus Regulierung? Haushalte zwischen Markt und Staat Konsum in der sozialen Marktwirtschaft Herausforderungen und Gestaltungsoptionen für private Haushalte Literaturhinweise und Internetadressen Autorin und Impressum

Konsum in der sozialen Marktwirtschaft

Birgit Weber

/ 17 Minuten zu lesen

Die Qual der Wahl: Eine Frau shoppt im Schlussverkauf. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Ökonomisch betrachtet bedeutet Konsum, wirtschaftliche Güter und Dienstleistungen zu erlangen und privat zu nutzen. Er bezieht sich auf die Einkommensverwendung, die Marktentnahme und Nutzung von Konsumgütern. Aus der Sicht des Individuums greift dies jedoch zu kurz. Denn der Konsumprozess beginnt bereits mit der individuellen Bedürfnisentwicklung, der Bedarfsfeststellung und setzt sich fort mit der unbewussten oder bewussten Bewertung von Informationen. Es folgt die rationale oder irrationale Wahlentscheidung, woraufhin der Kauf durchgeführt und die Konsumgüter gebraucht und verbraucht werden, bis sie nach Nutzung verkauft, getauscht, verschenkt, verwertet oder entsorgt werden. Soziologisch betrachtet sind aber auch dies nicht einfach isolierte Entscheidungen eines Individuums. Vielmehr ist der Konsum hinsichtlich der Bedürfnisse, der Produkte und der Ausrichtung auf andere Personen sozial geformt, er entwickelt sich in Abhängigkeit von individueller Sozialisation, Trends und Moden. Daher sind neben der reinen Kaufentscheidung auch die sozialen Bedingungen und Einflüsse auf und durch das Konsumverhalten sowie die Konsummuster bedeutsam.

Konsumenten - souverän oder fremdbestimmt?

Ob die Marktwirtschaft als effizienter Koordinationsmechanismus fungiert, ist letztlich von den Konsumenten abhängig. Diese sorgen mit ihren Entscheidungen dafür, dass die benötigten Güter zu günstigen Preisen und in guter Qualität produziert werden und so das Interesse an Gewinnmaximierung in die gewünschten Bahnen gelenkt wird. Konsumenten belohnen durch ihre Kaufentscheidungen die Produzenten der Güter, die ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechen. Sie bestrafen diejenigen, deren Produkte sie wegen überhöhter Preise, nicht ansprechender Eigenschaften oder schlechter Qualität nicht kaufen. Ob die Konsumenten es wollen oder nicht, ob sie rational oder irrational handeln, ob sie über ihre Käufe nachdenken oder nicht, sie nehmen immer eine sanktionierende Funktion ein. So bestimmen sie die Produktionsergebnisse auf den Märkten mit. Das ist die Grundidee der Konsumentensouveränität. Deren idealtypische Vorstellungen sind mit einer komplexen und widersprüchlichen Realität konfrontiert.

Der Verbraucherforscher Gerhard Scherhorn wies schon vor mehr als 30 Jahren auf die Einschränkungen dieser Konsumentensouveränität hin. Danach sind Konsumenten abhängig vom Angebot, und die Konkretisierung ihres Bedarfs nach bestimmten Gütern wird von den Anbietern beeinflusst. So träfen die Produzenten die Produktionsentscheidungen und versuchten aus Gewinnmaximierungs- und Selbsterhaltungsinteressen über Marketingstrategien die Aufmerksamkeit der Konsumenten auf ihre Produkte zu lenken. Bei dieser "Produzentensouveränität" haben die Konsumenten keine aktive, sondern eher eine reaktive Funktion: Sie können ihren Bedarf einschränken oder Produkte, Anbieter und Hersteller wechseln. Sie können aber auch ihren Widerspruch entweder direkt beim Anbieter oder über Medien und Verbraucherorganisationen deutlich machen. Abwanderung (Exit) oder Widerspruch (Voice) sind nach dem Soziologen und Volkswirt Albert O. Hirschman zwei grundlegende Reaktionsmöglichkeiten, deutlich zu machen, dass die angebotene Qualität nicht den Wünschen entspricht. Dazu muss die Mehrheit der Konsumenten fähig und bereit sein, Marktleistungen angemessen zu bewerten und entsprechend zu handeln. So liegt rationales Verbraucherverhalten nicht allein im Interesse der Konsumenten selbst, die mit begrenzten Mitteln ihren Nutzen mehren wollen. Vielmehr ist es eine Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und Legitimation der Wirtschaftsordnung. Aber sind die Konsumenten mit diesen Entscheidungen nicht überfordert? Kann ihnen auf Basis ihrer individuellen Entscheidungen diese kollektive Verantwortung angetragen werden?

Das Zustandekommen einer Kaufentscheidung

Die Befriedigung von Bedürfnissen - nur eine Frage des Gutes?

Konsumenten treffen wöchentlich eine Vielzahl von Kaufentscheidungen bzw. nutzen täglich Ge- und Verbrauchsgüter, für deren Kauf sie sich irgendwann entschieden haben, um Bedürfnisse nach Nahrung, Wärme, Gesundheit, Sicherheit, Geborgenheit, Liebe, sozialer Anerkennung, Anregung und persönlicher Entfaltung zu befriedigen. Diese Bedürfnisse können mit immateriellen und materiellen Gütern befriedigt werden, die sich selbst herstellen lassen oder in vielfältigen Bezugsquellen zu unterschiedlichsten Preisen und Qualitäten zu haben sind.

  • Nahrung lässt sich sammeln oder jagen, im eigenen Garten oder auf dem Balkon anbauen, im Discounter, Supermarkt, Wochenmarkt, Biomarkt, beim Bauern oder im Feinkostgeschäft kaufen. Sie kann als zubereitete Speise zuhause, in der Kantine, am Kiosk oder im Nobelrestaurant als Dienstleistung verzehrt werden. Eine Zeitlang kann man sogar auf Nahrungsaufnahme verzichten. Ob man sein Nahrungsbedürfnis mit Wasser und Brot, mit Sauerkraut und Kartoffelpüree oder mit Kaviar und Champagner befriedigt, ist nicht unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen, aber ebenso wenig von den kulturellen Einflüssen.

  • Soziale Geborgenheit ist nicht käuflich. So mag Kommunikation am besten im direkten Gespräch erfolgen und kostet somit - von der Zeit abgesehen - noch nicht einmal etwas. Sind aber Distanzen zu überbrücken, bedarf es der Telekommunikation. Auch Liebe ist nicht käuflich. Aber um jemand kennenzulernen, werden oft Maßnahmen zur Steigerung der eigenen Attraktivität auf dem "Partnermarkt" getroffen sowie heutzutage die Dienste kostenpflichtiger Kennenlernbörsen in Anspruch genommen.

Auch wenn auf den ersten Blick manche Bedürfnisse durch käufliche Güter nicht befriedigt werden können, ist das oft nur die halbe Wahrheit. So wird die Befriedigung von Bedürfnissen immer mehr zu einem Bedarf nach Konsum, der Geld erfordert und von außen durch die Bereitstellung eines entsprechenden Angebots beeinflusst wird. Wüssten die Konsumenten, welche Bedürfnisse sie mit welchen Mitteln am besten befriedigen könnten, wäre schon eine wichtige Vorbedingung für eine rationale Kaufentscheidung erfüllt, um die Mittel in ein vernünftiges Verhältnis zu den Zielen zu setzen. Aber selbst das ist schwierig genug. Die Güter unterscheiden sich erheblich in Kaufpreis und Qualität, die Kaufpreise divergieren nach Anbietern, Saison sowie nachgefragter Menge. Niedrige Güterpreise können für die Verbraucher hohe Folgekosten für Verbrauchsmaterialien, Service, Reparaturen und Ersatzteile zeitigen, da diese Kosten bei der Kaufentscheidung oft nicht berücksichtigt werden. Geringere Preise können sich trotz qualitativer Gleichwertigkeit der Produkte dadurch ergeben, dass bei der Produktion die Umweltbelastung nicht mit ins Kalkül gezogen wurde oder die Produktionskosten durch problematische Arbeitsbedingungen, Niedriglöhne oder durch Kinderarbeit gering gehalten wurden.

