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Hüterin der D-Mark | D-Mark | bpb.de

D-Mark Editorial Wunder gibt es immer wieder. Mythos Wirtschaftswunder Kleine Ereignisgeschichte der Währungsreform 1948 Hüterin der D-Mark. Über die Bundesbank und ihre Unabhängigkeit Deutsche Bundesbank als Modell Werden und Vergehen der DDR-Mark Ordnende Kraft des Geldes. Zur Geschichte des Schwarzmarkts vor und nach der Währungsreform Ängste und Sehnsucht. Von der D-Mark zum Euro

Hüterin der D-Mark Über die Bundesbank und ihre Unabhängigkeit - Essay

Ulrike Herrmann

/ 16 Minuten zu lesen

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Demokratie, doch eine staatliche Institution ist dem Zugriff des Parlaments entzogen: die Bundesbank. Sie ist "eine Art Staat im Staat", wie es der ehemalige Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl formulierte.

Deutschland ist eine Demokratie, doch eine staatliche Institution ist dem Zugriff des Parlaments entzogen: die Bundesbank. Sie ist "eine Art Staat im Staat", wie es der ehemalige Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl formulierte.

Die Bundesbank hatte eine ungeheure Macht, bevor 1999 der Euro als Buchgeld eingeführt wurde: Ihre Zinsentscheidungen haben nicht nur die Wirtschaftskrisen in Deutschland verschärft, sondern auch Nachbarländer in die Krise getrieben – sei es Frankreich, England oder Italien. Der britische Finanzjournalist David Marsh urteilte 1992 provokant: "Die Bundesbank hat die Wehrmacht als Deutschlands bekannteste und gefürchtetste Institution ersetzt". Sie "kontrolliert einen größeren Teil Europas als je ein deutsches Reich in der Geschichte".

Die Bundesbank entstand erst 1957, doch ihr Vorläufer, die Bank deutscher Länder, wurde bereits im März 1948 von den Alliierten gegründet. Die Briten hätten die neue Notenbank gern in Hamburg gesehen – also in ihrer Besatzungszone. Doch die USA setzten sich durch, und die Bank deutscher Länder wurde in Frankfurt angesiedelt, das in der amerikanischen Besatzungszone lag. Diese Entscheidung prägt Europa auch 70 Jahre später: In Frankfurt sitzt jetzt die Europäische Zentralbank.

Ein Ziel: Preisstabilität

Die Bank deutscher Länder war von Anfang an unabhängig. Die Alliierten übten zwar eine gewisse Kontrolle aus, aber die deutsche Politik hatte keinen Einfluss. Als 1957 die Bundesbank gegründet wurde, blieb es bei dieser politischen Unabhängigkeit. Der damalige Kanzler Konrad Adenauer konnte nur durchsetzen, dass seither die Bundesregierung den Präsidenten der Bundesbank sowie das Direktorium ernennt.

In den meisten Industrieländern wäre völlig undenkbar, dass eine Zentralbank unabhängig ist. Das Federal Reserve System der USA muss regelmäßig im Kongress erscheinen und Auskunft über seine Geldpolitik geben; auch die Bank of England muss bei ihren Beschlüssen auf das Schatzamt hören. Dies war in Frankreich und Italien nicht anders, als die beiden Länder noch nicht der Eurozone angehörten. In Frankreich operierte die Banque de France faktisch als eine Abteilung des Pariser Finanzministeriums, und in Italien musste die Banca d'Italia die Vorgaben ihrer Regierung umsetzen.

Die Bank deutscher Länder und später die Bundesbank hingegen waren nicht nur unabhängig – sie hatten zudem nur einen einzigen gesetzlichen Auftrag: Sie sollten die Währungsstabilität sichern und Inflationen vermeiden. Denn die Deutschen waren traumatisiert, weil sie durch die beiden Weltkriege jeweils ihr gesamtes Finanzvermögen verloren hatten.

