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Die vielen Gesichter der Gerechtigkeit

Michael Borchard

/ 11 Minuten zu lesen

Gerechtigkeit – Nur wenige Begriffe entwickeln eine solche Verheißungskraft bei den Bürgerinnen und Bürgern, sind als programmatische Monstranz oder polemischer Vorwurf politisch so wirkmächtig und damit auch gefährlich – und sind doch bei Lichte betrachtet zugleich so schwer zu fassen, so unklar in ihrer Aussagekraft. Man muss nicht die "berühmte" Herabwürdigung des Begriffs der "sozialen Gerechtigkeit" durch Friedrich August von Hayek als "Wieselwort" heranziehen, um eine merkwürdige Mischung aus Wohlempfinden und Abscheu bei diesem Begriff zu empfinden. Aber wer nach dem Gehalt des Begriffs der Gerechtigkeit sucht, der muss sich die Frage stellen, die Hayek für sich klar beantwortet hat: Ist es mit der sozialen Gerechtigkeit tatsächlich so wie beim Wiesel, das Eier restlos aussaugt und dann nur noch die leere, aber äußerlich intakte Hülle zurücklässt? Noch spannender ist – in einem Wahljahr, in dem beinahe alle Parteien die "soziale Gerechtigkeit" thematisieren und mehr oder weniger intensiv zum Wahlkampfthema machen – die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich auf die ausgesaugten Eier "hereinfallen" und erst spät bemerken, dass hinter der Hülle nichts Substanzielles mehr steckt? Oder haben die Menschen einen differenzierten und vielschichtigen Gerechtigkeitsbegriff?

Warum ist zudem der Wert der Gerechtigkeit ein scheinbar lohnendes Thema für die Wahlplakate in einer Zeit, in der es Deutschland nach wie vor – gegen den europäischen Trend – wirtschaftlich vergleichsweise gut geht? Umfragen zeigen, dass bei vielen Menschen die Unsicherheit über die Zukunft trotz Zufriedenheit über die konjunkturelle Situation wächst. Renate Köcher hat das den "entspannten Fatalismus" genannt. Andere Politikwissenschaftler sprechen von einer "stabilen Ambivalenz" und der "sorgenvollen Zufriedenheit". Dabei spielt die Befürchtung eine Rolle, dass Deutschland nicht ewig eine Insel der Seligen bleiben kann und das Vertrauen in ein baldiges Ende der Euro-Krise nicht sehr ausgeprägt ist.

Stabile Ambivalenz ist zugleich das richtige Stichwort, wenn es um die Einschätzungen in Sachen Gerechtigkeit geht: Während mehr als zwei Drittel der Deutschen der Auffassung ist, dass die soziale Gerechtigkeit eher abgenommen hat, beurteilen die gleichen Menschen Deutschland im internationalen Vergleich als sehr gerechtes Land. Diese Einschätzung weist nicht nur auf einen hohen Standard des sozialen Ausgleichs hin, sondern auch darauf, dass die Frage nach der Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland historisch eine geradezu konstitutive Wirkung hatte, die auch im Bewusstsein der Menschen fest verankert ist: Eindeutig bestand in der Nachkriegszeit ein Zusammenhang zwischen den sozialstaatlichen Segnungen und einer gewissen Zufriedenheit mit Demokratie und Staatswesen.

Der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger hat den Begriff des "Verfassungspatriotismus" geprägt. Dass der auf einen Verfassungstext gerichtete Patriotismus eine "blutleere" Angelegenheit sei, hat man ihm immer wieder vorgehalten. Vielleicht ist die emotionale Verbundenheit zu Staat und Verfassung eher durch so etwas wie einen "Sozialstaatspatriotismus" hergestellt worden. Dieser Sozialstaatspatriotismus hat für lange Zeit den Stolz auf die Geschichte der deutschen Nation, der durch den Nationalsozialismus diskreditiert war, zumindest in Teilen ersetzt. Die Identifikation mit dem Staatswesen ist nicht alleine durch die Sicherheit des Sozialstaats herbeigeführt worden, sondern auch durch eine politische Logik, die über Jahrzehnte vor allem auf die Verheißungen sozialer Wohltaten gesetzt hat. Nach den Klassenkämpfen in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie nach den Verheerungen des Nationalsozialismus hatten diese Ausgleichsmechanismen eine befriedende und stabilisierende Wirkung: "Nur eine mehrheitlich als sozial gerecht empfundene Gesellschaft wird auf Dauer das notwendige Potenzial zur Konfliktregelung und gewaltlosen Streitschlichtung zur Verfügung stellen können."

