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Kölle. Oder: Der schlechte Ruf der Hölle. Einblicke in die kölsche Seele - Essay | Köln | bpb.de

Köln Editorial Kölle. Oder: Der schlechte Ruf der Hölle Die Silvesternacht und ihre Folgen Politik im Kölner Rathaus "Gastarbeiter" in Köln zwischen 1955 und 1983 Eine ganz normale Stadt Die Stadt und der Dom "Kein Kölsch für Nazis"

Kölle. Oder: Der schlechte Ruf der Hölle. Einblicke in die kölsche Seele - Essay

Jürgen Becker

/ 16 Minuten zu lesen

Spätestens seit dem Einsturz des Stadtarchivs 2009 und den Vorfällen vor dem Bahnhof in der Silvesternacht 2015/16 steht Köln weltweit für zwei Begriffe: Inkompetenz und sexuelle Übergriffe. Köln ist so etwas wie Lothar Matthäus als Stadt. Seit dieser Kränkung versuchen die Ordnungskräfte der Stadt Köln geradezu manisch, alles und jedes irgendwie in den Griff zu bekommen.

Widersprüche


Kurioses Beispiel ist das sogenannte Wegbier. Der Begriff umschreibt die Flasche Bier, die man auf dem Weg zu einer Party oder auch zur Arbeit trinkt. In anderen Bier-Regionen sagt man auch blumig "Fuß-Pils". Der Hintergrund: Viele junge Leute können sich häufigen Kneipenbesuch nicht leisten. Sie kaufen sich günstiges Flaschenbier, das sie auf den Wegen und Plätzen trinken. Das wurde zu einer öffentlichen Feierkultur – allabendlich. Das führt vor allem im Sommer zu einer zwanglosen Atmosphäre im öffentlichen Raum: Wenig Arbeit, viele Feste, dat is doch immer noch dat Beste!

Der Brüsseler Platz im belgischen Viertel ist das Eldorado des Wegbiers. Trotz des erbitterten Widerstands der Anwohner und dilettantischer Maßnahmen des Ordnungsamtes treffen sich hier bei gutem Wetter Tausende Kölner zum fröhlichen Quatschen und Trinken. Denn im Rheinland hat das Sprechen einen Wert an sich, unabhängig vom Inhalt. Der Rheinländer hört nicht zu. Er redet lieber selbst. Die Preußen waren oft verzweifelt über ihre Rheinprovinz, ein Machthaber soll damals in Köln mit folgenden Worten resigniert haben: "Du kannst sie nicht regieren, sie hören nicht zu!"

Heute aber will die Stadt Köln selbst die preußische Strenge vergangener Tage in den Schatten stellen. Im Herbst 2016 debattierte man im Stadtrat über eine neue Stadtordnung. Paragraf 11a will das Alkohol-Trinken hundert Meter um Schulen und Kindergärten verbieten. Eine kommunale Schnapsidee! Das wird sich in Köln nicht durchsetzen. Das wäre die Härte, auch für so manches Lehrerzimmer. Am Brüsseler Platz gab es bereits die erste Demo: "Freiheit dem Wegbier in Köln".

Außerdem soll Straßenkunst um den Kölner Dom verboten werden und Straßenmusik nur noch 20 Minuten lang erlaubt sein. Das sind fast schlimmere Zustände als in Singapur. Von Hamburg bis München beneidet man die Kölner um ihre Lebensfreude, ihre Toleranz und ihre Lockerheit. Gleichzeitig wird in Köln etwa das Rauchverbot strenger umgesetzt als anderswo – und nun noch diese drohenden Verbote für Kreidemaler, Jongleure und Musikanten. Woher kommt dieser Widerspruch in der Kölner Seele?

Ich kann es mir nur so erklären: Im zweiten Weltkrieg haben die Briten Köln so lange bombardiert, bis nichts mehr funktioniert hat. Und dann haben Sie uns geholfen, eine Stadtverwaltung aufzubauen, damit das auch so bleibt. Das desaströse Versagen der Kölner Verwaltung insgesamt führt nun zu einer nahezu preußischen Strenge, die im Widerspruch zum Lebensgefühl der Rheinländer steht. Die Abkürzung AvO zeigt das: Es sind die "Arschlöcher vom Ordnungsamt".

