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Schwedens Integrationspolitik | Schweden | bpb.de

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Schwedens Integrationspolitik

Bernd Parusel

/ 6 Minuten zu lesen

Schweden hat früh erkannt, dass Zuwanderer häufig nicht nur für eine begrenzte Zeit, sondern dauerhaft im Land bleiben. Anders als viele Länder, die in den 1960er und 1970er Jahren "Gastarbeiter" anwarben, setzte es daher von Beginn an auf eine aktive Integrationspolitik. Die hohe Zuwanderung der vergangenen Jahre stellt aber auch Schweden vor Herausforderungen.

Schwedens Integrationspolitik gilt international als eine der ehrgeizigsten und erfolgreichsten. Im öffentlichen Diskurs werden Erfolge und Herausforderungen mit Blick auf die Integration von Migranten weitgehend anhand konkreter Themen behandelt: Beschäftigung, Wohnraum, Spracherwerb und Bezug von Sozialleistungen. Während der skandinavische Wohlfahrtsstaat heute den freien Handel und die liberale Marktwirtschaft befürwortet und dabei – anders als früher – auch eine wachsende Einkommensungleichheit in Kauf nimmt, hat er trotzdem immer noch einen vergleichsweise großen öffentlichen Sektor, der auch umfassende soziale Sicherungssysteme bietet. Diese stehen allen registrierten Einwohnern offen, unabhängig von ihrer Nationalität. Gleichberechtigung, Solidarität, Kooperation und Konsens sind Kernbestandteile dieses Systems, das in den vergangenen Jahren jedoch vielfach infrage gestellt wurde.

Herausforderungen bei der Einwandererintegration

Muslimischer Demonstrant auf der Stockholm Pride Parade 2014. Die aktuelle Integrationspolitik betont weniger den Multikulturalismus, sondern versucht kulturelle Unterschiede zurückzudrängen und nimmt den Zusammenhalt der Gesellschaft in den Blick. (© picture-alliance, IBL Schweden)

Steigende Einwanderzahlen, insbesondere seit 2010, haben die Frage hervorgerufen, ob der schwedische Arbeitsmarkt stark genug ist, die vielen Neuankömmlinge zu absorbieren. Zudem gibt es einen gravierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Während dies in großen Städten schon lange ein Problem ist, weisen nun auch weniger dynamische Gemeinden in abgelegenen Regionen einen solchen Mangel auf. Die Situation wird dadurch verschärft, dass die schwedische Migrationsbehörde normalerweise gewöhnliche Wohnungen als Unterkünfte für Asylsuchende anmietet. Diejenigen, denen Schutz gewährt wird, sind verpflichtet, aus den von der Behörde zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten wieder auszuziehen. In der Praxis benötigen sie aber eine ähnliche Art von Unterkunft auch nach dem Asylverfahren. Asylbewerber, Flüchtlinge und andere Gruppen von Neuzuwanderern konkurrieren somit um ein immer stärker begrenztes Segment des Wohnungsmarktes. Im selben Segment suchen zudem andere Bevölkerungsgruppen mit begrenzten finanziellen Mitteln – wie Rentner, Studierende und junge Menschen, die nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern leben. Anerkannte Flüchtlinge, die weder bezahlbaren Wohnraum noch eine Arbeit finden, laufen daher Gefahr, im Aufnahmesystem und in Passivität stecken zu bleiben. Vor diesem Hintergrund plant die Regierung den Bau von 250.000 neuen günstigen Mietwohnungen bis 2020. Zudem werden verstärkte Bemühungen zur schnelleren und vereinfachten Arbeitsmarktintegration diskutiert.

In früheren Zeiten, wie etwa den 1960er und 1970er Jahren, hatten es Einwanderer leichter, in Schweden eine Arbeit und einen Ort, an dem sie bleiben konnten, zu finden. Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, stellten Unternehmen mit Arbeitskräftebedarf manchmal Wohnraum für angeworbene Arbeitsmigranten zur Verfügung. Zudem unterstützten die Gewerkschaften bei der Integration. In Schulen hatten Kinder aus Einwandererfamilien das Recht, einige Stunden pro Woche in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden. Dieses Recht gibt es immer noch, aber aufgrund mangelnder Ressourcen und einer großen Vielfalt an unter Einwanderern gesprochenen Sprachen sehen sich Gemeinden manchmal nicht im Stande, ausreichend muttersprachlichen Unterricht anzubieten. Städtische Bibliotheken spielen bei der Integration von Einwanderern ebenfalls eine wichtige Rolle, indem sie Wörterbücher, Zeitungen und Bücher in den am meisten verbreiteten Einwanderersprachen anschaffen. Sie sind zudem bei Neuzuwanderern beliebt, da sie Zugang zu Computern und kostenlosem Internet bieten.

