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Facebook & Google entflechten? | Medienpolitik | bpb.de

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Facebook & Google entflechten? Warum digitale Medien-Monopole eine Gefahr für Demokratien sind - Essay

Wolfgang Hagen

/ 15 Minuten zu lesen

Facebook, Google & Co. haben quasi eine Monopolstellung – und können mithilfe ihrer Daten das politische Verhalten ihrer Nutzer präzise voraussagen. Deshalb ist eine Entflechtung dieser Monopole für die Demokratie enorm wichtig.

Im Mai 2018, nach einer ihrer sorgsamen und unauffälligen Grundsatzreden auf der Tagung der "G7/G20 – Global Solutions Initiative" zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einmal als ungewohnt leidenschaftliche Diskutantin:

"Ich sehe zurzeit eine riesige Herausforderung für die Gestaltung der Globalisierung: Das ist die Tatsache, dass der Rohstoff des 21. Jahrhunderts die Daten sind, nicht mehr Kohle und Stahl. (…) Im Grunde sind wir alle Datenlieferanten, und dafür, dass wir permanent diese Daten liefern, kriegen wir aber gar nichts bisher, und andere verdienen daran schön. (…) [W]ir wollen jetzt auch Facebook, Apple, Google, Amazon besteuern. (…) Die Bepreisung von Daten, insbesondere von den Konsumenten, ist aus meiner Sicht das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft, – sonst werden wir eine sehr ungerechte Welt erleben."

Ich stelle dieses Zitat an den Anfang dieses Beitrags, weil es eine Politikerin beim Nachdenken zeigt: Eine der wichtigsten Staatenlenkerinnen Europas lässt um zwei Fundamentalthemen der digitalen Epoche kursorisch ihre Gedanken kreisen, ohne zu einer schlüssigen Lösung zu kommen. Vielmehr erbittet sie zu diesem "zentrale[n] Gerechtigkeitsproblem der Zukunft" Rat von den anwesenden WissenschaftlerInnen.

Problemanalyse: Binnenmarkt, Daten-Asymmetrie, Micro-Targeting

Um Art und Umfang des "digitalen Binnenmarkts" eine Dimension zu geben, hat die Europäische Kommission – Stand März 2018 – die Fakten zusammengetragen: An jedem beliebigen Tag des Jahres verschicken europäische Bürger insgesamt 20 Billionen E-Mails, durchsuchen 650 Millionen Mal das Internet, schreiben 500.000 Blog-Posts, geben 150 Millionen Nachrichten in die "sozialen Medien", schauen 800 Millionen Videos im Netz an, laden 40 Millionen Fotos hoch. Die 500 Millionen NutzerInnen erzeugen dabei täglich 400 Millionen Gigabyte Datenverkehr im Internet, wobei die Statistiker der EU einen "digitalen Binnenmarkt" von "jährlich bis zu 415 Milliarden Euro" prognostizieren, der "Arbeitsplätze schaffen und unsere öffentlichen Dienstleistungen verändern" werde, ohne aber bislang für die europäischen Volkswirtschaften steuerlich von Bedeutung zu sein.

Das hat mit dem Umstand zu tun, dass die derzeit reichsten US-Weltmonopole, genannt "Frightful Five" oder FAMGA (Facebook, Amazon, Microsoft, Google und Apple), mit einem Börsenwert von insgesamt 3.500 Milliarden Dollar sich für ihre europäischen Niederlassungen jeweils das Land mit der niedrigsten Körperschaftssteuer aussuchen: Amazon sitzt in Luxemburg, Facebook und Microsoft in Irland, Google in Irland und den Niederlanden. So zahlen sie statt der für außereuropäische Unternehmen durchschnittlich üblichen 23 Prozent nur durchschnittlich 9 Prozent.