Jürgen Becker am Rhein mit Blick auf die Kölner Südstadt. (© Ben Grna)

Diesen Fachterminus habe ich selbst überprüft. Mein Freund Alex wollte auf dem Parkplatz vor seiner Crêperie in der Kölner Südstadt eine Außengastronomie beantragen, was dort prinzipiell möglich ist. Er wollte dies jedoch nicht konventionell mit den üblichen Stühlen auf der Parkfläche machen, sondern mit seiner Renault Estafette, einem Oldtimer. Da können die Leute auf der niedrigen Ladefläche sitzen, die mit darauf gestellten Bänken und Tischen vom Schreiner dazu einlädt. Habe er, so Alex, schon mal in Berlin gesehen und das Ganze mit einem Parkticket mal unverbindlich getestet, gerade die jungen Leute fänden das super. Hippe Idee, aber wir sind in Köln! Ich sag: "Jung, ich jeh für Dich zum Amp. Gib mir Zeichnung, Plan und Foto." Ich dahin, den Umschlag kaum ausgepackt herrschte mich eine alte preußische Gouvernante an: "Das geht nicht!!!" Ich sag: "Genau so hab ich mir dat hier vorgestellt. Ich bin doch Ihr Kunde, wieso bekomm ich eigentlich keinen Kaffee angeboten?" – "Der Antrag kostet 500 Euro und ich muss Sie warnen, dass das keinerlei Aussicht auf Erfolg hat. Und wenn das jeder machen würde, dann stünde da ein Auto neben dem andern." "Ja", sag ich, "genau wie jetzt auch".

Soviel Dummheit wie bei den AvO gibt es in keinem Tierpark. Hier wird jede Eigeninitiative im Keim erstickt. "Wenn Sie einmal mit der Stadt Köln zusammengearbeitet haben, kapieren Sie, warum das mit der DDR nicht funktionieren konnte", konterte ich. Auf dem Flur sortierte ich dann meine Zettel und hörte durch die geschlossene Bürotür das Fluchen des Amtsschimmels: "So ein Arschloch!" Ich mache die Tür wieder auf: "Das ist aber nett, wie Sie über Ihre Kunden reden!" Damit brachte ich die Furie in Verlegenheit. "Ja äh, damit ist ein Kollege gemeint." Aha! Wenn die sich schon untereinander so nennen, ist es also amtlich abgesegnet, was die Kölner auf der Straße sagen: "die Arschlöcher vom Ordnungsamt!"

Mehr Lommerzheim wagen

Dabei ist man hier eigentlich stolz auf Improvisiertes: Komikerin Carolin Kebekus definiert es auf einer Bierreklame: "Köln ist wie backstage. Nicht geleckt, aber authentisch". Beispiele dafür findet man: eine abgeranzte Kaschemme, die Wände seit Jahrzehnten nicht renoviert, prähistorische Stromleitungen und Methusalems muffiges Mobiljahr. "Ja, so ist er, der Lommerzheim", höre ich zustimmend, jene Kultkneipe in Köln-Deutz, die die Kölner Band Miljö zum Synonym für die wahre Stadt erhebt: "Su lang beim Lommi die Lichter noch brennen, so lang stirbt der Kölner nicht aus!"

Doch während ich diese Zeilen tippe, sitze ich gar nicht in Köln, sondern im Berliner Neukölln in einem der üblichen Szenelokale. Niemand käme an der Spree auf die Idee, darüber ein Lied zu schreiben, hier sind solche Pinten die Norm. In Berlin ist es etwas Besonderes, wenn man mal eine Kneipe findet, in der die Wände nicht völlig unrenoviert sind und man sich nicht auf alten Autositzen vom Schrottplatz oder Sesseln vom Sperrmüll fläzt. Hier räkeln sich die Gäste sogar auf abenteuerlich zusammengezimmerten Hochbetten. Gegen diese kruden Kultstätten der Berliner ist der Kölner Lommerzheim ein Edelschuppen der Spitzengastronomie.

