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"Erinnern heißt verändern!" | bpb.de

"Erinnern heißt verändern!" Interview mit dem Bündnis "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992"

/ 3 Minuten zu lesen

Demo unter dem Motto "Erinnern heißt verändern", die am 27. August 2020 anlässlich der 30sten Jahrestage des Pogroms die Forderungen des Bündnisses auf die Straße getragen hat (© Bündnis Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992)

Das Projekt "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992" des gleichnamigen Bündnisses ist Hauptpreisträger im Aktiv-Wettbewerb 2022. Im Interview erzählen die Engagierten hinter dem Bündnis von ihren vielfältigen Aktivitäten, wie es zu ihrer Gründung kam und was es bedeutet, sich für eine verantwortungsvolle Gedenk- und Erinnerungskultur einzusetzen.

Warum hat sich das Bündnis gegründet?

Das Externer Link: Bündnis "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992" hat sich im November 2021 aus Rostocker Gruppen, Vereinen und Initiativen gegründet, um gemeinsam das Gedenken an das Pogrom zu gestalten und sich auf die bundesweite Aufmerksamkeit zu den 30. Jahrestagen im August 2022 vorzubereiten.

Was braucht es für eine verantwortungsvolle Gedenk- und Erinnerungskultur?

In Bezug auf das Pogrom in Lichtenhagen haben wir dazu in unserem Externer Link: Positionspapier fünf Eckpunkte formuliert. Uns ist beispielsweise wichtig, den Betroffenen der Gewalt mit dem Gedenken eine Plattform zu bieten. In Rostock bedeutet das konkret, sowohl die Perspektiven der rumänischen Rom:nja und vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen, die 1992 im Sonnenblumenhaus angegriffen wurden als auch derjeniegen, die heute von (gadjé-) rassistischer Gewalt betroffen sind, in den Mittelpunkt zu rücken.

Welche Aktivitäten haben Sie anlässlich des Gedenkjahres durchgeführt?

Der Künstler Dan Thy Nguyen kritisiert eine "Eventisierung" des Gedenkens, also das extreme Interesse zu den runden Jahrestagen und das weitestgehende Schweigen abseits davon. Der Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha sprach zu den 20. Jahrestagen von einer "Pflichtübung", die das Gedenken für Rostock darstelle. Aus einem kritischen Rückblick auf das Gedenken der letzten Jahre haben wir uns entschlossen, zwischen Februar 2022 und November 2022 ein Gedenkjahr in Rostock und Mecklenburg-Vorpommern zu gestalten. Dafür haben wir Vorträge, Kinofilme und (Gedenk-)Kundgebungen organisiert. Highlights waren zweifelsohne die bundesweite Demonstration "Erinnern heißt verändern" mit 5000 Teilnehmenden in Rostock-Lichtenhagen sowie die Bustour vom Rostocker Rathaus zum Innenministerium nach Schwerin und zur zentralen Erstaufnahmestelle für Geflüchtete (ZaSt) in Mecklenburg-Vorpommern nach Nosdorf-Horst. Wir hatten uns dort mit der staatlichen Abschiebepraxis beschäftigt, mit der Betroffene des Pogroms konfrontiert waren. Die politische Reaktion auf das Pogrom war schließlich die Verschärfung der Asylgesetzgebung im sog. "Asylkompromiss". Die meisten rumänischen Geflüchteten aus dem Sonnenblumenhaus wurden in den Folgemonaten nach Rumänien abgeschoben und auch die vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen waren noch bis 1997 massiv von Abschiebungen bedroht. Die Vietnames:innen konnten durch Selbstorganisation und gute Verbindungen in die Zivilgesellschaft eine nachhaltige Bleiberechtsregelung erkämpfen. Diese Erkenntnis ist für uns auch heute beispielhaft in Bezug dafür, was es heißt, einer rassistischen Abschiebepolitik entgegenzutreten: Migrantische Selbstorganisation und zivilgesellschaftliche Solidarität stärken!

Gibt es etwas, dass Sie anderen zivilgesellschaftlich Engagierten mit auf den Weg geben möchten?

Rassistische und rechte Gewalt sind leider keine Themen der Vergangenheit. Auch wenn die Konfrontation damit beängstigend ist und das gesellschaftliche Versagen im Umgang mit solchen Taten oft erschreckend - schließt euch zusammen, schaut hin, ermutigt euch und andere und passt gut aufeinander auf! Damit sich in unserer Gesellschaft der Vielen endlich alle gleichermaßen frei und sicher entfalten können, müssen wir dafür sorgen, dass den Worten der Betroffenheit aktives Handeln folgt. Vernetzen wir uns mit denjenigen, die betroffen sind und schaffen wir Sichtbarkeit und Unterstützung für Perspektiven, Kämpfe und Forderungen, die viel zu oft unsichtbar gemacht werden. Erinnern heißt verändern!

Ein Kurzporträt zum Projekt "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992" und die weiteren Preisträgerprojekte aus Mecklenburg-Vorpommern 2022 finden sich Interner Link: hier.

Fussnoten