Diese ausschließliche Konzentration auf die Währungsstabilität war jedoch höchst ungewöhnlich für ein großes Industrieland. So ist es für das Federal Reserve System in den USA mindestens genauso wichtig, das Wachstum zu fördern und Vollbeschäftigung zu erreichen. Die Inflationsbekämpfung ist nur ein Ziel – und oft ein nachrangiges.

So mächtig die Bundesbank war – ihre obersten Repräsentanten waren in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Denn die Geschicke der Bundesbank lenkte nicht ein Einzelner; die wichtigen Beschlüsse fällte der Zentralbankrat per Mehrheitsentscheid. In diesem obersten Gremium versammelten sich die Präsidenten der elf Landeszentralbanken sowie das Direktorium der Bundesbank, das bis zu acht Mitglieder zählen konnte.

Die Politik hat stets versucht, ihr genehme Bundesbanker zu ernennen – doch selbst treue Parteisoldaten entfalteten sofort ein Eigenleben, sobald sie im Zentralbankrat Platz genommen hatten. Denn sie waren auf acht Jahre bestellt, faktisch unkündbar und erhielten lebenslang ihr stattliches Gehalt.

Bereits Adenauer musste erleben, dass die deutsche Notenbank seine Wirtschaftspolitik konterkarierte, indem sie die Leitzinsen hochsetzte und Kredite verteuerte. Im Juni 1956 hielt Adenauer daher eine wütende Rede, die als "Fallbeil-Rede" in die Geschichte der Notenbanken eingegangen ist. In Köln hatte sich der Bundesverband der deutschen Industrie versammelt, und Gastredner Adenauer ließ seiner Empörung über die Notenbank freien Lauf: "Es ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden; und auf der Strecke bleiben werden die Kleinen; und zwar gilt das sowohl für die kleineren Industrien wie für die kleineren Landwirte, wie für die kleineren Handwerker. Kurz und gut, das Fallbeil trifft die kleinen Leute und deswegen bin ich sehr betrübt."

Der damalige Notenbankchef Wilhelm Vocke mokierte sich, dass der Kanzler "in Währungssachen ein Laie war". Doch tatsächlich behielt Adenauer Recht: Es entpuppte sich als Fehler, dass die Notenbank zwischen 1955 und 1956 die Zinsen fast verdoppelt hatte. Kredite wurden zu teuer; das Wachstum halbierte sich.

Auch das Timing stimmte nicht: Just als die Notenbank die Konjunktur in Deutschland strangulierte, begann das Wachstum in den USA zu schwächeln. Die weltweite "Konjunkturlokomotive" fiel zeitweise aus, was auch die deutsche Exportindustrie traf. Schnell und still rückte die Notenbank von ihrer drastischen Geldpolitik ab: Schon ab September 1956 senkte sie ihre Zinsen wieder. Die Wirtschaft erholte sich sofort – und damals blieb die Intervention der Notenbank nur Episode. Doch das Grundproblem zeigte sich schon 1956 und wurde von Adenauer genau erkannt: Die Notenbank nahm in Kauf, dass die Wirtschaft lahmte – solange nur die D-Mark stabil blieb.

In der Bundesbank herrschte ein elitärer Dünkel, und für die Politik hatte sie oft nur Verachtung übrig. Eine prägende Gestalt war Otmar Emminger, der ab 1953 im Direktorium saß und von 1977 bis 1979 Präsident der Bundesbank war. Seine Memoiren sind eine einzigartige Quelle, um das Innenleben der frühen Bundesbank zu verstehen. Autoritär heißt es dort: "Eine pluralistische Massengesellschaft ist immer in Versuchung, in eine 'Gefälligkeits-Demokratie' abzugleiten."

Was Emminger nicht erwähnt: Ab 1937 war er Mitglied der NSDAP gewesen. Damit war er kein Einzelfall. Von 1948 bis 1980 bestand die Führungsebene der Landeszentralbanken und der Bundesbank zu 39 Prozent aus ehemaligen Nationalsozialisten.

