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Altersbilder im Wandel

Susanne Wurm Frank Berner Clemens Tesch-Römer

/ 14 Minuten zu lesen

Jede und jeder von uns hat bestimmte Vorstellungen vom Älterwerden und Altsein. Machen wir ein Gedankenexperiment und fragen uns: "Was sind typische Merkmale alter Menschen? Welche Veränderungen bringt das Älterwerden mit sich?" Es gibt viele verschiedene Antworten auf diese Fragen, aber auch eine Reihe von Antworten, die von vielen Menschen geteilt werden: Häufig wird etwa das Älterwerden mit der Zunahme von körperlichen Einbußen, Vergesslichkeit und sozialen Verlusten verbunden. Verbreitet ist es aber auch, alten Menschen das Attribut der Weisheit zuzuschreiben. Hier sind Altersbilder am Werk, also individuelle und gesellschaftliche Vorstellungen vom Alter (Zustand des Altseins), vom Altern (Prozess des Älterwerdens) und von älteren Menschen (soziale Gruppe älterer Personen). In unserer pluralisierten und differenzierten Gesellschaft hat man es nicht nur mit einem einzigen Altersbild, sondern immer mit einer Vielzahl von Altersbildern zu tun. Altersbilder unterscheiden sich nach Lebensbereichen. Sie betonen unterschiedliche Aspekte beziehungsweise Eigenschaften des Altseins, des Älterwerdens oder älterer Menschen als Gruppe und sind mal eher positiv, mal eher negativ – je nach Kontext, in dem sie stehen. Es ist sinnvoll, zwischen kollektiven und individuellen Altersbildern zu unterscheiden.

Altersbilder als kollektive Deutungsmuster.

Hiermit sind vor allem Altersbilder im öffentlichen Diskurs angesprochen, beispielsweise die Deutung des Alters entweder als Rückzug und Verfall oder aber als aktives Alter. Zu den kollektiven Deutungsmustern gehören aber auch organisationale Altersbilder, wie sie zum Beispiel in Wirtschaftsunternehmen oder in der christlichen Kirche herrschen und sich in der betrieblichen Personalpolitik beziehungsweise in der kirchlichen Altenarbeit niederschlagen. Im Hinblick auf gesellschaftliche Altersbilder wird oftmals auch von Altersstereotypen gesprochen. Stereotype sind kollektiver Natur und umfassen konsensuell geteilte Bilder.

Altersbilder als individuelle Vorstellungen und Überzeugungen.

Sie entstehen vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund und beruhen zugleich auf persönlichen Erfahrungen. Individuelle Vorstellungen vom Älterwerden und Altsein können ebenso wie gesellschaftliche Altersbilder sowohl positiv als auch negativ sein.

Altersbilder haben für die Lebenssituation älter werdender Menschen und die Stellung der älteren Menschen in der Gesellschaft eine große Bedeutung. So können sich negative Einstellungen und Stereotype in diskriminierenden Einstellungen und Verhalten gegenüber älteren Personen manifestieren, zum Beispiel gegenüber älteren Erwerbstätigen, älteren Patienten in der medizinischen Versorgung oder in der pflegerischen Versorgung. Doch nicht nur die Altersdiskriminierung durch jüngere Menschen kann das Älterwerden erschweren. Auch ältere Menschen haben Altersstereotype und beziehen diese nicht nur auf andere, sondern auch auf sich selbst, was auch als Alters-Selbststereotypisierung bezeichnet wird. Diese sind also mitbestimmend dafür, welche Rollen und Handlungsmöglichkeiten älteren Menschen offen stehen und was ältere Menschen sich selbst wünschen und zutrauen.

