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Claudia "Wanda" Reichardt und die Villa Marie | Autonome Kunst in der DDR | bpb.de

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Claudia "Wanda" Reichardt und die Villa Marie

Uta Grundmann

/ 2 Minuten zu lesen

In der herrschaftlichen Villa Marie, am Fuße des Blauen Wunders gelegen, eröffnete Claudia "Wanda“ Reichardt 1986 die private Galerie "fotogen“.

Das herrschaftliche Haus im toskanischen Stil wurde um 1860 am Blasewitzer Elbufer erbaut und in den 1930er Jahren nach der damaligen Eigentümerin Villa Marie benannt. Am Fuße des Blauen Wunders – Dresdens berühmtester Brücke – und nur wenige Minuten vom Interner Link: Leonhardi-Museum entfernt gelegen, verfiel das Schmuckstück in der DDR, weshalb der letzte Besitzer das Haus 1984 an die staatliche Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) übertrug. Der marode Zustand der Bausubstanz hinderte einheimische Künstler jedoch nicht daran, sich dort ungefragt einzuquartieren.

Villa Marie

(© Archiv Claudia Reichardt (Fotograf unbekannt)) (© Claudia Reichardt) (© Andreas Rost, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Darunter war auch die junge Claudia Reichardt, die nach einem abgebrochenen Studium in Leipzig 1982 in der Villa Marie ein Zimmer besetzte. "Wanda“, wie Claudia Reichardt von ihren Freunden genannt wurde, weil sie einer gleichnamigen Kellnerin in Fellinis "Die Nächte der Cabiria“ ähnelte, wollte Galeristin werden. Sie übernahm im Mai 1985 hauptamtlich den FDJ-Studentenklub der Interner Link: Hochschule für Bildende Künste und sollte in den folgenden Jahren mit einem ambitionierten Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm über Dresden hinaus bekannt werden. Ein Jahr später eröffnete Reichardt ihre private Galerie "fotogen“ in der Villa Marie. Der Name bezog sich auf die anfängliche konzeptionelle Orientierung an der künstlerischen Fotografie.

Nach dem Versuch, für ihre Galerie eine offizielle Gewerbeerlaubnis zu erhalten, verbot der Dresdner Stadtrat für Kultur, Karl-Heinz Seltmann, im Juni 1987 die Ausstellungstätigkeit mit der formalen Begründung, das baufällige Haus sei für den Publikumsverkehr nicht zugelassen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits die Einladungen für das Projekt "moosrose – ein rennbahnprojekt“ verschickt. Die Künstler – unter ihnen Eva Anderson, Micha Brendel, Rainer Görß, Gino Hahnemann, Andreas Hegewald und Carsten Nicolai – reagierten mit der Aktion "Die Villa Marie bleibt während der Öffnungszeiten geschlossen“. Die Ausstellung und das Happening zu Ehren des an diesem Tag zum letzten Mal in ein Rennen geschickten Pferdes Moosrose fanden dennoch statt. Anfang Januar 1988 sorgte eine "Geruchsausstellung“ mit dem Titel "es stinkt, wir riechen – wir riechen, es stinkt“ bei den Behörden für Irritationen: Wanda wollte das Verbot bildlicher Manifestationen persiflieren, ahnte jedoch nicht, dass die Staatssicherheit das Unternehmen auf sich bezog – man führte ein "Geruchsarchiv“, in dem Geruchsproben von Oppositionellen oder denen, die man dafür hielt, gelagert wurden.

Letztlich führten die vielfältigen Einschüchterungsversuche der Stasi – die ständige Beobachtung und zwei Einbrüche in Wandas Wohnung – nicht zum Ziel, die Galeristin über ihre Hochschultätigkeit "stärker staatlich zu binden und sie somit dem Untergrund zu entziehen“. Auch der verordnete Abriss der Villa durch den Oberbürgermeister konnte Dank des beherzten Einsatzes von Denkmalpflegern und der illegalen Bewohner verhindert werden. Die zahlreichen Räumungsbefehle wurden schlicht ignoriert.

Am 12. Mai 1990 kamen die Künstler und Freunde der Villa Marie ein letztes Mal zusammen, um mit Performances und Installationen den Abschied zu feiern. Wenig später wurde das Haus an einen Immobilienmakler aus München verkauft, saniert und als Restaurant wiedereröffnet. Wanda Reichardt arbeitet heute als freie Kuratorin in Dresden.

Quellen / Literatur

Claudia Reichardt: Die Galerie bleibt während der Öffnungszeit geschlossen. Wanda und die Villa Marie 1982–1990. Berlin 2010.

Fussnoten

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Geb. 1965, Kunsthistorikerin, arbeitet als freiberufliche Autorin und Lektorin in Berlin.