Das Bundesverfassungs-Gericht im europäischen und internationalen Umfeld
Im September 2001 blickt das Bundesverfassungsgericht auf eine 50jährige Erfolgsgeschichte zurück. Im internationalen Vergleich gesehen, gehört das Bundesverfassungsgericht zum österreichisch-deutschen Typus der Verfassungsgerichtsbarkeit.I. Die Expansion der Verfassungsgerichtsbarkeit
Das 20. Jahrhundert hat in seiner zweiten Hälfte einen 1945 nicht vorhergesehenen globalen Siegeszug der Verfassungsgerichtsbarkeit erlebt. [1] Das Bundesverfassungsgericht, im Grundgesetz des Jahres 1949 vorgesehen und 1951 [2] errichtet, ist ein Teil dieses Prozesses und in bedeutendem Maße auch Impulsgeber dieser Entwicklung. [3]
Vor 1945 hat es nur in vier Ländern eine Verfassungsgerichtsbarkeit unterschiedlichen Umfangs gegeben, so im klassischen Pionier- und Mutterland der Verfassungsgerichtsbarkeit, in den USA, in der Schweiz, in Österreich und in Irland. [4] Erst nach 1945 beginnt die bis zur unmittelbaren Gegenwart andauernde Expansion der Verfassungsgerichtsbarkeit. [5] Den Anfang machten Staaten mit Diktaturerfahrungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wie Italien (1948/1956) und die Bundesrepublik Deutschland (1949/1951). Diesem Muster folgten in den siebziger Jahren Spanien, Portugal und Griechenland nach ihrem Systemwechsel zur Demokratie und nach 1989 die "Transformationsstaaten" in Ost- und Südosteuropa. Längst aber hatte sich die Verfassungsgerichtsbarkeit als adäquater Ausdruck und Schlussstein des Verfassungsstaats so überzeugend be-währt, dass die Institution auch ohne Systemwechsel zum Normalbestandteil einer gewaltenbalancierenden Verfassung wurde, so in Belgien (1984), länger schon in den skandinavische Staaten, und verbreitet auch außerhalb Europas z. B. in den Commonwealth-Ländern (Australien, Canada, Indien), in Lateinamerika, in Afrika und Ostasien. [6] Ganz fehlt eine Verfassungsgerichtsbarkeit z. B. in den Niederlanden. [7]
Als neue Institution des deutschen Staatslebens hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) rasch den normativen Mantel des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes wirkungsvoll ausgefüllt, sich seinen Platz als oberster verbindlicher Interpret des Verfassungsrechts und der Verfassung gesichert und vor allem grundsätzliche Anerkennung gefunden. [8]
Das Wort vom Gang nach Karlsruhe ist in Deutschland so sprichwörtlich geworden wie der Satz, dass Karlsruhe entschieden hat. Zu Recht hat vor zwei Jahren anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums des Grundgesetzes einer der besten ausländischen Kenner des deutschen Verfassungsrechts, der Franzose Michel Fromont, den Satz geprägt: "Das Bundesverfassungsgericht ist die einzige völlige Neuschöpfung des Grundgesetzes. Es ist auch die auf der ganzen Welt wohl bekannteste deutsche Einrichtung." [9]
In der Tat bedeutete die Einführung einer umfassenden, eigenständigen Verfassungsgerichtsbarkeit einen qualitativen Entwicklungsschub für das deutsche Staatsrecht. Das Bundesverfassungsgericht und seine Rechtsprechung haben wiederholt als Vorbild gewirkt, wie überhaupt ein beträchtlicher Einfluss des deutschen Verfassungsrechts in Spanien, [10] Portugal, Südkorea und Südafrika [11] zu verzeichnen ist. Ähnlich verhält es sich in den südosteuropäischen und osteuropäischen Staaten und ihren neuen Verfassungsgerichtsbarkeiten. [12] Neben dem Supreme Court zählt das Bundesverfassungsgericht zu den Verfassungsgerichten mit der größten Ausstrahlung auf andere Gerichte. [13]