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Krise und Neubeginn der Ost-West-Kooperation | Internationale Beziehungen I | bpb.de

Internationale Beziehungen I Zu diesem Heft Der Beginn der Bipolarität Ursachen und Entstehung des Kalten Krieges Zwang zur Koexistenz in den fünfziger Jahren Vom Kalten Krieg zur Ära der Entspannung Entspannung und Neue Ostpolitik 1969-1975 Krise und Neubeginn der Ost-West-Kooperation Die demokratische Revolution in Osteuropa Herausforderungen im 21. Jahrhundert Literaturhinweise Impressum

Krise und Neubeginn der Ost-West-Kooperation

Manfred Görtemaker

/ 18 Minuten zu lesen

Ronald Reagan und Michail Gorbatschow bei einem Treffen in Genf, 1985. (© Wikimedia, Public Domain)

Einleitung

Bis 1975 hatte die Entspannungspolitik somit auf verschiedenen Gebieten bemerkenswerte Erfolge verbuchen können. Dies galt sowohl für den SALT-Prozeß und die Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion (von den 105 Verträgen, die von 1933 bis 1980 zwischen beiden Ländern geschlossen wurden, kamen allein 41 zwischen Mai 1972 und Mai 1974 zustande) als auch für die Entspannung in Europa, bei der vor allem die Fortschritte in der Ost- und Deutschlandpolitik sowie die Regelung des Berlin-Problems und die KSZE hervorzuheben waren.

Die Euphorie, die Anfang der siebziger Jahre herrschte, weil man sich weiterhin gute Entwicklungsmöglichkeiten versprach, wurde jedoch bald getrübt. Ein wichtige Ursache dafür war die Tatsache, daß die USA als Folge des Vietnam-Traumas und der Watergate-Affäre in eine innen- und außenpolitische Krise gerieten, die zum Verlust der Handlungsfähigkeit der amerikanischen Regierung führte. Damit war eine wichtige Voraussetzung der Entspannungspolitik verlorengegangen.

Der Vietnam-Krieg hatte in Westeuropa und auch in den USA Widerstand gegen die amerikanische Politik der weltweiten Einmischung geweckt, deren Praxis offensichtlich im Widerspruch zu den Idealen der Verteidigung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten stand. Die Umstände des Rückzugs der USA aus Vietnam, der sich zunächst jahrelang hinzog und schließlich im April 1975 in einer ungeordneten, überstürzten Flucht endete, bedeuteten einen zusätzlichen Prestigeverlust der USA. Es gab keine koordinierte Machtübergabe, die das Gesicht hätte wahren helfen, sondern eine militärische Niederlage und unausgesprochene Kapitulation. Diese Erfahrungen bereiteten in den USA den Boden für eine Rückkehr zu Isolationismus und Neokonservativismus.

Amerikanische Krise

Zu allem Überfluß traf diese zögerliche Beendigung des Vietnam-Krieges auch noch mit der Empörung über die Watergate-Affäre zusammen. Bei dieser Affäre versuchte Präsident Nixon über ein Jahr lang, vom Frühjahr 1973 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt im August 1974, einen Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Komplex in Washington während des Wahlkampfes 1972 zu vertuschen, an dem offenbar einige seiner Mitarbeiter indirekt beteiligt gewesen waren. Die Verbindung von Vietnam-Trauma und Watergate-Skandal verschärfte die amerikanische Krise auf dramatische Weise und bewirkte das Ende der "imperialen Präsidentschaft" (Arthur M. Schlesinger), die sich durch eine allmähliche Vergrößerung der Machtbefugnisse des Weißen Hauses auf Kosten des Kongresses entwickelt und in den sechziger und frühen siebziger Jahren unter Johnson und Nixon ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Die Tragweite dieser Krise wurde zunächst nicht nur vielfach unterschätzt, sondern auch auf falsche Ursachen - vor allem auf eine angeblich "illusionäre Entspannungseuphorie" - zurückgeführt. Tatsächlich trug die Entspannung zwischen Ost und West dazu bei, den amerikanischen Rückzug aus Vietnam zu rechtfertigen und seine längerfristigen Auswirkungen zu verschleiern. So schien es 1973 nach einer Phase durchaus erfolgreicher Rüstungskontrollpolitik keineswegs abwegig, in den USA die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen.

Auch die kontinuierliche Verringerung des Anteils der Verteidigungsausgaben am amerikanischen Bruttosozialprodukt von 7,8 Prozent im Jahre 1970 auf 5,2 Prozent 1979 ließ sich mit Blick auf die Entspannung zwischen Ost und West begründen. Der eigentliche Grund für diese Reduzierungen war jedoch nicht die Entspannungspolitik selbst, sondern eine allgemeine Verteidigungsmüdigkeit und die Unlust, sich militärisch außerhalb der Grenzen der USA mehr als unbedingt nötig zu engagieren.

