Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Geschichte von Techno und der Loveparade | Loveparade: Die Verhandlung | bpb.de

Loveparade: Die Verhandlung Als wären wir dabei gewesen Filmen, was man nicht sehen kann Ein möglichst vollständiges Bild vom Verfahren liefern "Ein komplexes Sammelsurium an Kausalitäten" Kurze Geschichte großer Musikfestivals Die Geschichte von Techno und der Loveparade Redaktion

Die Geschichte von Techno und der Loveparade

Christian Meyer-Pröpstl

/ 11 Minuten zu lesen

Mitte der 1980er Jahre formt sich in Detroit der minimalistische Techno-Sound, der prägend für den Techno seit den 1990er Jahren wird: Im Sound hauptsächlich basierend auf den relativ neuen elektrischen Instrumenten der Marke Roland entstehen instrumentale Stücke, die ob ihrer Struktur nicht mehr Songs, sondern Tracks (dt. Stücke) beziehungsweise in Abwandlung Trax genannt werden. Nicht mehr Strophe und Refrain sind die Bausteine eines Stückes, sondern ein beliebig lange fortsetzbarer Rhythmus, der eher mit diversen Soundeffekten als mit Melodien verziert wird und im Mix der verschiedenen Tracks einen theoretisch endlosen Soundtrack für immer länger werdende Partys ermöglicht, der Menschen einer ganze Generation aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten erfasst.

Ahnen des Techno: Die Band Kraftwerk im Jahr 1973 in ihrem Studio in Düsseldorf. (© picture-alliance/akg)

Die Einflüsse für diesen minimalistischen Sound aus Detroit, der einstigen Metropole der Autoindustrie, sind vielfältig: Elektronische Experimente der 1960er Jahre von deutschen Komponisten wie Oskar Sala oder Karlheinz Stockhausen und die ebenfalls deutschen, von jenen Pionieren der elektronischen Musik inspirierten Elektronikmusiker des sogenannten Krautrocks wie Tangerine Dream, Klaus Schulze, Cluster, Ashra Temple und nicht zuletzt Kraftwerk sind Wegbereiter für einen in der Folge breiter angelegten Einsatz elektronischer Instrumente in der Popmusik, vor allem im Post Punk und Disco der 1970er Jahre. Sowohl der elektronische, tanzbare Post Punk aus England als auch die in den USA entstandene Disco Music haben in Deutschland Musik hervorgebracht, die wiederum für Techno und House prägend sind.

Die Vorläufer

Funk und Disco ist für die ersten Technoproduzenten, allesamt schwarze Musiker, als Musik aus der Black Community ebenfalls bedeutsam. Disco entsteht in der ersten Hälfte der 1970er Jahre als Weiterführung von Funk für eine vor allem schwarze und queere Community. Im Kontrast dazu steht der sogenannte Munich-Sound des Exil-Italieners Giorgio Moroder, der mit Donna Summers „I feel love“ einen rein elektronischen Welthit mit Gesang produziert. Ein Jahr später folgt gemeinsam mit Harold Faltermeyer der rein instrumentale, 13-Minütige Track „Chase“. In Moroders alter Heimat wird Disco in den 1980er Jahren als so genannter Italo Disco fortgesetzt, während der allgemeine Discoboom, der Ende der 1970er Jahre sogar gestandene Rocker wie die Rolling Stones oder Kiss, aber auch Electric Light Orchestra und allen voran die Bee Gees erfasst hatte, nicht nur kommerziell verebbt. Politisch wird die Bewegung als schwuler und schwarzer Hedonismus diffamiert und mit homophob-zweideutigen Slogans wie „Disco Sucks“ und einer so genannten Disco Demolition Night im Jahr 1979 im Chicagoer Baseballstadion Comiskey Park, wo Disco-Platten öffentlich zerstört wurden, attackiert.