Unantastbare Notenbanker

Bereits in ihren Anfängen schien die Notenbank überaus erfolgreich zu sein: Zwischen 1950 und 1960 betrug die Inflation in Deutschland insgesamt nur 22 Prozent – während Frankreich in der gleichen Zeit auf stattliche 72 Prozent kam. Großbritannien verzeichnete eine kumulierte Inflation von 49 Prozent.

Die geringe Inflation in Deutschland hatte jedoch nichts mit der Geldpolitik der Bundesbank zu tun, sondern war eine indirekte Kriegsfolge: Von 1949 bis 1961 strömten rund 14 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten und der DDR nach Westdeutschland. Sie alle waren zunächst arbeitslos und bereit, auch für wenig Geld zu arbeiten. Die Gehälter in der Bundesrepublik stiegen daher nicht so stark wie in den anderen westlichen Ländern.

Dank der geringeren Inflation waren die deutschen Waren im weltweiten Vergleich billiger, sodass die ausländischen Kunden beherzt zugriffen. Ab 1952 führte die Bundesrepublik weit mehr aus, als sie importierte, und begann, Milliarden-Überschüsse anzuhäufen. Die Wirkung zeigte sich sofort: Bereits Mitte der 1950er Jahre galt die D-Mark als die "stärkste Währung Europas".

Normalerweise hätte die D-Mark jetzt teurer werden müssen, weil sie weltweit so gefragt war. Doch die Weltwährungsordnung von Bretton Woods sah feste Wechselkurse vor. Zwar wurde die D-Mark zwischendurch leicht aufgewertet, blieb aber dennoch international viel zu billig.

Als "Hüterin der D-Mark" hat die Bundesbank vom Nimbus der neuen Währung profitiert, obwohl die Stärke der D-Mark nur ein Produkt der Umstände war. Die Notenbanker galten schnell als allwissend und unantastbar. Bundesbankier Emminger konstatierte: "Man kann wohl sagen, dass die deutsche Notenbank (…) die am wenigsten angefochtene Institution unserer Republik ist."

Lange begnügte sich die Bundesbank mit kleinen Schritten, doch ab 1965 griff sie massiv in die Wirtschaft ein. Damals herrschte nicht nur Vollbeschäftigung, sondern sogar "Überbeschäftigung": Nur noch 147.352 Menschen suchten einen Job – während es drei Mal so viele offene Stellen gab.

Da Arbeitskräfte begehrt waren, stiegen die Löhne um rund neun Prozent. Die Preise blieben dennoch moderat und legten um nur etwa drei Prozent zu. Trotzdem war die Bundesbank alarmiert und erhöhte ab Mitte 1965 die Zinsen, um Kredite zu verteuern und die "überhitzte" Wirtschaft abzuwürgen.

Die Vollbremsung gelang: Das Wachstum halbierte sich – und war 1967 mit minus 0,3 Prozent sogar negativ. Plötzlich gab es keine "Überbeschäftigung" mehr, sondern 500.000 Arbeitslose. Die Deutschen waren schockiert, dass mitten im "Wirtschaftswunder" die Armut zurückkehrte. Doch nicht etwa die Bundesbank wurde kritisiert, sondern CDU-Kanzler Ludwig Erhard.

Allen außer Erhard war deutlich, dass die CDU die nächste Bundestagswahl verlieren würde, falls er Kanzler bliebe. Also wurde Erhard von seiner eigenen Partei im Herbst 1966 zum Rücktritt gezwungen. Gleichzeitig verließen auch die Liberalen das Kabinett, während die Union eine große Koalition mit der SPD einging. Das sozialdemokratische Zeitalter begann.

Die Wucht dieser Ereignisse war der Bundesbank offenbar peinlich, denn in Emmingers 480-Seiten-Memoiren wurden die Jahre 1965 bis 1967 mit nur einem einzigen Absatz abgehandelt. Wolkig wurde dort eine "Gewinnkompression" bei den Unternehmen erwähnt. Über den Kanzler hieß es abfällig: "Dass Erhard kein Organisationstalent besaß und im Herbst 1966 ohne Rückhalt in seiner eigenen Partei dastand, war seine persönliche Tragik."