Verteidigungsmüdigkeit

Die Zahl der amerikanischen Soldaten ging von 3,547 Millionen im Jahre 1968 - dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges - auf 2,022 Millionen 1979 zurück; die Mannschaftsstärke der sowjetischen Armee stieg dagegen im gleichen Zeitraum von 3,220 Millionen auf 3,658 Millionen. Darüber hinaus standen den USA während der Präsidentschaft Jimmy Carters nur etwa 800000 Reservisten zur Verfügung, der Sowjetunion jedoch mehr als fünf Millionen. Zudem waren die konventionelle Beweglichkeit der USA und ihre Interventionsmöglichkeiten außerhalb des Bündnisbereichs der NATO ab Mitte der siebziger Jahre auf ein Maß geschrumpft, das es dem amerikanischen Präsidenten nicht mehr erlaubte, im Bedarfsfall auf einen kurzfristig realisierbaren, nennenswerten Einsatz militärischer Machtmittel zu vertrauen.

Die amerikanische Politik in Afrika, Asien und im Mittleren Osten war daher Beschränkungen unterworfen, die vom Standpunkt des amerikanischen Weltmachtinteresses nicht zu verantworten waren. Die gewaltigen Nuklearpotentiale nutzten den USA dabei wenig, denn diese Waffen waren aufgrund ihrer überdimensionalen Vernichtungskraft und Eskalationsgefahr für einen Einsatz in einem regional begrenzten Konflikt ungeeignet und deshalb praktisch ohne Wert. Die UdSSR, der diese Schwäche nicht verborgen blieb, hatte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre dadurch weltpolitisch relativ freie Hand.

Sowjetische Offensivpolitik

Die Sowjetunion setzte trotz der Entspannung nicht nur ihre Aufrüstung ungebremst fort, sondern startete auch eine neue außenpolitische Offensive, die sie im Frühjahr 1974, auf dem Höhepunkt der Watergate-Affäre, begann. Offenbar war man zu diesem Zeitpunkt im Kreml zu der Einschätzung gelangt, die überraschende Schwächung der durch die Führungskrise verunsicherten USA biete in Verbindung mit der gewachsenen Stärke der Sowjetunion neue Möglichkeiten für eine Ausweitung des eigenen Einflusses in der Welt.

So wurde bereits die Revolution in Portugal im April 1974 genutzt, um die kommunistische Partei in diesem NATO-Land zu fördern. Und als sich danach das portugiesische Kolonialreich in Afrika aufzulösen begann, wurden die Sowjetunion und Kuba auch hier aktiv, indem sie unter anderem in Angola und Mocambique marxistische und sozialistische Befreiungsbewegungen unterstützten und sich selbst Machtpositionen für die Zeit nach der Unabhängigkeit dieser Länder sicherten.

Dieses offensive Verhalten der Sowjetunion und Kubas, das sich nach ähnlichem Muster wie in Angola und Mocambique bald auch in anderen Staaten und Regionen zeigte - am Horn von Afrika, im Süd-Jemen, in der Karibik und im Mittleren Osten -, führte in den USA dazu, daß die Fähigkeit der amerikanischen Regierung, mit der Sowjetunion weiterhin zusammenzuarbeiten, immer mehr schwand, weil die dafür notwendige innenpolitische Zustimmung verlorenging. Dagegen erhielten die Konservativen wachsenden Zulauf, weil sie nicht nur eine "neue Moral" und die Rückbesinnung auf die traditionellen Werte der amerikanischen Gesellschaft, sondern auch die Erneuerung des Kampfes gegen den Kommunismus forderten.

Da diese Konservativen - durch den Vietnam-Krieg diskreditiert - in den Anfangsjahren der Entspannungspolitik zu Beginn der siebziger Jahre keine nennenswerte Rolle gespielt hatten, bezeichneten sie sich nun - zu neuer Blüte erwacht - als "Neokonservative". Sie erweckten damit zugleich den Eindruck, als verfügten sie über neue Ideen und ein neues Programm und würden sich von den herkömmlichen Konservativen unterscheiden oder gar distanzieren. Dies war jedoch nicht der Fall.

Krise im Iran

Immer wieder beklagten die "Neokonservativen" den Niedergang der amerikanischen Weltmachtrolle, wobei sie neben der sowjetischen Aufrüstung und dem sowjetisch-kubanischen Expansionismus ebenfalls die Krise im Iran als Beleg anführten. Nach der Abdankung und Flucht des Schah am 16. Januar 1979 hatten die USA nicht nur einen wichtigen Bundesgenossen im Mittleren Osten, sondern auch eine wertvolle Beobachtungsstation an der Grenze zur UdSSR eingebüßt, von wo aus sie sowjetische Raketentests hatten überwachen können.