"So coole Kneipen wie in Berlin findet man in Köln einfach nicht." Meine Tochter schwört auf Berlin, und immer wenn ich sie dort besuche, zeigt sie mir ihre neuesten Entdeckungen. Natürlich machen geringere Mieten solch experimentelle Läden leichter möglich. Doch das ist nicht der einzige Grund für diese facettenreiche Vielfalt. Solche schillernde Blüten fantasievoller Gastronomie würde das Kölner Ordnungsamt sofort schließen. Die peniblen Fürsten der Kölner Verwaltung verstehen nicht den geringsten Spaß, bringen alle meine befreundeten Wirte regelmäßig zur Verzweiflung und mischen sich in jede Kleinigkeit ein. "Pingelig zu Lasten der Bürger" beschreibt Peter Pauls im "Kölner Stadt-Anzeiger" die Verwaltung treffend.

So konnte vermutlich der ursprüngliche Lommerzheim nach den Kriegswirren nur deshalb so notdürftig zusammengenagelt eröffnen, weil das Ordnungsamt noch völlig zerbombt in Schutt und Asche lag und anders als jetzt keinerlei Schaden anrichten konnte. Ob Bomber Harris dieses Amt mit modernem Zielgerät heute ohne Kollateralschäden noch einmal zerlegen könnte? Nach dem 20. Kölsch im Lommi würde man womöglich auf den Trichter kommen, dass dies einen Versuch wert sei.

Denn was macht man sonst mit diesen in kölscher Selbstbesoffenheit wuchernden Geschwüren der Stadt? Entlassen kann man verstrahlte Beamte ja leider nicht. Im Sinne kölscher Lebensfreude müsste man diese arroganten Spielverderber alle totkitzeln. Damit wäre viel Sand aus dem Getriebe Kölns verschwunden und man müsste nicht mehr den Lommerzheim als Museum einer vergangenen Epoche bewundern. Frei nach Berlins ehemaligem regierenden Bürgermeister Willy Brandt hoffe ich hier am Rhein auf Besserung: "Mehr Lommerzheim wagen". Doch während Köln schon fast die autoritäre Regelwut der SED für sich entdeckt, hat Berlin die DDR heldenhaft überwunden und ist heute die viel rheinischere Stadt! Und das nicht nur, was die Kneipen angeht. Was sind der Hubschrauberlandeplatz am Kalkberg, der Opernbau und das Wahldebakel gegen den Berliner Flughafen? (Klaus Wowereit sucht übrigens einen neuen Job. Er ist als Projektleiter beim Kölner U-Bahnbau im Gespräch.)

Ambiguitätstoleranz und Dreifaltigkeit

Aber Köln ist nicht voll Panne, denn die AvO sind nicht überall. Immer schon zeigte Kölle am Rhing seine rheinische Seele, wenn die preußisch-pingeligen Ordnungskräfte in den Seilen hingen. Die Kölner Box-Legende Peter Müller schlug einst den Berliner Ringrichter Max Pippow k.o., nachdem dieser ihn wegen Klammerns ermahnte und ihn dabei einen "Zigeuner" nannte. "Da han ich ihn usjeknock." Eine lebenslange Sperre war die Folge. Doch – glückliches Köln – nach zehn Monaten wurde diese wieder aufgehoben. Wegen seiner gebückten Kampfhaltung hieß der fünffache Deutsche Meister in Köln nur "dä Aap" ("der Affe"). Die Familie von Müllers Aap hatte in Köln-Zollstock einen Gemüseladen, und meine Mutter ging dort einkaufen. Ich mochte kein Gemüse, aber es war schön, in diesem Viertel aufzuwachsen. Doch was den Kölner ausmacht, erfuhr ich damals nicht von Müllers Aap. Ausgerechnet ein alter Schwarzweißfilm mit Heinz Rühmann eröffnete mir die Seele des Kölners: "Stelle m’r uns mal janz dumm", sagt Professor Bömmel in "Die Feuerzangenbowle". Die Schüler sabotieren die Lehranstalt mit einem Schild: "Wegen Bauarbeiten geschlossen." Der empörte Lehrkörper ruft wütend nach strengen Sanktionen, ist außer sich und berät aufgebracht, was nun zu tun sei. Bömmel bleibt entspannt und hat die richtige Antwort: "nix".

