Der neue unsichtbare Krieg? Zum Begriff der "hybriden" Kriegführung
In letzter Zeit fällt in sicherheitspolitischen Diskussionen in Politik und Wissenschaft häufig das Schlagwort "hybride Kriegführung" im Zusammenhang mit einer offenbar neuartigen Form von Bedrohung.[1] Auch Medien und Öffentlichkeit haben diesen Begriff übernommen. "Hybride Kriegführung" scheint damit die neueste Variante darzustellen, einen wahrgenommenen Wandel des Kriegsgeschehens terminologisch zu fassen.[2]Der Ausdruck "hybrid" geht zurück auf das lateinische Wort hybrida für "Bastard", "Mischling", das sich von dem griechischen Wort hýbris für "Anmaßung", "Übermut" ableitet, und bezeichnet eine Mischform beziehungsweise eine Kreuzung aus zwei oder mehreren Elementen. Bezogen auf Kriegführung impliziert das Attribut die Kombination verschiedener Arten, Mittel und Strategien der Kriegführung. Aber handelt es sich dabei tatsächlich um ein Phänomen, das eine neue Begrifflichkeit notwendig macht?
Für eine Annäherung an diese Frage werden in diesem Beitrag zunächst die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs "hybride Kriegführung" und wesentliche Merkmale des so beschriebenen Phänomens herausgearbeitet und anschließend anhand einiger Beispiele seine Bandbreite veranschaulicht.
Entstehung und Wandel des Begriffs
Von hybrid warfare sprach erstmalig der Militäranalyst William Nemeth 2002 im Zusammenhang mit dem Zweiten Tschetschenienkrieg ab 1999. Nemeth stellte fest, dass die tschetschenischen Rebellen gegen die russische Armee sowohl moderne Technologie als auch moderne Mobilisierungsmethoden einsetzten und je nach Lage konventionelle oder Guerillataktiken anwandten, wobei letztere durchaus auch die Grenze zum Terrorismus überschreiten konnten.[3]Weitere Verbreitung fand der Begriff im Zuge der Analyse des Libanonkrieges 2006, als der Militärwissenschaftler Frank Hoffman mit Blick auf die Kriegführung der Hisbollah gegen Israel eine ähnliche Mischung militärischer Taktiken herausstellte.[4]
Eine "hybride Kriegführung" wurde also zunächst nichtstaatlichen Akteuren zugeschrieben, von denen eine Kombination von konventionellen und Guerillataktiken in dieser Form nicht erwartet worden war, sodass eine neue Begrifflichkeit notwendig erschien. Etwas unklar bleibt in diesen frühen Beiträgen, inwieweit nichtgewaltsame Mittel wie beispielsweise die Nutzung des Internets zu Zwecken von Information und Desinformation bereits ein konstitutives Element für den neuen Begriff darstellten, wie es heute der Fall ist. Der Verweis auf die modernen Mobilisierungsmethoden im Falle der tschetschenischen Rebellen könnte dies zumindest andeuten.
Die Sinnhaftigkeit des Begriffs wurde gleich aus mehreren Richtungen kritisiert. Die Kombination verschiedener militärischer Taktiken durch Kriegsakteure sei kaum als neues Phänomen zu bezeichnen, das eines eigenen Begriffs bedürfe. Historisch handle es sich dabei vielmehr um die Regel denn um die Ausnahme.[5]
Analog verhalte es sich mit Blick auf die Verbindung von militärischen und nichtmilitärischen Elementen: Kriegsparteien bedienten sich zur Unterstützung ihrer Kriegführung immer auch nichtmilitärischer Mittel. So soll etwa Diplomatie verhindern, dass der Gegner Bündnispartner findet; Wirtschaftssanktionen bis hin zu Embargos sollen die Versorgung des Gegners erschweren; Propaganda soll die Unterstützung der eigenen Bevölkerung sicherstellen und die Moral des Gegners untergraben. Das Führen eines Krieges sei somit also grundsätzlich hybrid.[6]
Aus diesen nichtmilitärischen Mitteln, die bereits unabhängig von einem Kriegszustand ein Einwirken auf einen anderen Staat erlauben, ergeben sich vielmehr in ihrer möglichen Kombination mit militärischen Mitteln durch einen potenziellen Angreifer vielfältige Szenarien "hybrider Bedrohungen",[7] ein insbesondere auch von der NATO verwendeter Terminus.
Besondere Aufmerksamkeit kommt hier nichtmilitärischen Mitteln zu, die beispielsweise im Cyberraum oder in den Medien eingesetzt werden können, ohne dass eine direkte Urheberschaft nachzuvollziehen ist. So konnte etwa über die Herkunft der Schadsoftware Stuxnet, die 2010 auf den Steuerungscomputern einer Urananreicherungsanlage in Iran gefunden wurde, nur spekuliert werden;[8] auch ist ungewiss, wer jüngst während des US-Präsidentschaftswahlkampfs den internen E-Mail-Verkehr der US-Demokraten hackte und die Inhalte, aus denen die Einflussnahme der Parteispitze im Nominierungswahlkampf zugunsten Hillary Clintons und gegen Bernie Sanders erkennbar war, der Enthüllungsplattform Wikileaks zuspielte.
Alternative Bezeichnungen für den wahrgenommenen Wandel in der Kriegführung, wie "nichtlinear"[9] oder mit Blick auf das russische Vorgehen während der Ukraine-Krise seit 2014 auch "unkonventionell"[10] oder "postmodern"[11] konnten sich nicht durchsetzen. Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass der Begriff des Hybriden, der (Ver-)Mischung, ein als wesentlich wahrgenommenes Element der zu bezeichnenden Kriegführung aufgreift, die anderen Begriffe hingegen Negationen sind, die ein Verständnis der Bedeutung von konventioneller, moderner oder linearer Kriegführung voraussetzen. Darüber hinaus ist beispielsweise die Bezeichnung "unkonventionell" nicht eindeutig; so verstand man unter einem unkonventionellen Krieg während der 1980er Jahre eher einen Nuklearkrieg als Guerillataktiken.