Der Schah selbst durfte Mitte 1979 - nach anfänglichem Widerstand Präsident Carters - aus seinem ägyptischen Exil zur Behandlung eines Krebsleidens in die USA einreisen. Carter hatte prophetisch erklärt, er "wünsche nicht, daß der Schah hier Tennis spielt, während Amerikaner in Teheran gekidnappt oder gar getötet werden". Tatsächlich beschwor die Einreise des Schah in die USA am 4. November 1979 die Erstürmung der amerikanischen Botschaft in Teheran und die Geiselnahme von 52 Diplomaten durch angebliche "Studenten" herauf, ohne daß die USA in der Lage gewesen wären, etwas dagegen zu unternehmen. Im Gegenteil: Die Krise erfuhr ihre größte Zuspitzung, als amerikanische Truppen sich als unfähig erwiesen, überhaupt nach Teheran zu gelangen, um die Geiseln zu befreien, und bereits in der Wüste umkehren mußten, wobei mehrere ihrer Flugzeuge miteinander kollidierten.

Konservative Kritik

Hauptthema der konservativen amerikanischen Kritik an der Entspannung war jedoch die Sowjetunion. Zwar wurde die Politik der Rüstungskontrolle und der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion offiziell weiter fortgesetzt. Der Nachfolger Nixons, Präsident Gerald Ford, traf sogar im Dezember 1974 mit Breschnew in Wladiwostok zu einem Meinungsaustausch zusammen, um den Abschluß des SALT-II-Vertrages vorzubereiten. Aber bereits im Vorwahlkampf für die Nominierung des Präsidentschaftsbewerbers 1976 sah sich Ford innerhalb der Republikanischen Partei im Kampf gegen seinen konservativen Konkurrenten Ronald Reagan derart scharfen Angriffen ausgesetzt, daß er meinte, den Entspannungsgegnern ein Zugeständnis machen und eine Direktive an alle Regierungsangehörigen erlassen zu müssen, das Wort "détente" (Entspannung) im amtlichen Sprachgebrauch nicht mehr zu verwenden.

Ein dritter Faktor, der die Grundlagen der Entspannungspolitik der frühen siebziger Jahre erschütterte, war die zunehmende Vermischung der Ost-West-Kooperation mit der Frage der Menschenrechte. Diese Entwicklung begann, als Präsident Nixon - durch Watergate bereits nachhaltig geschwächt - 1974 noch versuchte, der Sowjetunion in den amerikanisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen den Status der Meistbegünstigung einzuräumen und damit den Ost-West-Handel zu forcieren. Die UdSSR hätte auf diese Weise alle Vorteile in Zöllen und Handelskontingenten erhalten.

Das war für einige Mitglieder des Kongresses jedoch nicht ohne weiteres annehmbar. Zwar waren unmittelbar zuvor die SALT-I-Vereinbarungen vom Senat mit einer großen Mehrheit von 88 gegen 2 Stimmen problemlos ratifiziert worden. Doch nun startete Senator Henry Jackson zusammen mit dem Abgeordneten Charles Vanik aus dem Repräsentantenhaus eine Initiative des Kongresses, die Gewährung der Meistbegünstigung an die Bedingung zu knüpfen, daß die Moskauer Regierung einer größeren Zahl von Juden die Ausreise aus der Sowjetunion erlaubte. Der Kongreß verabschiedete daraufhin das sogenannte "Jackson-Vanik-Amendment" - eine Gesetzesergänzung, die das geforderte Junktim herstellte. Es wurde von der UdSSR zunächst in Geheimverhandlungen zwischen den Außenministern Kissinger und Gromyko sogar akzeptiert. Doch Jackson brauchte aus Karrieregründen einen spektakulären Erfolg, weil er sich Chancen ausrechnete, 1976 als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei aufgestellt zu werden. Am 3. Januar 1975 ging er daher mit dem Ergebnis vor die Presse. Daraufhin kündigte die auf diese Weise "bloßgestellte" Sowjetunion acht Tage später, am 11. Januar, das amerikanisch-sowjetische Handelsabkommen von 1972. Damit waren nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion auf lange Zeit ruiniert. Auch das politische Verhältnis zwischen den beiden Ländern wurde nachhaltig beschädigt.

Rückkehr zur Idealpolitik

Tatsächlich trat nun in der Außenpolitik der USA eine Veränderung ein, die auf eine Abkehr von Kissingers "Realpolitik" und die Hinwendung zu einer "ldealpolitik" hinauslief. Diese Rückbesinnung auf idealistische Traditionen der amerikanischen Geschichte nahm wenig Notiz davon, daß Kissingers Politik im konkreten Fall der - von Senator Jackson verlangten - Auswanderung sowjetischer Juden immerhin zu einer Steigerung der Emigrationsrate von 400 im Jahre 1968 auf 35000 im Jahre 1973 geführt hatte, während die Zahl nach dem Jackson-Vanik-Amendment 1975 wieder um 40 Prozent sank. Die prinzipielle Forderung nach einer Durchsetzung der Menschenrechte - etwa unter Berufung auf die Charta der Vereinten Nationen oder die Schlußakte der KSZE - war bald auch in der amerikanischen Öffentlichkeit derart populär, daß der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei 1976, Jimmy Carter, sich spontan entschied, die Menschenrechte zu einem herausragenden Thema seines Wahlkampfes zu machen. Es gelang Carter damit, sich als Außenseiter gegen Präsident Ford durchzusetzen. Nach seinem Einzug ins Weiße Haus am 20. Januar 1977 setzte Carter die Menschenrechts-Kampagne fort, die vor allem die ersten hundert Tage seiner Amtszeit prägte, aber auch danach ein wichtiges Merkmal seiner Politik blieb.