Politische Steuerung, das hat übrigens alle Bundesregierungen vereint, folgte über Jahrzehnte dem Muster, mehr oder weniger konsequent auf die Zuwendung finanzieller Mittel zu setzen. Schon im Laufe der 1990er Jahre hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Verteilung sozialstaatlicher Wohltaten eine hemmende Wirkung hat, die den notwendigen Wettbewerb zurückdrängt. Die Tatsache, dass in den späten 1960er und 1970er Jahren der Begriff der sozialen Gerechtigkeit vor allem als Umverteilung von Vermögen und Einkommen begriffen wurde, hatte Auswirkungen, die sich nicht zuletzt auf dem deutschen Arbeitsmarkt niederschlugen und seine Dynamik und Aufnahmefähigkeit in den Jahren nach der Wiedervereinigung bremsten.

Die notwendigen Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur nach der deutschen Wiedervereinigung sowie die ansteigende Arbeitslosigkeit belastete in den 1990er Jahren die öffentlichen Haushalte derartig, dass kaum noch finanzielle Spielräume für sozialstaatliche Segnungen blieben. Der Sozialstaat deutscher Prägung sei kein Modell mehr, schrieb 1998 der "Spiegel", er sei zum Monstrum geworden, das an seiner eigenen Größe zu ersticken drohe. Vor allem aber sei er zutiefst ungerecht geworden, weil er seine Leistungen willkürlich und nicht selten an den wirklich Bedürftigen vorbei verteile. Diese wachsende Kritik an einem ausufernden Sozialstaat veränderte die bis dahin vorherrschende und auf Umverteilung konzentrierte Interpretation des Gerechtigkeitsbegriffs nachhaltig. Es gehe nun "um eine gerechte Verteilung von Chancen, also den Möglichkeiten, seine eigenen Lebenspläne zu verwirklichen. Dies umfasst nicht nur die materielle Absicherung oder einen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand, sondern vor allem auch den Zugang zu Bildung, Kultur und die Ermöglichung politischer Teilnahme."

Mit der Finanzkrise seit 2008 veränderte sich der Blick auf die Gerechtigkeit noch einmal deutlich. Die "schwäbische Hausfrau" scheint kein Mythos zu sein. Offensichtlich besitzen die Bürgerinnen und Bürger inzwischen so etwas wie einen ordnungspolitischen Instinkt, wie die geradezu aufregenden Befunde einer Studie aus dem Jahr 2012 andeuten: 76 Prozent der in Deutschland befragten Menschen stimmen beispielsweise zu, dass die Aussage "Der Staat sorgt dafür, dass es nur geringe Unterschiede bei den Einkommen der Bürger gibt" nicht zu einer Marktwirtschaft gehört. Ebenso deutlich werden Subventionen für angeschlagene Unternehmen abgelehnt. Selbst unter Facharbeitern gibt es eine klare Ablehnung der Aussage "Ich finde es richtig, dass der Staat Betriebe und Wirtschaftszweige, die alleine nicht lebensfähig sind, finanziell unterstützt. Dadurch werden viele Arbeitsplätze erhalten". Für die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung steht außer Frage, dass Gewinne für die Unternehmen und für ihren Fortbestand außerordentlich wichtig sind und es für diese Unternehmen keinesfalls ausreicht, wenn sie nur ihre Kosten decken. 60 Prozent der Menschen sehen Unternehmer und Bevölkerung in einem Boot.

Dieses ordnungspolitische Bewusstsein wirkt sich auch auf die Einschätzung der verschiedenen Ausprägungen der Gerechtigkeit aus: "Die große Mehrheit der Bürger hat einen umfassenden, anspruchsvollen Gerechtigkeitsbegriff, der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit genauso umfasst, wie Familien- und Generationengerechtigkeit sowie Verteilungsgerechtigkeit." Dabei nehmen die Menschen eine klare Priorisierung der verschiedenen Ausprägungen vor: Ganz besonders wichtig ist ihnen die Chancengerechtigkeit. An zweiter Stelle stehen gemeinsam die Familiengerechtigkeit und die Leistungsgerechtigkeit. Erst an letzter Stelle, hinter der Generationengerechtigkeit, steht die Verteilungsgerechtigkeit, die nur noch 21 Prozent der Befragten als ganz besonders wichtig einschätzen.

