"Rushhour des Lebens" – ursprünglich ein Begriff aus der Familienforschung – wird zurzeit vielfach in der öffentlichen Debatte diskutiert. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Phänomene in der mittleren Lebensphase zwischen 25 und 45 Jahren: Die "Rushhour von Lebensentscheidungen" betrifft vor allem Akademiker, die eine Ballung an Entscheidungen zu Beruf, Partnerwahl und Kinder erleben – und diese nahezu gleichzeitig. Dagegen trifft die "Rushhour im Familienzyklus" besonders Eltern von Kleinkindern, bei denen Beruf und Familie eine sehr hohe Arbeitsbelastung mit sich bringen. Der Politikwissenschaftler Martin Bujard und die Soziologin Ralina Panova skizzieren eingehend diese Lebensphasen und erklären die gesellschaftlichen Mechanismen.
Rushhour des Lebens
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Es gibt Phasen im Leben, in denen die Arbeitsbelastung durch die Kombination von Beruf und Familie dauerhaft besonders hoch ist und solche Phasen, die entspannter sind und mehr Freizeit ermöglichen. Auch gibt es Phasen, in denen gehäuft zentrale Lebensentscheidungen getroffen werden müssen. Derartige Phasen kennt fast jeder aus seinem eigenen Leben. Dabei hat die Forschung eine Phase im Lebensverlauf – nämlich das Alter zwischen etwa 25 und 40 Jahren – identifiziert, in der für viele Menschen eine exorbitante Arbeitsbelastung und eine Häufung wichtiger Entscheidungen zu Beruf, Wohnort, Partnerwahl, Heirat oder Kindern auftreten. Als "Rushhour des Lebens" wird diese Phase im mittleren Lebensalter beschrieben.
Die Metapher Rushhour im Kontext von Lebensphasen ist griffig und ein Stück weit selbsterklärend. Sie wurde durch den Externer Link: Siebten Familienbericht (2006) popularisiert und hat sich in der Familienpolitik ebenso wie in der Familienforschung Deutschlands etabliert. In der internationalen Literatur wurde der Begriff "Rush Hour" erstmals von Michael Bittman und Judy Wajcman (2000) aufgegriffen, allerdings nur in der Überschrift eines Artikels und mit einer etwas anderen Bedeutung. Der Begriff Rushhour des Lebens wird im deutschen Kontext bislang häufig implizit unterschiedlich verwendet. Dabei lassen sich zwei Varianten der Rushhour identifizieren, die unterschiedliche Gruppen, Lebensphasen und Überlastungsmechanismen betreffen. Daher schlagen wir eine Differenzierung zwischen zwei Phänomenen vor:
die Rushhour von Lebensentscheidungen und
die Rushhour im Familienzyklus.
Die Rushhour von Lebensentscheidungen
Dieses Phänomen betrifft vor allem Akademiker. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne von fünf bis sieben Jahren erfolgen oft gleichzeitig Entscheidungen zu Berufseinstieg und Karriereaufbau sowie zu gemeinsamem Haushalt, Ehe und Familiengründung. Diese Ballung biografischer Ereignisse betrifft besonders tertiär gebildete Menschen. Tertiäre Bildungsabschlüsse umfassen sowohl Fachschulabschlüsse und den Meisterbrief als auch Hochschul- und Fachhochschulabschlüsse. Bei diesen Personen verschiebt sich aufgrund von Qualifikations- und Studienzeit, Auslandsaufenthalten, Praktika und einem längeren Prozess des Berufseinstiegs und der Karriereetablierung die Familienplanung in das Alter zwischen etwa 27 und 35 Jahre. Die Familienplanung bekommt im Lebenslauf erst später eine Priorität als bei Menschen, die bereits mit Anfang 20 ihre ökonomische Selbstständigkeit erreichen. Hinzu kommt, dass Frauen wie auch Männer mit zunehmendem Alter die biologische Grenze ihrer Fruchtbarkeit erreichen: Das Zeitfenster für Nachwuchs wird kleiner.
