"Aufarbeitung der SED-Diktatur" – heute so wie gestern? - Essay
Am 22. März 2013 debattierte der Deutsche Bundestag über den "Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur".[1] Grundlage der Aussprache war der entsprechende Bericht der Bundesregierung,[2] der ein detailliertes Bild von den zahlreichen staatlichen und staatlich unterstützen Institutionen gibt, die sich in Gestalt von Museen, Gedenkstätten, Opferverbänden sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen einschließlich der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) auf unterschiedliche Weise der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit widmen. Der Bericht der Bundesregierung wurde, wie nicht anders zu erwarten, von Seiten der Regierungsparteien CDU/CSU und FDP mit viel Lob bedacht. Auch die SPD und Bündnis 90/Die Grünen fanden lobende Worte; Kritik übten beide an der immer noch ungewissen Zukunft der BStU – ein Problem, das dann auch einen gewissen Schwerpunkt in der Debatte markierte. Außerdem monierte die SPD fehlende Kriterien, um – etwa in Bezug auf die Rehabilitierung von Haftopfern – "den Stand der Aufarbeitung zu bewerten", während Die Linke die im Bericht zum Ausdruck kommende "Delegitimierung der DDR von Anfang an" beklagte.Im Übrigen, das zeigen Bericht und Debatte, bewegt sich die offizielle "Aufarbeitung der SED-Diktatur" auf altbekannten Pfaden. Der Bericht basiert auf der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption vom Juni 2008, in der festgehalten wurde, dass es um die Vermittlung des "menschenverachtenden Charakter(s)" der "kommunistischen Diktatur" in der SBZ/DDR gehe, wobei zugleich einer "Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder ‚Ostalgie‘ entschieden entgegenzuwirken" sei.[3] Nahezu wortgleich findet sich diese geschichtspolitische Zielbestimmung im Bericht von 2013 wie auch in dem kurzen Statement des Kulturstaatsministers Bernd Neumann zu Beginn der Aussprache. Ihre Umsetzung lässt sich die Bundesregierung jährlich rund 100 Millionen Euro kosten.[4]
Die Frage ist, ob diese konzeptionelle Ausrichtung nach Ende des Ost-West-Konflikts und über zwei Jahrzehnte nach der staatlichen Wiedervereinigung ausreicht, um dem Umgang mit der DDR-Vergangenheit als gesamtdeutscher Unternehmung mit gemeinsamer Zukunft Orientierung zu geben. Das gilt umso mehr, als der Umgang mit der DDR-Vergangenheit im Zuge der Wiedervereinigung zunehmend selbst zum konflikthaften Bestandteil des Vereinigungsprozesses geworden ist.
Dass die Verständigungsprobleme zwischen Ost- und Westdeutschen in den vergangenen 15 Jahren eher zu- als abgenommen haben,[5] drückt sich unter anderem in der divergierenden Selbst- und Fremdwahrnehmung im Rückblick auf die DDR aus. Hier scheinen zwei miteinander verwobene Komponenten wirksam zu sein: Zum einen haben die Ziele des sozialistischen Entwurfs, insbesondere "Gleichheit", "Gerechtigkeit" und "Solidarität", durch das Verschwinden der DDR keineswegs an Anerkennung verloren – eingedenk dessen, dass die SED-Politik und der DDR-Alltag ja nicht zu allen Zeiten und durchweg als repressiv wahrgenommen wurden;[6] und zum anderen wird die Rückschau auf die DDR von ambivalenten Gegenwartserfahrungen mitbestimmt, die sich nicht nur auf hinzugewonnene Freiheiten und umfänglichere Konsumangebote beziehen, sondern auch auf soziale Verwerfungen (vor allem im Kontext von Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen) und Zurücksetzungserfahrungen.[7] Beides drückt sich in Umfragen aus, etwa in einer Studie des Emnid-Instituts vom Mai 2010, der zufolge die Hälfte der Ostdeutschen der DDR "mehr gute als schlechte Seiten" bescheinigt.[8]
Vor allem aber erklärt beides, weshalb die Erinnerung an die DDR im Rahmen einer bloßen Entgegensetzung von Diktatur und Demokratie von unrealistischen Voraussetzungen ausgeht und als Konzept für nicht wenige Ostdeutsche eher befremdlich sein dürfte. Deshalb kann aus solchen Befunden auch nicht einfach der Schluss gezogen werden, viele Bundesbürgerinnen und -bürger im Osten hätten offenbar noch nicht verstanden, dass die DDR eine Diktatur war, weshalb die entsprechenden "Aufarbeitungs"-Anstrengungen noch verstärkt werden müssten. In einem solchen Interpretationsschema hätte zudem die Überlegung keinen Platz, dass zwischen diesem Schluss und jener "Eigensinnigkeit" ein reaktiver Zusammenhang bestehen könnte. Jedenfalls wird diese Vermutung durch (scheinbar widersprüchliche) Befragungsergebnisse gestützt: Während, wie schon gesagt, die untergegangene DDR für nicht wenige Ostdeutsche "mehr gute als schlechte Seiten" hatte, möchte nach wie vor nur jeder Zehnte "am liebsten die DDR wieder haben".[9]
In der Plenumsdebatte im Bundestag kamen entsprechende Problematisierungen nicht vor. Dennoch gab es hier und da kritische Bemerkungen zum Gesamtkonzept "Aufarbeitung der SED-Diktatur". So erinnerte der Abgeordnete Siegmund Ehrmann (SPD) an die "grundlegende und wichtige Arbeit der Sabrow-Kommission",[10] die einige Jahre zuvor mit dem Versuch einer Neujustierung des Aufarbeitungskonzepts befasst war. Im Plenum blieb dieser – angesichts des allgemeinen Debattenverlaufs überraschende – Hinweis ohne Resonanz. Die Empfehlungen dieser Kommission hatten seinerzeit für einigen Wirbel gesorgt,[11] sind aber konzeptionell weitgehend folgenlos geblieben. Von ihrer Aktualität haben sie indes kaum etwas eingebüßt. Deshalb soll ihnen im Folgenden nachgegangen werden.[12]