QuellentextWarenästhetik am Beispiel von Duschgel

[...] Wer einen Drogeriemarkt betritt, um ein Duschgel zu kaufen, steht vor Regalen, auf denen die Angebote Dutzender von Markenartikeln mit meist mehreren Produktlinien und zahlreichen Varianten versammelt sind. Unterschieden wird zwischen Produkten für Männer, Frauen, Kinder und Senioren; es gibt edel aufgemachte und simpel verpackte Duschgels, einige für den Abend oder das Wochenende, andere für morgens und wochentags; wählen kann man ferner zwischen sportlichen, esoterischen, gesundheitsbewussten, stimulierenden und beruhigenden Artikeln.
[...] Fühlen sich deren Besitzer nach einem anstrengenden Arbeitstag frustriert und gestresst, so greifen sie vielleicht zu einem Mittel, dessen Name einen "Beruhigenden Abend" verheißt; sind sie an einem anderen Tag noch abenteuerlustig und wollen sich statt auf dem Sofa lieber in der Disco vom Arbeitstrott erholen, dann stimmen sie sich darauf mit einem Duschgel ein, das vielleicht den Namen "Energy Risk" trägt.
Doch der Name allein führt noch nicht zur Öffnung eines Fiktionsraumes. Vielmehr bedarf es einer raffinierten Inszenierung. Ähnlich wie ein Romantext soll das Produktdesign einen inneren Film in Gang setzen: Es gilt, dem Konsumenten ein ihm sympathisches Rollenangebot zu machen oder ihn zumindest ein wenig aus seinem Alltagserleben herauszuholen. Wie das durch eine Kombination verschiedener Sinnesreize gelingen kann, sei am Beispiel des Duschgels "Beruhigender Abend" [...] erläutert:
Im Unterschied zu vielen anderen Duschgels ist der Name hier auf Deutsch aufgedruckt [...]. Allein, dass sie in der Muttersprache angesprochen werden, wirkt für viele Menschen schon beruhigend, enthält doch das sonst dominierende Englisch einen Beiklang von Business oder Outdoor-Abenteuer. Ein klassisch ruhiger Schriftzug - ohne dynamisierende Kursivierung - verheißt dagegen Stabilität.
Noch wichtiger ist aber, dass sich weiße Schrift von einem dunkelblauen Hintergrund abhebt: Mit keiner anderen Farbe wird so stark Entspannung, Erholung und Vertrauen assoziiert; man kann an die "blaue Stunde" nach Arbeitsschluss, aber auch an Schlaf- und Beruhigungsmittel denken, deren Verpackungen häufig blau sind.
Die Form des Produktkörpers verstärkt das Empfinden von Beruhigung und Einkehr zusätzlich. Seine Symmetrie, keineswegs selbstverständlich bei Duschgels, wirkt stabil und harmonisch, die Wölbung der eher flachen Flasche macht einen geschmeidigen Eindruck.
Doch geht es nicht nur um visuelle Reize. Wer sich für ein Duschgel interessiert, will vor einer Kaufentscheidung vielleicht auch wissen, wie dieses duftet. Wird aus diesem Grund die Verschlusskappe geöffnet, ist jedoch - noch bevor ein olfaktorischer Reiz wahrnehmbar ist - das Ohr angesprochen. Zwar achten viele nicht bewusst auf das Sound-Design, es wirkt aber unterschwellig. In diesem Fall assoziiert man mit dem Ton, den das Öffnen des Verschlusses auslöst, ein erleichtertes Seufzen. Damit wird suggeriert, dass in dem Moment, in dem man das Duschgel benutzt, die Entspannung einsetzt: Es ist, als dürfe man befreit ausatmen.
Das Gel selbst riecht dezent, ist nicht stark parfümiert, und wer mag, kann den auf der Packung angekündigten "Sandelholzduft" erahnen, der ein Flair von Wärme verheißt. Neben dem Geruch ist schließlich die Substanz des Gels bedeutsam. Es fließt milchig weiß und cremig wie Sahne aus der Flasche. Das wird als Verwöhnung empfunden. Das Weiß verheißt nicht nur Reinheit, sondern erinnert gar an Muttermilch. "Beruhigender Abend" suggeriert also, man dürfe zu den eigenen Ursprüngen zurückkehren, in eine warme Welt ohne Entfremdung, in ein behütetes Zuhause.
[...] Das Duschgel wird somit als eine Art Psychotherapie verstanden: Es soll dabei helfen, den Alltagsfrust hinter sich zu lassen und sich zu regenerieren. [...] Es erzeugt eine Stimmung, es überhöht den Alltag, es stiftet Bedeutungen und damit auch Sinn.
[...] Kann man Konsumgüter also einerseits zur Ausprägung oder Umgestaltung der eigenen Identität nutzen - dies ist die Idee "warenästhetischer Erziehung"! -, so konsumiert man andererseits häufig nur mit Rücksicht auf einzelne Stimmungen, die man intensiver erleben oder denen man entgehen will. [...] Mittlerweile ist die Choreographie der Emotionen zum alltäglichen Programm geworden, das selbst schon beim Kauf einer Zahnbürste, eines Joghurts oder eben eines Duschgels stattfindet. Mehr als je zuvor modellieren nahezu alle Gebrauchsgüter die jeweilige Lebenswelt. [...]

Wolfgang Ullrich, "Über die warenästhetische Erziehung des Menschen", in: APuZ 32-33/2009, S. 14ff.

Die Kaufentscheidung - nur eine Kosten-Nutzen-Abwägung?

Die Kaufentscheidung wird durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Rein theoretisch erfordert sie eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Der Nutzen ist davon abhängig, ob das Gut dazu dient, einen bestimmten Bedarf zu erfüllen, hinter dem ein Bedürfnis steht. Die Kosten sind von der verfügbaren Kaufkraft abhängig, diese wird beeinflusst durch Preis und Einkommen. Eine solche Abwägung stellt erhebliche Anforderungen an die Entscheidungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit des Verbrauchers. Er muss über seine eigene Ausgabenstruktur sowie die Qualität der Waren entscheiden und benötigt dazu vielfältige Informationen über alternative Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung, über die Eigenschaften der Waren und über ihre Wirkungen. Dabei ist das Angebot nicht nur unübersichtlich, es gibt auch widersprüchliche Informationen. Der Konsument steht also auf einer Vielzahl von Märkten vor einem kaum überwindbaren Informationsdefizit, das er mit knappen Ressourcen und begrenzter Verarbeitungskapazität nur schwer bewältigen kann. Seine Kaufkraft wird nicht nur beeinflusst vom eigenen Einkommen und dem Preis des gewünschten Gutes, sondern auch von den Preisen anderer Güter.

