Ein Vakuum aus Kalkül. Zum Zustand der deutschen und europäischen Medienpolitik
Jeffrey Preston Bezos ist 54 Jahre alt, einer der public enemies von US-Präsident Donald Trump, und mit einem Privatvermögen von rund 150 Milliarden Dollar momentan der reichste Mann der Welt. Seine Kreditwürdigkeit eingerechnet, könnte er wahrscheinlich die führenden deutschen Medienkonzerne aufkaufen, und zwar auf einen Schlag alle zusammen. Als der gelernte Elektroingenieur und Computerwissenschaftler 1994 seinen Businessplan für ein Online-Buchhandelsunternehmen aufschrieb und mit 300.000 Dollar Leihgabe seiner Eltern Amazon gründete, war das Gütersloher Familienunternehmen Bertelsmann noch auf Platz zwei im Ranking der globalen Medien- und Entertainment-Konglomerate, hinter Time Warner. Inzwischen ist Time Warner zerschlagen und von dem Telekommunikations-Riesen AT&T übernommen worden, und Bertelsmann befindet sich im aktuellen Ranking der Medien- und Wissenskonzerne auf Rang 15.[1]Bei Bezos und Amazon geht es, bei aller gelegentlichen Philanthropie, wesentlich um die kapitalistischen Grundtugenden wie Expansion, Kapitalvermehrung und Profit für die Investoren, aber Amazon ist, wie Google (Alphabet), Apple oder Facebook auch,[2] ein globaler Medien-, Technologie- und Wissenskonzern neuen Typs, der für die Nationalstaaten komplizierte Regulierungsprobleme bis hin zu Steuer- und Arbeitsrechtfragen aufwirft. Verglichen mit der Entwicklungsdynamik des "digitalen Kapitalismus" (Peter Glotz), der durch Unternehmen wie Amazon repräsentiert wird, nimmt sich die Entwicklung der deutschen Medien- und Rundfunkpolitik, wenn auch um den neuen Ableger "Netzpolitik" erweitert, außerordentlich schwerfällig aus. Wir können hier von einer asymmetrischen Medienpolitik sprechen: Reguliert werden auf dem heimischen Markt noch Prozesse, die entweder relativ irrelevant sind oder nur sehr kleine Interessengruppen interessieren (Jugendmedienschutz, Drittsendelizenzen im Privat-TV), und es muss auch noch das ein oder andere Gerangel zwischen Presseverlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern um die "Presseähnlichkeit" von Internetangeboten oder den "Kernauftrag" von ARD, ZDF und Deutschlandradio moderiert werden – aber die eigentlich wirkungsmächtigen technologischen und ökonomischen Entwicklungen laufen an dieser Art von Medienpolitik vorbei. Das war in den 1990er Jahren ganz anders, als Medienmogule wie Rupert Murdoch oder Silvio Berlusconi noch persönlich nach München, Düsseldorf oder Köln reisten, um die Lizenzierung für Fernsehprogramme wie Vox, Tele 5 oder tm3 zu verhandeln, und Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber (CSU) oder Wolfgang Clement (damals noch SPD) sich einen teilweise tollkühnen Wettbewerb um die effizientere und schickere Standortpolitik im Mediensektor leisteten.
Wir zeichnen im Folgenden in aller Kürze nach, wie es zu diesem Zustand im historischen, technologischen, ökonomischen und eben medienpolitischen Sinne kommen konnte – und welche Handlungsoptionen sich für eine nationale und europäische Medienpolitik anbieten könnten.