Selbst wenn man alle in Deutschland erzielten Werbeumsätze von Facebook nach deutschem Recht besteuerte, entweder nach "Umsatzausgleichssteuer" oder nach "Quellensteuer" oder nach irgendeiner neuen Form der Abgabe aus "Einnahmen aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen oder Werbeeinnahmen", würde das jedoch immer noch nicht die Frage beantworten, was eigentlich die Tätigkeit von Firmen wie Facebook oder Google ist.

Genau besehen, ist die "Tätigkeit" der Konzerne Facebook oder Google janusköpfig. Wenn etwas "getan" wird, sind immer mindestens zwei Parteien beteiligt – die NutzerInnen und das Unternehmen. Medienökologisch gesehen, nennt man das einen reziproken, aber asymmetrischen Bedingungszusammenhang: Je mehr aktive NutzerInnen agieren, suchen, liken, klicken, sharen, kommentieren, desto zielgenauer und "sinntiefer" werden die Cluster der Werbung, oder, um es in der Facebook-Fachsprache zu sagen: die "Broad Categories" und "Campaigns", mit denen jede NutzerIn genau auf ihr Profil zugeschnittene Werbung erhält. Das ist das Geschäftsmodell. Eingebaut darin ist eine unmittelbare Wirksamkeitsprüfung durch sogenannte Offsite Pixel, die zum Beispiel Facebook für seine Werbetreibenden anbietet, damit sie erfahren, ob eine Anzeige auch zu einem wirksamen Klick auf die eigene Seite (etwa Kauf eines Artikel im werbenden Online-Shop) geführt hat. Umgekehrt können Werbetreibende ihre Kontaktdaten an Facebook weitergeben, um damit eine noch profilschärfere Kampagne zu lancieren.

Konnektivität und Asymmetrie

Auf diese Weise verändert sich das "Verhältnis von Oberfläche und Tiefe", das der Soziologe Niklas Luhmann zum fundamentalen Strukturschema von Werbung erklärte, grundlegend. "Wie einst die Divinationstechniken der Weisheit", so Luhmann, verwende Werbung "Lineaturen der Oberfläche, um Tiefe erraten zu lassen. (…) Aber Tiefe, das ist jetzt nicht das Schicksal, sondern die Unverbindlichkeit der Werbung. Die Werbung kann nicht bestimmen, was ihre Adressaten denken, fühlen, begehren." Das galt und gilt immer noch für Werbung in den klassischen Massenmedien: Am Ende ist nur über demoskopische Methoden ermittelbar, wer zuschaut oder zuhört.

Seit den frühen 2000er Jahren jedoch leben wir in einer massiven medialen Transformationsperiode, in Deutschland und weltweit. Denn in "Konnektivitätsmedien" wie Google oder Facebook existiert zu jedem Zeitpunkt eine Eins-zu-Eins-Beziehung der Nutzung. Die ARD weiß nicht, wer "Tatort" schaut, Facebook aber sehr wohl, wer wann wo und wie online ist. Werbung in Konnektivitätsmedien hat nichts mehr mit "Divination", mit Wahrsagekunst, zu tun, sondern basiert auf konkreten Daten der Beworbenen. Daran ändert, was Facebook betrifft, auch die neue Datenschutz-Grundverordnung der EU nichts. Nach wie vor muss die NutzerIn für sich per Opt-Out, also per gezielter Abwahl, profil-"gerechte" Werbung verhindern.

Hier mag man erkennen, was Merkel für das "zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft" hält. Ungerecht erscheint in der Tat die Asymmetrie der Daten in Konnektivitätsmedien wie Facebook oder Instagram. Sie liegt in der Diskrepanz zwischen dem Wissen der Werbenden und dem Wissen der Beworbenen begründet – auch wenn alles, was die Werbung weiß, aus den Verhaltensweisen der Beworbenen folgt. Doch die Beworbenen klicken, liken oder sharen ohne Wissen, welche relationalen Profile sich daraus algorithmisch ergeben können. Die Algorithmen sind Geschäftsgeheimnis, die rekombinierten Daten gehören allein dem Plattformbetreiber. Für Facebook gilt insofern, was einer Expertise der Justizminister der Bundesländer zufolge auch für meine Autowerkstatt gilt, die die Motordaten meines Fahrzeugs ausliest: "Automatisch generierte Daten werden nach geltendem Recht (…) demjenigen zugeordnet, der faktisch auf sie zugreifen kann, der sie also z.B. speichern, verarbeiten, verkaufen oder löschen kann."