Vom Post Punk kommt im Gegensatz zu den langen und weich-wogenden Stücken der Krautrocker und dem Groove des Disco ein kantigerer, metallischerer Sound, der an Geräusche der Industrie erinnert: Die britischen Konzeptkünstler Throbbing Gristle, die Erfinder des Genres Industrial, stehen dafür Pate, oder auch das deutsche Duo Deutsch Amerikanische Freundschaft, das nachträglich als Begründer des europäischen Prä-Techno – Electronic Body Music (EBM) – gilt. Die mehr am Pop orientierten Bands der 1980er Jahre – von The Human League über Yello zu Depeche Mode – sind ebenfalls prägend für die ersten Technoproduzenten. Doch über all dem thronen Kraftwerk, die ab Mitte der 1970er Jahre die Urväter der elektronischen Popmusik sind und bereits Anfang der 1980er Jahre von Schwarzen in New York mit Hip Hop zu Electro gekreuzt werden. Beides – Hip Hop wie Electro – beruht allerdings auf einem sogenannten Break Beat – einem gebrochenen Rhythmus – mit Betonung auf dem zweiten und dem vierten Schlag, während House- und Technohouse, wie der Techno wegen seiner Nähe zum House in seinen Anfangstagen mitunter genannt wird, einen 4/4-Takt mit gleichmäßiger Betonung haben.

House und Techno in den 1980er Jahren

Die Entwicklung von Housemusic fußt sehr auf afroamerikanischer Musik – von Soul und Funk zu Disco, aber auch auf sehr weißer, europäisch geprägter Musik wie Neue Musik, Krautrock, Post Punk sowie als Bindeglied High NRG und Euro Disco. Entstanden ist House Mitte der 1980er Jahre vor allem in Chicago durch Musiker wie Jesse Saunders, Farley Jackmaster Funk oder JM Silk, die Disco und High NRG entschlacken. Produziert wird vor allem mit den neuen Geräten der Firma Roland, vor allem der Drummachines Roland TR-808 (ab 1980 auf dem Markt) und TR-909 (ab 1983) und des Bass-Synthesizers Roland TB-303, die es nun auch ermöglichen, ohne Band und Studio und vor allem den damit einhergehenden Kosten in der eigenen Wohnung Musik zu produzieren – mit Kick Drum, Bassline, Snare, High Hat, Clap und wenigen Melodiepartikeln oder flächigen Sounds. Housemusic wirkt wie die niedrigschwellige, demokratisierte Auferstehung der einige Jahre zuvor beendeten, noch durch (Studio-)Bands geprägten Disco-Ära und beginnt als ebenso schwarze und schwule Subkultur. Zunächst mit Gesang, setzt sich bald eine sehr minimalistische Version des House durch, in der Vocals meist nur noch als musikalisch eingesetzte kurze Phrase auftauchen. Auf dieser minimalistischen Variante fußt die Spielart Acid House, die auch dem Techno sehr nahe steht.

The Belleville Three: Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May, die Pioniere des Techno, 2017 zum ersten mal gemeinsam auf der Bühne. (© picture-alliance/AP)

Fast zeitgleich kreuzen in dem vor allem von Weißen bewohnten Detroiter Vorort Belleville die schwarzen Highschool-Schüler Juan Atkins, Derrick May, and Kevin Saunderson diese Entwicklungslinie mit ihrem Interesse an europäischer Elektronik mit einem deutlich kühleren Ergebnis. Hier sind eher Kraftwerk und New Wave die Paten. Zunächst auch als Housemusic, wenn auch aus einer anderen Szene und mit anderen musikalischen Akzenten wahrgenommen, kommt 1988 mit der britischen Compilation „Techno! - The new Dance Sound from Detroit“ (ursprünglich „The New House Sound of Detroit“ betitelt, aber wegen der musikalischen Unterschiede und Juan Atkins‘ Track „Techno Music“ umbenannt: https://daily.redbullmusicacademy.com/2017/07/neil-rushton-interview) das neue Etikett „Techno“ zum Zuge.