Ende von Bretton Woods

Erhards Sturz markierte eine Zeitenwende, denn gleichzeitig ging der Nachkriegsboom langsam zu Ende. Zudem begann das Weltwährungssystem von Bretton Woods zu wackeln. Ab 1965 engagierten sich die USA massiv im Vietnamkrieg, und um die Kosten zu decken, erhöhte die US-Regierung ihre Schulden – sie "druckte" also Dollars.

Die D-Mark wurde zunehmend zur Fluchtwährung, denn Investoren und Spekulanten wetteten darauf, dass das Währungsregime von Bretton Woods kollabieren und der Dollar dramatisch abwerten würde. Also wollten sie ihr Geld in Sicherheit bringen – und tauschten ihre Dollars in D-Mark um. Die deutsche Währung wertete daher permanent auf, was wiederum die Bundesbank zwang, Dollar zu erwerben, um den Kurs der D-Mark nach unten zu drücken.

Der 1. März 1973 sollte die Welt der Währungen für immer verändern: "Plötzlich brach eine neue Spekulationswelle gegenüber dem Dollar aus", erinnert sich Emminger. "Die Bundesbank musste an diesem einen Tag fast acht Milliarden D-Mark Notenbankgeld neu ausgeben. Das war fast so viel wie die damalige Zunahme an Zentralbankgeld für ein ganzes Jahr! Da zogen wir die Notbremse."

Die Bundesbank trat in den Streik und weigerte sich, noch weitere Dollars aufzukaufen. Dieser Schritt war unvermeidlich, denn allein konnte sich die Bundesbank nicht auf Dauer gegen die Finanzmärkte stemmen. Allerdings verstieß die Bundesbank gegen einen völkerrechtlichen Vertrag, indem sie Bretton Woods aufkündigte. Das konnte sie nicht allein entscheiden, sondern benötigte den Segen der Bundesregierung. Doch der damalige SPD-Finanzminister Helmut Schmidt lag mit einer Schilddrüsenerkrankung im Krankenhaus, sein Staatssekretär Karl Otto Pöhl war unerreichbar im Ski-Urlaub, und auch das restliche Bonn war lahmgelegt, weil ausgerechnet an diesem 1. März Weiberfastnacht gefeiert wurde.

Schließlich suchten die Notenbanker nachmittags Kanzler Willy Brandt in seiner Privatvilla auf; im Schlepptau hatten sie nur FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs. Brandt verstand nichts von Ökonomie, wie er selbst freimütig zugab. Daher soll er laut Emminger nur gesagt haben: "Wenn das Wirtschaftsministerium und die Bundesbank einer Meinung sind, dann wird es wohl so richtig sein."

Die Ära der festen Wechselkurse war damit vorbei. Der Dollar rauschte in die Tiefe und verlor bis 1979 die Hälfte seines Wertes gegenüber der D-Mark. Dieser Absturz wurde zunächst achselzuckend zur Kenntnis genommen. Politiker und Notenbanker erwarteten, dass sich die Devisenkurse auf einem stabilen Niveau einpendeln würden, sobald der Dollarkurs einmal korrigiert wäre. Neoliberale Vordenker wie Milton Friedman versprachen immenses Wachstum: "Eine freie Marktwirtschaft für Wechselkurse wird auch ein ‚Wirtschaftswunder‘ hervorbringen."

Dies erwies sich als Irrtum: Kaum wurden die Devisenkurse freigegeben, stürzten die Industrieländer in eine tiefe Rezession. Es kam zur "Ölkrise" von 1973, da die Scheichs nicht bereit waren, tatenlos zuzusehen, dass sie durch den fallenden Dollar faktisch enteignet wurden. 1971 kostete das Barrel Öl nur knapp zwei Dollar. Da die US-Währung nun auch noch an Wert verlor, war das Öl fast kostenlos. Also setzten die Ölstaaten ihre gesamte Kartellmacht ein, um den Barrelpreis nach oben zu treiben – bis er 1980 ein Rekordhoch von 38 Dollar erreichte.

