"Kein Kölsch für Nazis". Kommunales Wir-Gefühl als politische Mobilisierungsressource
Kölner Lokalpatriotismus
Oft geschmäht als Kölner Klüngel und verlacht als selbst verordnetes Narrentum hat das sogenannte kölsche Lebensgefühl einen besonderen Stellenwert in der Außendarstellung wie auch in der Selbstetikettierung seiner Einwohnerschaft.[23] Zu den angeblich typisch kölschen Eigenarten zählen Redensarten wie "Et kütt wie et kütt" ("Es kommt, wie es kommt.") oder "Wat fott es, es fott" ("Was fort ist, ist fort."). Der Kölner "an sich", so soll das ausdrücken, lässt sich in seiner Liebe zu seiner Stadt durch nichts aus der Ruhe bringen. Die Komikerin Carolin Kebekus beschreibt dieses Lebensgefühl in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Wenn Besuch kommt, merkt man, dass die eigene Wahrnehmung eine andere ist als die Außenwahrnehmung. Man zeigt, wo es in Köln überall schön ist – und merkt an den Reaktionen, dass man das auch anders sehen könnte. Ich glaube, dass die Kölner auch dann noch am Rhein sitzen und schöne Lieder über die schöne Stadt singen würden, wenn vorher alle Gebäude in irgendwelche U-Bahn-Baustellen gestürzt wären. Den Lokalpatriotismus hier versteht keiner – außer uns."[24] Kebekus weist auch auf die Fallstricke eines solchen Lokalpatriotismus hin: "Wenn man in diesem Gefühl aufgeht, könnte passieren, dass man Leute ausschließt. Eine Stimmung kann umkippen, wenn man den Kreis zu eng macht. Und dann vergisst man: Es gibt auch Leute in Köln, die nicht mitschunkeln und trotzdem dazugehören."[25]Mit dieser Selbstkritik steht Kebekus in der Riege Kölner Engagierter nicht allein da. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker kritisierte in seiner Rede auf der eingangs erwähnten "Du Bes Kölle"-Demo am 14.12.2014 die viel beschworene Heimatliebe seiner Mitstreiter mit scharfen Worten: "Könnte es vielleicht sein, dass die Lobeshymnen op Kölle, du ming Stadt am Rhing ["Köln, du meine Stadt am Rhein"] denen so munden, die Kölle über alles lieben, weil sie Deutschland, Deutschland über alles nicht mehr singen dürfen?" Auch das Demo-Motto stellte Becker infrage: "Denn die, die kein Kölsch können sind die wahren Kölner. Die Zugezogenen, die Imis, die kinn kölsch Bloot han ["die kein kölsches Blut haben"]. Denn die sind nicht einfach nur hier hängen geblieben, wie ich, die haben sich bewusst für diese Stadt entschieden."[26]
Diese Kritik weist sowohl auf die Gefahren kollektiver Identitätskonstruktionen hin und beweist zugleich die Reflexionsfähigkeit der Akteure in ihrer Mobilisierung antirassistischer Ressourcen in der Stadtgesellschaft. Denn dass es in der Kölner Musikszene auch bei den Akteuren von Arsch huh auch eine kritische und selbstkritische Haltung zum Beschwören angeblicher Kölner Leidenschaften gegeben hat, beweist der BAP-Song von 1982 "Nit für Kooche" ("Nicht für Kuchen"), der als Anti-Karnevalssong die Verlogenheit der Kölner Lebenshaltung thematisiert. Als kritische und anarchische Antwort auf die offiziellen Kölner Prunksitzungen zu Karneval wurde 1983 – unter Mitwirkung von Jürgen Becker – die "Stunksitzung" gegründet. Diese stark politisierten Sitzungen entwickelten sich sowohl qualitativ als auch quantitativ im Laufe der Jahre zu einer ernsthaften Konkurrenz zum offiziellen Kölner Narrenbrauchtum.