Aciiiiiied und der „Second Summer of Love“ - Techno kommt nach Europa

1987 kommt House in England an und wird dort zunächst noch klein in Teilen der schwarzen Community gefeiert. Kurz darauf kommt auch Acid House in England an. Durch dessen massiven Erfolg wird House auch bei weißen Kids von der Arbeiterklasse bis zur gehobenen Mittelschicht sehr populär und mündet schließlich nicht nur in einer Omnipräsenz des gelben Smileys (erstmals im Londoner Club Shoom gesichtet) und anderer modischer Erscheinungen der so genannten Raver, sondern auch in die Rave genannten, sehr großen illegalen Partys in alten Industriehallen oder auf freier Wiese auf dem Land. Auf illegalen Raves kann man anders als in den offiziellen Clubs, wo die britische Sperrstunde den Abend um zwei Uhr morgens beendet, bis in den Morgen feiern, oft unter Einnahme der sich schnell verbreitenden Droge Ecstasy. Acid House und die damit einhergehenden Raves entwickeln sich in England mit rasender Geschwindigkeit zu einer fast omnipräsenten Jugendbewegung, wie man sie seit Punk nicht mehr erlebt hat. Die Hochzeit der Jahre 1988 und 1989 wird in Anlehnung an die Verbindung von Musik, Drogen, der Mode und friedlichen Massenevents in den späten 1960er Jahren „Second Summer of Love“ genannt und auch von den Mainstream-Medien intensiv begleitet. Der Tonfall der Berichterstattung reicht von Faszination bis Schrecken und Verteufelung. Als in Castlemorton Common in Worcestershire 1992 der bis dato größte illegale Rave der britischen Geschichte mit ca. 20.000 Teilnehmer*innen stattfindet, hat das in der Öffentlichkeit stark diskutierte rechtliche Konsequenzen: 1994 wird der Criminal Justice and Public Order Act erlassen, der das Zusammentreffen von mehr als 20 Personen bei lauter, verstärkter, repetitiver Musik verbietet und der Polizei weitreichende Möglichkeiten gewährt, gegen solche unangemeldeten ‚Versammlungen‘ („Unlicensed Music Events“) vorzugehen.

Während in Großbritannien, mit einem großen schwarzen Bevölkerungsanteil unter anderem aus der Karibik, also mit einer großen Affinität zu karibischer Musik wie dem Reggae – ab 1988 mit der Rave-Musik die Verbindung von House, Hip Hop, Techno und sogar Rock zu zahlreichen Stilen wie Drum ‘n‘ Bass, Jungle, 2 Step, Dubstep, Grime, Big Beat und Trip Hop – zunehmend auch von weißen Produzenten – führt, kommen in Deutschland vor allem die kühlen elektronischen Klänge der eigenen Musikgeschichte wieder zum Tragen.

Techno in Deutschland

Auch in Deutschland kommt Acid House 1988 an. Die enorme Popularität, die Techno im Deutschland der 1990er Jahre erlangt, hängt hierzulande vor allem mit zwei Eckdaten zusammen. In Berlin trifft Techno auf den Mauerfall und große leerstehende Gebäude im Ostteil der Stadt ohne geklärte Besitzverhältnisse. Techno entfaltet sich hier in einer Zeit des Umbruchs und großer Freiheiten. In der rauen Mauerstadt erkennt man schnell Parallelen zu Detroit mit seinen vielen Industrie-Ruinen und die Berlin-Detroit-Verbindung befruchtet sich über die folgenden Jahre musikalisch, auch wenn sich immer wieder die kulturellen Unterschiede zeigen. Nicht selten werden hier die musikalischen Helden, wenn sie nicht gerade hinter den Plattenspielern stehen, auf den Partys für Dealer gehalten, wie Juan Atkins erinnert. In der Techno-Hochburg Frankfurt hingegen trifft eine gut ausgebaute Diskothekenlandschaft auf eine gewachsene Szene elektronischer Tanzmusik. Hier (wie auch in Belgien oder den Niederlanden) spielen Industriesounds, wie man sie von der Electronic Body Music und dem New Beat kennt, bei der Weiterentwicklung von Techno eine große Rolle: Härter, schneller, lauter ist die Devise.