Politische Strategien zur Integrationspolitik

In den 1960er und 1970er Jahren war Schweden merklich von sozialdemokratischem Denken beeinflusst und die Migrationspolitik beruhte auf der Annahme, dass die Einwanderer im Land bleiben würden. Bereits 1968 wurde das Gleichheitsprinzip im ersten Gesetz der Regierung zu den Zielen der Einwanderungspolitik verankert: Einwanderer sollten die Möglichkeit haben, den gleichen Lebensstandard zu erzielen wie die übrige Bevölkerung. Es wurde bekräftigt, dass Einwanderer das Recht hätten, die Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes zu wahren, aber dass der Staat dies nicht aktiv unterstützen müsste; stattdessen seien die Einwanderer in der Lage, dies selbst zu tun. 1975 erhielten in Schweden lebende Ausländer das aktive und passive Wahlrecht bei Interner Link: kommunalen und regionalen Wahlen. Drittstaatsangehörige dürfen nach dreijährigem legalen Aufenthalt im Land daran teilnehmen. EU-Staatsangehörige, Norweger und Isländer dürfen dies bereits nach 30-tägigem Aufenthalt in Schweden, wenn sie die Gemeinde, in der sie leben, über ihren Wunsch zur Wahlteilnahme informieren.

In den 1980er und 1990er Jahren, als die Flüchtlingsströme und der Familiennachzug nach Schweden anwuchsen, wurde das über die Jahre hinweg geprägte Image der Großzügigkeit und Gleichberechtigung jedoch zunehmend als Belastung empfunden. Die Regierung sah sich gezwungen, zu demonstrieren, dass Schweden die Einwanderung begrenzen kann. Als Voraussetzung einer weiterhin funktionierenden Integration galt nunmehr eine striktere Zuwanderungskontrolle. Im Zuge damals eingeführter Restriktionen im Asyl- und Zuwanderungsrecht änderte sich auch die integrationspolitische Strategie: Während früher der Multikulturalismus betont und phasenweise staatlich gefördert wurde, hieß es nun, die Politik habe kulturelle Unterschiede zwischen Schweden und Einwanderern zu sehr hervorgehoben und so nach und nach mentale und soziale Grenzziehungen zwischen einem "Wir" (die Schweden) und einem "Sie" (die Einwanderer) verstärkt. Die neue Politik sollte solche Unterschiede stattdessen zurückdrängen, Ähnlichkeiten betonen und den Zusammenhalt der Gesellschaft in den Blick nehmen.

Heute sind Asylbewerber, die in Schweden als Flüchtlinge anerkannt werden oder aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht erhalten, verpflichtet, einen Integrationskurs ("Schwedisch für Einwanderer", Svenska för invandrare) zu belegen, sofern sie nicht wollen, dass ihnen Integrationsleistungen gekürzt werden. Der Kurs wird von der Gemeinde, in der sie leben, angeboten und finanziert. Hier wird nicht nur die schwedische Sprache gelehrt, sondern es werden auch Kenntnisse über die Gesellschaftsordnung und schwedische Traditionen vermittelt. Der Integrationskurs wird mit einer Prüfung abgeschlossen, die als eine wichtige Voraussetzung für die Arbeitssuche gilt. Die Politik vertritt die Auffassung, die beste Art der Integration in die schwedische Gesellschaft sei eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt. Aus- und Weiterbildung sowie eine aktive Arbeitsplatzvermittlung sind daher heute die obersten Prioritäten der Integrationspolitik.

Es gibt zahlreiche Ausbildungs- und Praktikainitiativen, und der Staat bezuschusst die Beschäftigung von Personen, die zuvor arbeitslos waren, im Rahmen sogenannter "Einstiegsstellen" (instegsjobb). Dennoch ist in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt noch viel zu tun. Die Arbeitslosenquote unter Drittstaatsangehörigen lag 2012 bei 30 Prozent und damit dreimal höher als unter schwedischen Staatsangehörigen. Zudem gibt es Hinweise auf einen massiven "Brain Waste", also eine Vergeudung von Potenzial, da Neuzuwanderer oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus arbeiten.