Rushhour von Lebensentscheidungen
Nehmen wir Anna und Andreas, so wollen wir unser Beispielspaar nennen. Anna ist 33 Jahre alt, hat ihre Doktorarbeit abgeschlossen. Beide haben eine befristete Stelle in Nürnberg. Andreas, 36, bekommt ein attraktives unbefristetes Jobangebot in Frankfurt/Main. Eigentlich wollten sie zusammenziehen und irgendwann, wenn beide beruflich angekommen sind, Kinder haben. Einer von beiden muss nun erhebliche berufliche Abstriche machen, wenn die Beziehung nicht in eine Fernbeziehung münden soll, die die Kinderfrage weit hinausschieben würde. Sie müssen sich entscheiden: Zusammenziehen? In welche Stadt? Welche Karriereschritte will sie, will er? Und wann passen Kinder in diese Planungen? Andreas und Anna befinden sich in der Rushhour von Lebensentscheidungen.
Rushhour im Familienzyklus
In der Familienphase mit kleinen Kindern ist die Belastung durch Berufs- und Familienarbeit besonders intensiv. Dies zeigt sich quantitativ in der beruflichen und familialen Arbeitszeit sowie in persönlichen Konflikten, beiden Lebensbereichen gerecht zu werden. Die gesamte Arbeitsbelastung lässt sich erfassen, indem man die beruflichen Arbeitsstunden sowie die Zeit für Hausarbeit und Kinderfürsorge addiert. Zeitbudgetstudien zeigen, dass diese Gesamtarbeitszeit pro Woche bei Müttern von Kindern unter drei Jahren im Durchschnitt bei 57 Stunden liegt (Deutscher Bundestag 2006). Entgegen mancher These in Massenmedien, die die Doppelbelastung ausschließlich bei den Müttern sehen, sind Väter, die mit kleinen Kindern zusammen im Haushalt leben, genauso davon betroffen. Ihre Gesamtarbeitszeit von Beruf und Haushalt liegt in Deutschland mit 58 Stunden sogar eine Stunde höher, wobei sich die Aufteilung zwischen Berufs- und Familienarbeit bei Müttern und Vätern unterscheidet. Diese Arbeitsintensität nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder ab, bleibt aber höher als bei Haushalten ohne Kinder.
Rushhour des Familienzyklus
Maria, Max und ihre zwei Kinder
Maria, Max und ihre zwei Kinder
Nehmen wir Maria und Max, auch sie sind ein Beispielspaar: Sie haben zwei Kinder im Alter von drei und sechs Jahren. Max arbeitet Vollzeit und macht öfters gut bezahlte Überstunden, da sie den Zusatzlohn gebrauchen können. Maria arbeitet wieder halbtags und kümmert sich nachmittags um Haushalt und Kinder, da die Betreuung nur bis 15 Uhr und freitags bis 13 Uhr geht. Eigentlich wollten sich beide Beruf und Haushalt gleichmäßiger aufteilen. Insgesamt sind beide den ganzen Tag beschäftigt und auch weite Teile des Wochenendes. Maria und Max befinden sich in der Rushhour des Familienzyklus.
Im Folgenden werden beide Konzepte der Rushhour des Lebens anhand empirischer Daten eingehend beschrieben und ihre Mechanismen erklärt.
Ein historisch neues Phänomen: die Rushhour der Lebensentscheidungen
Die Rushhour der Lebensentscheidungen ist ein historisch neues Phänomen, das vereinzelt seit den 1960er-Jahren auftauchte und Anfang des 21. Jahrhunderts bereits für über ein Viertel der entsprechenden Altersgruppe virulent ist – macht man es an der tertiären Bildung fest. Freilich gibt es auch Nichtakademiker, die in kürzester Zeit wichtige Lebensentscheidungen treffen müssen, und es gibt Akademiker, deren Lebensplanung entzerrt ist; im Kern bleibt diese Rushhour jedoch ein Problem von Akademikern.
