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Ali Başar | 1961: Anwerbeabkommen mit der Türkei | bpb.de

1961: Anwerbeabkommen mit der Türkei Von der Fremde zur Heimat Das ist meine Welt! Peitschenstriemen der Armut Der große Streik Ich kannte nur mein Dorf Skandal und Konflikt Vielfalt Türkische Minderheit Niederlassungsprozesse Das Anwerbeabkommen Anwerbestopp 1973 Portraits Selahattin Biner Ali Başar Mesut Ergün Eva und Sokrates Saroglu Sevim Celebi-Gottschlich Yahko Demir Salih Güldiken Saliha Çukur Mahir Zeytinoglu Selahattin Akyüz Suzan und Tevfik Bilge Cem Gülay Redaktion

Ali Başar

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Der 30-jährige Ali Başar kam ohne Ausbildung und Deutschkenntnisse im November 1961 nach Deutschland. Ihm kam das neue Land wie ein Paradies vor, in dem ihm trotzdem viel Leid und Ungerechtigkeit widerfuhr.

Ali Başar im Frühjahr 2011 in seiner Wohung in Duisburg-Marxloh.

November 1961: im zweiten Zug aus Istanbul nach München sitzt Ali Başar. Ohne Ausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld kommt der heute 79-Jährige ins Ruhrgebiet. Seine Heimat Tunceli (kurdisch: Dersim) in Ostanatolien hatte er schon als 13-Jähriger verlassen, um den Unterhalt für die Familie zu verdienen. Er landete in Istanbul, schlief auf Parkbänken, schlug sich als Tagelöhner durch. Ein Anwerbevertrag bringt ihn nach Deutschland, hier arbeitet er viele Jahre im Bergwerk und als Schweißer. 1969 wird er Gewerkschaftsmitglied der IG Metall und als Vertrauensmann gewählt.

Die Anfänge in Deutschland

"In den Pausen saß ich meist alleine da, auf einem Stein. Ich fühlte mich so einsam wie nie zuvor. Ich konnte mit niemandem reden, die Deutschen haben mich nicht beachtet. Bis Lorenz kam, der war anders. Er setzte sich neben mich, sprach mit mir. 'Ich: Lorenz, du: ?' – 'Ich: Ali.' So begann unsere Freundschaft. Am nächsten Tag brachte Lorenz mir von der Trinkhalle eine Sinalco mit, die er von seinem eigenen Geld für mich gekauft hatte! Ich gab ihm von meinem Brot, machte Tee für ihn. Irgendwann luden er und seine Frau Edith mich auch zu sich nach Hause ein. Die beiden haben mich aus meiner Einsamkeit befreit, sie haben mir sehr geholfen, so liebe Menschen. Wenn ich sehr traurig war, hat Lorenz mir den Arm um die Schulter gelegt und mich aufgemuntert. In Dortmund gab es damals außer Ahmet, Şükrü und mir überhaupt keine Türken."

Ein Rückblick

"In Deutschland lebten wir allerdings viele Jahre mit einem schlechten Gewissen, weil es uns hier so gut ging, wir ein friedliches Leben führen konnten. Wir konnten unseren Verwandten zwar Geld und andere Dinge schicken, aber was ist das schon, wenn dort Bomben gelegt werden? Die Armut, die ich in der Türkei erlebt habe, hat mich zur Dankbarkeit erzogen. Mit den Peitschenstriemen der Armut kam ich hierher nach Deutschland, das Gefühl habe ich nie verloren. In Deutschland habe ich meinen Beruf erlernt, Geld verdient, ein Auto gekauft, eine Familie gegründet. Das ist für mich ein großes Geschenk. Die Wohnung, in der ich heute lebe, ist für mich ein Paradies. Wenn etwas zu essen auf dem Tisch steht, ist das für mich immer noch wunderbar, jeden Tag. Wir sind Deutschland in einer Art Dankbarkeit verbunden, und ich verstehe nicht, wie das jemand anders sehen kann. Wir hätten in der Türkei wahrscheinlich nicht überlebt. Deutschland hat mir das Leben gerettet, so würde ich das sagen, und es ist eine Heimat für uns geworden."

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