Tatsächlich? Im Bundesverkehrsministerium (BMVI) ist man sich nicht so sicher. Denn der Europäische Gerichtshof hat 2016 beispielsweise dynamische, also nur zeitweise vergebene IP-Adressen für personenbezogene Daten erklärt. Jede NutzerIn hat eine solche, wenn sie im Internet unterwegs ist. Personenbezogen ist diese Adresse, weil es möglich ist, "die betreffende Person anhand der Zusatzinformationen, über die der Internetzugangsanbieter dieser Person verfügt, bestimmen zu lassen." Also folgert das BMVI, "dass auch Daten, die prima facie ‚lediglich‘ technischer Natur sind, personenbezogen sind". Die technische Entwicklung im Bereich der Datenauswertung des Fahr- und Lenkverhaltens ist derweil soweit fortgeschritten, dass die Standortbestimmung ohne klassische Standortdaten (etwa GPS oder Mobilfunk) möglich ist und damit Bewegungsprofile erstellt werden können. Die wären dann personenbezogen, also sind es "meine" Daten, wenn es mein Auto ist.

Micro-Targeting

Facebook schert das alles nicht. Die Firma sichert sich in ihren Nutzungsbedingungen – neben den Rechten an hochgeladenen Fotos und Beiträgen – vor allem alle Rechte zu, die sich als Daten aus der dynamischen Nutzung des eigenen Dienstes ergeben: "Wir erfassen Informationen darüber, wie du unsere Produkte nutzt, (…) über die von dir genutzten Funktionen, über die von dir durchgeführten Handlungen, über die Personen oder Konten, mit denen du interagierst, und über die Zeit, Häufigkeit und Dauer deiner Aktivitäten. Zum Beispiel protokollieren wir, wenn du unsere Produkte gerade nutzt bzw. wann du diese zuletzt genutzt hast, und welche Beiträge, Videos und sonstigen Inhalte du dir in unseren Produkten ansiehst. Wir erfassen auch Informationen darüber, wie du Funktionen wie unsere Kamera nutzt." Das ist Klartext. Auf Basis firmeneigener Algorithmen entsteht so das "Micro-Targeting", das heißt der genaue Zuschnitt von bezahlten Botschaften für den einzelnen User. Der NutzerIn bietet Facebook zwar ein sogenanntes Activity Log, das ihre Likes, Kommentare, Shares etc. chronologisch auflistet; aber das Persönlichkeitsprofil, das Facebook daraus erstellt, bleibt verborgen.

ForscherInnen wie Michal Kosinski, Samuel Gosling, Sandra Matz und andere haben in den vergangenen Jahren herausgefunden, aus wie wenigen Likes ein Algorithmus beispielsweise ein dichtes, individuelles Profil innerhalb des "Big Five"-Modells erstellen kann. Mithilfe dieses Modells lässt sich ein Charakter über die jeweilige Ausprägung von fünf unabhängigen Merkmalsfeldern ausdrücken. Diese umfassen "Offenheit für Erfahrung, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit, Freundlichkeit und Neurotizismus". Die Wissenschaftler weisen nach, dass nicht nur Likes und Bilder, sondern auch Geschriebenes in solche Profilbildungen eingehen kann. Den NutzerInnen zeigt Facebook nur, was sie ohnehin schon wissen. Welches Profil, welche Persönlichkeitsmodelle, welche Merkmale, welches psychometrische Design sich daraus ergibt, erfahren sie nicht; das bleibt das Geschäftsgeheimnis von Facebook. Wir wissen nicht einmal, nach welchem der in der Marketingforschung so zahllos existierenden Persönlichkeitsmodellen die Firma tatsächlich vorgeht.