In der Literatur wird die Altersspanne der Rushhour der Lebensentscheidungen unterschiedlich definiert. Laut dem Siebten Familienbericht der Bundesregierung ist der Zeitdruck, Entscheidungen zu treffen zwischen dem 27. und 35. Lebensjahr besonders groß (BMFSFJ 2006). Lothaller (2008) zufolge umfasst die Rushhour des Lebens den Lebensabschnitt zwischen Mitte 20 und Ende 30. Nach Bertram et al. (2011) ist der Konflikt zwischen dem Lebensziel der Familiengründung und der beruflichen Etablierung und Karriereentwicklung in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen besonders stark ausgeprägt. Bujard (2012) verwendet die breitere Zeitspanne von 25 bis 40 Jahren. Buber et al. (2014) wiederum beziehen sich bei der Definition der Rushhour des Lebens auf die Altersgruppe der 27- bis 40-Jährigen.
Für Paare können die vielen Entscheidungen, die im Alter zwischen 27 und 35 Jahren heute anstehen, zur Zerreißprobe werden: Entscheidungen zu Beruf und Karriere sowie zu Partnerschaft und Familiengründung stehen gleichzeitig an. (© picture-alliance/dpa)
Für Paare können die vielen Entscheidungen, die im Alter zwischen 27 und 35 Jahren heute anstehen, zur Zerreißprobe werden: Entscheidungen zu Beruf und Karriere sowie zu Partnerschaft und Familiengründung stehen gleichzeitig an. (© picture-alliance/dpa)
Individuelle Lebensverläufe sind jedoch viel zu unterschiedlich und komplex, auch sind Partnerschafts- und Berufsverläufe viel zu dynamisch und unvorhersehbar, um einheitlich feste Altersspannen für die Rushhour des Lebens definieren zu können. Im Folgenden gehen wir von einer besonders intensiven Phase im Alter zwischen 27 und 35 Jahren und einer breiteren Phase der Rushhour des Lebens aus, die im Alter zwischen 25 und 40 eintreten kann. Wir vermuten eine besondere Steigerung des Zeitdruckes im Alter um 30 Jahre herum, denn dann wünschen sich Akademiker am häufigsten ein Kind (Buber et al. 2014). Gleichzeitig gilt dieses Alter als symbolische Marke, ab der die weibliche Fertilität zu sinken beginnt.
Das Phänomen geballter Lebensentscheidungen ist von zwei Antriebskräften geprägt: dem Übergang vom Einverdiener- zum Zweiverdienermodell und dem Aufkommen wissensbasierter Arbeitsplätze. Durch das Zweiverdienermodell müssen beide Partner ihre beruflichen Pläne räumlich und zeitlich synchronisieren, was weitaus komplizierter ist als im "Brotverdiener-Hausfrau-Modell", in dem der Mann seiner Karriere und die Frau der Versorgung der Familie nachgingen. In modernen, wissensbasierten Volkswirtschaften verlängert sich die Ausbildung und gelingt Akademikern der Berufseinstieg immer später. Dazu kommt, dass die Gruppe der Akademiker kontinuierlich wächst. Im Prüfungsjahr 2013 stieg zum zwölften Mal in Folge die Zahl der Hochschulabsolventen. Über 413.000 schlossen ihr Studium ab, das war ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Prüfungsjahr 2012 (Statistisches Bundesamt 2014).
Das spätere Ankommen in der ökonomischen Selbständigkeit
Insgesamt ist die Ausbildung anspruchsvoller geworden und entsprechend hat sich die Ausbildungsphase verlängert. Dadurch verschiebt sich für eine größere Gruppe junger Erwachsener der Berufseinstieg im Lebensverlauf weiter nach hinten. Dazu kommt, dass der Berufseinstieg in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, oft über Praktika, befristete Arbeitsverträge und Qualifizierungsstellen mehrere Jahre dauert, bis man in einem entfristeten Arbeitsverhältnis angekommen ist. Die Zahl unsicherer Beschäftigungsverhältnisse wächst ebenso wie die Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen des Arbeitsmarktes. Erwerbsbiografien sind fluider, die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses erzeugt erhebliche Unsicherheit. Dazu kommt bei Akademikern die späte ökonomische Selbstständigkeit, da viele erst mit Anfang 30 ein eigenes Einkommen haben, sodass ein Ansparen für die Familiengründung erschwert wird. Beides – berufliche Unsicherheit und späte ökonomische Selbständigkeit – erschweren und verschieben eine Entscheidungsfindung für die Gründung eines gemeinsamen Haushalts und einer Familie.