Als im Jahr 1889 der Vorläufer der heutigen gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt wurde, ging man davon aus, dass die Menschen solange einer Erwerbsarbeit nachgehen, bis sie aufgrund des Alters oder Invalidität arbeitsunfähig sind. Erst dann bekamen sie Leistungen aus der neuen Sozialversicherung, die deswegen auch Alters- und Invaliditätsversicherung hieß. Hohes Alter galt dabei gewissermaßen als eine Spezialform der Invalidität. Das Renteneintrittsalter war auf 70 Jahre festgelegt. Dieses Alter erreichte damals allerdings nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung, und wer es erreichte, war in der Regel invalide. Zu unserem heutigen, eher positiven Verständnis von Ruhestand kam es erst durch das Zusammenspiel von zwei Entwicklungen: den deutlichen Anstieg der Lebenserwartung und die Ausweitung und den Ausbau der Rentenversicherung, sodass für viele Menschen das Renteneinkommen eine gute materielle Absicherung darstellte.

Die Lebenserwartung hat sich innerhalb von etwa einem Jahrhundert um rund 30 Jahre erhöht: 1900 lag die Lebenserwartung von neugeborenen Mädchen bei 52,5 Jahren, jene von Jungen bei 46,4 Jahren; bis 2010 ist die Lebenserwartung auf 82,7 Jahre (Frauen) beziehungsweise 77,7 Jahre (Männer) angestiegen. Bevölkerungsvorausberechnungen gehen davon aus, dass die Lebenserwartung in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen wird. Was die materielle Absicherung anbelangt, so war bis nach dem Zweiten Weltkrieg für viele Menschen der Lebensabschnitt "Alter" gleichbedeutend mit "Armut". Die Leistungen der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung (so hieß sie inzwischen) waren lediglich ein kleiner Zuschuss. Mit der Rentenreform 1957 wurde die Rentenversicherung jedoch so um- und ausgebaut, dass die Rente nach einem langjährigen Erwerbsleben einen großen Teil des Erwerbseinkommens ersetzte. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und des relativ hohen Wohlstandsniveaus im Alter können inzwischen viele Menschen erwarten, nach dem Erreichen des siebten Lebensjahrzehnts und nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben noch viele Jahre leben zu können – aufgrund des medizinischen Fortschritts häufig bei relativ guter Gesundheit. Viele Menschen können diese Jahre und Jahrzehnte gemäß den eigenen Interessen gestalten. Die Altersphase wird nicht mehr wie früher als ein kurzer Lebensabend im Sinne eines "Ausklingen-Lassen" und "Warten auf den Tod" interpretiert, sondern ist ein eigenständiger Lebensabschnitt geworden, der durch die Übernahme sozialer Rollen mit Sinn gefüllt werden will und gefüllt werden muss.

Individuelle Altersbilder

Bevor Menschen Erfahrungen mit ihrem eigenen Älterwerden und Altsein machen, verinnerlichen sie bereits als Kinder die in einer Gesellschaft vorherrschenden Alter(n)sstereotype, beispielsweise durch Kinderbücher oder Werbung. Da diese Stereotype zunächst nicht die eigene Altersgruppe betreffen, werden sie unreflektiert angenommen und bilden später den Hintergrund, vor dem die eigenen Erfahrungen mit dem Älterwerden gemacht und interpretiert werden. Dies ist eine Besonderheit von Altersstereotypen, denn die meisten anderen Stereotype (etwa geschlechtsbezogene) beziehen sich auf Personengruppen, denen man in der Regel ein Leben lang (nicht) angehört. Altersstereotype hingegen beziehen sich auf eine Gruppe, der man zunächst nicht angehört, in die man aber unweigerlich hineinwächst, wenn man nur lange genug lebt. Ältere Menschen beziehen Altersstereotype deshalb nicht nur auf andere, sondern auch auf sich selbst. Dadurch kann sich nicht nur das diskriminierende Verhalten anderer auf Ältere auswirken, sondern ebenso das eigene Handeln und Denken. Umgekehrt kann die eigene Sichtweise auch Altersstereotype verändern.