QuellentextNur nicht zurückfallen

[...] Es ist jetzt mehr als siebzig Jahre her, dass die Firma DuPont in Amerika die erste Zahnbürste auf den Markt brachte, deren Borsten aus Nylon gemacht waren und nicht wie zuvor aus Schweinehaaren. [...] Anfang der fünfziger Jahre entwickelte dann ein Zahnmediziner aus Kalifornien eine Bürste, die er Oral-B 60 nannte, wobei das B für die Borsten stand und die Sechzig für die Anzahl pro Büschel.
Heute produziert die Firma Bürsten, in denen bis zu siebenhundert Borsten in einem Büschel stecken. Es gibt Borsten, die nur noch ein zwanzigstel Millimeter dünn sind, dennoch wird jede an der Spitze abgerundet oder in noch kleinere Borsten aufgespalten. Es gibt Borsten, deren Einfärbung anzeigt, wann die Bürste zu wechseln ist, Borsten, die gewellt sind statt gerade, damit sie nicht nur mit der Spitze, sondern auch mit der Seite putzen, und Borsten, die schräg in die Bürste eingelassen sind, und zwar exakt im Winkel von sechzehn Grad, weil das der Winkel ist, bei dem sie am besten in die Zahnzwischenräume gelangen, wie die Oral-B-Forschung herausgefunden hat. [...] Es war ein langer Weg [...]. Andererseits hat sich am Aussehen einer Zahnbürste über die Jahre nichts geändert. Sie besteht noch immer aus einem Griff, Kopf und Borsten, und auch die Art, sie zu handhaben, ist dieselbe geblieben: Man putzt. [...]
[D]er Vorsprung, den eine gute Zahnbürste vor einer nur durchschnittlichen hat, ist in Wahrheit nicht so groß, dass ihn nicht jeder Kunde gleich wieder zunichtemachte, wenn er sie mit der falschen Technik benutzt oder zu kurz oder zu wenig. Schlechter als alle Bürsten putzt immer noch der Mensch. In dem Fall ist nicht er es, der immer bessere Produkte braucht. Es sind die Hersteller.
Das Forschungszentrum der Marke Dr. Best liegt in Bühl in Baden, [...] gehört zum Konzern GlaxoSmithKline [...]. Dr. Best war ursprünglich der Name eines Juristen, der Mitte der fünfziger Jahre in eine Bürstenfabrik im Schwarzwald investierte und die erste Markenzahnbürste Deutschlands auf den Markt brachte. Das muss heute, wo der Name für fast alle mit einem amerikanischen Zahnarzt verbunden ist, wie eine Idee aus der Reklame wirken, dabei war es anders herum. Eine Werbeagentur hatte Prof. Dr. Earl James Best in einer Praxis in Chicago entdeckt. Ein seriös aussehender Mann, der fortan im weißen Kittel im Fernsehen auftrat, eine Tomate in der Hand hielt, eine Zahnbürste dagegenpresste, und siehe, die Bürste gab nach. Das war Ende der achtziger Jahre.
Der Markt wurde damals von der Firma Blendax beherrscht, die heute kaum mehr für ihre Zahnbürsten bekannt ist. Der Anteil von Dr. Best lag bei fünf Prozent. Der Konzern wollte die Marke schon verkaufen, entschied sich dann aber doch für einen Neuanfang und brachte eine Bürste heraus, die aus einem federnden Material gemacht war. Sie gab nach, wenn man sie zu fest gegen das Zahnfleisch drückte. An der Idee hatten auch andere Firmen gesessen, doch Dr. Best war als erste damit in den Läden. Eine Innovation, aber sie hat alles verändert. Innerhalb weniger Jahre eroberte Dr. Best einen Anteil von fast fünfzig Prozent am deutschen Markt. [...]
Von da an hat Dr. Best alle ein, zwei Jahre eine neue Zahnbürste auf den Markt gebracht und dabei an jedem ihrer Teile eine Verbesserung versucht. Aus dem nur flexiblen Hals wurde ein Schwingkopf, der später noch ein Kugelgelenk erhielt. Der Kopf, der anfangs starr war, wurde mit einer geknickten Spitze versehen und später dreigeteilt, so dass er wie eine Gabel mit beweglichen Zinken aussah. Heute gibt es Modelle, die einen Zungenreiniger auf der Rückseite tragen, und solche, deren Kopf in einem besonders weichen Gelkopf gelagert ist. [...] Inzwischen gibt es Radierborsten, die die Zähne weißer machen sollen, und als der Verkauf von Zahnseide anzog, wurden einige der Borsten dünner und ragten über die normalen hinüber, um Zahnseide nachzuahmen. [...] Das Modell mit dem Schwingkopf aber, mit dem die Firma einst den Markt eroberte, bietet sie immer noch an. Es war ja eine gute Bürste, sie war nur irgendwann nicht mehr neu.
Im Lichte ihrer Powerpoint-Präsentationen haben die Leute von Dr. Best keinen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Zahnbürste verpasst. Bei vielen waren sie sogar die Ersten. Trotzdem ist ihr Anteil am Markt seit Jahren lediglich stabil geblieben. Sie müssen immer mehr tun und können doch scheinbar nur verhindern, dass sie zurückfallen. Wir könnten längst die Zahnbürste der Zukunft bauen, sagt [ein Mitarbeiter]. Sie muss nur vom Kunden verstanden werden. [...] Die Leute putzen ja nicht, die Leute schrubben. Es gab im Grunde nur zwei Verbesserungen, die sie sofort verstanden haben. Das eine war der Schwingkopf, der verhinderte, dass sie sich beim Schrubben verletzten, das andere waren die schrägen Borsten. Der Rest hat keinen großen Unterschied gemacht. Vielleicht ist der Mensch als Kunde zu langsam für die Entwicklungen, die er als Produzent vorantreibt. [...]

Marcus Jauer, "Schaum und Sein", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. Januar 2010

Gleichzeitig wird der Bedarf von unterschiedlichen Bedürfnissen beeinflusst. Kleidung soll nicht nur wärmen und schützen, sondern auch die Gesundheit nicht gefährden und ästhetischen Kriterien genügen. Sie soll einen individuellen Lebensstil repräsentieren und soziale Anerkennung ermöglichen, indem sie signalisiert, zu einer spezifischen Gruppe zu gehören und sich von anderen abzugrenzen. Die Kaufentscheidungen unterliegen weiteren Einflüssen, die nicht unabhängig voneinander sind:

  • Persönlichkeitsmerkmale: etwa ob jemand eher autonom ist oder sich von außen beeinflussen lässt, ob er eher egoistisch oder altruistisch ist,

  • individuelle Bedürfnisstruktur: etwa als Frau oder Mann, Single oder Familie, Jugendlicher oder Senior, Land- oder Stadtbewohner mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Zeit,

  • individuelle Werthaltungen: ob jemand aus ethischen Gründen den Verzehr von Fleisch ablehnt, Menschen in armen Ländern durch fairen Handel unterstützt oder ökologisch unbedenkliche, qualitativ hochwertige Produkte Billigprodukten vorzieht,

  • materielle und psychosoziale Umwelteinflüsse: etwa das Konsummilieu und das Konsumverhalten der jeweiligen sozialen Gruppe, die Einflüsse der Anbieter, der Schicht oder des Kulturkreises einhergehend mit kulturellen Beschränkungen, etwa in der Fastenzeit, oder Anreizen, wie in der Weihnachtszeit, sowie der Vielfalt und Struktur des verfügbaren Angebots.

Nahrungsmittel- oder Häuserkauf - immer die gleichen Kosten-Nutzen-Abwägungen?

Bei Kaufentscheidungen handelt es sich um so Unterschiedliches wie den Kauf eines Brötchens, eines Kleides, einer Stereoanlage oder gar eines Hauses. Für diese unterschiedlichen Güterarten erfolgen die Entscheidungen nicht auf die gleiche Art und Weise. Während der Kauf eines alten Brötchens einem vielleicht einmalig das Frühstück verdirbt, könnte das Ärgernis über eine Stereoanlage, die nach wenigen Wochen mit besseren Eigenschaften und Funktionen zu einem günstigeren Preis zu haben gewesen wäre, die Laune länger verderben. Der Kauf eines Hauses, bei dem jahrelange Zahlungsverpflichtungen eingegangen werden, ist schon vor dem Vertragsabschluss mit wesentlich komplexeren Entscheidungsprozessen und Risiken verbunden.

Aber auch die Kaufentscheidungen für regelmäßig gekaufte Produkte des Alltagsbedarfs sind nicht belanglos. Es besteht die Gefahr, überhöhte Preise zu zahlen, und es entstehen Kosten in Form der nicht wahrgenommenen Alternativen. Diese können sich im Laufe eines Jahres so summieren, dass stattdessen auf den Genuss anderer Annehmlichkeiten verzichtet werden muss. Werden Informationen vor dem Kauf eingeholt, verringert sich zwar das Risiko, überhöhte Preise zu zahlen, dafür steigen jedoch Informationskosten und Zeit, die mit der Entscheidungsfindung verbunden sind. Kein Konsument ist in der Lage, bei allen Gütern permanent Preise und Qualität zu vergleichen: Er hat nicht nur ein begrenztes Zeitbudget, sondern auch eine begrenzte Informations- und Entscheidungskapazität. Im Gegensatz zu Unternehmen verfügen private Haushalte nicht über Beschaffungsabteilungen, die ihre Käufe professionell organisieren.

Die Verbraucherforschung unterscheidet vier unterschiedliche Typen von Kaufentscheidungen. Es handelt sich dabei um:

  • Spontan- und Impulskäufe bei geringwertigen Gütern,

  • Gewohnheitskäufe bei Gütern des alltäglichen Bedarfs,

  • einmalige Käufe höherwertiger Gebrauchsgüter,

  • besonders hochwertige und bedeutsame Güter.

Diese Typen differieren nach Güterart, dem subjektiv empfundenen Risiko der Investition, der Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Kaufentscheidung, der Planungsaktivität und dem betriebenen kognitiven Aufwand. So verhalten sich Konsumenten unter Entscheidungsdruck vernünftig, wenn sie bei Gütern des alltäglichen Bedarfs nicht die gleichen Informations- und Suchkosten eingehen wie bei komplexen Kaufentscheidungen für Gebrauchsgüter. Gesetzliche Vorschriften zur Preis- und Mengenauszeichnung oder auch Produktkennzeichen ermöglichen eine schnelle Übersicht und können davor schützen, dauerhaft zu hohe Preise zu bezahlen oder schlechte Qualität zu erhalten. Solche Signale können die Gewohnheitsbildung unterstützen. Eine umsichtige Haushaltsplanung mit Vorratshaltung sowie eine gewisse Sensibilität gegenüber absatzfördernden Maßnahmen verringern die Gefahr, auf Lockvogelangebote hereinzufallen und mehr zu kaufen als gewollt. Bei komplexeren Kaufentscheidungen bleiben allerdings zusätzliche Transaktionskosten - für die Suche, die Informationsbeschaffung, ggf. sogar den Vertragsabschluss - kaum erspart.