Ambiguitätstoleranz – vom lateinischen ambiguus (zweifelhaft) – nennen Wissenschaftler die Fähigkeit, Dinge auszuhalten, die nicht so sind, wie sie der eigenen Meinung nach sein sollten. Die meisten Rheinländer kennen das Wort nicht, die Fähigkeit sehr wohl. Dass diese im Rheinland eigentlich stärker ausgeprägt ist als etwa in Preußen, beweist folgende Geschichte: Mein Freund, der Autor Dietmar Jacobs, reiste mit seinen beiden Töchtern, zwei und sechs Jahre alt, nach Berlin. Doch bereits die kurze Taxifahrt vom Bahnhof ins Hotel scheiterte: "Nee, die Kleene kann ick nich mitnehmen. Die brauch ’ne Schaale." Das zweite Taxi in der Schlange war ebenfalls tabu: "Ick hab keenen Sitz für die Kleene, dat jeht nich." Dem dritten Taxifahrer versicherte der Vater, dass er das Kind anschnallen werde und die Verantwortung übernähme: "Nee, uff keenen Fall. Det is jejen det Jesetz." Keiner der zehn Berliner Taxen nahm sich des gestressten Trios an, sie mussten die Strecke zu Fuß bewältigen. Zurück in Köln stiegen die drei am Hauptbahnhof ins Taxi. Der Fahrer drehte sich grinsend um und meinte im breitesten Kölsch: "Für normal darf ich üch jo janit metnemme – ävver et hilf jo nix, de Pänz müsse jo no huss", lachte und fuhr los. Der Kölner Taxifahrer akzeptierte, dass die Kinder nicht so saßen, wie es sein sollte. Einen größeren Kontrast zum Kölner Ordnungsamt kann man sich kaum vorstellen.

Womöglich ist diese Ambiguitätstoleranz historisch gewachsen. Im Rheinland hat das Kollaborieren mit dem Feind meist Vorteile gebracht. Die Westfalen haben den Feind, die Römer, zwar zurückgeschlagen, so wie es sein sollte. Doch was hatten sie davon? Keine römischen Errungenschaften wie Wasserleitung, Dampfbad, Kultur und Christentum. Stattdessen weiter Tier- und Menschenopfer. Im Rheinland zeugen die Knochen der elftausend Jungfrauen, die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom davon, dass die römische Hochkultur hier auf besonders fruchtbaren Boden fiel. Der Reliquienhandel hat Köln reich und zum Rom des Nordens gemacht, und den zeitlichen Vorsprung konnten die erst später christianisierten Westfalen nicht mehr aufholen.

Köln ist zuallererst mal römisch und dann erst katholisch. Das Katholische kommt im Rheinland so sehr an zweiter Stelle, dass man es im Grunde weglassen kann. So erlebt man am Rhein die Heilige Dreifaltigkeit – Vater, Sohn und Heiliger Geist –, entstanden aus der römischen Trias – Jupiter, Juno und Minerva – in vielen Facetten: Karneval, Kirche, Klüngel oder im privaten Bereich "Suffe, Poppe, Kaate kloppe". Das lässt sich schwerlich übersetzen. Das ist Latein, ergänzt es doch das römische Duo Brot und Spiele um eine erotische Komponente.

So ist der rheinische Humor das philosophische Chassis der Ambiguitätstoleranz. Humor erfordert ein Gefühl des Spielerischen, die Freude an Widersprüchen. Religionen sind voller Widersprüche. Deshalb holt sich die Dreifaltigkeit des rheinischen Frohsinns – Prinz, Bauer und Jungfrau – ihren Segen im Kölner Dom ab. Die Religion segnet den Humor, oder ist es umgekehrt? Ist es nicht vielmehr der Humor, der hier die Religion segnet? Zeigt uns die Welt doch täglich, dass Religion ohne Humor brandgefährlich ist. Humor enthält eine Mischung von Elementen, die nicht zusammenpassen. Humor erfordert aber auch die Fähigkeit, Unsicherheit zu ertragen. Er bedroht die Autorität. Professor Bömmel in "Die Feuerzangenbowle" untergräbt gar seine eigene Autorität: "Wenn Ihr jetzt nit wisst, wie en Dampfmaschin jeht, könnt Ihr dat im Buch nachlesen. Et steht überhaupt alles im Buch, wat ich erzähle!" Will sagen: Im Grunde ist er völlig überflüssig.