Das Zusammenspiel von gesellschaftlichen und individuellen Altersbildern lässt sich anhand von folgendem Beispiel illustrieren: In den 1960er Jahren wurde mit der Disengagement-Theorie postuliert, Altern sei, vergleichbar mit biologischen Verlusten, in natürlicher Weise mit dem Rückzug aus sozialen Aktivitäten und Rollen verbunden und dies sei adaptiv für gutes Altern. Heutzutage werden hingegen vermehrt über die Potenziale des Alters gesprochen und die Bedeutung des aktiven Alterns hervorgehoben. Dies veranschaulicht, dass bei den gesellschaftlichen Altersbildern eine Gewichtsverschiebung stattgefunden hat. Zugleich erleben heute viele ältere Menschen, dass ihnen die nachberufliche Lebensphase in besonderer Weise die Möglichkeit bietet, persönliche Ziele und Interessen zu verfolgen ("späte Freiheit"). Gesellschaftliche und individuelle Altersbilder können sich also wechselseitig beeinflussen und wandeln.

Anhand von Daten des bundesweit repräsentativen Deutschen Alterssurveys (DEAS) lässt sich der Wandel individueller Altersbilder auch empirisch nachzeichnen – derzeit für die Jahre 1996, 2002 und 2008. Betrachtet wurde hierbei, ob sich seit 1996 zwei Sichtweisen auf das Älterwerden verändert haben: Untersucht wurde zum einen die Vorstellung, Älterwerden gehe mit körperlichen Verlusten einher. Zum anderen wurde ein positives Bild erfragt, und zwar ob das Älterwerden mit einer persönlichen Weiterentwicklung einhergehe. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass beide Altersbilder über die Jahre hinweg positiver geworden sind, insbesondere im Zeitraum zwischen 1996 und 2002. Der deutlichste Anstieg zeigte sich für die Altersgruppen rund um den Ruhestand (zwischen 58 und 69 Jahren). Zwischen den Jahren 2002 und 2008 stabilisierten sich die Altersbilder auf diesem positiveren Niveau. Die nächste repräsentative Befragung des DEAS wird im Jahr 2014 stattfinden.

Wie positive und negative individuelle Altersbilder in der Gesellschaft verteilt sind, hängt von sozio-ökonomischen Faktoren wie Alter, Bildungsstand, Einkommen oder Gesundheitszustand ab. So unterscheiden sich die individuellen Altersbilder zwischen den Altersgruppen: Die Altersbilder von Personen im mittleren Erwachsenenalter sind deutlich positiver als jene von älteren Menschen. Dadurch, dass sich aber seit Mitte der 1990er Jahre gerade bei älteren Menschen die Sicht auf das Älterwerden verbessert hat, haben sich die Altersbilder der verschiedenen Altersgruppen einander angenähert.

Anders hingegen sieht es bei den Altersbildern verschiedener Bildungsgruppen aus: Personen mit niedriger Bildung haben deutlich negativere Altersbilder als Personen mit mittlerem und hohem Bildungshintergrund. Auch wenn sich für alle Bildungsgruppen die Altersbilder verbessert haben, sind die Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen gleich geblieben.

Die Folgen persönlicher Altersbilder für die Gesundheit und Langlebigkeit älterer Menschen sind empirisch gut belegt. In einem frühen Stadium dieses Forschungsfeldes wurden vor allem experimentelle Studien durchgeführt. Bei diesen Studien wurden den Teilnehmenden über einen Computerbildschirm bewusst – oder über die sogenannte Priming-Technik sublim (das heißt unterhalb der bewussten Wahrnehmung) – Altersstereotype vermittelt. Vor sowie nach diesem priming wurden gesundheitsrelevante Parameter gemessen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass altersbezogene Selbststereotypisierungen negative Folgen haben können, indem sie beispielsweise zu physiologisch messbaren Stressreaktionen und zu schlechteren Gedächtnisleistungen führen. Neben solchen experimentellen Studien zur Untersuchung kurzfristiger Effekte von Alter(n)sstereotypen wurden später auch Längsschnittstudien über die Auswirkungen von Altersbildern erhoben. Mehrere Studien untersuchten den langfristigen Effekt von Altersstereotypen und konnten beispielsweise zeigen, dass Personen mit negativeren Altersstereotypen Jahre später mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Herzkreislauferkrankungen und schlechte Gedächtnisleistungen aufwiesen als Personen mit positiveren. Andere Studien untersuchten, ebenfalls über viele Jahre hinweg, persönliche Altersbilder (das heißt Selbstwahrnehmungen des Älterwerdens). Im Rahmen dieser Studien wurde deutlich, dass diese nicht nur kurzfristige, sondern auch langfristige Folgen für die Gesundheit und zusätzlich auch für die Langlebigkeit haben. In einer Längsschnittstudie über 23 Jahre hinweg konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Personen mit einer positiveren Sicht auf das Älterwerden mehrere Jahre länger lebten als jene mit einer negativeren Sicht. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Altersbilder über die Zeit hinweg einen stärkeren Einfluss auf die Gesundheit haben, als umgekehrt der Gesundheitszustand die Altersbilder prägt.