Der Gerechtigkeitsbegriff, vor allem aber die ordnungspolitischen Einschätzungen müssten die Menschen eigentlich in erster Linie mit der Christdemokratie verbinden, die in ihrer Programmatik an vielen Stellen diesem Bild entspricht. Warum aber ist das augenscheinlich nicht der Fall? Zunächst steht auch für die CDU fest: Mit der sozialen Gerechtigkeit werden Wahlen gewonnen und Wahlen verloren. Keine Partei kann es sich leisten, diesen Begriff – im wahrsten Sinne des Wortes – links liegen zu lassen und nicht wenigstens an einer Stelle des eigenen Programms anzusprechen. Und doch gehen die Parteien sehr unterschiedlich mit ihm um. Sie tun dies in dem Wissen, dass die Wählerinnen und Wähler die Kompetenzzuweisungen an die Parteien beinahe schon traditionsbewusst – und nicht immer mit den Inhalten verbunden – vornehmen.

Gerade weil die Kenntnisse über Politik deutlich zurückgehen und viele Menschen der Politik distanziert gegenüberstehen, nehmen die relativ fest gefügten Images eine wichtige Rolle ein. So wie bei einem Menschen, den man aus weiter Ferne betrachtet, weniger die Details des Gesichts, sondern eben die äußeren Formen erkennbar sind, überhöhen diese Images einzelne Merkmale. Soziale Gerechtigkeit wird, mit Ausnahme der CSU in Bayern, als Kompetenz immer bei der SPD verortet. Es kann bei Wahlen als ehernes Gesetz betrachtet werden: Wenn die CDU bei einer Landtagswahl bei der Kompetenz der sozialen Gerechtigkeit vergleichsweise gut abschneidet, aber Schwächen bei der Wirtschaftskompetenz zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahl verloren geht, recht hoch. Bei der SPD ist es exakt umgekehrt.

Die unbeirrte Zuweisung des "Gerechtigkeitsimages" an die SPD treibt dabei gelegentlich interessante Blüten: Die Leistungsgerechtigkeit, die nicht gerade im Zentrum der sozialdemokratischen Programmatik steht und im aktuellen Regierungsprogramm der CDU neben der "Generationengerechtigkeit" als einzige Teilgerechtigkeit einen prominenten Platz einnimmt, wird von den Bürgerinnen und Bürgern mit deutlicher Mehrheit der SPD zugewiesen, wie eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt. Auch wenn die CDU der SPD die Kompetenz bei der sozialen Gerechtigkeit kaum streitig machen kann, so muss sie dennoch – insbesondere bei den Themen der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit – ihre Anhängerschaft zielgerichtet ansprechen.

Der politische Umgang mit der Gerechtigkeit wird noch dadurch erschwert, dass dieses Thema stark in der Gefahr steht, bei Meinungsumfragen verzerrt dargestellt zu werden. Denn es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen der allgemeinen Frage nach Gerechtigkeit, bei der sozial erwünschte Antworten zu Buche schlagen können oder die persönliche Betroffenheit ausgeblendet wird, und der Frage nach der persönlichen Situation, bei der die Menschen direkt betroffen sind. Ein Beispiel dafür ist die Frage nach dem Spitzensteuersatz, welche die Meinungsforschungsinstitute TNS Emnid im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und TNS Infratest kürzlich gestellt haben. 77 Prozent der Befragten sind dafür, dass Personen mit sehr hohem Einkommen und sehr großem Vermögen höhere Steuern zahlen sollen als bisher, damit mehr finanzielle Mittel für öffentliche Aufgaben zur Verfügung stehen. Wenn man hingegen die Menschen mit der Tatsache konfrontiert, dass für Alleinstehende ab einem Jahreseinkommen von 53.000 Euro der Spitzensteuersatz von 42 Prozent gilt, dann finden 14 Prozent diesen Spitzensteuersatz zu niedrig und immerhin 19 Prozent empfinden ihn sogar als zu hoch.