Alle westlichen Länder steckten in einer fatalen Lohn-Preis-Spirale fest, weil die Gewerkschaften eine falsche Politik verfolgten. Sie sahen nicht, dass sich gegen die Inflation nichts unternehmen ließ, weil die Ölstaaten ihren knappen Rohstoff verteuerten. Stattdessen schalteten die Gewerkschaften auf Klassenkampf und wollten den Preisauftrieb kompensieren, indem sie hohe Lohnabschlüsse durchsetzten. Es kam zu einer "Stagflation" – also zu einer Inflation mitten in der Rezession.

Berühmt-berüchtigt wurde der ÖTV-Vorsitzende Heinz Kluncker, der 1974 ein Lohnplus von elf Prozent für den öffentlichen Dienst erkämpfte, indem er die Müllabfuhr drei Tage lang streiken ließ. Allerdings ging es in der deutschen Privatwirtschaft sogar noch üppiger zu: Im Durchschnitt wurden dort 13 Prozent mehr Gehalt herausgeholt. Zum Teil schmälerten diese hohen Löhne die Gewinne der Unternehmen – zum Teil wurden die Kosten auf die Preise aufgeschlagen. 1974 stieg die Inflation in Deutschland auf 7,2 Prozent.

Die Bundesbank trat sofort auf die Bremse und begann mit einer "Schocktherapie", von der auch Emminger zugab, dass sie "brutal" war. Die Kreditzinsen erreichten ein bis dato unbekanntes Niveau: Wer ein Haus baute, musste für eine Hypothek plötzlich über zehn Prozent Zinsen zahlen, und wer sein Konto überzog, musste sogar 14 Prozent aufbringen.

Da Kredite unerschwinglich wurden, brach die Konjunktur ein. 1974 rutschten mehr als 8.000 Firmen in die Pleite, und 1975 kam es zur schwersten Krise in der alten Bundesrepublik: Die Wirtschaft schrumpfte um 0,9 Prozent. Plötzlich waren über eine Million Menschen arbeitslos, und weitere 900.000 Angestellte mussten kurzarbeiten.

Trotzdem konzedieren selbst keynesianische Ökonomen wie Heiner Flassbeck, dass es damals keine Alternative gab und die Bundesbank die Zinsen nach oben treiben musste: "Der erste Anstieg der Arbeitslosigkeit war unvermeidbar, weil sonst die Gewerkschaften in der Welt und in Deutschland niemals begriffen hätten, dass es Zeit war, zur Vernunft zurückzukehren".

Die Gewerkschaften lernten sofort: Seither haben sie nie wieder Löhne durchgesetzt, die jenseits des Wachstums lagen und zur Inflation geführt hätten. Dennoch hat die Bundesbank immer wieder die Zinsen nach oben geschraubt: bei der zweiten Ölpreiskrise 1979 genauso wie nach der Wiedervereinigung 1990.

Die Ölkrise ab 1979 war für Deutschland deutlich schwieriger zu verkraften als der erste Preisschock 1973, weil diesmal nicht nur Energie teurer wurde, sondern gleichzeitig auch der Kurs des Dollars stieg, in dem alle Rohstoffe abgerechnet werden. Die Importpreise legten in Deutschland bis 1981 jährlich um zwölf bis 15 Prozent zu.

Dennoch hielt sich die Inflation in Grenzen und lag bei durchschnittlich 5,5 Prozent. "Das ist erstaunlich", konstatiert Emminger in seinen Memoiren. Trotzdem schaltete die Bundesbank auf rabiate Prophylaxe. Die Zinsen wurden in astronomische Höhen geschraubt, denn Emminger war der Meinung: "Inflationen muss man, ebenso wie Diktaturen, bekämpfen, bevor sie sich etabliert haben."