Altersbilder können also eine erhebliche Wirkung entfalten, sei es direkt (zum Beispiel über physiologische Stressreaktionen) oder indirekt (indem sie gesundheitsrelevante Verhaltensweisen beeinflussen). Letzteres wird deutlich anhand von Befunden zur körperlichen Aktivität. Haben ältere Menschen ein eher negatives Bild vom Älterwerden, sind sie deutlich seltener körperlich aktiv als Personen mit einem positiveren Altersbild. Interessant ist mit Blick auf ältere Menschen dabei vor allem der folgende Befund: Ältere Menschen gehen besonders dann selten spazieren, wenn sie gesundheitliche Probleme haben. Dies ist zunächst einleuchtend, denn gesundheitliche Probleme können die Bewegungsfreude und Bewegungsfähigkeit deutlich beeinflussen.

In vertiefenden Analysen konnte gezeigt werden, dass dieser Befund nur für jene Personen gilt, die ein eher negatives Altersbild haben. Demgegenüber gingen ältere Personen mit einem eher positiven Altersbild trotz gesundheitlicher Beschwerden regelmäßig spazieren. Dies deutet darauf hin, dass Personen mit einem eher positiven Altersbild besser in der Lage sind, ein gesundheitsförderliches Verhalten auch angesichts von gesundheitlichen Problemen aufrechtzuerhalten und auf diese Weise aktiv zu ihrer Gesundheit und Langlebigkeit beizutragen.

Gesellschaftliche Altersbilder

Neben individuellen Altersbildern gibt es gesellschaftliche Altersbilder. Diese wirken zum Beispiel im Gesundheitswesen, in der Arbeitswelt oder in der Politik. Eine potenziell unerwünschte Wirkung von kollektiven Altersbildern entsteht dadurch, dass sie falsche oder pauschalisierende Annahmen über ältere Menschen enthalten. Ein verbreitetes Altersstereotyp enthält beispielsweise die Annahme, dass das Älterwerden zwangsläufig mit gesundheitlichen Einbußen verbunden ist. Gesundheitliche Beschwerden werden deshalb sowohl von Professionellen im Gesundheitswesen als auch von älteren Menschen selbst häufig als normale Begleiterscheinung des höheren Lebensalters angesehen und damit als behandelbare Krankheiten weniger ernst genommen. Dies verhindert oder erschwert zumindest eine angemessene Behandlung von Beschwerden. Defizitorientierte Altersbilder tragen häufig auch dazu bei, dass die Erfolgsaussichten von medizinischen Maßnahmen bei älteren Menschen als zu gering eingeschätzt und manche Maßnahmen gar nicht erst ergriffen werden.

