Am 17. Mai 2019 wurde Monika Muskała, Übersetzerin aus dem Polnischen ins Deutsche, mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichnet und hielt folgende Dankesrede: >Sehr geehrte Damen und Herren, Es ist ein ungewöhnlicher Moment für einen Übersetzer im Rampenlicht zu stehen. Der Übersetzer steht gewöhnlich im Schatten, im Schatten des Autors.
Im Theater steht der Autor im Schatten des Regisseurs. Somit steht ein Übersetzer, der fürs Theater übersetzt, in einem Doppelschatten, im Schatten des Schattens.
Ich stehe gerne in diesem Schatten und ich stehe zu diesem Schatten. Ich habe ihn ausgesucht. Er ermöglicht mir eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Text. Dort kann ich besser in die Worte des Autors hineinhorchen, dem Atemzug seiner Phrasen folgen, eine intime Beziehung zu seinem Text aufbauen. Übersetzen ist nichts anderes als eine aufmerksame und einfühlsame Lektüre. Es braucht Zeit.
Ich verweile gerne in den Texten, seit ich denken kann. Ich lese langsam, schlüpfe zwischen die Worte, manche Texte verlasse ich nie. An dem ersten Satz von Thomas Bernhards Erzählung "Ja", der sich ungefähr über 2 Seiten zieht, habe ich einige Wochen gearbeitet. Für die Übersetzung von Elfriede Jelineks "Rechnitz (Der Würgeengel)" habe ich 6 Jahre gebraucht.
Der Schatten ist aber auch ein Klischee, der von unserer Zunft zu Recht bekämpft wird. Diese Metapher wird oft falsch verstanden und führt zur Herabsetzung unserer Leistung. Einer Leistung, die weit mehr ist als nur Worte von einer Sprache in die andere zu transferieren. Wir empfinden uns als Mitautoren, der von uns übertragenen Werke. "Shakespeare schrieb nicht auf Polnisch" lautet der Slogan der polnischen Vereinigung der Übersetzer.
Der Grund dafür, dass ich heute vor Ihnen auftreten darf, ist der Karl-Dedecius-Preis, die höchste Auszeichnung für eine deutsch-polnische Übersetzerin. Der Preis wird für den sprachlichen Brückenbau zwischen Deutschen und Polen verliehen.
Dieser Brückenbau, der die Klüfte zwischen Völkern zu überwinden versucht, ist heutzutage notwendiger denn je. Überall in Europa ist der Nationalismus erwacht, die Abschottungstendenzen nehmen zu.
Ich hatte das Glück, meistens frei auswählen zu können, was ich für die polnischen Leser und Zuseher übersetze. Wenn ich zurückblicke, merke ich, dass es da einen roten Faden gibt, der sich durch die ausgewählten Werke zieht: die Verdrängung. Es ist ein zentrales Thema bei Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Gerhard Roth und Werner Schwab. Österreichische Schriftsteller, die eine späte Auseinandersetzung mit der Geschichte erwirkt haben, oft gegen den Widerstand grosser Teile der Bevölkerung. Diese Idee und auch die Wucht, mit der sie die Gesellschaft aufzurütteln versuchten, wollte ich nach Polen verpflanzen. Unsere Geschichte ist in den letzten Jahrhunderten zwar ganz anders verlaufen, aber es gibt viele weisse Flecken und Tabuthemen.
Neben grosser Dankbarkeit und Freude, empfinde ich heute auch Bedauern, dass gerade in einem Moment der Geschichte, in dem die Klüfte zwischen den Völkern wieder bedrohlich wachsen, der Karl-Dedecius-Preis, eine Auszeichnung für die Vermittler – nicht nur der blossen Worte, aber auch Werte, Ideen, ja, Kultur – eingestellt werden soll.
Verzeihen Sie, wenn meine Rede zu diesem so fröhlichen Anlass vielleicht ein wenig ernst war.
Jetzt möchte ich mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass ich hier vor Ihnen stehe.
Ich danke vor allem der Jury, die beschloss, mich in meinem Doppelschatten heute zu beleuchten und zu würdigen. Ich danke dem Deutschen-Polen-Institut und der Robert-Bosch-Stiftung, die dies ermöglicht haben. Grossen Dank richte ich an meine Laudatoren, Krystian Lupa und Janusz Margański, deren lobende Worte mich sprachlos machen. Ich bedanke mich bei meinem Mann und meiner Schwiegermutter, die ich oft mit Fragen zu Austriazismen geplagt habe. Ich danke meiner Schwester, die mich heute begleitet. Am Ende möchte ich mich auch bei dem Initiator und Namensgeber des Preises bedanken. Ich habe Karl Dedecius 1991 interviewt. Als beginnende Übersetzerin bin ich nach Darmstadt gepilgert, wie zu einem Wallfahrtsort. Es war eine inspirierende und prägende Begegnung, die mir auch die Rolle des Übersetzers bewusster machte.
Vielen Dank!
Quelle: Deutsches Polen-Institut. Externer Link: https://www.deutsches-polen-institut.de/kultur/karl-dedecius-preis/ (abgerufen am 01.10.2021)
Dokumentation: Dankesrede der Übersetzerin Monika Muskała nach der Auszeichnung mit dem Karl-Dedecius-Preis 2019
/ 3 Minuten zu lesen
Die ÜbersetzerInnen standen lange im Schatten. Für ihre Leistungen erhielt die Übersetzerin Monika Muskała 2019 den renommierten Karl-Dedecius-Preis.