QuellentextRolle der Menschenrechte in der Politik

Rede des Präsidenten Jimmy Carter vor den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten bei den Vereinten Nationen in New York, 17. März 1977:

[...]

Das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit bedeutet aber auch die Achtung vor der Menschenwürde. Alle Unterzeichner der Charta der Vereinten Nationen haben sich feierlich verpflichtet, die grundlegenden Menschenrechte einzuhalten und zu achten. So kann denn auch kein Mitglied der Vereinten Nationen behaupten, daß eine Mißhandlung seiner Bürger einzig und allein seine eigene Angelegenheit sei. Genauso wenig kann sich ein Mitglied seiner Verantwortung entziehen, zu prüfen und seine Stimme zu erheben, wenn es in irgendeinem Teil der Welt zu Folterungen oder ungerechtfertigten Freiheitsberaubungen kommt.

[...] Der Grundzug in der menschlichen Entwicklung läuft auf eine universale Verbreitung der Forderung nach grundlegenden Menschenrechten hinaus. Die Vereinigten Staaten haben ein historisch angestammtes Recht, sich mit diesem Prozeß zu identifizieren. Wir in den Vereinigten Staaten übernehmen diese Verantwortung im vollsten und konstruktivsten Sinne. [...]

Um diese Verpflichtung unter Beweis zu stellen, werde ich den Kongreß darum ersuchen, seine Zustimmung zur Unterzeichnung der Konvention der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Konvention über bürgerliche und politische Rechte zu geben. Ich werde in enger Zusammenarbeit mit unserem Kongreß seine Unterstützung nicht nur für die Ratifizierung dieser beiden Vertragsinstrumente, sondern auch für die Konvention der Vereinten Nationen gegen Völkermord und den Vertrag über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung zu erhalten suchen. [...]

Die Vereinten Nationen sind das dem Frieden und dem Wohlergehen jedes einzelnen dienende Weltforum - gleichgültig wie schwach oder arm er sein mag. Aber wir haben es zugelassen, daß ihr Menschenrechtsmechanismus ignoriert und manchmal sogar für politische Zwecke mißbraucht wurde. Es gibt vieles, was zur Stärkung getan werden könnte. Die Kommission für Menschenrechte sollte häufiger zusammentreten. Und alle Nationen sollten bereit sein, dieser Kommission ihre vollste Unterstützung angedeihen zu lassen, ihre Untersuchungsarbeit begrüßen, mit ihren Vertretern zusammenarbeiten und aufgrund ihrer Berichte tätig werden. Ich würde es begrüßen, wenn die gesamte Menschenrechtsabteilung der Vereinten Nationen hierher ins zentrale Hauptquartier zurückkehren würde, wo ihre Tätigkeit im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stehen würde und wo wir aufgrund der Aufmerksamkeit der Presse veranlaßt wären, uns ernsthaft mit diesen heiklen Fragen auseinanderzusetzen. [...]

Ein verstärkter internationaler Mechanismus wird uns allen helfen, die Kluft zwischen Versprechung und Ausführung beim Schutz der Menschenrechte zu schließen. Wenn erhebliche und weitverbreitete Verletzungen stattfinden, und zwar im Gegensatz zu internationalen Verpflichtungen, dann geht uns das alle an. Die feierlichen Verpflichtungen der Charta der Vereinten Nationen, der globalen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, der Schlußakte von Helsinki und vieler anderer internationaler Abkommen müssen genauso ernst genommen werden wie Handels- und Sicherheitsverträge.

Diese Angelegenheit hat ihr eigenes Gewicht. Sie sollte nicht den Fortschritt bei anderen wichtigen Fragen blockieren, die die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Menschen sowie den Weltfrieden berühren. Es liegt auf der Hand, daß der Abbau der Spannungen, die Kontrolle der nuklearen Rüstungen, die Herstellung von Harmonie in Krisengebieten der Welt, die Versorgung mit Nahrungmitteln sowie die Stärkung des Gesundheits- und Erziehungswesens unabhängig voneinander zur Verbesserung der menschlichen Lebensumstände beitragen werden.

In unseren Beziehungen zu anderen Ländern werden diese gemeinsamen Anliegen ihren Niederschlag in unserer politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Haltung haben.

Wenn wir mit anderen Mitgliedstaaten zur Stärkung und Verbesserung der Vereinten Nationen zusammenarbeiten, so ergeben sich also folgende Grundprioritäten:

  • - Wir werden in den Krisengebieten der Welt nach Frieden streben.