Solche negativen gesundheitsbezogenen kollektiven Altersbilder können auch in der institutionellen Ausgestaltung des Gesundheitswesens ihren Niederschlag finden: Die geringe Verbreitung und die ungleiche regionale Verteilung von Einrichtungen der geriatrischen Versorgung weisen darauf hin, dass in der Gesundheitspolitik einer optimalen gesundheitlichen Versorgung älterer Menschen keine allzu große Bedeutung beigemessen wird oder die Erfolgsaussichten einer speziell auf ältere Menschen ausgerichteten Versorgung unterschätzt werden. In gesundheitspolitischen Debatten wird immer wieder gefordert, kostenintensive medizinische Leistungen nur bis zu einem bestimmten Lebensalter zu gewähren, weil sie sich in einem höheren Lebensalter nicht mehr lohnen würden. Auch hinter solchen Forderungen stehen möglicherweise pauschalisierende Altersbilder, die den unterschiedlichen Lebenssituationen, Behandlungsbedarfen und Behandlungspotenzialen älterer Menschen nicht gerecht werden.

Im politischen Diskurs hält sich die Vorstellung, mit dem fortschreitenden demografischen Wandel würde die Demokratie zu einer "Gerontokratie". Damit ist gemeint, dass in einer älter werdenden Gesellschaft die Älteren einen immer größeren Anteil an der Wahlbevölkerung ausmachen und deshalb ihre altersgruppenspezifischen Interessen immer besser durchsetzen könnten. Wissenschaftliche Untersuchungen und die politische Praxis bestätigen diese Annahmen jedoch nicht. Die Gruppe der älteren Menschen ist sehr heterogen, es gibt unter den älteren Menschen eine große Vielfalt an Lebenslagen und Lebenssituationen und entsprechend groß ist die Vielfalt ihrer politisch artikulierbaren und artikulierten Interessen. Es lassen sich keine einheitlichen, in politische Forderungen umsetzbaren gemeinsamen Interessen der älteren Menschen identifizieren. Aus diesem Grund kann sich auch keine Partei dauerhaft im politischen System halten, die vor allem die Interessen der älteren Menschen vertreten will. Das Bedrohungsszenario einer "Gerontokratie" entbehrt also einer wissenschaftlich belegbaren Grundlage. Dennoch taucht es immer wieder auf und wird dann in der Regel medial stark aufgebauscht. Dieses Szenario hat zumindest das Potenzial, die Solidarität zwischen jüngeren und älteren Menschen zu schwächen.

Im deutschen Recht sowie in anderen Regelwerken finden sich zahlreiche Altersgrenzen. Im Recht gibt es Altersgrenzen vor allem im Berufsrecht und im Recht des öffentlichen Dienstes, im Sozialrecht (hier vor allem im Rentenversicherungsrecht, aber auch darüber hinaus), im Recht des Ehrenamtes und im Recht der kommunalpolitischen Wahlbeamten und Wahlbeamtinnen. Untergesetzlich gibt es Altersgrenzen etwa in Satzungen von Vereinen und Verbänden, in Geschäftsbedingungen (etwa von Autoverleihfirmen oder von Finanzinstituten), in Tarifverträgen und in Arbeitsverträgen. Altersgrenzen können für das Leben der von ihnen betroffenen Menschen große Auswirkungen haben, man denke nur an einen Arbeitsvertrag, in dem festgeschrieben ist, dass er mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters ohne besondere Kündigung erlischt. Den meisten Altersgrenzen liegt die pauschalisierende Annahme zugrunde, dass die Leistungsfähigkeit von Menschen mit zunehmendem Alter abnimmt und sie ab einem bestimmten Alter zu bestimmten Tätigkeiten nicht mehr in der Lage sind. Dies mag im Einzelfall zutreffen, in anderen Einzelfällen jedoch möglicherweise nicht. Altersgrenzen basieren häufig auf gesellschaftlichen Altersbildern − und umgekehrt können Altersgrenzen gesellschaftliche Altersbilder prägen.