Die Folgen waren desaströs: War 1979 die deutsche Wirtschaft noch um vier Prozent gewachsen, setzte bald darauf der Abschwung ein. 1983 waren schon mehr als zwei Millionen Menschen arbeitslos – und so sollte es bis zur Wende 1989 bleiben. Denn für die Unternehmen lohnte es sich nicht mehr zu investieren. Für sie war es rentabler, ihr Geld bei der Bank zu parken, wo es mindestens zwölf Prozent Zinsen gab. Nichtstun wurde prämiert: Die Betriebe mutierten zu Finanzunternehmen und kassierten hohe Zinsrenditen bei null Risiko.

Helmut Schmidt versuchte mehrfach, auf die Bundesbank einzuwirken. Genüsslich erinnerte sich Emminger, dass der Kanzler "fast bei jedem Treffen mit Nachdruck sagte: ‚Sie werden doch nicht schon wieder die Zinsen erhöhen!‘ Doch die Bundesbank blieb bei ihrem Kurs."

Schmidt war keineswegs der Einzige, der sich bei der Bundesbank beschwerte. Selbst konservative Ökonomen waren frappiert und sprachen von "Zinsterror", "Hysterie in Frankfurt", "Überreaktion" und "übertriebener Schocktherapie".

Doch die Bundesbank wollte allen deutlich machen, dass sie allein entscheidet. Oder wie es Emminger ausdrückte: "auf den Tisch hauen, damit die Ohren gespitzt werden". Dieses Bild sagt alles: Für den Bundesbankier waren demokratisch gewählte Kanzler nur Schuljungen, die Oberlehrer Emminger nach Belieben maßregeln darf.

Teufel in Gestalt der Inflation

Durch die Wirtschaftskrise ab 1979 sanken die Steuereinnahmen des Staates, während gleichzeitig die Ausgaben stiegen, unter anderem für zwei Millionen Arbeitslose. Im Bundeshaushalt tauchten immer neue Löcher auf; die Koalition von SPD und FDP wurde brüchig. Am 1. Oktober 1982 war es so weit: Wie einst Ludwig Erhard wurde nun auch Helmut Schmidt durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Die Liberalen waren zur Union gewechselt und wählten Helmut Kohl zum Kanzler.

Öffentliche Kritik an der Bundesbank gab es kaum, denn die allgemeine Angst vor der Inflation war noch immer groß – und wurde von der Notenbank geschürt. Über die Reden des Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer (Amtszeit 1993 bis 1999) schrieb "Der Spiegel": "Wo Tietmeyer öffentlich auftritt, redet er nicht, er predigt. Die Bühne weitet sich zum Altarraum, das Rednerpult wird zur Kanzel. Seine Vorträge folgen einer schlichten Dramaturgie: Der Teufel erscheint in Gestalt der Inflation, die Erlösung aus den Fängen des großen Geldvernichters verspricht allein eine unabhängige Notenbank. Und natürlich darf auch die mythologische Höllenfahrt nicht fehlen: das deutsche Trauma von 1923, die Erinnerung an eine Zeit, als eine Schachtel Zigaretten so viel kostete wie zuvor ganze Industriegelände."

Doch es war nicht nur die Angst vor Inflation, die vor allem wohlhabende Deutsche zu treuen Verehrern der Bundesbank machte. Geldbesitzer profitieren, wenn die Zinsen hoch sind. Für Arbeitnehmer hingegen sind niedrige Zinsen gut, weil dies die Wirtschaft ankurbelt und Arbeitsplätze schafft.

Für diesen Konflikt gibt es keine optimale Lösung, daher ist es in England oder den USA selbstverständlich, dass er demokratisch ausgetragen und ausgehandelt wird. Die Notenbanken sollen nicht nur auf die Inflation achten, sondern auch auf Vollbeschäftigung, und sind zudem verpflichtet, sich mit ihren Regierungen und Parlamenten zu verständigen.

