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Editorial | Familiale Lebensformen im Wandel | bpb.de

Familiale Lebensformen im Wandel Editorial Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland und Europa Geschlechterdemokratie leben. Junge Eltern zwischen Familienpolitik und Alltagserfahrungen Väterlichkeit, Scheidung und Geschlechterkampf Familienbiografien und Schulerfolg von Kindern Partner- und Eltern-Kind-Beziehung in der DDR und nach der Wende

Editorial

Katharina Belwe

/ 3 Minuten zu lesen

Es gelingt Paaren immer seltener, zusammen zu bleiben. Die Zahl der Ehescheidungen nimmt in Deutschland seit Jahren drastisch zu, die der Eheschließungen nimmt ab. Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe setzen sich mit den Ursachen und Folgen dieser Entwicklung auseinander.

Der gesellschaftliche Wandel macht vor der Familie, der "Keimzelle der Gesellschaft", nicht Halt. Zwar wird mit einem Leben zu zweit, mit Kindern oder ohne, immer noch die Hoffnung auf das große Glück verbunden. Aber es gelingt Paaren immer seltener zusammenzubleiben. In Deutschland nehmen Ehescheidungen seit Jahren drastisch zu, Eheschließungen dagegen ab. Ehen werden heute, wenn überhaupt, später geschlossen; viele bleiben kinderlos. Nach jüngsten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl standesamtlicher Trauungen und Geburten 2003 auf den tiefsten Stand seit 1945 gesunken. Beinahe jede dritte in den sechziger Jahren geborene Frau entscheidet sich mittlerweile gegen Nachwuchs. Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe setzen sich mit den Ursachen und Folgen dieser dramatischen Entwicklung auseinander.

In Deutschland wie in anderen europäischen Ländern hat eine Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensverläufe stattgefunden; die "Normalfamilie" verliert an Bedeutung. Dazu trägt die zunehmende Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften ebenso bei wie das Verschieben bzw. Vermeiden der Eheschließung, so Josef Brüderl. Im neuen "Standardlebensverlauf" bleibe man bis in die Dreißiger ledig; der Anteil derer, die - meist nach Heirat - zusammenbleiben, gehe drastisch zurück, der Anteil derer, die sich wieder trennen und eine neue Beziehung eingehen, steige.

Ein Grund für diese Entwicklung dürfte in der Schwierigkeit liegen, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Eltern, die sich Erwerbs- und Familienarbeit teilen wollen, stoßen auf zahllose Hindernisse. Statt Geschlechter- und Familienpolitik mit der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammenzudenken, wird entkoppelt, was zusammengehört. Mit dem Ziel, die "geschlechterdemokratische Stagnation" aufzubrechen, schlagen Anneli Rüling, Karsten Kassner und Peter Grottian ein bei Ländern und Kommunen angesiedeltes Modellprojekt zur Unterstützung junger Eltern bei ihrer Alltagsorganisation vor.

Mehr als ein Drittel aller Ehen wird heute früher oder später geschieden; 2002 waren davon mehr als 160 000 Kinder betroffen. Kinder erleben die Trennung der Eltern meist als Willkür. Nach der Scheidung wird ihnen ein Elternteil genommen - bislang ist dies in der Regel der Vater. Das widerspricht Gerhard Amendt zufolge dem Kindschaftsrecht von 1998. Der Autor wendet sich gegen einen falschen Muttermythos und das darin zum Ausdruck kommende polarisierte Geschlechterverständnis. Es gelte beide Welten - die der Frauen und die der Männer - gleichermaßen in den Blick zu nehmen und mit Hilfe der Politik zu verändern.

Umbrüche innerhalb der Familie wirken sich auf den Schulerfolg von Kindern aus. Elisabeth Schlemmer fragt, wann und wie Trennung, Scheidung, Zusammenzug des Elternteils mit einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin, (Wieder-)Verheiratung oder die Geburt eines Halbgeschwisters von Kindern erlebt werden. Sie plädiert für eine Neubewertung des Verhältnisses von Familie und Schule sowie die Förderung sozialer Kompetenz von Kindern.

Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Ostdeutschland ist die emotionale Bedeutung von Ehe und Familie gestiegen. Die Ursachen dafür liegen einerseits in der Entsolidarisierung im Erwerbsleben, andererseits in der Verbesserung der Wohnbedingungen nach der Vereinigung Deutschlands, so Gitta Scheller. Die Rückbindung in traditionelle familiäre Sozialbeziehungen nach dem Vorbild der alten Bundesrepublik stoße jedoch dort an Grenzen, wo die ostdeutschen Frauen ihre Unabhängigkeit gefährdet sähen.