Das Entscheidende daran ist nicht so sehr, dass eine lebendige Person, die NutzerIn, auf ein Persönlichkeitsmodell reduziert wird. Entscheidend sind die Datenmassen, mit denen das Modell ausgestattet ist: Sie ermöglichen Aussagen mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit darüber, was die NutzerIn in der Zukunft tun wird – zum Beispiel, wenn sie mit politischen Botschaften konfrontiert wird, die sie bislang noch nie gesehen hat. Das ist in der Tat eine völlig neue, aber sehr reale Art der Ungerechtigkeit. Der Skandal um die von Facebook illegal an Cambridge Analytica verkauften Daten für das Micro-Targeting von Trump-Wählern – ein "Fehler", für den sich der Vorstandsvorsitzende Mark Zuckerberg vor dem US-Senat "entschuldigte" – macht vergessen, dass es dieses illegalen Geschäfts nicht bedurft hätte: Die eigenen Modelle reichen aus, um bessere Prognosen für das zukünftige Verhalten von Personen zu geben, als es selbst engste Angehörige oder Ehepartner könnten.

Das eigentliche Problem: Datenarbeit & Dateneigentum

In ihrer Regierungserklärung fragt Merkel: "Wird der Einzelne auf neue Weise ausgebeutet, weil die Daten privaten Monopolen (…) gehören?" Sprachlich schiebt die Kanzlerin das Problem der Ungerechtigkeit damit auf das Feld wirtschaftlicher Nutzung. "Die Frage, ob und wie ein Eigentum an Daten ausgestaltet sein kann, müssen wir zügig angehen", heißt es im Koalitionsvertrag. Das Posten von Werbung auf die Ergebnisseiten einer Suche oder in "Facebook-Home"-Spalten wird allein durch die NutzerInnen möglich, aber was ist das für eine Tätigkeit? Arbeiten sie? Spielen sie? Sind sie Unternehmer? Oder muss die Frage lauten: Was veräußern sie?

Datenarbeit

"Facebook ist mehr als eine Plattform für Sozialität oder eine bestimmte Organisationsform der Infosphäre. Im Wesentlichen ist es eine Produktionsweise – eine Art und Weise, Menschen zum Arbeiten zu bringen, die den Wert generieren, der es der Plattform erst ermöglicht, all die anderen Funktionen zu erfüllen, die man ihr zuschreibt." Der Medienwissenschaftler Mark Andrejevic fasst in diesem Satz eine Diskussion zusammen, die, weit entfernt von Merkel, seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten unter dem Stichwort "immaterielle Arbeit" geführt wird. Der Begriff wurde vom italienischen Soziologen Maurizio Lazzarato 1996 geprägt und beschreibt, wie Wert aus affektiven und kognitiven Aktivitäten erzeugt wird – beim Filmeschauen, bei der Serienrezeption, auf Spielekonsolen, auf Fan-Seiten etc. "Arbeit" also, die auf verschiedene Weise in kapitalistischen Ökonomien kommerzialisiert wird. Was Facebook betrifft, spitzte es die Kunstkuratorin Laurel Ptak in ihrem Manifest "Wages for Facebook" (Löhne für Facebook), das sich an Silvia Federicis Text "Löhne für Hausarbeit" von 1975 anlehnt, vor einigen Jahren so zu: "Sie sagen, es ist Freundschaft. Wir sagen, es ist unbezahlte Arbeit. Mit jeder Art von Chat, Tag oder Anstupser verhilft Ihnen unsere Subjektivität zu einem Gewinn. Sie nennen es teilen. Wir nennen es Diebstahl." Eine antikapitalistische Kritik, die mit dem marxschen Argument der Entfremdung operiert, dabei aber durchaus klug den Finger auf die faktische Umdeutung legt, die die Nutzerdaten durch die Algorithmen von Facebook erfahren: "Löhne für Facebook zu fordern heißt sichtbar machen, dass unsere Meinungen und Emotionen im Internet für eine spezifische Funktion verdreht wurden, und dann als Modell auf uns zurückgeworfen wurden, dem wir uns anpassen sollen, wenn wir in dieser Gesellschaft akzeptiert werden wollen." Diesen Punkt übersehen die vielen Diagnosen des double sharing, des doppelten Teilens von Daten (mit Freunden/mit Facebook): nämlich, dass die Daten, die auf der Nutzeroberfläche geteilt werden, sehr unterschiedlich sind von denen in den Algorithmen, es sind gewissermaßen Daten in verschiedenen Aggregatszuständen. Gleichwohl geht Ptak nicht über eine künstlerisch-aktivistische Symbolik hinaus. Konkrete Formen der Entlohnung schlägt sie nicht vor.