Bei vielen Gütern lassen sich Nutzen und Qualität erst durch den Gebrauch feststellen. So mag die Verarbeitung eines Fußballs vor Kauf in Augenschein genommen werden können, seine Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit werden sich aber erst nach Erfahrung der längeren Nutzung erweisen, während es eine Frage des Vertrauens ist, dass der Fußball nicht durch ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt wurde. Ob Güter defekt sind oder gefallen, kann vor Kauf in Augenschein genommen werden. Es kann aber kaum beurteilt werden, ob sie gesundheitsbelastende Inhaltsstoffe und sicherheitsgefährdende Bestandteile enthalten oder ökologisch und sozial bedenklich produziert wurden. Hier benötigen Verbraucher vertrauenswürdige Signale, die ihnen bei der Kaufentscheidung gesundheitliche, soziale und ökologische Unbedenklichkeit bescheinigen.

QuellentextMarken unter Wettbewerbsdruck

Marken sind heute in einer für sie gefährlichen Lage: Sie müssen ihre überlegene Qualität finanzieren können und stehen zugleich unter ungeheurem Wettbewerbsdruck in einer Landschaft von Preiskämpfen. Zwischen diesen beiden Anforderungen drohen sie zerrissen zu werden. Wie ist es dazu gekommen?
In der Zeit des Markenaufbaus nach dem Krieg war der Markt homogen: Die Märkte waren nach Fachbranchen geordnet. Die Interessengleichheit der Beteiligten bedeutete, daß die Umsätze nicht über (aggressive) Preise generiert wurden, sondern über Qualität.
In den achtziger Jahren entstanden heterogene Märkte. Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten fielen die Branchengrenzen, und neben dem Qualitätslager entstand das Preislager. An seinem Rand hat sich nun der Hard Discount etabliert. Er ist der Hauptgewinner der Marktentwicklung in den vergangenen zwanzig Jahren.
Verglichen mit der historischen Ausgangssituation, haben wir es mit einer völlig veränderten Lage zu tun. Durch Aktionen, Sonderprodukte, billige Zweit- und Handelsmarken wird der Preisabstand zwischen den Lagern aufgehoben. Der Markt ist polarisiert. Das Qualitätslager generiert seine Umsätze über Qualität. Es arbeitet mit hohen Investitionen (Forschung/Entwicklung, Produktion, Vermarktung) und geht langjährige Verpflichtungen Arbeitnehmern, Lieferanten und der Wirtschaftsregion gegenüber ein. Das Billiglager generiert seine Umsätze über niedrige Preise. Es vermeidet hohe Verpflichtungen, kopiert Qualitätsmarken, hält billiges Personal und ist opportunistisch in seinen Beziehungen.
Für den Qualitätsmarkt kommt nun alles darauf an, Abstand zu halten. Das dem Kunden sofort verständliche Signal für den Abstand ist der Preis. Das Qualitätslager aber blickt fasziniert zum Preislager hinüber und geht auf es ein, durch Aktionen, Sonderprodukte - und den Weg in die Billig-Distribution. Die für die Produkteinschätzung des Kunden so wichtige Preisskala wird fließend. Über die Brücke des durch den Niedrigpreis erweiterten Umsatzes erreicht das Qualitätslager das Preislager. Die Teilmärkte wachsen zusammen - die Preisskala wird fließend, und die Profile verschwimmen.
Zwei Gefahren drohen: Erstens geht für die Marken die Schere zwischen Kosten und Ertrag weiter auseinander. Den hohen Kosten stehen niedrige Erträge gegenüber. Und sie begeben sich in eine fundamentale Krise: Sie folgen den Bedingungen des Preislagers. Jetzt wird der Preis als alleiniges Mittel der Absatzförderung eingesetzt und der Sinn von Nachlässen nicht mehr überprüft. Die Kontrolle der Aktionsanteile ist verlorengegangen. Und der Konsument lernt beim Discount, wie billig Marken sein können. Gewinner dieser Entwicklung ist der Hard Discounter. In diesem Umfeld spricht alles für den Hard Discounter, der in der Verwirrung eine eindeutige Position im Markt bezieht:

  • Seine Dauerniedrigpreise vermitteln Kontinuität

  • Seine einfache Ausstattung erklärt die Preisposition

  • Sein Sortiment ist auf Schnelldreher beschränkt

  • Seine Lieferanten kopieren Produkte und Qualitäten der Markenhersteller

  • Mit Markenprodukten zum Discount-Preis dokumentiert er seinen Preisabstand

  • Auf das Nötigste reduziert, arbeitet er hoch effizient.

Daß Markenprodukte beim Discounter auftauchen, war eh riskant für ihre Glaubwürdigkeit. Nun wird aber bekannt, daß auch gute Markenhersteller hinter Handelsmarken stehen - das Vertrauen geht völlig verloren. Das Internet bietet entsprechende Übersichten als PDF-Download an. Das Marktsystem gerät aus den Fugen. Aktionsmittelwerte werden zu neuen Normalpreisen. Und spätestens bei der Fixierung der niedrigeren Normalpreise führt die neue Kalkulation - zumeist anläßlich der Budgetplanung - zu Kostensenkungsbeschlüssen, die qualitative Abrüstung zur Folge haben. Das Qualitätslager gibt seine Überlegenheit auf und verliert die Wertschöpfung; dem Handel bleibt die Verkaufslogistik. Der Konsument muß sich mit Standardprodukten begnügen. Und mit den Produktqualitäten verschwinden die entsprechenden Arbeitsplätze. Das Preislager geht jeweils auf Abstand, und das "Spiel" beginnt von vorn. Der Markt gleitet in Richtung Discount. [...]
Leistungsabgrenzung ist oberstes Gebot, wenn ein Markenhersteller Handelsmarken beliefert: Abgrenzung ist das Prinzip des funktionierenden Marktes; dies gilt in besonderem Maße für Markenhersteller. [...] Denn für besondere Qualitäten zahlt der Händler den adäquaten Mehrpreis. Auch für den Handel müssen die kaufmännischen Grundprinzipien gelten; Qualitäten erfordern ihren Preis. [...] das Discounting kann nicht die Zukunft der Wirtschaft sein.

Manfred Schmidt, Vorsitzender des Instituts für Markentechnik in Genf, "Qualität oder Preis? Marken in der Zerreißprobe", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Oktober 2006

Konsumentscheidungen - nur ein finanzielles Risiko?

Konsumentscheidungen sind mit unterschiedlichen Risiken verbunden. Raymond A. Bauer (1960) unterscheidet finanzielle, funktionale, gesundheitliche, soziale und psychische Risiken, die die Konsumenten subjektiv empfinden und individuell wahrnehmen:

  • Finanzielle Risiken durch finanzielle Einbußen, wenn es das Produkt woanders günstiger gibt, die Mittel anders besser hätten eingesetzt werden können oder Folgekosten für den Betrieb, Folgeinvestitionen oder Zinsen unterschätzt wurden;

  • funktionale Risiken durch Qualitätsmängel, die eine schwierige Handhabung, hohe Reparaturanfälligkeit oder beeinträchtigte Funktionstüchtigkeit zur Folge haben;

  • gesundheitliche Risiken durch allergie- oder krebsauslösende Inhaltsstoffe;

  • soziale Risiken durch einen mangelnden Prestigewert des Produkts, wodurch das beabsichtigte Signal der Zugehörigkeit zu oder Abhebung von sozialen Gruppen nicht gelingt;

  • psychische Risiken durch mangelnde Zufriedenheit bei instabilen Bedürfnissen, unzureichenden Informationen über den eigenen Bedarf oder fehlender Distanz zum Gegenstand.

Je nach empfundenem Risiko wenden die Käufer bestimmte Strategien zu seiner Minderung an. Bekannte Strategien sind die Treue zu Marken oder Einkaufsstätten, die bestimmte Qualitätsversprechen geben, der Kauf von Produkten, die durch unabhängige Agenturen getestet wurden (zum Beispiel Stiftung Warentest) oder die Empfehlung seitens glaubwürdiger Personen oder Meinungsführer. Eine weitere Strategie ist es, bei höheren Preisen einen positiven Preis-Qualitätszusammenhang zu vermuten.