"Ganz-Schweden"-Politik

Um eine unverhältnismäßig starke Konzentration der eingewanderten Bevölkerung an bestimmten Orten zu verhindern, versuchte die Regierung in der Vergangenheit, neu ins Land gekommene Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge über das ganze Land zu verteilen, ein Ansatz, der als "Ganz-Schweden"-Politik bekannt geworden ist. Dieser sollte auch erkennbaren Tendenzen der Alterung in entlegenen Regionen, insbesondere in Zentral- und Nordschweden, sowie der Entvölkerung kleiner Städte durch die Abwanderung junger Menschen in Städte im Süden des Landes entgegenwirken. Die "Ganz-Schweden"-Politik hat im Laufe der vergangenen Jahre jedoch ein Dilemma heraufbeschworen: Gemeinden in Regionen, die unter Abwanderung und Überalterung leiden, erklärten sich bereit, Asylbewerber und Flüchtlinge aufzunehmen. Gleichzeitig aber mangelte es dort oftmals an Arbeitsplätzen, sodass Migranten, die dort untergebracht wurden, häufig versuchten, so schnell wie möglich in eine größere Stadt weiterzuziehen. In Städten wie Göteborg, Malmö oder Stockholm gibt es zwar tatsächlich eher freie Stellen, dafür aber nur wenige preiswerte Wohnungen. Dadurch kommt es verbreitet zur Konzentration von Migranten auf engem Raum in Vororten, was zu sozialen Spannungen beiträgt. Symbolisch dafür stehen die Hochhausvororte Stockholms und anderer Großstädte, die zwischen 1965 und 1975 im Zuge des sogenannten "Millionenprogramms" (Miljonprogrammet) errichtet wurden. Heute sind diese Viertel oft in einem maroden Zustand. Da die Mieten aber vergleichsweise günstig sind, wohnen dort viele sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, etwa Migranten, alleinerziehende Geringverdiener und arme Rentner. Sozialwissenschaftler sprechen diesbezüglich von Marginalisierung und sozialer Segregation. Heute gilt die "Ganz-Schweden"-Politik nur noch mit Abstrichen. Es gibt keinen bindenden Verteilungsschlüssel für neu zuziehende Asylbewerber, aber alle Gemeinden sind gehalten, Asylbewerber aufzunehmen. Wer schon Verwandte und Freunde in Schweden hat, darf auf Wunsch jedoch bei ihnen wohnen. Um die Segregation zu bremsen, drängt die Regierung darauf, dass sich auch die reicheren Gemeinden im Umland von Stockholm und anderen Großstädten an der Aufnahme von Asylbewerbern beteiligen.

Dieser Text ist Teil des Interner Link: Länderprofils Schweden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In der 2015er Ausgabe des "Migrant Integration Policy Index" (MIPEX), der die Migrations- und Integrationspolitik in 38 Ländern analysiert, wurde Schweden am besten bewertet und erreichte Platz 1 im Ländervergleich, siehe dazu Externer Link: http://www.mipex.eu/. Für weitere Analysen und Informationen der schwedischen Integrationspolitik siehe Hammar (2003), S. 238; Statistiska Centralbyrån (2013), S. 127-130.

  2. Andersson/Weinar (2014), S. 9.

  3. Boverket (2015), S. 7.

  4. "Här är regeringens strategi för hållbart asylmottagande", Dagens Nyheter, 15. Juli 2015.

  5. Benito (2007), S. 336.

  6. Dahlström (2006), S. 16

  7. Dahlström (2006), S. 16 und Soininen (1999), S. 687.

  8. Hammar (2003), S. 244f.

  9. European Commission/European Migration Network (2014), S. 81.

  10. Migrationsverket (2013), S. 21.

  11. Cvetkovic (2009), S. 101f.

Lizenz

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Dr. Bernd Parusel ist Politikwissenschaftler und Migrations- und Asylexperte. Er arbeitet für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN) bei der schwedischen Migrationsbehörde und als Forschungssekretär bei der schwedischen Delegation für Migrationsstudien (DELMI) in Stockholm.
E-Mail: E-Mail Link: bernd.parusel@migrationsverket.se