Zwei regelmäßige Veranstaltungen tragen in den 1990er Jahren Techno in Deutschland in den Mainstream und machen die Musik zu einem Massenphänomen, das mit seinen Anfängen in den 1980er Jahren in Chicago und Detroit nur noch wenig gemein hat. Schon im Jahr 1989 findet in Berlin der als Demo angemeldete sommerliche Umzug „Loveparade“ statt, der von Jahr zu Jahr schnell an Popularität zunimmt. Die „Mayday“ findet mit 5.000 Tanzwütigen zu Gunsten eines vor der Schließung bedrohten Radiosenders erstmals 1991 in Berlin statt. Dank des Erfolgs wird die Veranstaltung ab 1992 zweimal jährlich geplant – einmal in der Dortmunder Westfalenhalle mit 20.000 bis 30.000 Zuschauern, und einmal kleiner in Berlin (es gab auch jeweils ein Event in Köln und Frankfurt). Seit 1996 gibt es nur noch das jährliche Großevent in Dortmund. Da ist Techno längst auf breiter Ebene in allen Bevölkerungsschichten in Deutschland angekommen.

Die Geschichte der Loveparade

Am 1. Juli 1989 findet ein vom DJ Matthias Roeingh alias Dr. Motte und der Künstlerin Danielle de Picciotto unter dem vermeintlich politischen Leitspruch „Friede, Freude, Eierkuchen“ auf dem Ku‘Damm als Demonstration angemeldeter Umzug mit drei Autos mit Musikanlage sowie ca. 150 Tänzern statt. Die After-Hour Party findet im ersten Acid House-Club Berlins, dem UFO statt. Im Jahr 1990 sind es 2.000 Teilnehmer*innen. Dank der gefallenen Mauer zwischen West- und Ost-Berlin kommt schon beim zweiten Umzug die Jugend aus dem Ostteil der Stadt in Scharen. 1991 sind es schon 6.000 Teilnehmer*innen und erstmals hat die Veranstaltung mit Wagen aus Frankfurt und Köln eine überregionale Anziehungskraft, die die unterschiedlichen Techno-Szenen in Deutschland miteinander vernetzt. 15 Musikwagen nehmen an dem Umzug teil. Doch schon hier setzt innerhalb der Szene eine kritische Auseinandersetzung wegen der aufkommenden Kommerzialisierung der „Loveparade“ ein.

Vom Underground-Gag zur Großveranstaltung

1992 kommen 15.000 Besucher*innen (erste Nennung in der Tagesschau ), 1993 sind 30.000 inzwischen auch aus dem Ausland angereiste Besucher*innen dort, 1994 schon 120.000 Teilnehmer*innen und 40 Wagen mit Musikanlagen, darunter ein alter Sowjetpanzer. 1995 kommen nach der Gründung der Love Parade GmbH und Auseinandersetzungen mit der Stadt Berlin um den Status als Demonstration und das Thema der Müllentsorgung 300.000 Partygäste. Erstmals wird die Loveparade live im Fernsehen übertragen.

Die Loveparade im Jahr 1996, im Hintergrund die Berliner Siegessäule (© picture-alliance)

