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Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit

Andreas Eckert

/ 13 Minuten zu lesen

In der Geschichte der "Entwicklung" gibt es jahrzehntelange Erfahrungen zu analysieren. Dabei erweist sich die Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit nicht zuletzt als eine sich beständig wandelnder, häufig enttäuschter Erwartungen.

Es ist eine Besonderheit unserer Zeit, konstatiert der Ethnologe James Ferguson, dass das Konzept "Entwicklung" so zentral für das Nachdenken über so viele Gebiete unserer Erde ist. Wie "Zivilisation" im 19. Jahrhundert steht nun seit geraumer Zeit "Entwicklung" für ein dominantes Raster der Interpretation, durch welches uns die ärmeren Regionen der Welt vertraut sind und in dessen Rahmen alltägliche Beobachtungen verständlich werden. Arme Länder sind demnach per definitionem "unterentwickelt", und die Armut und Machtlosigkeit der dort lebenden Menschen sind gleichsam nur die äußeren Anzeichen dieser zugrunde liegenden Bedingung.

Mit der Ubiquität von "Entwicklung" geht massive Kritik an diesem Konzept einher. Es sei, so ein gängiger Vorwurf, zu einem qualligen, amöbengleichen Wort geworden, das nichts mehr fasse, weil seine Konturen verschwinden. Denn ständig entwickelt sich etwas oder wird entwickelt: Beziehungen, Kinder, Theorien. Über das Alltagsverständnis hinaus tragen wissenschaftliche Disziplinen zu diesem Wirrwarr bei. Psychologie, Physiologie und diverse Sozialwissenschaften bezeichnen bestimmte Prozesse jeweils mit "Entwicklung" und konstituieren sehr unterschiedliche Teildisziplinen. Aber auch an der "Entwicklungshilfe" – oder wie es seit einiger Zeit politisch korrekter heißt: Entwicklungszusammenarbeit – gibt es Kritik, seitdem diese Praxis existiert.

Der Entwicklungsgedanke scheint viele Leben zu haben, zumal es zahlreiche Versuche gab, ihm und damit verbundenen Praktiken den Garaus zu machen. Doch Nachrichten über seinen Tod erwiesen sich wiederholt als voreilig. "Die Entwicklungszusammenarbeit", schreiben die Historiker Daniel Speich und Hubertus Büschel, "ist mit ihren Visionen und Utopien, ihren Institutionen, Diskursen und Praktiken längst ein Teil der Geschichte und ein Gegenstand der Geschichtsschreibung geworden. Auch ist die Entwicklungszusammenarbeit nicht als Praxis verschwunden, obwohl man seit den 1980er Jahren häufig ihr baldiges Ende prophezeit hat (…) Vielmehr lässt sich fast überall auf der Welt ihre Vergangenheit erkennen, wodurch sich ihre Gegenwart verfestigt – ob nun durch Institutionen, Redeweisen, Praktiken oder Entwicklungshilferuinen. Entwicklungszusammenarbeit ist längst ein entscheidendes Element in der sozioökonomischen Realität fast aller Empfängerländer von Hilfe geworden, während die Mittelbeschaffungsstrategien der Hilfsagenturen das öffentliche Bild der ‚Dritten Welt‘ innerhalb der Gebergesellschaften stark beeinflussen."

In der Wissenschaft dominiert heute in weiten Teilen eine Sichtweise, die ein Scheitern der Entwicklungszusammenarbeit konstatiert. Besonders marktorthodoxe Ökonomen unternahmen große Anstrengungen, den Entwicklungsgedanken vollständig aus den höheren Rängen der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin zu verbannen. Aber auch Teile der Linken stellen die Legitimität der Ideen von Entwicklung infrage und brandmarken sie etwa als ein Mittel zur Zementierung globaler Hierarchien. Die Spaltung in "entwickelte" und "unterentwickelte" Länder schreibe überdies die alte rassistische Unterscheidung zwischen Kultur und Barbarei fort. All dies steht in deutlichem Kontrast zu den Forderungen einer breiten Koalition aus Politik, Entwicklungsorganisationen und engagierten Prominenten, die Entwicklungshilfe zu erhöhen.

Dass die vielfältigen Angriffe auf den Entwicklungsgedanken bislang nicht ihr Ziel erreicht haben, hat am Ende einen einfachen Grund: "So viel Treffendes die Kritik an eigennützigen Institutionen und Ideologien der Entwicklung auch enthält, sie versorgt keinen Bedürftigen mit Trinkwasser, sie mildert nicht das Joch von Frauen, die zwischen ländlichem Patriarchat und städtischer Ausbeutung gefangen sind, sie verteilt keine Medikamente gegen Malaria und Durchfall bei Kindern." Viele Fragen an die Entwicklungszusammenarbeit stellen sich zudem anders, wenn sie systematisch und differenziert aus historischer Perspektive gestellt werden. In der Tat gibt es, wie im Folgenden am afrikanischen Beispiel skizziert wird, in der Geschichte der "Entwicklung" inzwischen jahrzehntelange Erfahrungen zu analysieren.

Spätkoloniale Ordnung und der Aufstieg des Konzepts "Entwicklung"

Dem Konzept "Entwicklung" kam eine besondere Bedeutung in der sich nach dem Zweiten Weltkrieg abzeichnenden globalen Neuordnung zu. Denn dieser Begriff sagte den Politikerinnen und Politikern der "unterentwickelten" Gesellschaften ebenso zu wie den Menschen in "entwickelten" Ländern. Er ließ beide teilhaben an dem intellektuellen Universum und der moralischen Gemeinschaft, die nach 1945 im Kontext weltweiter Entwicklungsinitiativen entstand. Diese Gemeinschaft teilte die Überzeugung, dass die Linderung der Armut durch ökonomische und soziale Selbstregulierung allein nicht möglich sei. Vielmehr bedürfe es konzertierter Interventionen von Regierungen armer und reicher Länder in Zusammenarbeit mit der wachsenden Gruppe internationaler Hilfs- und Entwicklungsorganisationen. Im Laufe der Zeit hat sich "Entwicklung" zu einer Großindustrie gemausert, die mehrere Milliarden Dollar, eine Vielzahl von privaten, staatlichen und internationalen Organisationen sowie eine weltweite Gemeinschaft von Expertinnen und Experten involviert.

Viele der Aktivitäten, die heute unter die Rubrik "Entwicklung" fallen, haben eine lange Geschichte. Das Konzept, ökonomischen "Fortschritt" etwa in den afrikanischen Kolonien mithilfe finanzieller Investitionen der Metropole zu erwirken, entstand sowohl im französischen als auch im britischen Kolonialreich nicht erst in den 1940er Jahren, sondern besitzt weitaus ältere Wurzeln. Durch den Bau von Eisenbahnen, Straßen und Häfen versuchten die Kolonialmächte schon bald nach dem "Scramble for Africa", den Kontinent wirtschaftlich zu "öffnen". Initiativen etwa der Kolonialminister Lord Alfred Milner und Albert Sarraut in den 1920er Jahren, metropolitane Gelder für die Ausweitung der Produktion in den Kolonien zu verwenden, stießen jedoch auf den massiven Widerstand ihrer Kollegen in den Regierungen in London und Paris. Diese hielten an der alten Überzeugung fest, Kolonien müssten sich selbst tragen und glaubten im Übrigen, Entwicklungsprogramme würden die soziale Ordnung in den kolonisierten Gebieten durcheinanderbringen.

Die Krise der großen Kolonialreiche änderte diese Haltung. In der Zeit während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg betrachteten die französischen und britischen Kolonialregierungen "Entwicklung" als ein Konzept, welches die koloniale Herrschaft angesichts aufkommender nationalistischer Bewegungen und militanter Arbeitskämpfe wieder kräftigen und neu legitimieren sollte. Doch ironischerweise sollte dieses Konzept die Kolonialherren schon bald zu der Überzeugung bringen, dass sie ihre Kolonien aufgeben könnten. Britische und französische Kolonialpolitiker glaubten zunächst, ihre Entwicklungsinitiativen würden die Kolonien in den turbulenten Nachkriegszeiten zugleich ökonomisch produktiver und politisch stabiler machen. So wurden Wellen von Experten nach Afrika gesandt, um den Bauern neue Wege des Anbaus zu weisen und den Arbeitern neue Formen der Arbeit nahezulegen. Die Neugestaltung der Gesundheitssysteme und des Bildungswesens stand ebenfalls hoch auf der Agenda. Der Nachkriegsimperialismus war ein Imperialismus des Wissens. Entwicklung war in diesem Zusammenhang etwas, das in und für, aber nur sehr bedingt mit Afrika getan werden musste.

Aber nicht einmal ein Jahrzehnt später hatte die koloniale Entwicklungsinitiative ihren Reformeifer verloren. Entwicklung erschien nun nicht mehr vornehmlich als koloniales Projekt, das Autorität und Expertise verlangte, sondern wurde sozusagen als natürliche Entfaltung eines universalen sozialen Prozesses diskutiert. Diesen Prozess konnten menschliche Gestalterinnen und Gestalter erleichtern, aber im Grunde wurde er, so die damalige Lesart, von der Geschichte vorangetrieben. Daher konnte er sowohl von Afrikanern als auch von Europäern verwaltet werden. Das Entwicklungskonstrukt schöpfte dabei einen beträchtlichen Teil seiner Ausstrahlung aus der Ablehnung der Vergangenheit bei gleichzeitiger Verheißung für die Zukunft, weniger hingegen aus seiner Kapazität, die Probleme der Gegenwart adäquat anzusprechen oder gar zu lösen. Genau diese Dichotomie erlaubte es Frankreich und Großbritannien, das Bewusstsein der Notwendigkeit ihrer künftigen Mission auch angesichts des Scheiterns ihrer gegenwärtigen Mission zu bewahren. Im Übrigen vermochte Entwicklung im Gegensatz zu anderen imperialen Rechtfertigungen eine beträchtliche Anziehungskraft auf die nationalistischen Eliten zu entfalten. Am Ende übernahmen die Afrikaner das Projekt Entwicklung zusammen mit dem von den Kolonialregimen aufgebauten Staatsapparat und die sich zurückziehenden Kolonialherren konnten sich einreden, dass ihre Nachfolger zwangsläufig den von den Europäern angelegten Pfaden folgen würden.

Die wachsende Konvergenz von nordamerikanischen und europäischen Interessen bezüglich der Notwendigkeit, "Entwicklung" durch technische Hilfsprogramme zu erzeugen, spielte überdies eine wichtige Rolle für die Gründung einer Reihe von internationalen Organisationen in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds erweiterten zunehmend ihr Aktionsfeld. Hatten sie in den ersten Jahren nach Kriegsende den Wiederaufbau und die finanzielle Stabilität in Europa unterstützt, förderten sie bald die "internationale Entwicklung". Von ebenso großer Bedeutung war das Netz von Entwicklungsorganisationen, das unter dem Dach der Vereinten Nationen entstand: die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Kinderhilfswerk UNICEF, das Entwicklungsprogramm UNDP und die Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNESCO. Die Gründung dieser multilateralen Agenturen trug entscheidend zur Internationalisierung des Entwicklungskonzepts im Zeitalter der Dekolonisation bei. Obwohl die Verwaltung dieser Organisationen zunächst von Europäern und US-Amerikanern dominiert wurde und die Debatten vornehmlich spezifische nationale Interessen reflektierten, etablierte sich doch zunehmend als "gemeinsames Ziel" eine prosperierende, stabile Welt. Die wachsende Präsenz von "Entwicklungsländern" in den UN-Organisationen erleichterte es den Vertreterinnen und Vertretern aus Afrika, Asien und Lateinamerika, ihre Konzeption von Entwicklung in die Debatten einzubringen. Gleichwohl blieb die "Partnerschaft für den Fortschritt" eine ungleiche Beziehung, zumal die Ströme an Information, Wissen, Technologie und Expertise größtenteils von der "entwickelten" zur "unterentwickelten" Welt verliefen.

Entwicklungszusammenarbeit und Planung: Ein Beispiel

Planung gehörte zu den Instrumenten, die Entwicklung in Afrika ermöglichen sollten. Die Planungseuphorie war Ausdruck jenes für die Periode der Dekolonisation charakteristischen Machbarkeitswahns. Planung war in den frühen 1960er Jahren etwas, das die neuen afrikanischen Führungseliten und Politiker inzwischen als notwendiges Instrument staatlichen Handelns ansahen. Zur Erstellung dieser Pläne wurden häufig internationale Experten eingekauft. Regelmäßig kam es zu Streitigkeiten. Während die Regierungen ihre neue politische Unabhängigkeit mit allen Mitteln durch wirtschaftlichen Fortschritt stützen wollten, sahen sich die Beraterinnen und Berater häufig unter Druck, ihre ökonomischen Projekte den politischen Strategien der Regierungen zu opfern. Dennoch herrschte um 1960 überall in Afrika Planungseuphorie, verbunden mit der Hoffnung, den Menschen in Afrika auf diese Weise eine bessere Zukunft bieten zu können.

Von diesem Optimismus beseelt war auch der an der Universität von Michigan in Ann Arbor lehrende Ökonom Wolfgang Stolper, als er im Sommer 1960 in der unmittelbar vor der Unabhängigkeit stehenden britischen Kolonie Nigeria eintraf. Im Auftrag des dortigen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und vermittelt durch die Ford Foundation sollte Stolper für das westafrikanische Riesenland einen Fünfjahres-Entwicklungsplan erarbeiten. Stolper verbrachte mit Unterbrechungen insgesamt achtzehn Monate in Nigeria, um seine Mission zu erfüllen. Während dieser Zeit führte er ein Tagebuch, das posthum veröffentlicht wurde.

Diese außergewöhnliche Quelle führt direkt hinein in die Frühphase der Entwicklungsplanung in den jungen Staaten Afrikas, als vieles noch möglich schien und man die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen wollte. "Ich habe die beneidenswerteste Aufgabe, die ein Mann haben kann", notierte Stolper unmittelbar nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Lagos, "einen integrierten Plan für die bedeutendste Ökonomie Afrikas mit der größten und hoffnungsvollsten Zukunft aller Nationen Afrikas zu entwickeln." Dieser Optimismus paarte sich mit dem Gefühl der Handlungsmächtigkeit, denn Stolper war überzeugt, dass "kein Weißer jemals eine solche Rolle ausgeführt hat oder ausführen wird, wie ich sie in Nigeria zugetragen bekommen habe." Gelegentlich beschlichen ihn allerdings doch Zweifel, ob die große Planungsaufgabe tatsächlich zu erfüllen sei. Seinem Tagebuch vertraute er nach knapp einjähriger Tätigkeit in Westafrika an: "Man kommt von Zeit zu Zeit nicht umhin zu denken, dass alle Anstrengungen nutzlos sind, dass die wahren Entscheidungen mit unseren Vorstellungen nichts zu tun haben und überdies von Leuten gefällt werden, die wir gar nicht kennen." Am Ende seines Aufenthaltes zeigte sich Stolper wieder höchst zufrieden, denn sein Entwurf fand bei den Verantwortlichen ungeteilte Zustimmung. Freilich sollte der Wirtschaftsplan, typisch für so viele Entwürfe in diesem Bereich, in der Folge weitgehend Makulatur bleiben.

Stolpers Mission stand weitgehend im Einklang mit einer allgemeinen, wenn auch keineswegs universellen "Entwicklungsorthodoxie", die sich in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hatte. Diese besagte, dass finanzielle Hilfen und Investitionen, der Transfer von Wissen im Bereich der Produktionstechniken, Maßnahmen im Gesundheits- und (Aus-)Bildungswesen sowie sorgfältige wirtschaftliche Planung die armen Länder des Südens in die Lage versetzen würden, zu "normalen" Marktökonomien zu werden. Im Gegensatz zum damals dominanten Ansatz wollte Stolper jedoch den Staat aus dem Entwicklungsprojekt so weit wie möglich heraushalten. Staatliche Unternehmen seien Gift für das Wachstum, der Staat solle seine schmalen Ressourcen zur Errichtung einer funktionierenden Infrastruktur und zur Schaffung von Humankapital einsetzen und bestenfalls noch als Mittler zwischen ausländischen Kreditgebern und privaten Gesellschaften fungieren.

Mehr als zwei Dekaden später drückte die Weltbank mit ihren sogenannten Strukturanpassungsprogrammen die Forderung nach weniger Staat in Afrika mit Macht durch. Dahinter stand die Überzeugung, dass jede Art staatlicher Intervention die optimierenden Wirkungen von Marktmechanismen verzerre. Die bereits ältere Programmatik der "Hilfe zur Selbsthilfe" erfuhr in diesem Zusammenhang eine neue Dynamik und problematische Revitalisierung. Für die Mehrzahl der Menschen in den betroffenen Ländern zeitigte diese Überzeugung, wie viele Beobachterinnen und Beobachter meinen, fatale Folgen.

"Wir" und "sie"

Der Ruf nach weniger Staat in der Entwicklungszusammenarbeit markierte eine Zäsur: Denn die diversen spätkolonialen Entwicklungsinitiativen hatten eine Vorstellung begründet, die sich zunächst als sehr prägend erwies: Staatliche Projekte sollten Ressourcen in andere Kanäle lenken, als der Markt es tut. Eine solche Konzeption impliziert jedoch Machtbeziehungen – "sie erfordert und honoriert das Wissen von Experten und setzt Ungleichheit und Hierarchien voraus, auch wenn sie die Kluft zwischen verschiedenen Lebensstandards zu verringern beansprucht." Koloniale Regierungen versuchten Entwicklungszusammenarbeit als Instrument für die Sicherung ihrer Herrschaft zu nutzen und sahen sich mit den nicht-intendierten Folgen dieses Versuchs konfrontiert, nämlich dass Teile der Bevölkerung nun Ansprüche an Lebensstandards stellten und entsprechende Maßnahmen einforderten.

In den 1960er und 1970er Jahren hatten die meisten afrikanischen Staaten ein durchaus signifikantes, wenngleich insgesamt bescheidenes Wachstum ihrer Volkswirtschaften erlebt. Wichtiger noch, die Lebenserwartung stieg, die Kindersterblichkeit ging zurück, vor allem aber verbesserte sich der Zugang zu Bildung. Staatliches Handeln hatte einen erheblichen Anteil an dieser Transformation gehabt. Mit der Ölkrise und der folgenden weltweiten Rezession trat jedoch eine markante Veränderung ein. Die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds untergruben in den 1980er Jahren nicht zuletzt jene staatlichen sozialpolitischen Maßnahmen, die vielen Menschen in Afrika Hoffnung gegeben und neue Spielräume verschafft hatten. Die Wunderwirkungen des Marktes blieben hingegen aus. Die Politik der Entwicklung wurde zur Politik der Abschreibungen. Die Schuld dafür wurde nicht bei globalen Strukturen gesucht, sondern schlechten afrikanischen Regierungen und korrupten Eliten zugeschrieben.