Abbildung 1 verdeutlicht anhand des Pro-Kopf-Einkommens, dass das nicht immer so war: 1973 gab es bereits mit Mitte 20 ein Einkommenshoch im Vergleich zur mittleren Lebensphase um die 35 Jahre, sodass die Familiengründung auch schon früher im Leben finanziell stärker abgesichert war. Im Jahr 2009 ist das Pro-Kopf-Einkommen mit Mitte 50 am höchsten, während es für unter Dreißigjährige sehr gering ist. Studien zeigen, dass dieser Kontrast bei Akademikern noch größer ist. Abbildung 1 zeigt das Pro-Kopf-Einkommen im Lebensverlauf von Frauen, für Männer gelten ähnliche Ergebnisse.
Abbildung 1: Pro-Kopf-Einkommen von Frauen im Lebensverlauf 1973 und 2009 (© bpb/Bujard)
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Abbildung 1: Pro-Kopf-Einkommen von Frauen im Lebensverlauf 1973 und 2009 (© bpb/Bujard)
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Lebensentscheidungen und die biologische Uhr
Neben diesem enormen gesellschaftlichen Wandel der vergangenen vier Jahrzehnte hat sich die biologische Grenze der Fruchtbarkeit kaum verändert. Die Fruchtbarkeit von Frauen ist in den Zwanzigern am höchsten und lässt ab dem 30. Geburtstag langsam , ab dem 35. verstärkt nach. Abbildung 2 zeigt die Fruchtbarkeitskurve im Lebenslauf von Frauen.
Inzwischen bringen 42 Prozent der Akademikerinnen ihr erstes Kind nach ihrem 35. Geburtstag zur Welt (eigene Mikrozensusauswertungen). Dabei gilt das Alter ab etwa 35 Jahren nach den Mutterschaftsrichtlinien als Grenze für Risikogeburten. Der Aufschub von Geburten, genauso wie die hohe endgültige Kinderlosigkeit von 30 Prozent bei Akademikerinnen sind markante Auswirkungen des Entscheidungskonfliktes in der Rushhour des Lebens.
Abbildung 2: Fruchtbarkeit der Frau im Lebensverlauf nach dem Critical Age Modell (© bpb/Bujard)
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Abbildung 2: Fruchtbarkeit der Frau im Lebensverlauf nach dem Critical Age Modell (© bpb/Bujard)
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Aber auch das fortgeschrittene biologische Alter des Mannes bringt Risiken für die Fortpflanzung und das Neugeborene mit sich und stellt einen wichtigen, wenn auch nicht so ausgeprägten, Einflussfaktor der Infertilität des Paares dar. Insbesondere dann, wenn auch die Frau im fortgeschrittenen Alter (über 35 Jahre) ist (Sartorius und Nieschlag 2010). Es scheint, dass das Alter von 45 Jahren einen "turning point", also einen Wendepunkt, für die Fruchtbarkeit von Männern bedeutet. Der Fruchtbarkeitsrückgang betrifft Frauen jedoch weitaus früher im Lebensverlauf als Männer.
Partnerschaft als entscheidender Faktor
Die Suche eines geeigneten Partners, der Aufbau eines gemeinsamen Haushalts und gegebenenfalls die Institutionalisierung der Partnerschaft sind zentrale Entscheidungspunkte in der Rushhour der Lebensentscheidungen. Diese stehen rund um das 30. Lebensjahr an – eben parallel zum Berufseinstieg und dem Aufbau einer Karriere. Dabei ist eine feste Partnerschaft mit einem gemeinsamen Haushalt eine zentrale Voraussetzung für die Entscheidung, Kinder zu wollen (Peuckert 2008). Das Fehlen eines passenden Partners ist ein entscheidender Grund dafür, die Familiengründung aufzuschieben. Auch dieser Aspekt erhöht den zeitlichen Druck in der Altersgruppe der 27- bis 35-Jährigen. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Alter die Partnersuche eher schwieriger wird.
Sind Frauen und Männer ähnlich stark betroffen?