"In der fordistischen Epoche der kapitalistischen Produktion, also in der Zeit der industriellen Fließbandarbeit, war Arbeitszeit Zeit der Mühen (…), während die Freizeit, wie Herbert Marcuse in den 1950er Jahren festhielt, ‚die Zeit des Eros‘ war. Im zeitgenössischen Kapitalismus laufen Spiel und Arbeit, Eros und Thanatos, Lustprinzip und Todestrieb mehr und mehr zusammen, indem von Arbeitern erwartet wird, dass sie während der Arbeit Spaß haben, während das Spielen produktiv und arbeitsähnlich wird. Spiel- und Arbeitszeit überschneiden sich, und die ganze menschliche Zeit der Existenz wird tendenziell für die Kapitalbildung ausgenutzt. Die Ausbeutung von Facebook-Arbeit ist ein Ausdruck dieser Veränderungen in der kapitalistischen Produktion und der damit verbundenen Transformation der Triebstruktur." Deshalb nannte der Medienwissenschaftler Julian Kücklich diese arbeitenden Spieler schon 2005 "Playbours".

Die Soziologin Carolin Wiedemann hat in ihrer Analyse des "Subjektivierungsregimes" auf Facebook den Aspekt stark gemacht, dass auf dieser Plattform alle User sich, ob sie wollen oder nicht, zu Unternehmern mausern müssen, um in ihren Profilen und Postings gut dazustehen. "Drücke dich aus: Richte dein Facebook-Profil ein. (…) Welche Informationen zeigen am besten, wer du bist?" Facebooks Ideal ist eine neoliberal verstandene Welt, in der alles den (guten) Marktkräften unterworfen wird. Das heißt, Facebook will dafür "Sorge tragen, dass die Individuen ihre Freiheit in einer bestimmten Form gebrauchen: nämlich unternehmerisch (…) Prägnant wie eine Marke müssen sich die UserInnen präsentieren. Wie ein Produkt, das in der Werbung angepriesen wird." Die Profilbildung auf Facebook komme insgesamt, so Wiedemann, dem "Modell der Prüfung von Persönlichkeitsmerkmalen" nahe, wie es etwa in Assessment-Centern in Einstellungsverfahren heute gang und gäbe ist. Die NutzerIn als sich selbst anpreisende UnternehmerIn wird mit dem internen Verwertungsraster von Facebook eins. Wenn ich mich selbst schon nach dem "Big Five"-Persönlichkeitsmodell in Facebook exponiere, braucht es kaum noch eine Umformung meiner Daten. Oder anders gesagt: Jeder, der sich konsequent im Sinne Facebooks profiliert, arbeitet nicht, spielt nicht, "playbourt" nicht, sondern "unternimmt" sich als zur Marke und Ware gewordenes Selbst auf einem Markt, auf dem er sich durch ihm gemäße Werbung und Konsumaufforderungen wieder begegnet. Ein vollendeter Zirkel in einem idealen neoliberalen Markt.