  • - Wir werden uns energisch um eine Kontrolle der Kriegsrüstungen bemühen.

  • - Wir werden ein neues System des internationalen wirtschaftlichen Fortschritts und der Zusammenarbeit fördern.

  • - Wir werden standhaft bleiben in unserem Eintreten für die Würde und das Wohlergehen der Menschen in aller Welt. [...]

Ich bin der Überzeugung, daß dies eine Außenpolitik darstellt, die den historischen Werten und Verpflichtungen Amerikas entspricht. Ich bin der Überzeugung, daß dies eine Außenpolitik ist, die in Übereinstimmung mit den Idealen der Vereinten Nationen steht.

Quelle: Europa-Archiv, 1977, D 228-D 229.

Für die Ost-West-Beziehungen war diese Entwicklung alles andere als hilfreich. Denn die undemokratische, autoritär regierte UdSSR mußte dabei zwangsläufig immer wieder in den Mittelpunkt der Kritik geraten. Außerdem konnte es kaum ausbleiben, daß das Thema Menschenrechte bald mit der generellen Frage verknüpft wurde, ob es angesichts der bestehenden Herrschaftsstruktur in der Sowjetunion überhaupt noch "moralisch vertretbar" sei, die Entspannungspolitik fortzusetzen, oder ob man nicht zu einer klaren Abgrenzung und eindeutigen Vertretung westlicher Überzeugungen und Positionen zurückkehren müsse.

Präsident Carter bemühte sich dennoch um die Fortsetzung der Entspannungs- und Rüstungskontrollpolitik, wobei er sich besonders für die Ratifizierung des am 18. Juni 1979 in Wien unterzeichneten SALT-II-Vertrages einsetzte. Wie wenig dessen Abschluß tatsächlich bedeutete, sollte sich indessen bald zeigen. Die Gegner der Entspannung in den USA verhinderten die Ratifizierung im amerikanischen Senat und brachten damit die Politik, die sie seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend bekämpft hatten, doch noch zu Fall.

Pause im Dialog

Ein besonderer Streitpunkt in den Ost-West-Beziehungen war seit Mitte der siebziger Jahre die Rüstungsentwicklung. Schon seit der Kuba-Krise hatte die UdSSR ein umfangreiches Aufrüstungsprogramm betrieben und sich dabei sogar durch die Fortschritte in der Entspannungspolitik nicht von dem Ziel abbringen lassen, militärisch mit den USA gleichzuziehen. In Washington war man bereit gewesen, diese Tatsache relativ gelassen hinzunehmen, solange man selbst militärisch stark blieb. Doch als die Vereinigten Staaten nach Beendigung des Vietnam-Krieges 1975 ihre Militärausgaben drastisch reduzierten, ohne daß die Sowjetunion ihr Aufrüstungstempo verringerte, wuchs die Sorge über ein gefährliches Ungleichgewicht.

So gab die Sowjetunion nach Berechnungen des amerikanischen Nachrichtendienstes CIA für die Beschaffung von Waffensystemen 1976 insgesamt 141 Prozent mehr aus als die USA. Im Bereich der lnterkontinentalraketen betrugen die Mehrausgaben sogar 157 Prozent. Der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttosozialprodukt war nach Schätzungen der CIA in der UdSSR ebenfalls mehr als doppelt so hoch wie in den USA und lag zwischen 12 und 13 Prozent. Natürlich ließen sich diese Zahlen bestreiten. Niemand im Westen wußte wirklich genau, was in der Sowjetunion vor sich ging. Aber die UdSSR stationierte seit 1975 eine ganze Generation neuer Interkontinentalraketen (die schwere SS-18 und die leichten SS-17 und SS-19). Von 1970 bis 1979 stellte sie zusätzlich zu ihren bereits vorhandenen Unterseebooten weitere 49 atomgetriebene U-Boote in Dienst. Sie begann 1977 mit der Aufstellung der neuen Mittelstreckenrakete SS-20 und arbeitete gleichzeitig am Aufbau von sechs Hochseeflotten. Dies zeigte überdeutlich, welche Anstrengungen die Sowjetunion unternahm, um ihre militärische Position zu verbessern.

Deshalb wurden im Westen immer häufiger Fragen nach den Zielen der Sowjetunion gestellt, insbesondere die, ob sie nach Erreichen der Parität, die ihr von der Nixon-Administration zugestanden worden war, jetzt nach Überlegenheit strebte. Diese Frage war um so berechtigter, als die sowjetische Aufrüstung seit Mitte der siebziger Jahre mit der schon beschriebenen außenpolitischen Offensive einherging, die im Juni 1979 unter Verletzung der amerikanisch-sowjetischen Vereinbarungen von 1962/63 zur Stationierung einer Brigade sowjetischer "Ausbilder" auf Kuba führte. Präsident Carter kündigte daher am 19. Dezember 1979 vorzeitig eine Erhöhung des amerikanischen Verteidigungshaushalts für 1981 um real 5,6 Prozent und für die darauffolgenden vier Jahre eine Steigerung zwischen 10,6 und 25,4 Prozent an, um die konservativen Kritiker seiner Politik zu besänftigen und doch noch eine Chance für die Ratifizierung des SALT-II-Vertrages zu erhalten.