Diese Tatsache ist für die Beurteilung wichtig, ob es tatsächlich die vielfach in den Medien und der Politik deklamierte "Gerechtigkeitslücke" gibt. Staat und Politik tun gut daran, in Bezug auf die Gerechtigkeit nicht aufstachelnd, sondern moderierend zu wirken. Denn je moralischer die Interpretation des Begriffs der Gerechtigkeit unterlegt ist, desto größer ist die Gefahr, dass in einem schleichenden Prozess jede Form der Verschiedenheit zunehmend als Ungerechtigkeit interpretiert wird.

Verteilungsgerechtigkeit darf die Leistungsgerechtigkeit nicht überragen, denn in einem freiheitlichen Staatswesen darf nicht verlernt werden, Ungleichheit als einen Ansporn zu bewerten, um mit mehr Leistung aufzusteigen und ein höheres Niveau von Bildung, Einkommen zu erreichen. Wenn das Gefühl besteht, dass sich Anstrengung nicht lohnt, wächst die Gefahr, dass der Wille zur Freiheit erlahmt. Verantwortliche und verantwortete Freiheit und Gerechtigkeit müssen von Politik und Gesellschaft gemeinsam immer wieder in eine Balance gebracht werden. Dabei hilft, dass Leistung für die Menschen wieder zu einer Kategorie wird. "Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen als derjenige, der weniger leistet", sagen 77 Prozent der Deutschen. Dass das vielfach mit einer rigorosen und gesellschaftlich schädlichen Abgrenzung nach "unten" zu den Transferempfängern einhergeht, darf dabei nicht verschwiegen werden.

Zweifelhafte "Armutsdefinitionen" und Studien, die ein vermeintliches Schrumpfen der Mittelschicht als Gewissheit verkaufen, aber an deren Indikatoren und Methodik Zweifel angebracht sind, schüren allerdings den politischen Vorwurf einer Gerechtigkeitslücke und widersprechen der Tatsache, dass eine Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverteilung gegenwärtig ebenso wenig zu beobachten ist wie das angebliche Massenphänomen der Armut. Das heißt freilich nicht, dass es nicht ganz erhebliche Baustellen in Sachen Gerechtigkeit in Deutschland gibt. Dazu gehört zweifelsohne das Thema der Generationengerechtigkeit. Auch wenn einige Stimmen, wie etwa der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan, die Generationengerechtigkeit als Schimäre darstellen, so steht doch unter dem Strich die banale Erkenntnis außer Frage, dass wir vor allem den kommenden Generationen keine untragbaren Belastungen aufbürden dürfen. Haushaltskonsolidierung und Schuldenvermeidung bleiben deswegen wichtige Beiträge zum Generationenausgleich.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger die Chancengerechtigkeit als wichtigste Dimension einstufen, dann richtet sich der Blick besonders auf die Lebensperspektiven von Kindern und Jugendlichen. Hier besteht in Sachen "Gerechtigkeit" vielleicht der höchste und politisch vordringlichste Handlungsbedarf. Eine Mehrheit der Eltern bezweifelt, dass Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft und speziell im Bildungssystem gesichert ist, und die Lehrerinnen und Lehrer teilen diese Skepsis mit deutlicher Mehrheit. Auch wenn sich die ungleichen Startchancen seit der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 in Deutschland deutlich verbessert haben: Es kann uns kaum ruhen lassen, dass der Bildungserfolg und damit auch die beruflichen Chancen hierzulande noch immer stark mit dem Elternhaus und dem jeweiligen sozioökonomischen Hintergrund zusammenhängen.

Man mag die Methodik der OECD kritisch sehen, aber es muss ernst genommen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus sozial schwächerem Umfeld durch Bildung am gesellschaftlichen Wohlstand teilnehmen können, in Deutschland deutlich geringer ausgeprägt ist als in anderen OECD-Staaten. Eine Schlüsselstellung kommt der frühkindlichen Bildung zu, die weit überwiegend – und durchaus mit Hingabe – in den Elternhäusern geleistet wird, aber dazu führt, dass die Kinder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schullaufbahn eintreten. Übertriebenen Leistungsdruck will niemand rechtfertigen, aber wer die Bemühungen um einen international wettbewerbsfähigen Bildungsstandard als "Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse" diskreditiert, der verkennt, dass die Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben immer und vor allem gute Bildung ist.