Dateneigentum

Angela Merkel geht es auch um neue Märkte, zur Lösung jenes "zentralen Gerechtigkeitsproblems" (erstaunlich: weder EU noch BMVI erwähnen diesen Aspekt). Allerdings: Daten sind keine Kartoffeln. Daten sind nichts Anfassbares, nichts Körperliches, keine Sachwerte mit "Habenstruktur". Daten sind Informationen, basierend, wie die Informationstheorie seit den 1940er Jahren weiß, auf Unterscheidungen. Ein Sachverhalt, der eine Unterscheidung macht, ist eine Information, ein Datum. Mein Name ist Müller, nicht Miller. Daten sind Unterscheidungen von Unterscheidungen. Eigentum dagegen ist eine Sache, über die man, wie Juristen sagen, "Herrschaftsmacht" erringt, wenn sie einem gehört.

Die Gutachter des BMVI wissen, trotz aller Befürwortung, wie juristisch prekär der Begriff des Dateneigentums bleibt. Ihnen geht es daher mehr um "Förderung des Bewusstseins, dass Daten ein marktfähiges Gut sind: Damit insbesondere Nutzer von Online-Diensten wirklich privatautonom über die Freigabe und Preisgabe ihrer Daten entscheiden können." Dagegen sieht die Arbeitsgruppe "Digitaler Neustart" der Justizminister der Länder keinen Handlungsbedarf: Es sei "nicht erkennbar, dass der Datenhandel durch Einführung eines absoluten Rechts an Daten gefördert werden könnte." Jede Einräumung eines Verwertungsrechts an personenbezogenen Daten ist auch mit dem heutigen Datenschutz schon möglich.

Prädikatives Persönlichkeitsprofil statt freies Subjekt

Aber so gut und weltweit anerkannt der Europäische Datenschutz dasteht, er kann die Asymmetrie in den Daten der Konnektivitätsmedien nicht beheben. Eigentumsveräußerung böte vielleicht ein Entgelt als Ausgleich, ähnlich würde möglicherweise auch Lohn für immaterielle Arbeit oder für "Playbour" wirken. Näher besehen aber sind dies Modelle, die an der Wirklichkeit – aus unterschiedlichen ideologischen Gründen – vorbeigehen. Denn was genau ist das "zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft", das Merkel anspricht?

Wir können es analytisch nunmehr genauer benennen: Die Umdeutung der Userdaten auf Facebook oder Google zu prädikativen Persönlichkeitsprofilen, die den NutzerInnen verborgen bleiben, obwohl sie deren zukünftiges Verhalten vorhersagen, enthält eine tiefe kulturelle und soziale Ungerechtigkeit, nicht so sehr eine im engeren Sinn wirtschaftliche. Denn was hier sozial mächtig wird, ist eine Veränderung im Begriff der Person, des Subjekts und damit des Menschenbildes, eine Veränderung, gegen die die normale NutzerIn machtlos bleibt. Daten, die Facebook vermarktet, sind Daten mit einer neuen kulturellen Semantik und mit neuen politischen Wirkungen; denn sie verschieben den Begriff der natürlichen Person hin zu einer bloßen Instanz von Persönlichkeitsmodellen – und hebeln damit den demokratischen Freiheitsraum des Individuums strukturell aus.

Dagegen hilft nur, was in der Industriegeschichte der USA bereits über 270 Mal geschehen ist: eine Entflechtung und De-Monopolisierung großer Konzerne. Angesichts der Zwei-Drittel-Übermacht, die Facebook und Google im Online-Werbemarkt erreicht haben, und der 75 Prozent, die Amazon im Online-Buchhandel an Marktmacht hält, haben die Zeitungen "The Guardian" und "Wall Street Journal" im letzten Jahr vermehrt daran erinnert, dass Standard Oil Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls über 80 Prozent des Marktes beherrschte, und der Supreme Court 1911 die Firma John D. Rockefellers erfolgreich zerschlug. Ähnliche Forderungen werden heute vor allem gegenüber Facebook, Google und Amazon erhoben. In den USA reicht die Reihe der sozial und ökonomisch wirksamen Entflechtungen vom sogenannten Paramount-Urteil 1948 (die Filmfirma verlor dabei ihre Kinoketten im Land, was zugleich das Ende des sogenannten Studiosystems in Hollywood bedeutete) über die Zerschlagung von AT&T in den 1980er Jahren bis hin zum Microsoft-Urteil im Jahre 2000, das die Firma in zwei Teile zu zerlegen anordnete, jedoch vom Justizministerium der Bush-Regierung durch Zuweisung eines neuen Richters letztlich aufgehoben wurde.