NATO-Nachrüstung

Sorgen über das sowjetische Rüstungsverhalten machte man sich auch in Europa. Zwar hatte man sich hier allmählich an das wachsende sowjetische Übergewicht bei den konventionellen Streitkräften gewöhnt und vertraute auf die Abschreckungswirkung der Nuklearwaffen. Doch als die Sowjetunion 1977 mit der Installierung ihrer neuen Mittelstreckenrakete SS-20 begann, während sich zugleich eine Reduzierung des amerikanischen strategischen Potentials im Rahmen von SALT-II ankündigte, schlug Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem Londoner Institut für strategische Studien im Oktober 1977 Alarm. Er wies auf die "in Europa bestehenden Disparitäten" hin: Entweder, so Schmidt, müsse es deshalb auch in Europa Rüstungsbeschränkungen geben, oder es bedürfe einer westlichen Nachrüstung im Bereich der nuklearen Mittelstreckenwaffen.

Erst zwei Jahre später - am 12. Dezember 1979 - konnte man sich innerhalb des westlichen Bündnisses zu dem vom deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt angeregten NATO-Doppelbeschluß durchringen. Die Sowjetunion war erstmals wieder mit einer klaren westlichen Position konfrontiert: Falls Verhandlungen über einen Abbau der sowjetischen Mittelstreckenwaffen (Intermediate Nuclear Forces = INF) nicht zustande kamen oder scheiterten, würde die NATO ihr INF-Potential "modernisieren" und ab Ende 1983 selber 108 Pershing-II-Raketen und 464 bodengestützte Marschflugkörper (Cruise Missiles) in Westeuropa stationieren, um auf diese Weise die von Schmidt beklagten "Disparitäten" zu beseitigen.

In Moskau war man allerdings inzwischen offenbar zu der Auffassung gekommen, daß der Westen sein Interesse an der Entspannung ohnehin längst verloren habe. Das Jackson-Vanik-Amendment und die amerikanische Handels- und Menschenrechtspolitik wurden dafür ebenso als Indiz genommen wie das "Ultimatum" des NATO-Doppelbeschlusses. Insofern meinte man auch, auf westliche Empfindlichkeiten und Interessen nicht länger Rücksicht nehmen zu müssen. Trotz fünfmaliger Warnungen aus Washington entschloß sich das Politbüro der KPdSU zum Einmarsch in Afghanistan am 24. Dezember 1979, als dort die erst im April 1978 durch eine Revolution an die Macht gekommene pro-kommunistische Regierung in Gefahr geriet, von einer islamisch-fundamentalistischen Oppositionsbewegung gestürzt zu werden.

Einmarsch in Afghanistan

Für Präsident Carter war dieser Einmarsch nicht nur ein weiteres Glied in der langen Kette sowjetischer Interventionen in der Dritten Welt seit Mitte der siebziger Jahre (von Angola und Mocambique über Äthiopien und den Süd-Jemen bis in die Karibik und nach Laos und Kambodscha). Er sah darin vielmehr "die schwerste Bedrohung des Friedens seit 1945". Carter sah darin einen Akt der Aggression, bei dem die Sowjetunion zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg unter Einsatz eigener Streitkräfte die Grenzen der vor 1948 abgesteckten Einflußsphären zu ihren Gunsten zu verschieben suchte. Energische Sanktionen schienen daher angebracht, darunter ein Verbot des Exports von Weizen und Produkten der Hochtechnologie in die UdSSR, ein Landeverbot für Flugzeuge der "Aeroflot" in den USA, der Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau und die Aussetzung des Ratifizierungsverfahrens für den SALT-II-Vertrag.

Darüber hinaus verkündete der amerikanische Präsident im Januar 1980 die "Carter-Doktrin", wonach "jeder Versuch ausländischer Kräfte, die Kontrolle über die Region des Persischen Golfes zu gewinnen, mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, zurückgewiesen" würde. Außerdem unterzeichnete Carter wenig später die im wesentlichen von Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und Verteidigungsminister Harold Brown entworfene "Presidential Directive 59", die den amerikanischen Streitkräften das notwendige Potential an Waffen zuführen sollte, um auch eine längere militärische Auseinandersetzung auf allen Ebenen durchstehen und gewinnen zu können.

Eine neue Phase amerikanischer Aufrüstung hatte unter Carter begonnen, der als Präsident zur Durchsetzung der Menschenrechte angetreten war. Die Politik der Entspannung zwischen den Großmächten war damit "tot wie ein Türnagel", wie es ein amerikanischer Senator formulierte. Im Ost-West-Dialog trat eine Pause ein, in der beide Seiten zu alten Mustern der Konfrontation zurückkehrten, ehe sie sich - für viele überraschend schnell - zu einer Wiederannäherung bereitfanden.

