Ethnische Diskriminierung – Störfaktor im Integrationsprozess
Das Integrationsverständnis in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt: Zum einen wird nicht mehr von einer einseitigen Bringschuld der Zuwanderer ausgegangen, die sich über Spracherwerb und weitere Anpassungsleistungen einzugliedern haben, sondern von einem wechselseitigen Prozess, an dem Zuwanderer wie Mehrheitsbevölkerung in einem Sozialgefüge partizipieren. Zuwanderungs- und integrationspolitisch spiegelt sich dieses Verständnis beispielsweise im Konzept einer Willkommens- und Anerkennungskultur wider, die nicht nur attraktive Rahmenbedingungen für Neuzuwanderer bieten, sondern auch die "Anerkennung aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund durch die Aufnahmegesellschaft"[1] gewährleisten soll. Zum anderen hat sich ein teilhabeorientierter Integrationsbegriff herausgebildet. Er setzt darauf, dass in einer Einwanderungsgesellschaft grundsätzlich alle Menschen die gleichen Chancen haben sollen, an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzuhaben.[2] Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen von Integration ist somit die weitgehende Vermeidung von Diskriminierung in Lebensbereichen wie Erziehung und frühkindliche Bildung, Schule, berufliche Ausbildung, Arbeits- und Wohnungsmarkt, aber auch bei der Teilhabe an den verschiedenen Schutz- und Fürsorgesystemen im Rechts- und Wohlfahrtsstaat oder bei der politischen Partizipation.[3]Integrationsprozesse können nachhaltig gestört werden, wenn Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Herkunft wiederholt Benachteiligungserfahrungen machen. Mögliche Folgen sind Prozesse der Ethnisierung oder Reethnisierung, also eines Rückzugs in die eigene Gruppe unter möglicherweise desintegrativ wirkender Belebung herkunftsbezogener Charakteristika oder Handlungsweisen im Alltag.[4]
Der Tatbestand der Diskriminierung wurde auf der Grundlage gemeinschaftlicher EU-Vorschriften mit dem am 18. August 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im deutschen Recht spezifiziert.[5] Diskriminierung wird als eine ungleiche, ausgrenzende und benachteiligende Behandlung von Einzelnen oder Gruppen verstanden und kann "aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität" erfolgen (§1 AGG). In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft; gleichbedeutend wird von ethnischer Diskriminierung oder von Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen, wobei hier die Übergänge zu religiöser Diskriminierung fließend sein können.[6]
In ihrer unmittelbaren Form äußert sich Diskriminierung darin, dass ein Individuum "eine weniger günstige Behandlung erfährt, erfahren hat oder erfahren würde als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation" (§3 Abs. 1 AGG). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn "dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen (…) in besonderer Weise benachteiligen" (§3 Abs. 2 AGG). Wenn etwa durch eine betriebsinterne Regelung ein Kopfbedeckungsverbot am Arbeitsplatz festgelegt wird, kann dies für einzelne Arbeitnehmer eine mittelbare Form der Diskriminierung bedeuten: Denn obwohl die Regelung prinzipiell für alle Betriebsangehörigen gilt, trifft sie primär diejenigen, deren religiöses Bekenntnis eine Kopfbedeckung vorsieht. Wird einer Familie mit Migrationshintergrund als Folge eines Einschulungstests nahegelegt, ihr Kind zurückzustellen oder es auf eine Sonderschule zu schicken, weil aufgrund der nichtdeutschen Erstsprache ein sprachlicher Förderbedarf besteht, kann es sich um einen Fall institutioneller Diskriminierung handeln, insbesondere wenn dadurch der weitere Lernerfolg beeinträchtigt wird.[7] Diskriminierung ist somit nicht nur das Resultat offenkundiger und direkter Benachteiligungen auf der Grundlage von Vorurteilen oder interpersonaler Handlungen – nicht immer gibt es einen "Täter". Sie kann auch indirekt wirken, vermittelt über bestimmte organisatorische oder institutionelle Strukturen, Verfahrensabläufe und Routinen, die – obwohl nicht intendiert – faktisch zu Benachteiligungen für ein Individuum oder eine Gruppe führen.[8]
Arbeitsmarkt als wichtiger Schauplatz
Neben der Diskriminierung im Bildungssystem sind Benachteiligungen im Erwerbsleben integrationspolitisch besonders folgenschwer, da sie einen unmittelbaren negativen Einfluss auf die materiellen Teilhabechancen von Menschen haben können. Eine grundlegende dichotome Unterscheidung der Ursachen von Diskriminierung am Arbeitsmarkt geht auf den US-amerikanischen Ökonomen Gary Becker zurück: Ausgehend von der Annahme, dass Diskriminierung bei marktförmigem Wettbewerbsgeschehen und gleicher Produktivität nicht auftreten dürfte, führt er diskriminierendes Handeln von Arbeitgebern auf deren individuelle Präferenzen zurück; Ressentiments gegenüber einer Person oder (Herkunfts-)Gruppe werden handlungsleitend für eine Ungleichbehandlung. Folgt ein Arbeitgeber seiner – auf Vorurteilen oder Rassismen basierenden – Diskriminierungsneigung, ist dies für ihn unter Umständen mit zusätzlichen Kosten verbunden, die er bereit ist in Kauf zu nehmen.[9]Tritt dagegen Ungleichbehandlung auch ohne entsprechende Neigung seitens des Arbeitgebers auf, ist sie – so Becker – das Resultat von Unkenntnis oder Irrtum und kann durch Aufklärung vermieden werden. Die Diskriminierung ist dann auf (unzutreffende) Annahmen über kollektive Eigenschaften einer bestimmten Gruppe zurückzuführen und wird als "statistische Diskriminierung" bezeichnet.[10] Die diskriminierende Person handelt nicht aufgrund einer unmittelbaren negativen Haltung gegenüber der diskriminierten Person. Vielmehr ist ein "Mangel an Informationen" über einen Bewerber ausschlaggebend dafür, dass dieser benachteiligt wird. Der Personalverantwortliche lässt sich – bewusst oder unbewusst – von vermeintlich repräsentativen "statistischen Annahmen" über eine Gruppe leiten, der dieser Bewerber angehört. Schätzt er etwa eine bestimmte Gruppe als durchschnittlich produktiver, pünktlicher oder zuverlässiger ein, so wird er ein Mitglied dieser Gruppe auch eher einstellen oder zu einem Vorstellungsgespräch einladen – der Arbeitgeber handelt rational und reduziert dadurch vermeintliche Risiken.
Eine Ungleichbehandlung kann aber auch das Ergebnis bestimmter Annahmen über Dritte sein: Wenn beispielsweise ein Hotelier davon ausgeht, dass eine Person dunkler Hautfarbe an der Rezeption für einen großen Teil seiner Kunden nicht akzeptabel ist, wird er zu diskriminierendem Einstellungsverhalten neigen.