Zusätzlich gehört zum Lachen ein Verlust der Selbstkontrolle und der Selbstdisziplin. All diese Elemente aber sind genaue Gegenpole zum Fundamentalismus. Dessen Anhänger schätzen ernste Tätigkeiten mehr als Spielereien, Sicherheit mehr als Unsinniges, Autorität mehr als Chaos. So haben auch die Taxifahrer im preußischen Berlin die Sicherheit und die Autorität des Gesetzgebers an oberste Stelle gerückt und dafür die Humanität geopfert.

Autoritärer Traum

Genau das passiert nun auch in Köln. Die berühmte Silvesternacht scheint das liberale Köln ein Stück autoritärer zu machen und spiegelt damit auf kleinstem Raum eine Entwicklung wider, die wir auf dem gesamten Globus beobachten können. Der Historiker Philipp Blom glaubt gar, dass man die Welt heute nicht mehr in rechts und links einteilen könne. Aus seiner Sicht teilt sich die Welt in zwei neue Lager: Ein Teil der Welt träumt den liberalen Traum, ein anderer den autoritären Traum. Der liberale Traum thematisiert die Menschenrechte und die Freiheit. Er hat seinen Ursprung in der Aufklärung, sieht die Welt individualistisch und vor allem pluralistisch. So wie das liberale Köln: Jede Jeck is anders.

Der autoritäre Traum hingegen ist so alt wie die Welt, aber er lebt immer wieder neu auf. So wie jetzt, wenn viele Menschen nicht oder nicht mehr an die Demokratie glauben. Der autoritäre Traum sucht nach starken Führern und einfachen Antworten, zu denen die langsame, kompromissbereite Demokratie nicht fähig sei. Der autoritäre Traum wütet gegen die Dekadenz der liberalen Lebensweise und der "unnatürlichen sexuellen Ausschweifungen", so Blom. Der autoritäre Traum verbindet Donald Trump in den USA mit Wladimir Putin in Russland und Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei; ebenso Marine Le Pen in Frankreich mit Jarosław Kaczyński in Polen und Viktor Orbán in Ungarn. Und auch Pegida und AfD haben in dem Punkt mit den Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates und den Salafisten mehr gemein, als ihnen lieb ist. Sie alle erliegen dem autoritären Traum, propagieren die Reinheit der Völker, sehen Frauen in traditionellen Rollen und verteufeln immer die Homosexualität. Das ist der Lackmustest, daran können sie ihn festmachen. Der autoritäre Traum mag durchaus attraktiv sein für viele, denen Freiheit Angst macht und zu kompliziert ist. "Donald Trump sorgt dafür, dass wir nicht alle schwul werden." Dafür sorgt in Köln keiner.

Aber jetzt, wo die neokapitalistische und marktradikale FDP keine Rolle mehr spielt, kann man das Wort liberal auch wieder lustvoll in den Mund nehmen – vor allem, um sich vom autoritären Traum abzugrenzen. Aber der wird es in Zukunft schwer haben: Denn er achtet Fremde, solange sie in der Fremde bleiben. Er will Fortpflanzung nur innerhalb der eigenen Kultur. Vor 80 Jahren sprach man noch von Rasse, so Blom. Doch das ist Schnee von gestern. Wegen der Klimaerwärmung werden sich nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration bis 2050 nochmal 200 Millionen Menschen auf den Weg machen müssen, weil sie in ihrer Heimat sonst verdursten oder durch die ansteigenden Meeresspiegel ersaufen. Der liberale Traum ist eben auch für die Klimakatastrophe verantwortlich. Jeder von uns war dabei. Da haben wir alle mitgemacht. Und dann kommt nicht nur der Afrikaner, sogar der Holländer. Der kann das Wasser nicht mehr halten und wird bei uns um Asyl bitten.