Eine weitere Besonderheit der Rushhour des Lebens ist, dass dieses Phänomen in der Literatur oft nur auf Frauen bezogen wird (Bittman und Wajcman 2000). Zum einen ist das biologische Zeitfenster für eine Mutterschaft stärker eingeschränkt als das Zeitfenster für eine Vaterschaft, wodurch ein stärkerer Zeitdruck bezüglich generativer Entscheidungen bei Frauen entsteht. Zum anderen verlangt die Familiengründung von Frauen meist höhere Einschränkungen. Denn meistens sind es auch heute noch Frauen, die Kinderbetreuung und -erziehung, Hausarbeit, Erwerbsarbeit und Freizeit vereinbaren müssen. Sie sind in der Rushhour des Lebens mit dem Konflikt Arbeit-Familie intensiver konfrontiert als Männer. Oft bedeutet die Entscheidung für die Familiengründung Verzicht auf die eigene Karriere. Fragen der Gleichstellung sind deshalb auch eng mit dem Rushhour-Phänomen verknüpft. Entsprechend nimmt der Erste Gleichstellungsbericht (Deutscher Bundestag 2011) konsequent eine Lebensverlaufsperspektive ein und fokussiert damit das Problem, dass mit unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Herausforderungen verbunden sind.
Bei Männern stellt sich hingegen der Konflikt Arbeit-Familie nicht so brisant dar – eben weil es die Mütter sind, die sich überwiegend um die Kinder kümmern. Eine Studie von Buber et al. (2014) zeigt, dass sich ein besonders hohes Arbeitspensum von Frauen negativ auf ihren Kinderwunsch auswirkt, was für einen Arbeit-Familie-Konflikt spricht. Männer, die mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten, wünschen sich hingegen tendenziell eher ein Kind als solche, die eine 35- bis 40-Stundenwoche haben.
Die Rushhour wirkt sich vor allem dann auf das Leben von Akademikerinnen aus, wenn die partnerschaftliche Arbeitsteilung auf dem traditionellen männlichen Alleinverdiener-Modell basiert. Je egalitärer die Partnerschaft ist, desto mehr ist die Rushhour auch ein Problem für Väter. Erst wenn Männer ihre beruflichen Pläne auch an denen der Partnerin sowie an der Familiengründung orientieren, kommt es auch bei ihnen zu der oben beschriebenen Entscheidungsballung.
Die Rushhour bei Familien mit kleinen Kindern
Die Rushhour im Familienzyklus betrifft allein Eltern. Diese Phase beginnt mit der Geburt des ersten Kindes. Zeitbudgetstudien zeigen, dass die Hausarbeit, als Summe von Haushaltsführung und Fürsorgearbeit, in Haushalten mit Kindern unter drei Jahren in Deutschland durchschnittlich 3,6-mal so viele Stunden beträgt wie bei Kinderlosen (Deutscher Bundestag 2006). Im Kindergartenalter lässt das Hausarbeitsvolumen zwar etwas nach, eine deutliche Entlastung zeigt sich aber erst, wenn das jüngste Kind im Grundschulalter ist. Die Kinder können sich dann besser selbst beschäftigen und sich auch selbstständig mit Freunden treffen. Eltern spüren dann geradezu, wie die Rushhour des Familienzyklus nachlässt und sie altbekannte Freiheiten wiedergewinnen.
Dass nicht das Alter von Männern und Frauen, entsprechend der Rushhour der Lebensentscheidungen, hier maßgeblich ist, sondern das Alter der Kinder, zeigen internationale Zeitbudgetstudien. Demnach liegen das wöchentliche Arbeitspensum bezahlter und unbezahlter Arbeit durchschnittlich bei 49,5 Stunden und das Freizeitpensum bei 36,7 Stunden. Dabei gibt es im Alter von 20 bis 54 Jahren kaum Unterschiede. Erst später lässt die Arbeitsbelastung deutlich nach. Im Detail zeigt sich jedoch, dass die kombinierte Arbeitszeit (bezahlte und unbezahlte Arbeit) ohne Kinder weitaus geringer ist, mit kleinen Kindern dagegen deutlich höher.