Die deutsche Einheit 1990 hat die Bundesbank erneut überfordert, denn für die Wiedervereinigung gab es keine ökonomisch "saubere" Lösung. Die Ostdeutschen erwarteten zu Recht, dass sie nun ebenfalls am Reichtum der Bundesrepublik partizipieren würden. Ganz Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg begonnen – aber vor allem die östlichen Gebiete hatten hinterher ökonomisch gelitten. Die Ostdeutschen skandierten daher: "Kommt die Mark, bleiben wir – kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr."

Die Bundesregierung entschied das Unvermeidliche: Am Tag der Währungsunion, am 1. Juli 1990, wurden die ostdeutschen Löhne und Renten 1:1 auf die Westmark umgestellt; für Sparguthaben gab es die Hälfte. Dieser großzügige Umtauschkurs war nötig, weil die allermeisten Ostdeutschen sonst in Armut versunken wären.

Die Geldmenge vergrößerte sich daher schlagartig um 180 Milliarden D-Mark. Zudem wurde das frische Geld kaum gespart, sondern sogleich in Umlauf gebracht, denn die Ostdeutschen wollten sich lang gehegte Konsumträume erfüllen. Diese zusätzliche Nachfrage ließ die Inflation zeitweite auf fünf Prozent schnellen – allerdings verpuffte der Kaufrausch wieder, als das Geld ausgegeben war.

Die Bundesbank hätte also gelassen abwarten können, doch stattdessen setzte sie die Zinsen drakonisch nach oben und würgte die Wirtschaft ab. Am Ende waren die Kredite sogar noch teurer als 1974, obwohl die Inflation diesmal deutlich niedriger lag. Das erste Opfer war der Staatshaushalt: Die Bundesregierung musste jährlich etwa 150 Milliarden D-Mark in den Osten investieren, um marode Straßen und Häuser zu sanieren, um Industrieanlagen zu modernisieren, um Arbeitslose und Rentner zu versorgen. Zwangsweise stiegen also die Staatsschulden, die nun aber doppelt so teuer wurden, weil die Bundesbank die Zinsen nach oben trieb. Bissig kommentierte Altkanzler Helmut Schmidt: "Ein derartiges Gegeneinander von Geldpolitik und Fiskalpolitik hat es bei uns seit 1949 noch nie gegeben."

Zudem war erneut das Timing schlecht: Just als die Bundesbank die Zinsen nach oben setzte, begann die Weltkonjunktur zu schwächeln. Von Tokio bis Washington brach das Wachstum ein. Auch die deutschen Unternehmen hatten zu kämpfen, aber sie hatten noch eine zusätzliche Last zu tragen: Der Kurs der D-Mark stieg, weil Finanzanleger aus der ganzen Welt nach Deutschland drängten, um von den hohen Zinsen zu profitieren. Die Exporte brachen ein, denn die teure D-Mark machte die deutschen Waren im Ausland kostspieliger. US-Investmentbanken rechneten damals aus, dass der hohe D-Mark-Kurs einen ganzen Prozentpunkt beim Wachstum gekostet habe, was umgerechnet 30 Milliarden Mark pro Jahr waren.

Von der Bundesbank zur Europäischen Zentralbank

Auch im Ausland wirkte die deutsche Zinspolitik verheerend: Ob britisches und irisches Pfund, französischer Franc, italienische Lira, spanische Peseta, portugiesischer Escudo, dänische oder schwedische Krone – sie alle fielen ins Bodenlose. Denn in diesen Ländern waren die Zinsen niedriger als in Deutschland. Also zogen die Spekulanten ihr Geld dort ab und schoben es nach Deutschland.

Der Extremfall war Schweden: Um die eigene Krone zu stützen, wurden Zinsen von 500 Prozent geboten. Aber auch in Italien stiegen die Zinsen auf 18 Prozent, in Frankreich und Großbritannien waren es zehn Prozent. Alle Europäer mussten ihre Kredite verteuern, obwohl sich die weltweite Rezession bemerkbar machte – nur weil die Bundesbank ihre Zinsen erhöhte. Bitter kommentierte Giacomo Vaciologo, Wirtschaftsberater des damaligen italienischen Ministerpräsidenten Giuliano Amato: "Europa muss die Zeche für die deutsche Einheit zahlen."