Fehlentwicklungen bei Konsumentscheidungen

Mit Produkten, von ihrer Entstehung über den Verkauf, die Nutzung bis hin zur Entsorgung, ist ein Verbrauch von Ressourcen verbunden, der ebenfalls überlegte Konsumentscheidungen erfordert. Der Haushaltsökonom Udo Beier hat eine Typologie von Fehlentwicklungen bei Konsumentscheidungen aufgestellt, die helfen soll, sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen, den daraus resultierenden Bedarf genauer zu analysieren und die Kaufentscheidung darauf abzustimmen. Dies hilft auch, die Marketingstrategien der Händler zu verstehen, die die kleinen Schwächen der Verbraucher gerne in ihre Absatzbemühungen einbeziehen.

  • So kann ein Kauf vollzogen werden, ohne dass geprüft wird, ob nicht auch Verzicht oder eigene Herstellung möglich gewesen wären (Konsumpassivismus).

  • Der Kauf selbst kann zum eigentlichen Erlebnis (Kauflust), zur Gewohnheit oder gar zur Sucht werden, wenn auf diese Weise Bedürfnisse befriedigt werden, die an anderer Stelle nicht gestillt werden können (Ersatzkonsum, Kompensatorischer Konsum).

  • Der Kauf richtet sich auf objektive, subjektive oder imaginäre Eigenschaften von Waren, die von den Anbietern immer wieder verändert werden, um so das demonstrative Streben nach dem jeweils perfekten, aktuellsten, schönsten, prestige- oder imageträchtigsten Gut zu schüren.

  • Der Kauf wird vorgenommen, um andere zu beeindrucken, etwa indem man sich von ihnen abhebt (Aufwandskonkurrenz), sich als etwas Besonderes zeigt (Snobeffekt), seine Zugehörigkeit demonstriert (Mitläufereffekt, Identifikationsstreben) oder anderen eine Gefälligkeit erweist (Solidaritäts- oder Höflichkeitseffekt).

  • Der Kaufentscheidungsprozess wird verkürzt, nachträglich gerechtfertigt oder nach Gewohnheiten vollzogen, um schnell und bequem einen zufriedenstellenden Kauf ohne großen Aufwand zu tätigen (Scheinrechtfertigungskauf).

  • Der Kauf wird getätigt in Unkenntnis der eigenen Bedürfnisse, der Preise, Qualitäten und Händler sowie der finanziellen, zeitlichen, gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen (Mangelnde Transparenz).

QuellentextWerben mit offenem Visier

[...] ZEIT: Mal grundsätzlich gefragt: Hat Werbung immer noch etwas mit Manipulation zu tun?
Karen Heumann: Aber ja! Manipulation in ihrem verdeckten Sinne trifft es aber nicht ganz: Gute Werbung macht ihren Job mit offenem Visier. Die Furcht, manipuliert zu werden, die Vance Packard vor langer Zeit mit seinen "Geheimen Verführern" schürte, ist vorbei. Die Menschen [...] wissen: Das ist Werbung. Die will mich verführen. Tut sie das auf unterhaltsame, interessante Weise, lassen sich Menschen heute auch gerne darauf ein. [...] [D]ie Menschen wollen überzeugt und manchmal verführt werden, man möchte sich gerne für das Schönere, Bessere, Interessantere entscheiden! [...]
ZEIT: Ihre größte Chance liegt also im Ego der Verbraucher.
Heumann: Eher in ihrem Individualismus. Der Mensch möchte sich über die Dinge, die er besitzt, unterscheiden. Früher konnte ich mich beim ersten Date beispielsweise durch meine Plattensammlung abheben und ausdrücken, heute habe ich nur noch einen iPod, eine Playlist, eine Datenbank voller Musik. Da findet der Distinktionsgewinn anders statt. Meine Aufgabe ist zu schauen: Wodurch drücken sich die Menschen heute aus? Die Geschwindigkeit, mit der sich das derzeit verändert, ist extrem groß. Die Leute finden sofort etwas Neues, und es zu dekodieren, da dranzubleiben, das ist auch eine Aufgabe des Werbers.
ZEIT: Millionen Menschen reicht der Jever-Mann.
Heumann: Ja, und viele Menschen suchen auch nicht bei Google, sondern warten jeden Tag auf die Handzettel in ihrem Briefkasten. Es ist halt eine unheimlich beschleunigte Zeit, wo man all diese Welten kennen muss. Man muss als Werber gleichzeitig auf Höhe der sehr Beschleunigten und der sehr Beharrenden sein. [...] Ich darf nicht von mir ausgehen. Ich muss immer überlegen: Wen will ich erreichen, und wie geht derjenige damit um? [...]
ZEIT: Wie oft entscheiden Sie sich eindeutig für die Presse?
Heumann: Wenn ich eine große Bühne brauche. Wenn ich Menschen erreichen will, die sich länger einlassen und lesen. Dann nehmen sie auch Werbung intensiv wahr.
ZEIT: Gibt es das so auch im Internet? In den vergangenen Monaten ist ein heißer Streit entbrannt, ob man im Netz auch Marken aufbauen kann.
Heumann: Einfach hatten es hier natürlich die Marken, die ohnehin im Netz zu Hause sind, wie eBay oder Amazon. Herausfordernder wird es zum Beispiel bei einer Joghurtmarke. [...]
[...] ZEIT: Zu denjenigen, die heute daran sitzen, Ihnen mehr Informationen über Konsumenten zu liefern, gehören moderne Fischer. Die legen quer übers Internet ihre Netze aus und erkennen, wenn ein und derselbe Computer an verschiedenen Orten auf das Werbenetz stößt. Man kann damit Nutzerprofile anlegen. Taugen die schon?
Heumann: Ja, wir sind an einem extrem spannenden Punkt der Entwicklung: Algorithmen werden umso präziser, umso mehr wir über uns preisgeben. Jede Reaktion von uns schafft neue Daten, die den Algorithmus verfeinern helfen. Schon jetzt ist die Software quasi prognostisch, bald wird sie wirklich bessere Ideen für uns haben als wir selbst. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich erlebe schon viel gezieltere Werbung. Letzthin bekam ich eine Broschüre eines mir unbekannten Thalasso-Hotels in der Bretagne, obwohl ich, soweit ich mich erinnern kann, nur kurz im Netz geschaut habe, was diese Therapie grundsätzlich kann. Also, das haben die gut gemacht. Wer auch immer die waren.
ZEIT: Wie viele Firmen treiben so viel Aufwand?
Heumann: Mir fällt noch ein irres Beispiel von einer Berliner Freundin ein, die aufs Oktoberfest wollte. Und dann hat sie getwittert, sie suche ein Dirndl.
ZEIT: Twitter ist ein Dienst für ultrakurze Nachrichten, die von allen einsehbar sind, die zum persönlichen Netzwerk gehören.
Heumann: Einer aus dem Kreis hat ihr geantwortet, bei C&A am Alexanderplatz gebe es noch Dirndl. Und dann ist sie da hin, und es war keins mehr da. Das hat sie wieder getwittert. Und dann hat sie am nächsten Tag von C&A eine Mail bekommen: Liebe Frau XY, es tut uns furchtbar leid, tatsächlich sind die Dirndl am Alexanderplatz aus, aber wir schicken Ihnen vier Dirndl, dann können Sie sich eins aussuchen.
ZEIT: Das hat funktioniert?
Heumann: C&A hat tatsächlich vier Dirndl geschickt, dabei aber den Fehler gemacht, dass sie nicht vier verschiedene Größen geschickt haben, sondern nur vier verschiedene Dirndl. Deshalb passte dann keins. Also fast richtig gemacht. Trotzdem fand sie es natürlich total super und hat es wieder getwittert.
ZEIT: Da hat ein Unternehmen einmal einen Dialog nicht nur simuliert ...
Heumann: ... sondern geführt. Und da die Frau eine Meinungsmacherin ist, ihre Nachrichten lesen sehr viele Menschen, ist das unbezahlbar für das Unternehmen. Weil es die Leute wirklich berührt.
ZEIT: Lehrt dieser Einzelfall tatsächlich etwas für Ihr Alltagsgeschäft?
Heumann: Ja, denn er zeigt, dass eine Kontaktaufnahme zwischen Marke und Zielgruppe via Social Network funktionieren kann. Das ist hochrelevant für die Branche. Es geht heute um die Kunst, Dramaturgien zu schaffen, die einen Kunden dauerhaft bei der Stange halten, Dramaturgien, die interessant sind, aber nicht aufdringlich. Man darf nicht, so wie früher, für eine Pointe alles sterben lassen, sondern man muss sich so boleroartig vorrobben. So entsteht letztlich eine Beziehung. Und Marken haben die Chance, so eine Beziehung anders zu gestalten als Produkte ohne Geschichte. [...]