Nimmt man das Microsoft-Urteil als Referenz, so gibt es für den operativen Weg einer Entflechtung von Google und Facebook die Möglichkeit, das Front-End vom Back-End der Applikationen jeweils unternehmerisch zu trennen. Die Google-Suche zeigt bekanntlich eine Such- und eine Ergebnisseite; letztere ist das Front-End. Das Back-End von Google sind die "Crawler" und "Spider", die das Netz durchsuchen, indizieren und gewichten, das sind die Datenbanken, aus denen sich in Millisekunden das Front-End bei der Antwortliste speist. Bei Facebook wäre das Back-End die Algorithmen, die die Persönlichkeitsprofile erstellen. Um beides voneinander zu trennen, muss offengelegt werden, welche Struktur die Massen von Daten haben, die die Konzerne horten. Das würde den Markt öffnen, denn es können jetzt auch andere Front- und Back-End-Betreiber auf den Markt kommen.

So wie der US-Bundesrichter Thomas Penfield Jackson 2000 entschied, dass Microsoft geteilt werden solle in eine Firma, die nur Betriebssysteme herstelle, und eine weitere, die alle anderen "Office"-Applikationen entwickelt, so müssten Google und Facebook zerteilt werden in eine Firma, die verkauft, was die NutzerIn sieht, und eine, die die Verarbeitung der Daten und die Micro-Targeting-Profile anbietet. Damit würde zum ersten Mal der Datensatz einer NutzerIn (aus dem Front-End) ersichtlich. Wir würden eine genormte Schnittstelle kennenlernen und würden auf diese Weise Transparenz gewinnen, die auf keinem anderen regulatorischen Weg sicher herstellbar ist: Nämlich wie unsere Daten tatsächlich transferiert werden und wie der Datensatz aussieht, der unser Persönlichkeitsprofil repräsentiert. Der grundlegende Gedankengang dabei ist, dass man als Nutzer Wahlfreiheit gewänne, welcher Firma man seine Daten anvertraut, und dann potenziell auch, dass verschiedene Firmen unterschiedliche Ausmaße der Datennutzung anbieten können. Wir würden durch Konkurrenz Klarheit erzeugen und mit ihr das "zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft" mildern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Angela Merkel, Zum Rohstoff Daten, Auszug aus der Diskussion, 2. Global Solutions Summit, Berlin 28.5.2018, Externer Link: http://www.youtube.com/watch?v=bHSAAr9s1kY (ab Minute 40; eigene Transkription).

  2. Europäische Kommission, Ein faires und effizientes Steuersystem in der Europäischen Union für den digitalen Binnenmarkt, KOM (2017) 547 final 21.9.2017, S. 2.

  3. Vgl. ebd., S. 7.

  4. Ebd., S. 11.

  5. Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Opladen19962, S. 64.

  6. Ich verwende diesen Begriff in Anschluss an Eugene Thacker, Netzwerke – Schwärme – Multitudes, in: Eva Horn (Hrsg.), Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld 2007, S. 27–68.

  7. Arbeitsgruppe "Digitaler Neustart" der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder, Bericht vom 15.5.2017, S. 76.

  8. Europäischer Gerichtshof, C-582/14 (Breyer/Deutschland), 19.10.2016.

  9. BMVI, "Eigentumsordnung" für Mobilitätsdaten? Eine Studie aus technischer, ökonomischer und rechtlicher Perspektive, Berlin 2017, S. 48.