Kardinal Reinhard Marx, der "Sozialbischof", bringt es auf den Punkt und betont, dass die ganze Gerechtigkeitsdiskussion fehlgeht, wenn sie nicht die Chancen der Jüngsten in unserer Gesellschaft beherzt in den Blick nimmt: "Die Kinder (…) sind die Achillesferse unserer Gesellschaft. Wenn wir ihnen keine lebenswerte Zukunft zugestehen und ermöglichen, ist auch unser Leben gefährdet. Dann aber werden wir uns selbst als freie Menschen nicht gerecht und geben das Streben nach Gerechtigkeit auf. Eine Gesellschaft kann nicht lebensfähig sein ohne Freiheit und Gerechtigkeit." Wie kritisch, wie schizophren auch immer man den Begriff der "sozialen Gerechtigkeit" empfinden mag, für eine Gesellschaft, welche die Würde des Menschen explizit in den Mittelpunkt stellt, bleibt die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Freiheit die leitende Kategorie.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Friedrich August von Hayek, Wissenschaft und Sozialismus, in: Manfred E. Streit (Hrsg.), Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, Bd. A7, Tübingen 2004, S. 61f.

  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.10.2012.

  3. Joachim Raschke/Ralf Tils, Die krummen Wege und der Stolpergang, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, (2013) 1/2, S. 13.

  4. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (IfD), Was ist gerecht?, Allensbach 2013, S. 3ff. Nur zwei Prozent gehen davon aus, dass es in Deutschland am wenigsten soziale Gerechtigkeit gibt.

  5. Dolf Sternberger, Verfassungspatriotismus, Frankfurt/M. 1990, S. 26–30.

  6. Arnulf Baring, Unsere Schläfrigkeit ist unbegreiflich, in: Der Spiegel, Nr. 45 vom 8.11.1999.

  7. Erwin Carigiet (Hrsg.), Wohlstand durch Gerechtigkeit, Zürich 2006, S. 396.

  8. Vgl. Michael Borchard/Thomas Schrapel, "Gerechtigkeit", in: dies./Bernhard Vogel (Hrsg.), Was ist Gerechtigkeit?, Wien–Köln–Weimar 2012, S. 28.

  9. Vgl. Der Spiegel, Nr. 30 vom 20.7.1998.

  10. Stefan Liebig/Meike May, Dimensionen sozialer Gerechtigkeit, in: APuZ, (2009) 47, S. 4.

  11. Vgl. IfD, Wirtschaftliches Verständnis und ordnungspolitische Positionen der Bevölkerung, Allensbach 2012, S. 37, S. 46.

  12. Dass. (Anm. 4), S. 37. Auch die folgenden Absätze beziehen sich auf diese Studie.

  13. Vgl. Viola Neu/Sabine Pokorny, Breiter gesellschaftlicher Wertekonsens, 26.2.2013, Externer Link: http://www.zukunftvolkspartei.de/?p=534 (9.7.2013).

  14. Vgl. hier und im Folgenden: INSM, Die Frage entscheidet, online: Externer Link: http://www.insm.de/insm/Themen/Steuern-und-Finanzen/Vergleich-Umfrage-zu-Spitzensteuersatz.html (9.7.2013); TNS Emnid, Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage zum Spitzensteuersatz, Bielefeld 2013, S. 3ff.

  15. Vgl. M. Borchard/T. Schrapel (Anm. 8), S. 24.

  16. Vgl. IfD (Anm. 4), S. 6.

  17. Vgl. Michael Hüther, Schwache stärken, in: Wirtschaftswoche Global, Nr. 2 vom 24.6.2013, S. 26f.

  18. Vgl. Axel Börsch-Supan, Utopie der Gerechtigkeit, in: ebd., S. 74f.

  19. Vgl. OECD (Hrsg.), Soziale Gerechtigkeit in der OECD, Gütersloh 2010, S. 6ff.

  20. Vgl. Vodafone-Stiftung Deutschland (Hrsg.), Hindernis Herkunft, Düsseldorf 2013.

  21. Handelsblatt vom 21.12.2012.

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Dr. phil., geb. 1967; Leiter der Hauptabteilung "Politik und Beratung" der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Klingelhöferstraße 23, 10785 Berlin. E-Mail Link: michael.borchard@kas.de