Altersbilder wiederum prägen unser Verhalten gegenüber älter werdenden und alten Menschen, sie haben Auswirkungen auf unser eigenes Selbstbild und auf unsere Entwicklung, und sie beeinflussen Entscheidungen in Wirtschaft und Politik. Da Altersbilder mögliche Entwicklungspfade im Lebensabschnitt "Alter" in der Regel aber nur holzschnittartig und nicht selten auch negativ darstellen, können sie Verhaltensweisen anregen, die das zu bestätigen scheinen, was sie vorhergesagt haben – und auf diese Weise als selbsterfüllende Prophezeiung wirken. Wer sich zu alt fühlt, um sich sportlich zu betätigen, der wird aufgrund des Mangels an Bewegung möglicherweise Einbußen der funktionalen Gesundheit erfahren. Und nicht nur auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene können negative Altersbilder die Entfaltung der Potenziale älterer Menschen hemmen.

Seit einigen Jahren ist ein Wandel im gesellschaftlichen Diskurs über das Alter zu beobachten, der auch von der Sozialberichterstattung zum Thema Alter und demografischer Wandel angeregt wurde. Der Erste Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Demografischer Wandel" des Deutschen Bundestages und insbesondere der Fünfte Bericht der Bundesregierung zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland (Fünfter Altenbericht) haben maßgeblich zur Verbreitung einer potenzialorientierten Sicht auf das Alter und das Älterwerden beigetragen. Die Leitidee des produktiven und aktiven Alterns soll älter werdende Menschen dazu ermutigen, ihre Möglichkeiten, Ressourcen und Kompetenzen zu entwickeln, einzusetzen und zu nutzen. Das Individuum profitiere von einer gesteigerten Lebensqualität, gleichzeitig profitiere die Gesellschaft zum Beispiel von einer erhöhten Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, von geringeren Gesundheitskosten bei einer gesünderen Lebensführung sowie vom ehrenamtlichen Engagement älterer Menschen.

Allerdings: So wichtig es ist, negative Deutungen des Alterns infrage zu stellen und positive Deutungen zu stärken, welche die Potenziale und die Produktivität des Alters betonen, so darf dies nicht dazu führen, dass solche positiven Deutungen nur auf das "junge" Alter bezogen und demgegenüber ältere Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf als weniger wertvoll angesehen werden. Die Vielfalt von Altern und Alter umfasst eben beides: die Bereitschaft und das Potenzial für eine aktive Partizipation älterer Menschen − und die Fürsorge für jene, die Unterstützung, Pflege und Betreuung benötigen. Das Älterwerden umfasst Veränderungen, die als Gewinn erlebt, wie auch Veränderungen, die als Verlust verstanden werden. Es sollten deswegen nicht einfach negativ konnotierte Altersbilder durch positiv konnotierte Altersbilder ersetzt werden. Vielmehr braucht die Verschiedenartigkeit des Alters auch differenzierte Altersbilder, welche die Vielfalt des Alterns so abbilden, dass der gesellschaftliche Diskurs über Altersbilder die Inklusion aller älteren Menschen befördert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Anna E. Kornadt/Klaus Rothermund, Dimensionen und Deutungsmuster des Alterns, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, (2011) 44, S. 291–298.

  2. Vgl. Christoph Conrad, Vom Greis zum Rentner, Göttingen 1994.

  3. Vgl. Gerhard Igl, Grundsatzfragen der Alterssicherung, in: Ulrich Becker et al. (Hrsg.), Alterssicherung in Deutschland, Baden-Baden 2007, S. 43–55.

  4. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Bevölkerung Deutschlands bis 2060, Wiesbaden 2009.

  5. Vgl. Becca R. Levy, Mind matters, in: Journal of Gerontology: Psychological Sciences, 58B (2003) 4, S. 203–211.

  6. Vgl. Klaus Rothermund/Jochen Brandstädter, Age stereotypes and self-views in later life, in: International Journal of Behavioral Development, 27 (2003) 6, S. 549–554.

  7. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.), Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2006.

  8. Vgl. Susanne Wurm/Oliver Huxhold, Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung von Altersbildern, in: Frank Berner et al. (Hrsg.), Individuelle und kulturelle Altersbilder, Bd. 1, Wiesbaden 2012, S. 27–69.