Götz Hamann, Stephan Lebert, "Man muss sich so boleroartig vorrobben". Interview mit Karen Heumann, Strategievorstand der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, in: Die Zeit Nr. 53 vom 22. Dezember 2009

Leitbilder der Verbraucherpolitik

Die dem Konsumenten zugeschriebene Lenkungsfunktion in der Marktwirtschaft basiert auf den Annahmen rationalen Verhaltens, vollständiger Information, intendierter Nutzenmaximierung und eines vollkommenen Wettbewerbs. Sie hat - wie gezeigt - erhebliche Grenzen. Der Konsument muss sich seiner Präferenzen und der Risiken bewusst sein. Seinem großen Informationsbedarf bei begrenzter Informationsverarbeitungskapazität steht ein großes und unübersichtliches Angebot gegenüber. Um zu sanktionieren, muss er eine reflektierte Auswahl treffen, Alternativen und Substitutionsmöglichkeiten müssen verfügbar sein. Er kann oft nur reagieren, seltener agieren und ist auch nicht davor geschützt, sich selbst zu schädigen oder externe Effekte zu erzeugen.

Den Konsumenten stehen wiederum viele Hersteller und Anbieter gegenüber, die über ihre Produkte informiert sind, Preise gestalten, mit konkurrierenden Marken und widersprüchlichen Informationen werben, verkaufsfördernde Maßnahmen durchführen und ihre Produkte mit unterschiedlichsten Produkteigenschaften ausstatten.

Ob Käufer oder Verkäufer in der strategisch besseren Position sind, ist aber auch von der Situation auf den jeweiligen Märkten abhängig. Wenn die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt und dringlicher, nicht aufschiebbarer Bedarf vorliegt, also relative Knappheit besteht, sind die Käufer von den Verkäufern abhängig. Man spricht von Verkäufermärkten. Wenn das Angebot wesentlich größer ist als die Nachfrage und der Bedarf verschoben werden kann, sind die Verkäufer von den Käufern abhängig. Man spricht von Käufermärkten, zu denen heute viele Märkte zählen. Dieser Wandel von den Verkäufer- zu den Käufermärkten hat auch zur Folge, dass die Unternehmen sich mit ihrem Angebot besser auf die Abnehmer einstellen und sich mehr um ihre Kunden bemühen müssen, die dabei aber völlig die Übersicht verlieren.

Bezogen auf Rolle und Situation der Konsumenten konkurrieren verschiedene Leitbilder, die mit unterschiedlichen ordnungspolitischen Instrumenten verbunden sind.

Nach dem Leitbild der Konsumentensouveränität führen Konsumenten den Produkten, Unternehmen und Märkten Kaufkraft zu oder verweigern sie, so dass die Produktion gezwungen ist, sich an ihren Bedürfnissen auszurichten. "Konsumption ist der einzige Zweck aller Produktion; und das Interesse der Produzenten sollte nur insoweit berücksichtigt werden, als es zur Förderung des Konsumenteninteresses nötig ist", so Adam Smith, der sich damit gegen die eher produzentenfreundliche Politik seiner Zeit richtete. Nach diesem Leitbild hat die Verbraucherpolitik lediglich den Auftrag, die Lenkungsfunktion der Verbraucher zu stärken, indem sie Wahlmöglichkeiten in einem funktionierenden Wettbewerb gewährleistet und Verbraucherinformationen bereitstellt.

Das Leitbild der Konsumentenfreiheit geht davon aus, dass Konsumenten fähig und in der Lage sind, im Rahmen des Konsumgüterangebots nach Maßgabe ihres verfügbaren Einkommens frei zu wählen - und dass dies ihnen Selbstverwirklichung ermöglichen soll. Da in entwickelten Gesellschaften Konsumgüter immer weniger der Befriedigung existenzieller Bedürfnisse dienen, sind Freiheit und Selbstverwirklichung dadurch gefährdet, dass der Bedarf weitgehend fremdbestimmt konkretisiert zu werden droht und tendenziell in kompensatorischen und demonstrativen Konsum mündet, der mit ökologischen Folgen verbunden ist. Deshalb setzt das Leitbild der Konsumentenfreiheit darauf, dass die Konsumenten über ihren Bedarf reflektieren und über kollektive Widerspruchs- und Abwanderungsaktionen ihre Sanktionsmacht wahrnehmen.

Das Leitbild des Konsumentenschutzes sieht die Entscheidungsfähigkeit der Verbraucher durch die Techniken des Konsumgütermarketings stark beeinträchtigt. Es schreibt den Verbrauchern eine unterlegene Position gegenüber den Anbietern zu sowie die Neigung, ihren Entscheidungsaufwand zu reduzieren. Da Wettbewerbspolitik und Verbraucherinformation hierbei nur begrenzt weiterhelfen, benötigen Konsumenten Schlüsselinformationen für schnelle Entscheidungen und rechtlichen Verbraucherschutz.

Nach dem Leitbild der Konsumentenbeteiligung sollen schließlich Verbraucher aus ihrer reaktiven Rolle gebracht und frühzeitig an Produktionsentscheidungen beteiligt werden, um die entstehenden sozialen und ökologischen Kosten der Produktion zu mindern. Dabei reichen die Vorstellungen von institutionalisierten Kommunikationsprozessen zur Verbesserung von Produkten über nachbarschaftliche Diskurse zur Minderung ökologischer Belastung bis hin zur Mitwirkung bei Produktionsentscheidungen.

Von diesen Leitbildern können unterschiedliche verbraucherpolitische Grundsätze zur Durchsetzung von Konsumenteninteressen abgeleitet werden. Der frühere US-Präsident John F. Kennedy hatte solche Verbraucherrechte schon im Jahre 1962 gefordert. Zu den verbraucherpolitischen Zielen der Bundesregierung, der Europäischen Union und auch der Verbraucherschutzcharta der Vereinten Nationen einer solchen Consumer Bill of Rights gehören die Rechte auf

  • Sicherheit und auf Schutz der Gesundheit,

  • Wahlfreiheit,

  • Schutz der wirtschaftlichen Interessen,

  • Wiedergutmachung erlittenen Schadens,

  • Information/Unterrichtung und Bildung,

  • Vertretung/Recht gehört zu werden.

Instrumente und Akteure der Verbraucherpolitik

Verbraucherpolitik kann den Wettbewerb stärken, die Verbraucher mit Informationen und Schutzrechten versorgen und sie dazu befähigen, diese auch wahrzunehmen und durchzusetzen. Die verfügbaren Instrumente können dabei aber auch einander zuwiderlaufen.

Die Wettbewerbspolitik soll die Sanktionsmöglichkeiten der Verbraucher stärken, in dem sie ihnen erlaubt, zwischen Alternativen zu wählen und damit ein preis- und qualitätsgünstiges Angebot zu erhalten. Gefördert wird dies durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, durch die Minderung von Zöllen und durch den Abbau von Handelshemmnissen sowie durch die Gewerbe- und Konsumfreiheit. Der Wettbewerb muss aber nicht nur intensiviert, sondern auch gestaltet werden, um der Verschleierung von Preisen und Qualitäten entgegenzuwirken. Dies erfolgt beispielsweise durch das Preisauszeichnungsgesetz oder Kennzeichnungsverordnungen. Die Anbieter wiederum müssen ihre Absatzbemühungen verstärken und Maßnahmen zur Kostensenkung ergreifen. Dies kann allerdings dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktionsstätten in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten, schlechteren Arbeitsbedingungen oder mit niedrigeren Umweltstandards verlagern.

