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Panel II: "Aus der Wirtschaftskrise in die politische Krise?" | Europa auf der Kippe? | bpb.de

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Panel II: "Aus der Wirtschaftskrise in die politische Krise?"

Stephan Bundschuh

/ 3 Minuten zu lesen

Referentinnen:

Italien: Caterina Froio, European University Institute Florence Griechenland: Prof. Dr Vassiliki Georgiadou, Panteion University Athens

Moderator:

Prof. Dr. Stephan Bundschuh, Hochschule Koblenz

Panel II (© bpb)

In diesem zweistündigen englischsprachigen Panel standen zwei Mittelmeerländer mit zwei extrem rechten Organisationen im Zentrum der Betrachtung: Griechenland mit der im Parlament vertretenen neonazistischen Partei "Chrysi Avgi" ("Goldene Morgenröte") und Italien mit der eher einer sozialen Bewegung entsprechenden Organisation CasaPound.

Nach einer kurzen Einführung in Thema und Struktur des Panels durch den Moderator Prof. Dr. Stephan Bundschuh von der Hochschule Koblenz gab Prof. Dr. Vassiliki Georgiadou von der Panteion-Universität Athen einen Einblick in die politischen und sozialen Einstellungen der griechischen Bevölkerung in der Wirtschaftskrise und die Bedeutungszunahme der Partei "Goldene Morgenröte". Unter dem Vortragstitel: "Ökonomische Krise, soziale und politische Auswirkungen: der Fall Griechenland" stellte Georgiadou die völlige Desillusionierung der griechischen Bevölkerung gegenüber den eigenen und den europäischen Institutionen heraus. Die Wahlen im Jahr 2012 erschütterten das etablierte politische Parteiensystem und führten zur Etablierung der aggressiv rechtsnationalistischen Partei "Goldene Morgenröte" im griechischen Parlament. Diese Partei verzeichnet insbesondere junge männliche Wähler, darunter Arbeitslose und Studenten. Gründe für deren Wahlverhalten sind der Wunsch nach einer strikten Opposition im Parlament, die Abstrafung der etablierten Parteien, der Protest gegen das Memorandum und gegen den Euro. Ein ausgeprägter Protest gegen das etablierte soziale und politische "System" prägt die Wähler dieser Partei. Die Partei selbst wählte eine erfolgreiche Strategie der regionalen Verankerung, indem sie ihre Parteiarbeit auf wichtige lokale Zentren konzentriert und insbesondere in Athen Präsenz zeigt. Die wiederholte Verstrickung von Aktivisten der "Goldenen Morgenröte" in Gewaltakte und deren gerichtliche Ahndung führen jedoch tendenziell zu einer Abnahme der Unterstützung dieser Partei in der Bevölkerung. So kommt Georgiadou zum Schluss, dass die Unterstützung der "Goldenen Morgenröte" gegenwärtig eher ein Protestzeichen gegen das Establishment denn als positive Unterstützung für die explizit neonazistische und rassistische Politik der "Goldenen Morgenröte" sei. Im Anschluss an den Vortrag konnten einige Verständnisfragen gestellt werden.

Im zweiten Teil widmete sich das Panel Italien. Caterina Froio vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz referierte zur Frage: "Wie beeinflusst die ökonomische Krise den extrem rechten Diskurs sowie extrem rechte Praktiken in Italien?" Im Zentrum der Analyse standen Ergebnisse der ethnographischen Feldforschung Froios über die extrem rechte Organisation CasaPound. Froio hatte sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Forschung einige Zeit in den sozialen Bezügen von CasaPound bewegt. Sie stellte heraus, dass es sich bei CasaPound um eine streng hierarchisch organisierte Bewegung handelt, die sich der klassischen rechts-links-Polarisierung zu entziehen versucht, indem sie entschieden soziale Themen – wie das Recht auf mietfreien Wohnraum – aufgreift, sich auf die Kritik am "Wucher" des zur künstlerischen Avantgarde zählenden Mussolini-Anhängers Ezra Pound beruft und in ihren Aktionsformen an linken Bewegungsstrategien – beispielsweise Hausbesetzungen – orientiert. Es handelt sich um eine Art Lifestyle-Organisation, die durch Musikevents, zahlreiche Sportangebote und die Verbindung von sozialen und politischen Lebensformen insbesondere junge Menschen anzieht, die ökonomisch und politisch desillusioniert nach gleichgesinnter "Gemeinschaft" suchen. Ein wichtiges Bindeglied ist die ausgeprägte Militanz der Organisation. Froio wies darauf hin, dass CasaPound ideologisch u.a. an den Ethnopluralismus der Nouvelle Droite anschließt und sich um einen Schulterschluss mit anderen extrem rechten Parteien und Organisationen in Europa bemüht.

In der abschließenden Diskussion ging es bezüglich Griechenland u.a. um die Frage nach Verbindungen zwischen Armee, Polizei und der Partei "Goldene Morgenröte", bezüglich Italien u. a. um die Finanzierung von CasaPound und darum, inwiefern eine Organisation wie CasaPound – die sich selbst als "die Faschisten des 3. Jahrtausends" bezeichnet – tatsächlich ein neues Parteiprinzip verkörpert. Nach angeregten zwei Stunden wurden die Teilnehmenden des Panels in den Kölner Abend entlassen.

Fussnoten

Prof. Dr. Stephan Bundschuh (*1962), Professor für Kinder- und Jugendhilfe an der Hochschule Koblenz. Studium der Philosophie, Soziologie und Geschichte in Stuttgart und Frankfurt/Main, anschließend sozialphilosophische Promotion. Bundschuh war außerdem langjähriger Geschäftsführer des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Düsseldorf. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, Sozialraumorientierung, Autoritarismus und Interkulturalität.