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Die Jenaer Hofvernissagen

Dr. Klaus Michael Klaus Michael

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Die Jenaer Hofvernissagen fanden von 1986 bis 1988 auf einem besetzten Hinterhof statt. Sie ließen Jena zu einem wichtigen Ort der künstlerischen Opposition und Gegenkultur in Thüringen werden.

Blick in eine Ausstellung mit Werken von Detlef Schweiger, Malerei, und Eva Backofen (ehem. Anderson), Plastik, bei der Jenaer Hofvernissage, 1988 (© Archiv riesa efau (Fotograf unbekannt), (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Auf das Verbot seiner Ausstellung in der Jenaer Stadtgalerie reagierte der Jenaer Maler Gerd Wandrer mit einem Ausreiseantrag. Da ihm mit dem Antrag zugleich öffentliche Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten verwehrt waren, suchte er nach einer möglichen Alternative. Sie ergab sich im Hof zwischen Johannisstraße 16 und Jenergasse 7. Im baufälligen Hinterhaus der Johannisstraße 16, das von Theologie- und Germanistikstudenten bewohnt wurde, richtete sich Wandrer ein Ausweichatelier ein. Im Herbst 1986 regte er an, den Hof von Schutt zu befreien, um dort in loser Folge Ausstellungen zu organisieren. Zur Einweihung im November zeigte der Künstler eigene Werke.

Im Frühjahr des nächsten Jahres folgte eine weitere Ausstellung Wandrers. Unter dem Titel "Akt und Figur“ stellten im Mai 1987 Künstler aus Jena aus. Bis zur Ausreise des Malers im Herbst 1987 wuchs die Zahl auf sieben Ausstellungen, deren Eröffnungen bei Künstlern und Oppositionellen aus Thüringen schnell beliebt wurden. Die überregionale Ausstrahlung der Hofvernissagen provozierte zunächst Misstrauen, dann das Einschreiten der Behörden. Im Juli 1987 wurde Wandrer wegen der mit den Eröffnungsfesten verbundenen "Ruhestörung“ mit einem Ordnungsstrafverfahren von eintausend Mark belegt. Die Strafe wurde jedoch aufgehoben, weil Wandrer dagegen Widerspruch einlegte und sich unter der Anwohnerschaft kein Kläger fand.

Eröffnung der Ausstellung von Tim Rotschoenberg (Freiberg), 14. Mai 1988: Lesung von Johannes Jansen. (Bertram Hesse) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Nach der Ausreise von Annette und Gerd Wandrer 1987 wurden die Vernissagen von einer Gruppe unter Leitung des Zahnarztes und späteren SDP-Gründers Joachim Hofmann und des Fotografen Bertram Hesse fortgeführt. Es folgten im Mai 1988 eine Ausstellung von Tim Rotschoenberg aus Freiberg, deren Eröffnung von einer Lesung von Johannes Jansen begleitet wurde, und Expositionen Jenaer Künstler wie Arnulf Ehrlich, die in den 1980er Jahren über keine oder nur eingeschränkte Ausstellungsmöglichkeiten verfügten.

Die 11. Ausstellung mit großformatigen Plastiken von Eva Anderson (Eva Backofen) und Ölbildern von Detlef Schweiger, die am 25. Juni 1988 mit einer Lesung von Bernd Igel, mit Filmen von Gino Hahnemann und der "Rennbahnband“ der Dresdner Maler und Grafiker Christiane Just und Andreas Hegewald eröffnete, wurde zum Menetekel für zukünftige Veranstaltungen. Da man von Seiten der Staatsmacht befürchtete, dass sich Jena, bis in die frühen 1980er Jahre ein führendes Zentrum der politischen Opposition und seit 1983 Versammlungsort für Ausreisewillige aus dem gesamten Süden der DDR, auch zu einem Ort der künstlerischen Opposition und Gegenkultur entwickeln könnte, beschloss man in einer abgestimmten Aktion von Partei, Staatssicherheit, Polizei und Stadtverwaltung, die Hofvernissagen zu beenden. Auf Anweisung des stellvertretenden Oberbürgermeisters Krause und im Auftrag der Städtischen Gebäudewirtschaft wurden die Plastiken von Eva Anderson und ein Ölbild Detlef Schweigers am 29. Juli 1988 auf die Mülldeponie Großlöbichau gebracht und zerstört. Abgesichert wurde diese Aktion von einem umfangreichen Polizeiaufgebot und von Vertretern der Staatssicherheit. Um weitere Ausstellungen und Veranstaltungen zu verhindern, wurde eine Mauer quer über den Hof gezogen. Die staatliche Intervention, kurz vor dem Ende der DDR, führte zu landesweiten Protesten, handelte es sich bei Anderson und Schweiger doch nicht um "rechtlose“ Oppositionelle, sondern um etablierte Mitglieder des Dresdner Verbandes Bildender Künstler, die gegen die Zerstörung ihrer Arbeiten juristisch vorgingen.

Darüber hinaus wandte sich Joachim Hoffmann mit einem Protestschreiben an den Stellvertretenden Minister für Kultur Dietmar Keller. Auch die Künstlerszene des Prenzlauer Bergs formulierte einen "Offenen Brief“, der am 10. August 1988 in der nicht offiziellen Zeitschrift "Verwendung“ veröffentlicht wurde. Die Proteste führten zwar zu einer Entschädigung der beteiligten Künstler und schließlich zur Ablösung der Kulturstadträtin Gudrun Niemann, fortgesetzt wurden die Jenaer Hofvernissagen jedoch nicht.

Fussnoten

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Geb. 1959, promovierter Germanist, ist seit 1997 Präsidialsekretär der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden.