Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte
Hitlers Schrift "Mein Kampf", die er in zwei Teilen, 1924 in der Landsberger Festungshaft und 1926 auf dem Obersalzberg, verfasste, ist seit jeher ein Reizthema. Die Schrift erschien im Eher-Verlag, dem Hausverlag der NSDAP.[1] Nach Ende des Zweiten Weltkrieges übertrug die amerikanische Besatzungsmacht das Vermögen sowie die Urheberrechte an den Publikationen des Verlages dem Freistaat Bayern beziehungsweise dem Bayerischen Ministerium der Finanzen. Mit dem Hinweis auf diese Rechtslage hat der Freistaat Bayern eine Wiederveröffentlichung von "Mein Kampf" in Deutschland bis heute unterbunden. Dies war solange kein Problem, wie das Urheberrecht fortgalt, nämlich bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Im Falle Hitlers läuft diese Frist Ende 2015 ab. Vom 1. Januar 2016 an ist "Mein Kampf" gemeinfrei.Dass die Materie eine hochpolitische, auch außenpolitisch relevante Dimension besitzt, ist unstrittig und keineswegs eine neue Erkenntnis. Klar ersichtlich wird sie zum Beispiel schon im Umgang mit Hitlers "Zweitem Buch", in dem der spätere Diktator sein langfristiges Ziel der bewaffneten Eroberung von "Lebensraum" im Osten ausführlich begründet. Dieses von Hitler 1928 verfasste, damals unveröffentlichte Manuskript wurde 1958 von dem Historiker Gerhard Weinberg in den USA wiederentdeckt. Mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Freistaats Bayern publizierte das Institut für Zeitgeschichte die Schrift, und zwar "wesentlich von dem Gedanken geleitet, durch eine wissenschaftliche kritische Edition einem öffentlichen Mißbrauch vorzubeugen".[2] Als nun die Frage entstand, ob eine englische Lizenz- und damit deutscherseits autorisierte Ausgabe der Schrift opportun sei, äußerte das Auswärtige Amt Bedenken: Jeder Eindruck einer deutschen "amtlichen Mitwirkung" an der Publikation in den USA sei zu vermeiden, denn es bestehe die Gefahr, "daß bei einem Teil der amerikanischen Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die Verbreitung des Hitlerschen Manuskripts geschehe unter amtlicher deutscher Förderung, was zu Mißdeutungen Anlaß bieten könnte".[3] Hitlers "Zweites Buch" erschien daher in den USA zunächst nur als unautorisierte Ausgabe. 1995 gab der Freistaat Bayern erneut die Zustimmung zu einer ausführlich kommentierten deutschen Neuveröffentlichung im Rahmen der vom Institut für Zeitgeschichte besorgten großen Edition von Hitlers "Reden, Schriften, Anordnungen 1925–1933". Allerdings wurde dieses Mal der Titel ("Hitlers Zweites Buch") als politisch problematisch betrachtet und durfte dementsprechend nicht verwendet werden.[4]
Wie ein Vorgriff auf die aktuelle Diskussion um "Mein Kampf" wirkt diese Episode, allerdings mit dem Unterschied, dass das Instrument des Urheberrechts künftig nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich umso nachdrücklicher die Frage nach Sinn und Zweck, Ergebnissen und Problemen einer kritischen Edition von "Mein Kampf". Das Institut für Zeitgeschichte bereitet eine solche Edition seit Längerem vor, wird sie im Januar 2016 publizieren und der Öffentlichkeit vorstellen. Im Folgenden wird es erstens um die sachliche Notwendigkeit einer solchen Edition gehen, zweitens um ihren Zuschnitt und ihre wesentlichen Zielsetzungen. Ein dritter Gedankengang gilt einigen spezifischen Problemen im Kontext der öffentlichen Debatte um dieses Projekt.