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Editorial | bpb.de

Editorial

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Im Jahr 2020 jährte sich der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober zum 30. Mal. Anlässlich dieses Jubiläums erschienen zahlreiche Artikel in Zeitschriften und Zeitungen, wurden Bücher, Fernsehdokumentationen und Spielfilme produziert, wissenschaftliche Untersuchungen veröffentlicht und Menschen in Ost- und Westdeutschland befragt. Thema war der „Stand der deutschen Einheit“ – wie hat sich das Zusammenleben von Ost- und Westdeutschen seit 1990 entwickelt?

Deutlich wurden die Unterschiede: Laut einer Umfrage von 2019 empfinden sich 73 Prozent der befragten Bundesbürgerinnen und -bürger als deutsch, 13 Prozent als westdeutsch und 9 Prozent als ostdeutsch. Eine knappe Mehrheit ist der Ansicht, dass das Trennende nach wie vor überwiegt. Dabei beantworten Jüngere und Westdeutsche diese Frage tendenziell positiver als Ältere und Ostdeutsche.

Dies hat vor allem mit den Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre zu tun. Bereits kurz nach der Wiedervereinigung zeichnete sich ab, dass sich das Versprechen der „blühenden Landschaften“ des Bundeskanzlers Helmut Kohl für die Menschen in Ostdeutschland, die mutig und gewaltlos ihre Freiheit von der SED-Diktatur erkämpft hatten, nicht überall erfüllen würde.

Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung prägten die Transformationsjahre nach 1990. Große Unterschiede in Produktivität, Einkommen und Vermögen bestehen bis heute fort. Nur wenige Menschen aus Ostdeutschland sind in den Eliten der Bundesrepublik vertreten. Viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich nicht wahr- oder ernstgenommen, während viele Westdeutsche das kaum nachvollziehen können. Die Kluft scheint zwar kleiner geworden zu sein, ist aber nicht geschlossen.

Zwei Themen, die gegenwärtig in Ost und West besonders unterschiedlich wahrgenommen werden, sind die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie und zur Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Insgesamt unterstützt die Bevölkerung zwar mehrheitlich die Politik der Bundesregierung. Eine kleine, aber oft lautstarke Minderheit insbesondere in Ostdeutschland stellt die Maßnahmen indes grundsätzlich in Frage. Manche von ihnen stehen der in Deutschland gelebten Demokratie eher skeptisch gegenüber.

Außenpolitisch hat Deutschland seit der Einheit an Gewicht gewonnen und übernimmt auch sicherheitspolitisch immer mehr Aufgaben. Im September 2022 erneuerte Bundeskanzler Olaf Scholz die Bewerbung Deutschlands um einen permanenten Sitz im VN-Sicherheitsrat.

Politik und Gesellschaft stehen vor großen Herausforderungen: Es geht um die Stabilität der EU, die in einigen Ländern durch EU-skeptische und rechtspopulistische Regierungen gefährdet scheint, und auch um die Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit seinen Folgen für die Energieversorgung und die Systemkonkurrenz zwischen autoritären und demokratischen Regimen. Dazu kommen weltweit zunehmende regionale Konflikte und der dramatische Klimawandel mit seinen Auswirkungen auf die gesamte Welt.

Jutta Klaeren

Fussnoten

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