Auch die Briten haben diese Episode nie vergessen. Kürzlich schrieb Ex-Botschafter Paul Lever, der lange in Berlin stationiert war: "Die Brutalität, mit der die Bundesregierung und die Bundesbank auf die flehenden Bitten des britischen Premiers John Major reagierten, war frappierend. Kanzler Kohl war nicht bereit, einzuschreiten, und der Präsident der Bundesbank, Helmut Schlesinger, weigerte sich knallhart, entweder Pfund zu kaufen oder die Zinsen um mehr als 0,25 Prozent zu senken (…). Er ließ sich sogar am Telefon verleugnen, als der britische Premier anrief."

Dieser Macht der Bundesbank wollten sich viele Europäer nicht länger unterwerfen. Deswegen gibt es den Euro. Doch um der Bundesbank zu entkommen, mussten sie genau diese Bundesbank zufriedenstellen. Die Europäer mussten einwilligen, dass auch die Europäische Zentralbank gänzlich unabhängig ist und wieder nur ein einziges Ziel verfolgt: eine stabile Währung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. nach David Marsh, The Bank that Rules Europe, London 1992, S. 169.

  2. Vgl. ebd., S. 10.

  3. Vgl. Wilhelm Vocke, Memoiren. Die Erinnerungen des früheren Bundesbankpräsidenten, Stuttgart 1973, S. 151.

  4. Zit. nach Daniel Koerfer, Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987, S. 117.

  5. Vgl. Vocke (Anm. 3), S. 155.

  6. Angaben zu Zinsen stammen aus: Deutsche Bundesbank, Zeitreihe BBK01.SU0112: Diskontsatz der Deutschen Bundesbank/Stand am Monatsende. Alle weiteren genannten statistischen Daten sind Angaben vom Statistischen Bundesamt.

  7. Otmar Emminger, D-Mark, Dollar, Währungskrisen, Stuttgart 1986, S. 25.

  8. Vgl. Marsh (Anm. 1), S. 155f.

  9. Emminger (Anm. 7), S. 20.

  10. Ebd., S. 28.

  11. Ebd., S. 137.

  12. Ebd., S. 23.

  13. Emminger (Anm. 7), S. 240.

  14. Zit. nach ebd., S. 240f.

  15. Milton Friedman, Kapitalismus und Freiheit, Frankfurt/M. 2002, S. 23.

  16. Vgl. Herman van der Wee, Der gebremste Wohlstand. Wiederaufbau, Wachstum, Strukturwandel 1945–1980, München 1984, S. 144ff. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 war nur der Anlass, nicht die Ursache für den Ölboykott der OPEC-Staaten.

  17. Emminger (Anm. 7), S. 260.

  18. Heiner Flassbeck/Friederike Spieker, Das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen, Frankfurt/M. 2007, S. 176.

  19. Emminger (Anm. 7), S. 420f.

  20. Ebd., S. 450.

  21. Ebd., S. 446.

  22. Eine unhaltbare Strangulierung. Professor Norbert Walter zum Kurs der Bundesbank, in: Der Spiegel, 2.3.1981, S. 105.

  23. Emminger (Anm. 7), S. 451.

  24. Der Erzbischof aus Frankfurt, in: Der Spiegel, 2.6.1997, S. 40ff.

  25. Vgl. Richard Schröder, Irrtümer über die deutsche Einheit, Freiburg/Br. 2014, S. 139ff.

  26. Zit. nach Hat die Rezession begonnen?, in: Der Spiegel, 19.10.1992, S. 21.

  27. Zit. nach ebd.

  28. Paul Lever, Berlin Rules. Europe and the German Way, London 2017, S. 149f.

  29. Siehe hierzu auch den Beitrag von Sebastian Teupe in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

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ist Wirtschaftskorrespondentin der "Taz. Die Tageszeitung" und Buchautorin. Zuletzt erschien von ihr "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung" (2016).