Fiel die Bilanz der Entwicklungszusammenarbeit bis in die 1970er Jahre noch gemischt aus, so zeitigten die marktorientierten Strategien in den beiden darauffolgenden Dekaden vornehmlich negative Resultate. Die Kürzung der Entwicklungshilfegelder sowie der Abbau staatlicher Regulierung und Bürokratie sollten zwar die lokale Bevölkerung zu mehr Eigeninitiative motivieren; diese bestand jedoch häufig lediglich darin, dass Warlords Armeen rekrutierten und unterbezahlte Staatsangestellte illegalen Geschäften nachgingen.

Die Resultate von Entwicklungszusammenarbeit konnten desaströs sein, vermochten in zahlreichen Fällen aber durchaus auch Leiden konkret zu mildern. Vor allem aber ist die Geschichte von Entwicklungszusammenarbeit nicht zuletzt die Geschichte von sich beständig wandelnden, oft enttäuschten Erwartungen. In diesem Zusammenhang können die Konsequenzen eines bestimmten Handelns weder von Befürworterinnen noch von Kritikern der Entwicklungszusammenarbeit durch Verallgemeinerungen über "Entwicklung" beurteilt werden. Vielmehr gilt es, genau zu analysieren, wann Programme der Entwicklungszusammenarbeit halfen und wem sie schadeten, für wen sie unerwartete Möglichkeiten oder Einschränkungen bedeuteten.

Die vielleicht wichtigste Konsequenz von "Entwicklung" seit Mitte des 20. Jahrhunderts liegt vermutlich darin, dass die damit verbundenen Aspekte überall auf der Welt konkret diskutiert werden können. Die Tatsache, dass das Leiden von Kindern in afrikanischen Flüchtlingslagern in den Räumen internationaler Organisationen in Genf oder New York Anlass zu kontroversen Debatten liefert, mag zu stereotypen Bildern über die "Anderen" als die "Armen" und "Elenden" beitragen. Sie unterstreicht jedoch auch "unsere" Verwobenheit mit der Vergangenheit und Zukunft aller Menschen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. James Ferguson, The Anti-Politics Machine. Development, Depoliticization, and Bureaucratic Power, Cambridge, MA 1990.

  2. Vgl. Reinhart Kößler, Entwicklung, Münster 1998.

  3. Für die Begrifflichkeiten und ihre Bedeutung im Feld der Entwicklungspolitik vgl. Hubertus Büschel, Geschichte der Entwicklungspolitik, 11.2.2010, Externer Link: docupedia.de/zg/Geschichte_der_Entwicklungspolitik (16.1.2015); Franz Nuscheler, Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, Bonn 20045.

  4. Daniel Speich/Hubertus Büschel, Einleitung – Konjunkturen, Probleme und Perspektiven der Globalgeschichte von Entwicklungszusammenarbeit, in: dies. (Hrsg.), Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, Frankfurt/M. 2009, S. 7–29, hier: S. 10.

  5. In der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Forschung wird dieses "Scheitern" seit geraumer Zeit und häufig sehr differenziert und gelegentlich auch mit einer historischen Perspektive analysiert. Vgl. etwa Thomas Bierschenk/Georg Elwert (Hrsg.), Entwicklungshilfe und ihre Folgen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika, Frankfurt/M. 1993; Dieter Neubert, Entwicklungspolitische Hoffnungen und gesellschaftspolitische Wirklichkeit. Eine vergleichende Länderfallstudie von Nicht-Regierungsorganisationen in Kenia und Ruanda, Frankfurt/M. 1997; Aram Ziai, Zwischen Global Governance und Post-Development. Entwicklungspolitik aus diskursanalytischer Perspektive, Münster 2006; F. Nuscheler (Anm. 3).