  10. Siehe Externer Link: http://www.facebook.com/about/privacy/update.

  11. Sandra Matz/Yin Wah Fiona Chan/Michal Kosinski, Models of Personality, in: Marko Tkalčič et al. (Hrsg.), Emotions and Personality in Personalized Services. Models, Evaluation and Applications, Cham 2016, S. 35–54, hier S. 42.

  12. Vgl. Michal Kosinski et al., Mining Big Data to Extract Patterns and Predict Real-Life Outcomes, in: Psychological Methods 4/2016, S. 493–506.

  13. Vgl. Cristina Segalin et al., What Your Facebook Profile Picture Reveals about Your Personality, in: Computer Science, 13.8.2017, arxiv.org/abs/1708.01292.

  14. Vgl. Kosinski (Anm. 12).

  15. Vgl. Niels Buus Lassen/Lisbeth la Cour/Ravi Vatrapu, Predictive Analytics with Social Media Data, in: Luke Sloan/Anabel Quan-Haase, The Sage Handbook of Social Media Research Methods, London 2017, S. 328–341.

  16. Deutscher Bundestag, Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel, Plenarprotokoll vom 21.3.2018, S. 19.

  17. CDU/CSU, SPD, Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 12.3.2018, S. 129.

  18. Mark Andrejevic, Facebook als neue Produktionsweise, in: Oliver Leistert/Theo Röhle, Generation Facebook. Über das Leben im Social Net, Bielefeld 2011, S. 31–49, hier S. 31.

  19. Maurizio Lazzarato, Immaterielle Arbeit. Gesellschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen des Postfordismus, in: Antonio Negri et al. (Hrsg.), Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Berlin 1998, S. 39–52.

  20. Laurel Ptak, Wages for Facebook, 2014, wagesforfacebook.com.

  21. José van Dijck, Flickr and the Culture of Connectivity Sharing Views, Experiences, Memories, in: Memory Studies 4/2011, S. 401–415.

  22. Christian Fuchs, The Political Economy of Privacy on Facebook, in: Television & New Media 2/2012, S. 139–159, hier S. 146.

  23. Julian Kücklich, Precarious Playbour: Modders and the Digital Games Industry, in: The Fibreculture Journal 5/2005, Externer Link: http://five.fibreculturejournal.org/fcj-025-precarious-playbour-modders-and-the-digital-games-industry.

  24. Facebook-Hilfe zit. nach Carolin Wiedemann, Selbstvermarktung im Netz – eine Gouvernementalitätsanalyse der Social Networking-Site ‚Facebook‘, Saarbrücken 2010, S. 65.

  25. Ebd.

  26. Karl-Heinz Fezer, Repräsentatives Dateneigentum. Ein zivilgesellschaftliches Bürgerrecht, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2018, S. 59.

  27. BMVI (Anm. 9), S. 5.

  28. Arbeitsgruppe "Digitaler Neustart" (Anm. 7), S. 70.

  29. Google und Facebook stehen hier stellvertretend für die zahllosen anderen Portale, Apps und Geräte, die unsere Daten sammeln.

  30. William H. Page/John E. Lopatka, The Microsoft Case. Antitrust, High Technology, and Consumer Welfare, Chicago–London 2007, S. 4.

  31. Vgl. Larry Elliott, Is it Time to Break up the Tech Giants Such as Facebook?, 25.3.2018, Externer Link: http://www.theguardian.com/business/2018/mar/25/is-it-time-to-break-up-the-tech-giants-such-as-facebook; Greg Ip, Facebook’s Monopoly Is Ripe for Regulation, 12.4.2018, Externer Link: http://www.marketscreener.com/FACEBOOK-10547141/news/WSJ-26327169.

  32. Vgl. Page (Anm. 30), S. 34.

  33. Vgl. Amy N. Langville/Carl D. Meyer, Google’s PageRank and Beyond: the Science of Search Engine Rankings, Princeton–Oxford 2006.

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ist Professor für Medienwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg.
E-Mail Link: wolfgang.hagen@leuphana.de