Der Amtsantritt Ronald Reagans als Carters Nachfolger am 20. Januar 1981 brachte zunächst eine weitere erhebliche Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen. Für Reagan war der Konflikt zwischen Ost und West nicht nur ein Ringen um Macht und Einfluß, sondern auch ein ideologischer Kampf zwischen grundverschiedenen und miteinander nicht zu vereinbarenden Weltanschauungen. Die Präsidentschaft Reagans bedeutete damit in mancherlei Hinsicht die von den "Neokonservativen" seit langem geforderte Rückbesinnung auf frühere Traditionen der amerikanischen Politik und Geschichte.

Neuansatz für Verhandlungen

Die Grundpfeiler der Reaganschen Politik gegenüber der UdSSR hießen - jedenfalls bis 1984 - Antikommunismus und Aufrüstung. Bereits in seiner ersten Pressekonferenz Anfang 1981 erklärte er, die sowjetischen Führer nähmen für sich das Recht in Anspruch, "jedes Verbrechen zu begehen, zu lügen, zu betrügen". Vor Zuhörern der Militärakademie West Point bezeichnete er die UdSSR später als "eine üble Macht" - eine Formel, die er schließlich vor einer Versammlung christlicher Fundamentalisten mit den Worten wiederholte, die Sowjetunion sei "das Zentrum des Übels in der modernen Welt, [...] das Reich des Bösen".

Im Umgang mit dieser als "böse" qualifizierten Sowjetunion wollte Reagan sich nicht länger auf Verhandlungen verlassen, sondern - wie John Foster Dulles in den fünfziger Jahren - auf die Macht setzen, die von militärischer Stärke ausging: Von 1981 bis 1985 stieg das amerikanische Verteidigungsbudget stark an - von 178,4 auf 286,8 Milliarden Dollar, Zahlen, die jede menschliche Vorstellungskraft übersteigen.

Der Preis waren ein wachsendes Defizit des amerikanischen Haushalts und eine Krise im Verhältnis zu den Verbündeten in Westeuropa. Dort sprach sich eine anschwellende Friedensbewegung heftig gegen die Nachrüstung aus. In Massendemonstrationen und Menschenketten um Kasernen verlieh sie ihrer Ablehnung gegen die Stationierung neuer Raketen Ausdruck. Tatsächlich konnte bis 1984 von ernsthaften Gesprächen zwischen den USA und der Sowjetunion zur Rüstungsbegrenzung nicht mehr die Rede sein. Zwar fanden seit dem 30. November 1981 in Genf die im NATO-Doppelbeschluß geforderten INF-Verhandlungen statt. Und im Juni 1982 hatte auch wieder eine Konferenz zur Vereinbarung strategischer Rüstungsbeschränkungen begonnen - diesmal unter dem neuen Namen "Gespräche über die Verminderung strategischer Waffen" (Strategie Arms Reduction Talks = START). Aber die politische Konstellation ließ eine Einigung weder in dem einen noch in dem anderen Forum zu.

Überdies wurden die Verhandlungen im September 1983 vom Abschuß einer südkoreanischen Passagiermaschine mit 269 Menschen an Bord durch sowjetische Militärflugzeuge überschattet und schließlich im November bzw. Dezember 1983 ergebnislos abgebrochen, nachdem die NATO-Staaten sich angesichts der Stagnation in Genf zur Stationierung der geplanten 572 Mittelstreckenraketen in Westeuropa entschlossen hatten.

Wendepunkt

Die Beziehungen zwischen Ost und West erreichten danach ihren tiefsten Punkt seit der Zeit des Kalten Krieges in den vierziger und fünfziger Jahren. Doch ausgerechnet jetzt zeigten sich beide Seiten zur Umkehr bereit. So erklärte Präsident Reagan am 16. Januar 1984 - am Vorabend der "Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa" (KVAE), die am folgenden Tag in Stockholm begann, in einer Grundsatzrede über das Verhältnis zur Sowjetunion, die Aufrüstung der USA habe inzwischen einen Stand erreicht, der erfolgversprechende Verhandlungen wieder zulasse. Das Jahr 1984 (in den USA ein Präsidentschaftswahljahr) sei deshalb "ein Jahr der Gelegenheiten für den Frieden".

In der Sowjetunion setzte nach dem Beginn der westlichen Raketenstationierung ebenfalls Umdenken ein - allerdings aus gegenteiligem Grund: Hier hatten sich die Hoffnungen, daß die Nachrüstung an innerwestlichen Widerständen - etwa den massiven Demonstrationen und öffentlichen Protesten der Friedensbewegung - scheitern werde, nicht erfüllt. Schlimmer noch: Präsident Reagans Forderung nach Errichtung eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems (Strategic Defense Initiative = SDI) bot Anlaß zu großer Sorge, weil man dieser Entwicklung vorerst nichts entgegenzustellen hatte. Die Sowjetunion war daher zum Kompromiß gezwungen.