Eine Verbraucherpolitik, die einseitig auf Wettbewerbspolitik setzt, verbessert aber noch nicht die Transparenz. Hierbei helfen Verbraucherinformationen über Marken, Preise, Händler und Qualitäten, zum Beispiel die Lebensmittel- und Textilkennzeichnung, die Einteilung in Handels- und Güteklassen, die Vergabe von Prüfsiegeln und Gütezeichen, die Pflicht, den Grundpreis zu kennzeichnen und die Preisangabenverordnung. Weitere Maßnahmen sind die Stärkung der Verbraucherinformation und -beratung über Warentests, Verbrauchersendungen in Radio und Fernsehen und Verbraucherzentralen. Damit diese Maßnahmen Wirkung erzielen, müssen sie auch genutzt und interpretiert werden. Gerade bei alltäglichen Gütern neigen Verbraucher aber eher dazu, gewohnheitsmäßig zu handeln, und nutzen Verbraucherinformationen nur begrenzt. Da qualitätsvergleichende Warentests vor allem große Marken testen und kleine regionale Anbieter unberücksichtigt lassen, können sie zu deren Lasten auch den Wettbewerb verzerren. So fördern Preisinformationen möglicherweise sogar die Monopolisierung, wenn sie wichtige Qualitätseigenschaften wie Beratung und Service nicht berücksichtigen.

QuellentextStiftung Warentest

[...] Vor 42 Jahren [1966 - Anm. d. Red.]erschien die erste Ausgabe des Magazins, das zunächst "Der Test" hieß und heute schlicht "test". "Ratlos stehen Käufer vor vollen Schaufenstern. Das Warenangebot wächst von Tag zu Tag. Es gibt heute rund 150 Nähmaschinenmarken, 80 verschiedene Staubsauger, 70 Heizkissen. Küchenmesser und Kochlöffel sind nicht zu zählen", fasste die Redaktion die Problemstellung zusammen. Den Testbedarf hatte aber "Keine Experimente"-Kanzler Adenauer schon vier Jahre zuvor erkannt und neutrale Warentests gefordert, um den Konsumenten Orientierung zu geben im Wirtschaftswunderland.
Vorbild waren die Verbraucherverbände in den USA, die schon seit den dreißiger Jahren Produkte testen. Die Unternehmen in Deutschland sträubten sich zunächst; der Bundesverband der Deutschen Industrie war ohnehin der Meinung, die Verbraucher seien "durch Werbung im ausreichenden Maße unterrichtet". Das Testinstitut wurde 1964 trotzdem gegründet, als privatrechtliche Stiftung, damit es möglichst unabhängig ist. Es bekommt einen Zuschuss vom Staat, den Großteil seines Etats muss es aber selbst verdienen - mit den "test-Heften", ohne Werbung.
78000 Produkte haben Prüfinstitute und Labors seitdem für die Stiftung Warentest untersucht, Apfelsaft, Waschmaschinen, Benzin, Toaster, Gleitcremes. Geradezu gefürchtet sind die Check-ups bei den Betreibern von Autobahnraststätten. Neben Waren testet die Stiftung seit 1975 auch Dienstleistungen, die wurden in den siebziger Jahren für die deutsche Wirtschaft immer wichtiger. Zwanzig Jahre später strauchelten die Verbraucher im Dickicht von Geldanlagen, Versicherungen und Altersvorsorge. 1991 brachte die Stiftung deshalb ein zweites Heft heraus, den "Finanztest".
[...] "Reine Funktion-Preis-Vergleiche sind Vergangenheit", sagt Bjarne Pedersen von Consumers International, dem weltweiten Dachverband der Verbraucherorganisationen. "Um einen Kühlschrank zu testen, hat man ihn früher einfach 10000 Mal an- und ausgeschaltet. Heute werden auch ökologische und soziale Aspekte geprüft." Mitte der achtziger Jahre trat Öko-Test als umweltbewusste Konkurrenz zur Stiftung Warentest auf den Plan. Die reagierte und untersuchte von 1985 an auch die Umweltverträglichkeit von Waren.
Seit gut drei Jahren prüft die Stiftung nicht nur das Produkt, sondern auch den Herstellungsprozess, zumindest für ausgewählte Waren. CSR ist das Stichwort, Corporate Social Responsibility. Müssen Kinder in der Fabrik schuften? Erhalten die Arbeiter nur einen Hungerlohn? Wird die Umwelt geschädigt? Staubsaugertester Brackemann hat einen Prüfkatalog erarbeitet, um solche Missstände zu erfassen: "Das ist methodisch anspruchsvoll, man muss soziale und ethische Kriterien standardisieren."
Dabei ist die Stiftung zunächst auf die Kooperation der Hersteller angewiesen, denen sie den Fragebogen vorlegt. Die Antworten werden mit anderen Quellen abgeglichen; bleiben sie aus, steht das im Heft. Mittlerweile lassen die Warentester vor Ort kontrollieren. Für einen Oberhemdentest inspizierten Prüfer Nähereien in Nordafrika, Bulgarien, Makedonien, der Türkei, Indien, Pakistan und Indonesien. "Die Inspektoren müssen neugierig sein, hinschauen, nicht einfach "ja", "nein", oder "entfällt" ankreuzen", sagt Brackemann. "Das ist das Schwierige: Den Test für alle gleich zu machen, aber nicht nach Schema F."
[...] Mit ihren ausgeklügelten und peniblen Tests stößt die Stiftung Warentest inzwischen an Grenzen. Immer schneller kommen neue Produkte auf den Markt. "Das setzt uns erheblich unter Druck", sagt Peter Sieber, der Bereichsleiter Untersuchungen. "Früher dauerte ein Test neun Monate, heute zwei oder drei." Für den Warenhagel bei Digitalkameras, Laptops oder Handys reicht auch das längst nicht mehr. "Continuous Testing" soll helfen: Statt nur einmal im Jahr eine riesige Tabelle zu drucken, veröffentlicht die Stiftung laufend Testergebnisse zu schnelllebigen Produkten im Internet. [...] Seit 1997 ist die Stiftung online [...].
"Die Konsumenten sind durchaus bereit, für unabhängige Informationen von Verbraucherorganisationen im Internet zu zahlen", sagt [Guido] Adriaenssens [vom Test-Dachverband ICRT]. Bei der Stiftung Warentest laden die Nutzer im Durchschnitt monatlich 72000 kostenpflichtige Artikel herunter [...].

Stefanie Schramm, "Schaulaufen der Staubsauger", in: Die Zeit Nr. 14 vom 27. März 2008

Der Verbraucherschutz verbessert die Rechtsstellung des Verbrauchers und soll ihn vor unfairen Anbieterpraktiken sowie vor Gesundheitsgefährdungen bewahren. Geeignete juristische Instrumente sind beispielsweise das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, das vor Irreführung schützen soll, das Gesetz zur Regelung allgemeiner Geschäftsbedingungen, das vor nachteiligen Vertragsbedingungen bewahren soll, das Gesetz zum Widerruf von Haustürgeschäften, das auf den Schutz vor Kaufverleitung zielt, sowie der Schutz vor Betrug auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vor Gefährdungen sollen das Produkthaftungsgesetz sowie das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz schützen. Doch auch diese Schutzrechte haben ihre Grenzen. Damit sie ihre Wirkung entfalten, müssen sie in Anspruch genommen und geltend gemacht werden.