Der Holländer? Da fragen sich viele, brauchen wir nicht doch eine Obergrenze? Nein, denn in Zukunft wird das kölsche "Jede Jeck is anders" ergänzt durch ein neues Motto: "Jede Jeck is von woanders." Was wir jetzt Flüchtlingskrise nennen, ist keine Krise, das ist ein Praktikum – eine Fingerübung in der Turnhalle. Damit wir Integrations-Profis sind, wenn die Klimaflüchtlinge kommen. Und sie werden kommen, das kann auch die AfD nicht verhindern. Das Land, das am geschmeidigsten integriert, hat am Ende die besten Chancen. Und wir werden immer besser! Allein schon deshalb, damit wir uns später nicht so blamieren wie der Kölner Busfahrer, der neulich einen Afrikaner an der Haltestelle sah: "Oh, Bimbo will Busfahren?" – "Ja" – "Wo will Bimbo denn hin?" – "Krankenhaus"– "Oh, Bimbo krank?" – "Näh Chefarzt".

Dennoch sagen viele, im Rheinland sei die Toleranz gegenüber Fremden vielleicht etwas größer als in anderen Teilen der Republik. Wenn, dann liegt das wohl vor allem daran, dass man hier gelernt hat, das Positive im Fremden zu erkennen und davon zu lernen. In Köln lebten wir vor 2000 Jahren rechts und links des Rheins als Germanenstämme auf sehr niedrigem Niveau. Wenn wir mal mussten, haben wir ein Loch in die Erde gegraben und darin unseren Darm entleert. Damit waren wir zufrieden. Doch dann kam der Römer aus der Fremde und schlug vor: Wir bauen jetzt Klos und leiten unsere Exkremente mit Rohren in den Rhein. Da waren die Germanen auch erst dagegen, weil das so anders war. Aber dann haben die irgendwann kapiert: Das ist super. Für das ganze Rheinland! Die Kölner haben gerufen: "Toll! Unsere Kacke fließt von uns weg den Rhein runter." Und in Düsseldorf haben sie gerufen: "Das Rheinwasser verändert seine Farbe. Da brauen wir Bier draus!"

Kölsches Othering

Dieser Witz mag platt sein, doch zeigt er: Die Angst vor dem Fremden erzeugt immer die Abgrenzung der eigenen Gruppe gegen eine andere. Jede Gruppe hält sich selbst und die eigenen Rituale für richtig und am besten. Jeder Ort und jede Ethnie glaubt, sie selbst sei die beste, was sie macht sei normal, und das Fremde sei unnormal. Deshalb besingen die Menschen die "Schönheit" ihrer Heimat. Es gibt Lieder über Kufstein "die Perle Tirols", ganz Paris "ist ein Theater", Bochum "dein Herz ist aus Stahl", sogar das Westfalenland "ist wieder außer Rand und Band". Das Besondere in Köln: Hier gibt es nur solche Lieder!

Nicht nur die etablierten Kapellen De Räuber über De Paveier bis zu De Höhner besingen den Dom, den FC, den "Rhing", und die Kölsche "han em Häzze Sunnesching". Auch die ganz jungen Bands von Kasalla bis Cat Balou bedienen dieses Muster kölscher Selbstbesoffenheit mit großem Erfolg und viel Charme, dem man sich kaum entziehen kann. Am Ende singt jeder mit und stimmt sogar den Höhnern zu: "Kölle, du bes e Jeföhl!"