  9. Vgl. Andreas Kruse/Eric Schmitt, Zur Veränderung des Altersbildes in Deutschland, in: APuZ, (2005) 49–50, S. 9–17.

  10. Unterschieden wurde zwischen "geringer Bildung", das heißt Personen ohne Schulabschluss oder mit Hauptschul- oder Realschulabschluss, die keine berufliche Ausbildung haben, "mittlerer Bildung", das heißt Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Abitur, sowie "hoher Bildung", das heißt Personen mit abgeschlossenem Fachhochschulstudium oder Hochschulstudium.

  11. Vgl. S. Wurm/O. Huxhold (Anm. 8).

  12. Vgl. Becca R. Levy et al., Age stereotypes held earlier in life predict cardiovascular events in later life, in: Psychological Science, 20 (2009) 3, S. 296ff.; dies. et al., Longevity increased by positive self-perceptions of aging, in: Journal of Personality and Social Psychology, 83 (2002) 2, S. 261–270.

  13. Vgl. Dana Kotter-Grühn et al., Self-perceptions of aging predict mortality and change with approaching death, in: Psychology and Aging, (2009) 24, S. 654–667; Becca R. Levy et al., Relationship between respiratory mortality and self-perceptions of aging, in: Psychology and Health, 20 (2005) 5, S. 553–564; Susanne Wurm et al., Serious health events and their impact on changes in subjective health and life satisfaction, in: European Journal of Ageing, 5 (2008) 2, S. 117–127.

  14. Vgl. Becca R. Levy et al. 2009 (Anm. 12).

  15. Vgl. Kerry Sargent-Cox et al., The relationship between changes in self-perceptions of aging and physical functioning in older adults, in: Psychology and Aging, 27 (2012) 3, S. 750–760; Susanne Wurm et al., Longitudinal findings on aging-related cognitions, control beliefs and health in later life, in: Journal of Gerontology: Psychological Sciences, 62B (2007) 3, S. 156–164.

  16. Vgl. Susanne Wurm et al., On the importance of a positive view on aging for physical exercise among middle-aged and older adults, in: Psychology & Health, 25 (2010) 1, S. 25–42.

  17. Allerdings werden heutzutage moderate körperliche Aktivitäten wie das Spazierengehen gerade auch solchen älteren Menschen empfohlen, die bereits gesundheitliche Probleme haben.

  18. Vgl. S. Wurm et al. (Anm. 16).

  19. Vgl. BMFSFJ (Hrsg.), Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2010.

  20. Vgl. Hartmut Remmers, Rationierung und Altersdiskriminierung, in: F. Berner et al. (Anm. 8), S. 339–368.

  21. Vgl. Wolfgang Schroeder/Bettina Munimus/Diana Rüdt, Seniorenpolitik im Wandel, Frankfurt/M. 2010; Bettina Munimus, Alternde Volksparteien, Bielefeld 2012; Manfred G. Schmidt, Die Demokratie wird älter, in: Peter Graf Kielmansegg/Heinz Häfner (Hrsg.), Alter und Altern, Berlin 2012, S. 63–184.

  22. Vgl. Gerhard Igl, Altersgrenzen und gesellschaftliche Teilhabe. Gutachten erstellt im Auftrag des BMFSFJ, Manuskript, 2009.

  23. Vgl. Deutscher Bundestag (Hrsg.), Zwischenbericht der Enquete-Kommission Demographischer Wandel, Bonn 1994.

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Dr. phil.; Stellvertretende Leitung des Arbeitsbereichs Forschung am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA), Manfred-von-Richthofen-Straße 2, 12101 Berlin. E-Mail Link: susanne.wurm@dza.de

Dr. phil.; Leitung des Arbeitsbereichs Politikberatung am DZA (s.o.) und der Geschäftsstelle für die Altenberichte der Bundesregierung. E-Mail Link: frank.berner@dza.de

Dr. phil.; Direktor des DZA (s.o.) und außerplanmäßiger Professor an der Freien Universität Berlin. E-Mail Link: clemens.tesch-roemer@dza.de