Das verdeutlicht eindrucksvoll die Grafik des Siebten Familienberichts, die die wöchentliche Arbeitszeit (inklusive Wochenende) im Familienzyklus von Männern und Frauen in Deutschland zeigt (Abbildung 3). Die Arbeitszeit in Beruf und Haushalt zusammen beträgt bei Eltern mit Babys und Kleinkindern 57 bis 58 Stunden, mit Kindergartenkindern 56 Stunden. Das ist die Rushhour, die in der Regel arbeitsintensivste Phase im Lebensverlauf. Mit Schulkindern geht der Wert auf 52 Stunden und mit Teenagern auf 48 bis 49 Stunden zurück. Ohne Kinder, beziehungsweise ohne mit Kindern im Haushalt zu leben, ist die Gesamtarbeitszeit deutlich geringer und beträgt im Durchschnitt 32 bis 33 Stunden.
Abbildung 3: Erwerbs- und Hausarbeit nach Alter der Kinder (© Deutscher Bundestag/bpb)
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Abbildung 3: Erwerbs- und Hausarbeit nach Alter der Kinder (© Deutscher Bundestag/bpb)
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Diese Befunde und auch andere Studien zeigen deutlich, dass beide Geschlechter gleichermaßen von der Gesamtarbeitsbelastung betroffen sind. Nur unterscheidet sich die Aufteilung geschlechtsspezifisch. Dabei sind viele Väter mit der ungleichen Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit ähnlich unzufrieden wie Mütter. Beide Geschlechter befinden sich oft in einem Konflikt, jedoch spiegelverkehrt: Viele Mütter, die viel Zeit mit Haus- und Fürsorgearbeit verbringen, möchten mehr beruflich arbeiten, zudem wird es gesellschaftlich zunehmend erwartet. Viele Väter, die viel Zeit mit Berufsarbeit verbringen, möchten sich mehr an der Fürsorgearbeit beteiligen, was ebenso gesellschaftlich zunehmend erwartet wird. Nicht selten empfinden Mütter und Väter trotz der hohen Gesamtarbeitsbelastung Zeitdruck oder gar ein schlechtes Gewissen, da sie für eine der beiden Sphären – Beruf oder Familie – nicht so viel Zeit verwenden, wie sie möchten. Im Achten Familienbericht (Deutscher Bundestag 2012) wurden Realität und Wünsche beruflicher Arbeitszeiten gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass viele Frauen gerne etwas mehr und viele Männer gerne etwas weniger beruflich arbeiten möchten.
Paare, die vor der Kinderphase egalitär gelebt haben, tappen häufig in die Traditionalisierungsfalle. Sie planen zunächst temporär für die Stillzeit eine Aufteilung, in welcher der Mann Vollzeit arbeitet. Diese Aufteilung verfestigt sich jedoch in vielen Fällen, da der Mann häufig besser verdient.
Zu dieser erhöhten Arbeitsbelastung kommt in der Familienphase mit kleinen Kindern hinzu, dass sich das Freizeitverhalten völlig von dem ohne Kinder, aber auch von dem mit älteren Kindern unterscheidet. Die Grenzen zwischen Freizeit mit Kindern und "Fürsorgearbeit" sind fließend. Bittman und Wajcman (2000) haben die Freizeittätigkeiten genauer untersucht und zwischen Erwachsenenfreizeit und kinderbezogener Freizeit differenziert. Demnach verbringen Eltern von Kindern im Alter von null bis neun Jahren nur knapp die Hälfte ihrer sowieso geringeren Freizeit als Erwachsenenfreizeit. Die Zeit für klassische Erwachsenenfreizeit liegt hier im Durchschnitt zwischen drei und zehn Stunden pro Woche. Sind die Kinder älter als zehn Jahre, liegt die Zeit für Erwachsenenfreizeit bei etwa 25 Stunden bei Müttern und Vätern; das Freizeitvolumen von Kinderlosen umfasst dagegen rund 40 Stunden.
Die beiden Phasen im direkten Vergleich
Die Rushhour des Lebens tritt in den zwei beschriebenen Varianten auf (vgl. Überblick in Tabelle 1): eine Verdichtung von zentralen Lebensentscheidungen im Alter von 27 bis 35 Jahren bei Akademikern und eine intensive Arbeitsbelastung bei Eltern kleiner Kinder – Männer und Frauen sind beide davon betroffen.