Die positive Identität mag helfen, in der Globalisierung zu bestehen. Schließlich bringen fremde Kulturen oft Denkweisen und Rituale mit, die anders sind. In Neuseeland gibt es zum Beispiel Kulturen wie die Maori, da sind alle Mädchen schon mit zwölf Jahren tätowiert. Das kommt uns komisch vor. Bei uns ist das erst mit 14. Oder es gibt in Südostasien Völker, da treffen sich die Männer, die keinen Sex mehr haben, in speziellen Männerhäusern. Das gibt’s bei uns auch. Aber hier heißt das "OBI". Gerade von Afrika haben viele hier ganz falsche Vorstellungen. Die denken, da gibt es Kannibalen, die ihre Verwandten essen. Und das macht uns Angst. Andererseits isst man in Norddeutschland Labskaus. Und ich glaube, da schmecken meine Verwandten besser.

Die Psychoanalyse sagt ja, dass Fremdenangst von der Angst vor dem Fremden in der eigenen Seele kommt. Insofern berührt die Silvesternacht in Köln jeden zutiefst und wühlt einiges auf. Der autoritäre Traum macht sich hemmungslos Luft, auch auf den Internetseiten von Brings und Kasalla, die sich einem Shitstorm ausgesetzt sahen, weil sie sich für Ausländer und gegen Rechts einsetzen. Zeitweise mussten Sie ihre Homepages schließen. Der Rassismus ist in der vermeintlichen Mitte auch dieser Stadt angekommen. Erstaunlich aber bleibt, dass Menschen mit solchen Ressentiments die Songs dieser Musiker so toll finden, deren politische Gesinnung doch eindeutig links von der Mitte verortet ist. Sogar Rechtsradikale weilen unter ihren Fans.

Könnte es vielleicht sein, dass die Lobeshymnen "op Kölle, du ming Stadt am Ring" denen so munden, die Kölle über alles lieben, weil sie "Deutschland, Deutschland über alles" nicht mehr singen dürfen? Machen wir uns nichts vor: Kölschtümelei hat eine offene Flanke zum rechten Rand. Sowohl die rechtsextreme Partei Pro Köln als auch die AfD werben auf Plakaten mit Mundart-Slogans wie "Damit uns Kölle kölsch bliev".

Dass die kölschen Bands ihre Stadt schön finden, sei ihnen unbenommen. Aber muss man sie schön färben? Schließlich war das nicht immer so. Die bekanntesten kölschen Lieder wie "Mer losse d’r Dom in Kölle" oder "In unserem Veedel" von den Bläck Fööss waren auch eine Kritik an der Stadtsanierung und an der Spaltung der Stadt. Der Song "Kristallnaach" von BAP steht für sich und sogar bei De Höhner fand man früher mal Kritik, zum Beispiel an der Situation der Migranten: "Wann jeiht für mich der Himmel wieder op?" Köln ist eben nicht "E Jeföhl" und "super tolerant" und "nemp jeden an de Hand", wie Tommy Engel so gerne singt. Hier gibt es vermutlich genauso viel rechtsextremes Gedankengut in der Bevölkerung wie in anderen Städten. Nur will man es oft nicht wahrhaben im kölschen Biotop, wo jeder Jeck anders ist und jeder Kölsch spricht. Dabei können die meisten kein Kölsch, und was ist daran schlimm? Denn die, die kein Kölsch sprechen sind die wahren Kölner. Die Zugezogenen, die "Imis", die kein "kölsch Bloot" haben, wie T-Shirts es in Frakturschrift propagieren. Denn die sind nicht einfach nach ihrer Geburt hier hängen geblieben, die haben sich bewusst für diese Stadt entschieden. Für dieses Biotop für Bekloppte.

"Hüsjer Sträßjer Jässjer" – ja, es stimmt: "Mer han der Dom, d’r Ring un im kölsche Häzze Sunnesching." Und so klingt auch der Soundtrack der meisten kölschen Lieder: "Mer sinn wie mer sinn, un so wie mer sinn, simmer perfekt." Mit viel Fleiß könnte das in der Mischung mit den vielen Zugereisten vielleicht gelingen.

Mein Kollege Erwin Grosche aus Paderborn schrieb einst einen Satz, der im Positiven wie im Negativen eigentlich für jede Stadt gilt: "Der schlechte Ruf der Hölle liegt nicht an dem Ort. Sondern an den Leuten dort."

ist Kabarettist, Autor und Fernsehmoderator aus Köln. Er gehört zu den Gründern der Stunksitzung.