Sex(ismus) ohne Grund? Zum Zusammenhang von Rap und Geschlecht
Zu den häufigsten Vorwürfen gegenüber HipHop beziehungsweise seiner populärsten Ausdrucksform, dem Rap, zählen jene des Sexismus, der Misogynie und der Homophobie.[1] Rapper_innen, so eine verbreitete Meinung, seien frauenverachtend, schwulenfeindlich und im Allgemeinen "asozial". Mehr oder weniger grundlos beleidigen und erniedrigen sie andere, vornehmlich weibliche Personen und reduzieren diese dabei zumeist auf ihren Körper und ihre Sexualität.Diese Schilderungen treffen tatsächlich auf einen Teil von Rap zu. Den Zusammenhang von Rap und Geschlecht auf Sexismus, Misogynie oder Homophobie zu reduzieren, ist jedoch verkürzt und wird der Komplexität und Diversität der Rapszene im Hinblick auf Geschlecht nicht gerecht. Denn Ausschluss und Zugehörigkeit werden im Rap auch entlang weiterer sozialer Differenzlinien wie zum Beispiel Herkunft verhandelt, und zugleich überschneiden sich diese Kategorien. Bei einer Analyse von Geschlechterkonstruktionen im Rap ist dies zu berücksichtigen.
Eine solche intersektionale Perspektive ist jedoch nicht die einzige Verstehensdimension, die helfen kann, diskriminierende Diskurse im Bereich Rap umfassender nachzuvollziehen.[2] Hintergrundwissen zum Genre, der Textsorte, dem historischen Entstehungskontext des HipHop beziehungsweise Rap sowie zu dessen Geschlechterstruktur und -modellen ist ebenfalls notwendig, um dem Zusammenhang von Rap und Geschlecht vorurteilsbewusst begegnen zu können. Dieses soll der vorliegende Beitrag in der gebotenen Knappheit vermitteln, bevor die Frage diskutiert wird, ob angesichts jüngerer Entwicklungen von einer Neuverhandlung von Geschlecht und Männlichkeit im Rap gesprochen werden kann. Sind tradierte Annahmen zum Zusammenhang von Rap und Geschlecht möglicherweise zu revidieren?
Rap als Textsorte
Die Begriffe "HipHop" und "Rap" werden oft synonym verwendet, meinen aber unterschiedliche Dinge. Während "HipHop" im Allgemeinen die Gesamtheit der Kultur fasst, die sich Anfang der 1970er Jahre nach und nach in der New Yorker South Bronx entwickelt hat, bezeichnet "Rap" lediglich eine ihrer Erscheinungsformen.[3] Aufgrund der anhaltenden Kommerzialisierung von Rapmusik, dem großen Erfolg des Subgenres Gangsta-Rap und der überproportionalen medialen Berichterstattung über dessen auffälligste Vertreter, wie in Deutschland zum Beispiel Bushido, kam es im Laufe der Zeit zu begrifflichen Unschärfen und einer Homogenisierung, die nicht imstande ist, die Gesamtheit des Rap abzubilden. Die hypermaskulin konnotierten Text- und Bildwelten des Gangsta-Rap sind also "nur ein Teil der Kultur".[4] Zugleich sind sie höchst voraussetzungsreich. Zu ihrer Entschlüsselung bedarf es unter anderem einer Einordnung im Rahmen der Textsorte.Als Ausdrucksform steht Rap in der Tradition afroamerikanischer Kultur- und Sprachpraktiken wie dem playing the dozens oder signifying. Diese bis auf die Zeiten der Sklaverei zurückreichenden Beleidigungs- und Schlagfertigkeitsrituale zeichnen sich durch ihr kompetitives Element (verbal duelling) aus, aber auch durch ihre Performativität und Fiktionalität. Raptypische Sprechhandlungen wie die eigene Selbstüberhöhung (boasting) oder die Beleidigung Dritter (dissing) müssen demnach entsprechend historisch kontextualisiert werden. Hier geht es weniger um Informationsaustausch als vielmehr darum, ein fiktives Gegenüber möglichst kreativ und gewitzt, dabei jedoch stets spielerisch auszustechen.
Sexismus ist zweifellos ein bedeutsamer Exklusionsmechanismus, dessen sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich männliche Rapper bedienen, um andere Personen zu diskreditieren. So befremdlich das Aufrufen der Frau als "Bitch" oder "Nutte" oder die Herabsetzung von Müttern in Raptexten auf Außenstehende wirken mag, so sehr handelt es sich dabei auch um Spezifika der Textsorte. Ebenso zählen das subversive Moment des Brechens von Sprachnormen sowie die Rückeroberung diffamierender Bezeichnungen zu diesen Besonderheiten. Rap bietet damit als Textsorte selbstverständlich auch ein probates Mittel, um reale Vorbehalte gegenüber Frauen oder Homosexuellen auszudrücken und im Rahmen der Kunstfreiheit zu legitimieren.[5]
Um die im Genre weit verbreitete und besonders effektive Diffamierungsstrategie der Beleidigung der gegnerischen Mutter oder Freundin sowie die diskursive Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten als Exklusionsmechanismen zu erhellen, lohnt ein geschlechtertheoretisch informierter Blick auf den Komplex Rap und Männlichkeit.