Tabelle 1: Vergleich der Rushhour von Lebensentscheidungen und Familienzyklus
Die Rushhour von Lebensentscheidungen | Die Rushhour im Familienzyklus | |
Alter | 25-40 Jahre besonders 27-35 Jahre | Alter der Kinder < 10 Jahre besonders < 6 Jahre |
Bildungsgruppen | insbesondere Akademiker/innen | alle |
Lebensform | alle | Eltern von Kindern |
Geschlecht | in Partnerschaften beide, sonst mehr bei Frauen | tendenziell beide |
Ursache des Phänomens | Zunahme Frauenerwerbstätigkeit, wissensbasierte Ökonomie, fehlende Vereinbarkeitsstrukturen von Arbeit und Fürsorge für Kinder | Zunahme Frauenerwerbstätigkeit und fehlende Väterfürsorgearbeit, fehlende Vereinbarkeitsstrukturen von Arbeit und Fürsorge für Kinder |
Beide Varianten der Rushhour lassen sich durch verschiedene Maßnahmen entzerren (Bujard 2012), wobei Politik, Wirtschaft und Eltern jeweils dazu beitragen können. Eine solche Entzerrung ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung zu Beginn des 21. Jahrhunderts – aus sozialpolitischen, gleichstellungspolitischen und demografischen Gründen.
Weiterführende Literatur
Bertram, Hans (2006): Nachhaltige Familienpolitik im europäischen Vergleich. In: P. A. Berger und H. Kahlert (Hg.): Der demographische Wandel. Frankfurt/New York, S. 203-236.
Bertram, Hans; Bujard, Martin; Rösler, Wiebke (2011): Rush-Hour des Lebens. Geburtenaufschub, Einkommensverläufe und familienpolitische Perspektiven. In: Journal für Reproduktivmedizin und Endokrinologie 8 (2), S. 91-99.
Bittman, Michael; Wajcman, Judy (2000): The Rush Hour: The Character of Leisure Time and Gender Equity. In: Social Forces 79 (1), S. 165-189.
Buber, Isabella; Panova, Ralina; Dorbritz, Jürgen (2014 im Druck): Fertility intentions of university graduates. In: Demográfia English Edition56 (5), S. 5–34.
Bujard, Martin (2012): Zeit für Familie – Die Rush-hour des Lebens entzerren, in: Stimme der Familie 59 (2), S. 9-13; Externer Link: http://www.bib-demografie.de/zeit_fuer_familie
Deutscher Bundestag (2006): Siebter Familienbericht. Berlin: Deutscher Bundestag (Drucksache 16/1360); Externer Link: http://www.bmfsfj.de/doku/familienbericht/haupt.html
Deutscher Bundestag (2011): Erster Gleichstellungsbericht. Berlin: Deutscher Bundestag (Drucksache 17/6240); Externer Link: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=174358.html
Deutscher Bundestag (2012): Achter Familienbericht. Berlin: Deutscher Bundestag (Drucksache 17/9000); Externer Link: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=186954.html
Lothaller, Harald (2008): Die 'rush hour' des Lebens und die Bedeutung der Familienarbeit und ihrer Aufteilung. In: Journal für Generationengerechtigkeit 8 (3), S. 4–8.
Peuckert, Rüdiger (2008): Familienformen im sozialen Wandel. 7. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden.
Sartorius, Gideon A.; Nieschlag, Eberhard (2010): Paternal age and reproduction. In: Human Reproduction Update 16 (1), S. 65–79.
Statistisches Bundesamt; Pressemitteilung Nr. 329 vom 12.09.2014; Externer Link: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/09/PD14_329_213.html
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Dr. Martin Bujard hat in Heidelberg in Politikwissenschaften promoviert und war anschließend Koordinator in der Akademiegruppe "Zukunft mit Kindern" der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Seit 2011 arbeitet er am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, seit 2015 als Forschungsdirektor. Seine Forschungsschwerpunkte sind Familienpolitik, Fertilität, demografische Folgen und Familiensoziologie.
Ralina Panova hat an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Soziologie und Volkswirtschaftslehre studiert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich "Familie und Fertilität" beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familiensoziologie, Demografie und Rushhour des Lebens.