1996 kommen, nachdem die Konflikte der vergangenen Jahre am Ku‘Damm zu einem Umzug in Richtung der Achse Brandenburger Tor, Tiergarten und Siegessäule geführt hatte, 750.000 Menschen. Erstmals nehmen Veranstalter jenseits der Techno- und Musikszene mit eigenen Wagen teil, an der Siegessäule kommt es nun regelmäßig zu einer Abschlusskundgebung. Auch nach dem Umzug gibt es Kritik, wegen der Überlastung des Tiergartens, unter anderem aus Richtung der Naturschützer. 1997 wird erstmals die Grenze von einer Million Menschen geknackt. Derweil eskaliert der Szene-interne Streit um die Kommerzialisierung der Loveparade. Nicht nur kommen immer mehr Touristen und Schaulustige, die die Technokultur eigentlich gar nicht kennen, zu dem Umzug. Auch die Wagen selber haben zunehmend keinen Rückhalt in der Szene, sind teilweise vor allem Werbeflächen, bestückt mit professionellen Go Go-Tänzer*innen. Der Streit mündet in der Abspaltung der Hardcore-Szene, die die wesentlich kleinere Hateparade (ab 1998 Fuckparade) ins Leben ruft, die keine Sponsoren zulässt. 1998 kommen 1,1 Millionen tanzfreudige Teilnehmer*innen und 1999 erreicht die Loveparade mit 1,5 Millionen Besucher*innen ihren vorläufigen Höhepunkt. Erstmals ist nach einem Streit ein Toter bei den bis dahin relativ friedlich verlaufenden Veranstaltungen zu beklagen. Bis 2003 sinkt die Zahl der Teilnehmer*innen dann wieder auf 500.000. Eine häufig geforderte weitere Verlegung der Loveparade an andere Orte in Berlin lehnen die Veranstalter aus Sicherheitsgründen stets ab. In den Jahren 2004 und 2005 findet keine Loveparade statt. Die anhaltenden Konflikte mit Bürgerbewegungen und Umweltschützern sowie die Aberkennung des Status als Demonstration führen zu erheblichen finanziellen Problemen, denn nun muss die Love Parade GmbH für die Müllentsorgung aufkommen. Doch nicht nur die Loveparade, sondern die ganze Szene hat auf Grund der Digitalisierung, die Musiker*innen, Plattenfirmen und Plattenläden trifft – mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Trotz eines Rettungsversuchs mittels einer Demonstration für den Erhalt der Loveparade muss der Veranstalter im Herbst 2005 Insolvenz anmelden.

Neuer Veranstalter – Umzug ins Ruhrgebiet

Schon im Jahr 2006 kann die Technoparade ihr Comeback feiern: Mit dem Fitness-Unternehmen McFit als Hauptsponsor öffnet sich die Loveparade, die zwei Jahre zuvor noch den Werbeanteil runterfahren wollte, neuen Sponsoren und auch anderen Spielarten elektronischer Musik. Der Loveparade-Gründer Dr. Motte zieht sich daraufhin von der Veranstaltung zurück und hält stattdessen auf der Fuckparade eine Abschlussrede. Im Jahr 2007 zieht die Loveparade wegen nicht rechtzeitiger Zusage aus der Politik erstmals von Berlin ins Ruhrgebiet. Als Austragungsorte sind bis 2011 Essen, Dortmund, Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen geplant. Essen macht 2007 den Anfang (laut Veranstalter 1,2 Millionen, vermutlich aber nur 400.000), Dortmund folgt 2008 (laut Veranstalter 1,6 Millionen, geschätzt: 500.000 Zuschauer). Im Jahr 2009 wird die in Bochum geplante Loveparade wegen massiver Sicherheitsbedenken durch u.a. den Polizeipräsident Thomas Wenner abgesagt. Wenner wird nach der Veröffentlichung seines Externer Link: Offenen Briefs „Es reicht ...“ gegen seinen Willen vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Am 24.7.2010 findet die Loveparade auf dem ehemaligen Gelände des Duisburger Güterbahnhofs mit ca. 285.000 Teilnehmer*innen statt (im Vorfeld war von 1,4 Millionen die Rede). Erstmals bei einer Loveparade gibt es nur einen einzigen Zugang zu der Parade. Um 17 Uhr nimmt dort das Gedränge immer mehr zu und führt schließlich zu einer Massenpanik, die 21 Todesopfer und über 600 Verletzte fordert. In der Folge zieht sich der Veranstalter Lovapent von McFit-Geschäftsführer Rainer Schaller aus der Loveparade zurück. Nachdem am Tag darauf wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft erhebt im Jahr 2014 Anklage gegen 10 Personen. Der Prozess beginnt nach mehreren Verschiebungen im Jahr 2017 und endet Mitte 2020 ohne Urteil.