  6. Grundlegend für diese Perspektive vgl. Arturo Escobar, Encountering Development. The Making and Unmaking of the Third World, Princeton 1995; Wolfgang Sachs (Hrsg.), The Development Dictionary. A Guide to Knowledge as Power, London–New York 1992. Die hierzulande erste lautstarke und medienwirksame Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit aus linker Perspektive, verknüpft mit der Forderung, diese abzuschaffen, formulierte Brigitte Erler, Tödliche Hilfe. Bericht von meiner letzten Dienstreise in Sachen Entwicklungshilfe, Freiburg/Br. 1985.

  7. Besonders nachdrücklich hat sich der angesehene Ökonom Jeffrey Sachs von der Position abgewandt, dass die "Entwicklungsländer" der Marktdisziplin zu unterwerfen seien. Er wurde zu einem dezidierten Befürworter kostenintensiver Armutsbekämpfungsprogramme von Staaten und internationalen Organisationen. Vgl. Jeffrey Sachs, Das Ende der Armut, München 2005; ders., Wohlstand für alle, München 2007.

  8. Frederick Cooper, Writing the History of Development, in: Journal of Modern European History, 8 (2010) 1, S. 5–23, hier: S. 6.

  9. Die Geschichte von Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit wird inzwischen recht breit erforscht. Vgl. grundlegend Frederick Cooper/Randall Packard (Hrsg.), International Development and the Social Sciences. Essays on the History and Politics of Knowledge, Berkeley 1997. Die folgenden Abschnitte basieren auf der Einleitung zu diesem Buch. Aus der Fülle der neueren Publikationen vgl. Hubertus Büschel, Hilfe zur Selbsthilfe. Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960–1975, Frankfurt/M. 2014; Joseph Hodge et al. (Hrsg.), Developing Africa. Concepts and Practices in Twentieth-Century Colonialism, Manchester 2014. Für gute historiografische Überblicke vgl. Corinna Unger, Histories of Development and Modernization: Findings, Reflections, Future Research, 9.12.2010, Externer Link: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010-12-001.pdf (16.1.2015) sowie H. Büschel (Anm. 3).

  10. Vgl. die sehr instruktive Fallstudie von Monica M. van Beusekom, Negotiating Development. African Farmers and Colonial Experts at the Office du Niger, 1920–1960, Oxford 2002.

  11. Vgl. Marc Frey et al. (Hrsg.), International Organizations and Development 1945–1990, New York 2014.

  12. Vgl. Andreas Eckert, "We Are All Planners Now". Planung und Dekolonisation in Afrika, in: Geschichte und Gesellschaft, 34 (2008) 3, S. 375–397.

  13. Vgl. Toyin Falola, Development Planning and Decolonization in Nigeria, Gainesville 1996. Zu den wichtigsten Planungsexperten in Afrika in den eineinhalb Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg zählte der Mitbegründer der "Entwicklungsökonomie" und spätere Nobelpreisträger W. Arthur Lewis. Vgl. Robert L. Tignor, W. Arthur Lewis and the Birth of Development Economics, Princeton 2006; A. Eckert (Anm. 12).

  14. Vgl. Clive S. Gray (Hrsg.), Inside Independent Nigeria. Diaries of Wolfgang Stolper, 1960–1962, Aldershot 2003. Die folgenden Zitate sind diesem Band entnommen.

  15. Vgl. Wolfgang F. Stolper, Planning Without Facts, Cambridge, MA 1966.

  16. Vgl. H. Büschel (Anm. 9).

  17. F. Cooper (Anm. 8), S. 11.

  18. Vgl. ders., Africa Since 1940. The Past of the Present, New York 2002.

  19. Für eine exzellente Fallstudie zu dieser Transformation vgl. James Ferguson, Expectations of Modernity. Myths and Meanings of Urban Life on the Zambian Copperfield, Berkeley 1999.

  20. Vgl. Jean-François Bayart/Stephen Ellis/Béatrice Hibou, The Criminalization of the State, Oxford 1999.

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Dr. phil., geb. 1964; Professor für die Geschichte Afrikas am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. E-Mail Link: andreas.eckert@asa.hu-berlin.de