QuellentextFoodwatch

Frankfurter Rundschau: Gelschinken, Analogkäse aus Speiseöl, Garnelenimitate und Eiscrème ohne Crème. Warum lassen sich die Verbraucher das von der Lebensmittelindustrie bieten?
Thilo Bode: Es liegt schlichtweg daran, dass das erstens legal und zweitens für den Verbraucher nicht erkennbar ist. Wir reden bei Lebensmitteln ja vom sogenannten legalen Betrug. Die Konzerne halten alle Vorschriften ein, aber die sind halt viel zu lasch. Bei Tiefkühlpizzen kann beispielsweise problemlos suggeriert werden, dass echter Käse drauf ist, tatsächlich ist es oft nur Analogkäse. [...]
FR: Sie versuchen seit acht Jahren, das Essen der Deutschen zu retten. Wie weit sind Sie denn gekommen?
Bode: Es ist ein schwieriger Kampf. Foodwatch geht es darum, die Rechte der Verbraucher zu stärken. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass wir im Supermarkt gute und gesunde Produkte bekommen. Das ist eine Mindestvoraussetzung, die man in einer Demokratie für die tägliche Ernährung verlangen kann. Auf der rechtlichen Ebene sind wir da kaum vorangekommen.
FR: Aber der Verbraucher hat doch Macht, er stimmt mit jedem Einkauf darüber ab, welche Produkte er haben möchte, und welche nicht.
Bode: Der Verbraucher hat keine Macht. Das ist eine Illusion. Er stimmt natürlich jeden Tag im Laden ab. Aber wenn er nicht weiß, was in den Produkten drin ist und wie sie hergestellt werden, dann weiß er auch nicht, worüber er abstimmt. Die Verbraucher müssen sich organisieren. [...] Seit wir vor zwei Jahren angefangen haben, in einer Serie die schlimmsten Lebensmittelbetrügereien vorzustellen, hat sich was geändert. Die Verbraucher empören sich und schreiben den Herstellern eindrucksvolle Briefe, zum Teil wurden deshalb schon Produkte verändert. Das ist natürlich toll.
FR: Wie verändert sich unser Essen?
Bode: Es gibt einen klaren Trend: Die Hersteller wollen uns immer mehr Produkte mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen verkaufen. Das Werbeversprechen wird aber meistens nicht eingelöst. [...] Und dann stellen wir eine permanente Verschlechterung der Fertigprodukte fest. Es werden immer mehr Aromen, Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Farbstoffe und Antioxidationsmittel eingesetzt. Das nimmt wirklich rapide zu.
FR: Warum?
Bode: Es verringert die Kosten.
FR: [...] In Deutschland wird für Lebensmittel so wenig Geld ausgegeben wie in kaum einem anderen europäischen Land. Befördern die Verbraucher die Entstehung von Billigprodukten?
Bode: Das unterschiedliche Preisniveau von Deutschland und anderen Ländern liegt in erster Linie an der Einzelhandelsstruktur. Wir haben pro Kopf mehr Verkaufsfläche, dadurch einen härteren Preiskampf und Discounterstrukturen, wie es sie in keinem anderen europäischen Land gibt - deshalb sind die Lebensmittelpreise in Deutschland wesentlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Das ist also der Grund für die niedrigeren Ausgaben, nicht der Geiz der Verbraucher. Hinzu kommt, dass der Verbraucher völlig berechtigt zum billigsten Produkt greift, wenn er Qualitätsunterschiede nicht erkennen kann. [...]
FR: Wie kann sich der Verbraucher vor schlechten Produkten schützen?
Bode: Er ist relativ machtlos angesichts der Situation. Wenn das Gesetz vorsieht, dass man ganz legal Geschmacksverstärker einsetzen darf, ohne sie als solche zu bezeichnen, oder wenn eine Fruchtcremefüllung keine Spur von Frucht enthalten muss, dann müssen die Gesetze geändert werden. Der Weg führt nur über die grundlegende Veränderung der Spielregeln. [...] Das beste Beispiel ist die Nährwertkennzeichnung. Unsere Umfragen haben ergeben, dass 70 Prozent der Menschen gerne eine Ampel-Kennzeichnung haben wollen, die ihnen anzeigt, ob ein Produkt viel oder wenig Zucker, Fett oder Salz enthält ...
FR: ... und trotzdem ist die Ampel-Kennzeichnung [...] politisch tot.
Bode: [...] Das EU-Parlament hat sich gegen die Ampel entschieden, ganz im Sinne der Lebensmittelindustrie, die eine Milliarde Euro in ein Gegenmodell investiert hat. [...] Trotzdem: Die Probleme bestehen weiterhin. Und wenn die Verbraucher unwissend große Mengen von Zucker oder Geschmacksverstärkern konsumieren, dann muss die Gesellschaft für die gesundheitlichen und finanziellen Schäden bezahlen. [...]
FR: Was muss sich ändern?
Bode: Der Industrie schwebt ja vor, dass die Kinder Werbekompetenz erlernen sollen, dass man ihnen also beibringt, wie sie Verbrauchertäuschung entlarven können. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wollen schlichtweg Transparenz, Transparenz, Transparenz. Der Verbraucher muss wissen und erkennen können, was er kauft. [...]
FR: Aber das zu ändern ist doch Aufgabe des Staates.
Bode: Genau. Und wir unterstützen ihn dabei.

"Wir werden legal betrogen", Interview von Daniel Baumann mit Thilo Bode, Geschäftsführer von Foodwatch, in: Frankfurter Rundschau vom 14./15. August 2010

Der Verbraucherschutz kann jedoch auch nachteilige Effekte hervorrufen: Müssen die Händler zusätzliche kostenintensive Schutzmaßnahmen ergreifen, damit Verbraucher das Produkt auf keinen Fall unsachgemäß nutzen, erhöhen sich die Preise auch für sorgfältige Konsumenten. Schutzrechte können zudem den internationalen Wettbewerb beschränken, indem sie sich als Handelshemmnisse gegenüber ausländischen Produkten auswirken und somit die Auswahlmöglichkeiten beschränken. Deshalb scheitern zum Beispiel bislang auch deutsche Initiativen zur besseren Auszeichnung von Mehrwegflaschen am Einspruch der EU, die Wettbewerbsnachteile für ausländische Anbieter befürchtet.

Damit die Verbraucher ihre Chancen nutzen können, bedarf es sowohl der Verbraucherbildung als auch der Verbraucherorganisation. Erstere zielt auf informierte und kritische Verbraucher, die ihre Konsumentenrolle verantwortlich und selbstbestimmt wahrnehmen. Verbraucherorganisationen ermöglichen erst die Durchsetzung allgemeiner Verbraucherinteressen.

Organisation der Verbraucherinteressen

Auf den ersten Blick scheinen gute Voraussetzungen vorhanden zu sein, um die Gegenmacht der Verbraucher zu organisieren und im politischen Raum wirksam zu vertreten: Denn schließlich ist jeder Mensch Konsument, so dass die größtmögliche Organisation denkbar wäre. Die Konsumenten haben jedoch vielfältige und unterschiedliche, zum Teil auch konkurrierende Interessen und beziehen sich auf unterschiedlichste Güter:

  • Um mobil zu sein, wünschen die einen den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Verbesserung der Rechte der Fahrgäste, die anderen den Ausbau des Radwegenetzes und wieder andere freie Fahrt für PKWs.

  • Um sich zu ernähren, sehen die einen bei Nahrungsmitteln zuerst auf den Preis, die anderen wünschen, dass die Lebensmittel auch umweltverträglich angebaut wurden.

  • Die einen sorgen sich um die Rechte der Mieter, die anderen um die Rechte der Hausbesitzer.

  • Die einen sind an den Rechten der Bankkunden, die anderen an denen der Versicherten, die dritten an denen der Kapitalanleger und die vierten an denen der Steuerzahler interessiert.

Nicht nur aufgrund dieser unterschiedlichen Ausrichtungen lassen sich Verbraucherinteressen schlechter organisieren als Anbieterinteressen, wie der US-Ökonom Mancur L. Olson erklärt. Wenn sich Verbraucher in Verbänden organisieren, um für preisgünstigere und qualitativ bessere Produkte zu streiten, sorgen sie für ein öffentliches Gut, von dem alle profitieren - und nicht nur diejenigen, die Zeit, Mühe und Beiträge aufgewandt haben. Wenn solche Verbände, die sich für allgemeine Interessen einsetzen, nicht durch staatliche Förderung unterstützt werden (zum Beispiel Verbraucherzentralen) oder auch durch politische Unternehmer mit spezifischen Interessen, die den organisierten Mitgliedern Clubvorteile gewähren (zum Beispiel ADAC), haben sie es schwer.

Für konzentrierte Interessen bilden sich eher spezialisierte Verbraucherverbände, als für die allgemeinen Interessen aller Verbraucher. Diese Verbraucherverbände können zur Durchsetzung ihrer Forderungen nur geringfügig mit Nachteilen drohen, anders als etwa die Gewerkschaften mit Streiks oder die Unternehmen mit Standortverlagerungen. Der Politikwissenschaftler und emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Fritz Scharpf, betont, dass die Verbraucherverbände aus sich heraus weder organisations- noch konfliktfähig sind. Sie benötigen eine vom Staat gewährte Verhandlungsmacht, wie etwa das Recht der Verbandsklage.

Dr. phil. Birgit Weber ist Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Von 1989 bis 2006 war sie tätig im Bereich Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen. Dort leitete sie als Geschäftsführerin im Zentrum für Lehrerbildung von 2000 bis 2002 ein Projekt zur Förderung der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Lehrerausbildung. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung hat sie die Entwicklung von Bildungsstandards für die ökonomische Bildung mit vorangetrieben. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind neben grundsätzlichen Fragen der Didaktik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor allem Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, Umweltökonomie sowie Fragen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

E-Mail: E-Mail Link: birgit.weber@uni-bielefeld.de