Seit 2006 versuchen in Berlin andere Veranstalter mit der B Parade erfolglos einen Ersatz für die Loveparade ins Leben zu rufen. Seit 2015 gibt es in Berlin mit „Zug der Liebe“ wieder eine Technoparade, die als Demonstration explizit politische Ziele thematisiert, ohne Sponsoren rein privat finanziert ist und als e.V. ehrenamtlich organisiert ist. Wegen der Covid-19 Pandemie findet der Zug der Liebe im Jahr 2019 letztmals statt. Für 2021 kündigt Dr. Motte eine neue Technoparade in Berlin an, die aufgrund der Pandemie ausfallen muss. Am 9. Juli 2022 findet nach 19 Jahren unter dem Titel „Rave the Planet“ und dem Motto „Together again“ wieder eine Technoparade unter Leitung des Loveparade-Gründers Dr. Motte statt.

InfoboxLoveparade in Zahlen

Gründer: Matthias Roeingh (Dr. Motte) und Danielle de Picciotto

1. Loveparade auf dem Berliner Ku‘damm am 1. Juli 1989, ca. 150 Teilnehmer*innen

1994 erstmals über 100.000 Teilnehmer*innen

1996 Verlegung vom Ku‘Damm an den Tiergarten

1997 erstmals über 1 Mio. Teilnehmer*innen

1999 mit 1,5 Mio. Teilnehmer*innen größtes Publikum

2004 und 2005 Ausfall aus finanziellen Gründen

ab 2006 mit McFit als neuem Veranstalter

2007 erstmals nicht in Berlin, sondern im Ruhrgebiet ausgetragen

2009 Absage wegen Sicherheitsbedenken

2010 Unglück in Duisburg mit 21 Toten und mehr als 600 verletzen

2022 erste Technoparade seit 2003 von Gründer Dr. Motte

Quellen / Literatur

Bill Brewster: Interview mit Neil Rushton (2000) (https://daily.redbullmusicacademy.com/2017/07/neil-rushton-interview)

David Buckley: „Kraftwerk – Die unautorisierte Biografie“, Metrolit (2013)

Christoph Dallach: „Future Sounds – Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten“, Suhrkamp (2021)

Gabi Delgado, Robert Görl, Miriam Spies, Rudi Esch: „Das ist DAF – Deutsch Amerikanische Freundschaft. Die autorisierte Biografie“, Schwarzkopf & Schwarzkopf (2017)

Felix Denk / Sven von Thülen: „Der Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende“, Suhrkamp (2012)

Laurent Garnier / David Brun-Lambert: „Elektroschock – Die Geschichte der elektronischen Tanzmusik“, hannibal (2005)

Erik Meyer, Thomas Ramge: „Welcome to the Machine – Acid, House und Techno, in: P. Kemper, Th. Langhoff, U. Sonnenschein (Hg.): „Alles so schön bunt hier. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute“, Reclam Leipzig (1999) Rüdiger Esch: „Electri_City – Elektronische Musik aus Düsseldorf“, Suhrkamp (2014)

Tobi Müller: „Grossvater, erzähl mir vom Techno“, SRF, 2018 (https://www.srf.ch/kultur/musik/wochenende-musik/30-jahre-techno-grossvater-erzaehl-mir-vom-techno)

Hans Nieswandt: „plus minus acht – DJ Tage, DJ Nächte“, Kiepenheuer & Witsch (2002) Hans Nieswandt: „Studio 54 – Von Disco zu Disco“, Rolling Stone (2017) (https://www.rollingstone.de/rolling-stone-reportage-von-disco-zu-disco-1285367/)

Simon Reynolds: Energy Flash – A journey through Rave Music and Dance Culture“, Faber & Faber (1998)

Jürgen Teipel: „Mehr als laut – DJs erzählen“, Suhrkamp (2013)

Fussnoten

Weitere Inhalte

lebt und arbeitet als freier Journalist in Köln und publiziert vor allem zu popkulturellen Themen (Schwerpunkt Film, aber auch Musik- und Comic-Themen) in diversen Magazinen (u.a. Filmdienst, Zeit-Online, choices, Strapazin). Daneben Moderation von Publikumsgesprächen und Erwachsenenbildung (Friedrich-Ebert-Stiftung).