Der eigentliche Wendepunkt kam indessen erst ein Jahr später, als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 das Amt des Generalsekretärs der KPdSU übernahm und sogleich mit der Verwirklichung seiner Politik der "Offenheit" (glasnost) und "Umgestaltung" (perestroika) begann. Sie zielte auf eine Stärkung der sowjetischen Wirtschaft, einen Umbau des sowjetischen politischen Systems und eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit in allen Bereichen, eröffnete aber auch neue Chancen für die Politik der Entspannung und Abrüstung in Europa und gegenüber den USA.

Während es von 1980 bis 1984 so gut wie keine Begegnungen führender amerikanischer und sowjetischer Politiker mehr gegeben hatte, setzte nun wieder eine umfangreiche Besuchsdiplomatie ein - einschließlich mehrerer rasch aufeinanderfolgender Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow. Außerdem wurden bereits am 12. März 1985 - einen Tag nach Gorbatschows Amtsantritt - die Ende 1983 unterbrochenen Rüstungskontrollgespräche zwischen den USA und der Sowjetunion wiederaufgenommen, wobei die Frage der Mittelstreckenwaffen nicht mehr getrennt behandelt, sondern in die START-Verhandlungen einbezogen wurde, die auch Interkontinentalraketen und Weltraumwaffen (SDI) umfaßten.

Schritte zur Abrüstung

Vorrang genossen allerdings die Bemühungen um den Abschluß eines INF-Abkommens, über dessen Grundzüge sich Reagan und Gorbatschow bei ihrer ersten Begegnung in Genf im November 1985 - dem ersten amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen seit 1979 überhaupt - verständigten. Bei ihrer zweiten Begegnung im Oktober 1986 in Reykjavik schien das Abkommen beinahe schon perfekt, scheiterte aber im letzten Moment an der Weigerung Reagans, Begrenzungen des amerikanischen SDI-Programms hinzunehmen. Daher konnte der INF-Vertrag erst am 8. Dezember 1987 auf dem dritten Gipfel zwischen Reagan und Gorbatschow in Washington unterzeichnet werden.

Der Vertrag, durch den in einer "doppelten Null-Lösung" auf sowjetischer Seite 857 Raketen mit 1667 Sprengköpfen und auf amerikanischer Seite 429 Raketen und Sprengköpfe abgerüstet wurden, konnte indessen nur ein Anfang sein. Zwar wurde damit erstmals eine ganze Klasse von Kernwaffen beseitigt. Aber von der Reduzierung waren tatsächlich nur etwa drei bis vier Prozent aller Nuklearwaffen betroffen. Denn 1987, als die USA und die Sowjetunion den INF-Vertrag schlossen, wurden in der Welt insgesamt 930 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben - 1,8 Millionen pro Minute. Davon entfielen allein 293 Milliarden auf die USA und 260 Milliarden auf die Sowjetunion. Nur ein einziges, mit 24 Nuklearraketen bestücktes amerikanisches "Trident"-Unterseeboot verfügte über das Achtfache der Zerstörungskraft aller im Zweiten Weltkrieg eingesetzten Bomben und Granaten.

Die USA und die Sowjetunion verhandelten deshalb zugleich im Rahmen der START-Gespräche über eine Halbierung ihres strategischen Nuklearwaffenpotentials, ohne daß es ihnen jedoch gelang, bis zum vierten und letzten Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow innerhalb von drei Jahren im Mai 1988 in Moskau ein unterzeichnungsreifes Abkommen zustande zu bringen.

Für Gorbatschow ging es dabei nicht nur um außenpolitische Ziele. Er war vor allem aus wirtschaftlichen Gründen an der Abrüstung interessiert, um Ressourcen für die dringend reformbedürftige sowjetische Wirtschaft freizusetzen. Frühzeitig korrigierte er in diesem Zusammenhang auch das weltweite Ausgreifen der sowjetischen Außenpolitik nach Afrika, Asien und in die Karibik, das zu einer Verschwendung wertvoller Devisen geführt hatte. Die Freunde in der Dritten Welt, erklärte er dazu auf dem XXVII. Parteitag der KPDSU im Februar 1986, müßten den Sozialismus nun "hauptsächlich aus eigener Kraft aufbauen".

Der sowjetische Rückzug aus Afghanistan, der im Mai 1988 begann und am 15. Februar 1989 abgeschlossen wurde, war nur das sichtbarste Beispiel dieser Neuorientierung, die auch in Afrika, in der Karibik und in lndochina vorgenommen wurde. Sie verhalf dazu, in den Regionalkonflikten, die das Ost-West-Verhältnis seit Mitte der siebziger Jahre so sehr belastet hatten, nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen, und erleichterte auch die Wiederannäherung zwischen Ost und West. Für die Sowjetunion aber war ihr "Disengagement" (Rückzug) in der Dritten Welt nur Teil einer umfassenden Revision ihrer Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik, um durch weitreichende Reformen die Strukturen ihrer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf neu zu gestalten.