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Gefühle im Klassenzimmer | 14. Bundeskongress politische Bildung 2019 | bpb.de

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Gefühle im Klassenzimmer

/ 4 Minuten zu lesen

Drei ExpertInnen diskutieren in Sektion 10: „Cool bleiben und Grenzen ziehen? Wie reagiert politische Bildung auf emotionalisierte Verhältnisse“ den richtigen Umgang mit Gefühlen im Klassenzimmer.

Vor zwei Jahren hält der Extremismusexperte Thomas Rammerstorfer an einer Schule in Österreich einen Vortrag. Er soll mit den SchülerInnen über Rechtsextremismus in Österreich allgemein und in jener Region im Spezifischen sprechen. Plötzlich kommt der Direktor in die Klasse und bricht das Referat ab. Es stellt sich heraus, dass einer der Schüler, Sohn eines Mitglieds der Freiheitlichen Partei Österreichs, seinen Vater per Nachricht verständigt hatte. Dieser hat in der Schule angerufen, woraufhin der Direktor den Vortrag abbrechen muss. „Nach zwei Jahren wurde der Vortrag für einwandfrei eingestuft. Der Experte hat seither keinen einzigen Auftrag einer Schule mehr bekommen.“

Mit dieser Schilderung eröffnet Ingrid Brodnig, Journalistin und an diesem Tag Moderatorin auf dem Bundeskongress Politische Bildung, das Gespräch. Es soll um emotionalisierte Verhältnisse im Klassenzimmer gehen: Wie schafft man Neutralität in einer Klasse? Wo fängt Meinungsfreiheit an und wo sind ihre Grenzen? Und kann, ja sollte Emotion überhaupt von Meinung getrennt werden?

„Nein“, findet Prof. Dr. Anja Besand von der Technischen Universität Dresden, „weil Politik und das Nachdenken über Politik und Gesellschaft nie frei von Emotionen sind.“ Zudem seien auch immer beide Seiten, sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen, von Emotionen beeinflusst: „Cool bleiben können wir nie richtig.“

Professionalität und Dialog

Oft stehe im Mittelpunkt der Lehrtätigkeit die Vorbereitung auf Prüfungen, befindet Prof. Dr. Rico Behrens von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Damit würden Lehrkräfte aber Auseinandersetzungen „meiden, ignorieren oder zu Gunsten eines geregelten Unterrichtsgangs entpolitisieren.“ Dabei bräuchten LehrerInnen gerade bei diesen Herausforderungen die richtige Professionalität, so Behrens. In einer Seitenbemerkung kritisiert er die Ausladung des Zentrums für politische Schönheit, die zuvor zu Debatten geführt hat: „Wenn ein Künstlerkollektiv eingeladen wird, welches zwar strittig ist, was aber seine Methoden vielleicht zur Diskussion stellt, und es wird vom Innenministerium wieder ausgeladen, dann ist es auch so ein Zusammenhang, der uns nicht hilft“

Laut Prof. Dr. Ingo Juchler von der Universität Potsdam könne die Auseinandersetzung nur im Dialog erfolgen. Der Schlüssel liege im Zuhören – „auch wenn die politischen Ansichten Anderer und die Art und Weise, wie sie diese artikulieren, als abstoßend empfunden werden.“ Jene Dialogfähigkeit könne in schulischen und außerschulischen Situationen geübt werden – zum Beispiel im Theater.

Wo liegt die Grenze?

Juchler zeigt auch Aufnahmen von hitzigen Reden im Bundestag. Dies leitet sogleich die Diskussion ein und wirft die Frage auf, ob solch konkrete, heftige Beispiele einer Schulklasse gezeigt werden sollten. „Diese Entscheidung fällt individuell anders aus“, meint Besand. Sie zeigt aber auf, dass Emotionen von PolitikerInnen an sich nicht das Problem seien – „oft ist es eher das Fehlen von Emotionen, wie man an der Rationalität sieht, mit der damals der Holocaust durchgeführt wurde.“ Allgemein sollten mehrere Faktoren bestimmen, was gezeigt werden darf. Sind Betroffene im Raum? Verstößt es gegen die Funktion von LehrerInnen als staatliche AkteurInnen und als Vorbilder? Es sei außerdem zu beachten, dass es im Klassenzimmer keine einmalige, sondern eine permanente Auseinandersetzung gibt. „Je stabiler die Beziehung ist, desto mehr Risiken gibt es im Dialog.“ Behrens fügt hinzu, dass man die Themen zwar behandeln sollte, aber auch schnell an Grenzen stößt: „Dann ist es wichtig, den Unterschied zwischen Grenzen und Belehrung sprachlich deutlich zu machen.“

Aber wie umgehen mit SchülerInnen, die für ein sachliches Gespräch zu emotionalisiert sind oder gar schon aggressives Verhalten zeigen? „Eine Auseinandersetzung ist keine Einbahnstraße zwischen Lehrperson und SchülerIn, die ganze Klasse sollte einbezogen werden“, betont Juchler. Besand hält dagegen: „Kein Schüler sollte aufgrund seiner politischen Meinung ausgeschlossen werden, aber zum Affen machen lassen sollte man sich auch nicht.“

Mitbestimmung und Engagement

Brodnig lenkt das Gespräch besonders auf didaktische Fragen. Zuletzt fragt sie nach konkreten Tipps für den richtigen Umgang im Klassenzimmer. Behrens plädiert für mehr Mitbestimmung. Ob bei der Frage, welche Farbe die Parkbank haben soll, bis hin zur Entscheidung für Lernmethoden und Unterrichtszeiten – „nur so kann Demokratie erlernt werden.“ Auch Juchler unterstützt „ungefilterte, authentische Erfahrungen an Orten im realen politischen Leben.“ Die SchülerInnen danach zu fragen, was ihnen Angst oder Hoffnung macht, schlägt Besand vor. Zentral sei auch die Beschäftigung mit der Frage, wie wir zukünftig leben wollen. An dieser Stelle lobt die Referierende die „Fridays For Future“-Initiative: „Sie machen es uns ja schon längst vor.“ Abschließend fügt Brodnig hinzu: „Vielleicht können Kinder und Jugendliche mit Kleinpolitischem wenig anfangen, aber die Sinnfragen sind bei ihnen riesig vorhanden.“

Fussnoten