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Geschlechterdemokratie leben. Junge Eltern zwischen Familienpolitik und Alltagserfahrungen | Familiale Lebensformen im Wandel | bpb.de

Familiale Lebensformen im Wandel Editorial Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland und Europa Geschlechterdemokratie leben. Junge Eltern zwischen Familienpolitik und Alltagserfahrungen Väterlichkeit, Scheidung und Geschlechterkampf Familienbiografien und Schulerfolg von Kindern Partner- und Eltern-Kind-Beziehung in der DDR und nach der Wende

Geschlechterdemokratie leben. Junge Eltern zwischen Familienpolitik und Alltagserfahrungen

Anneli Rüling Karsten Kassner Peter Grottian Peter Karsten / Grottian Anneli / Kassner Rüling

/ 22 Minuten zu lesen

Die Rahmenbedingungen für Familien sind schlecht, vor allem wenn sich Paare Erwerbs- und Familienarbeit teilen wollen. Die Autoren schlagen familienpolitische Reformen vor, welche die Paare zu zentralen Akteuren der Veränderung machen.

Einleitung

Über die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" wird seit dem Bundestagswahlkampf 2002 in der Öffentlichkeit heftig diskutiert. Strittig ist vor allem die Frage, wer denn nun Schuld daran sei, dass in Deutschland zu wenig Kinder geboren werden: Ein Generationenkonflikt wird heraufbeschworen, ein Verteilungskonflikt zwischen Eltern und kinderlosen Singles ausgemacht, und kinderlose Frauen (über 40 Prozent der Akademiker/innen) werden teilweise als "egoistische Karrierefrauen" porträtiert. Diese Art von Verteilungskonflikt interessiert uns hier jedoch weniger. Vielmehr wollen wir das Thema der "Vereinbarkeit" unter einer geschlechterpolitischen Perspektive angehen. Uns interessiert, was sich jenseits der Wahlkampfreden tatsächlich verändert hat in der Familienpolitik und inwiefern das geschlechterpolitische Reformprojekt, das sich Rot-Grün auf die Fahnen geschrieben hat, vorangekommen ist. Zudem wollen wir die Perspektive umkehren und fragen, wie junge Eltern, die sich Erwerbs- und Familienarbeit teilen, ihren Alltag gestalten und welche familienpolitische Unterstützung sie benötigen. Wir werden zeigen, dass sie ihre Vorstellungen weitgehend gegen herrschende Strukturen durchsetzen müssen. Geschlechterdemokratische Arbeitsteilung ist ein politisch ungewolltes, aber für Paare attraktives Projekt. Schließlich werden wir Vorschläge unterbreiten, wie junge Eltern zu Akteuren der Veränderung gemacht werden könnten.







Mit "Geschlechterdemokratie" in der Familienpolitik verbinden wir die Vorstellung, dass die Frage nach der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" kein Frauenthema bleibt, sondern beide Elternteile für die Kindererziehung Verantwortung tragen und zugleich die Möglichkeit haben, erwerbstätig zu sein. Legt man diese Messlatte an, so muss untersucht werden, welche Leitbilder heute in derBundesrepublik Grundlage familienpolitischer Steuerung sind. Letztlich geht es also darum, ob sich Familienpolitik weiterhin an einem traditionellen Familienmodell mit Familienernährer und Hausfrau orientiert oder aber geschlechterdemokratische Lebensformen fördert.

Bilanz rot-grüner Familienpolitik

Bereits 2001 wurde das Bundeserziehungsgeldgesetz novelliert - mit dem Erfolg, dass der "Erziehungsurlaub" jetzt "Elternzeit" heißt und damit ausdrücklich beide Eltern anspricht. Vater und Mutter können parallel oder im Wechsel Elternzeit beanspruchen und nebenher bis zu 30 Stunden in Teilzeit erwerbstätig sein. Damit ist - zumindest rhetorisch - die Vorstellung vom Tisch, dass sich nur eine Person überwiegend um das Kind kümmern soll. Die neue Möglichkeit geteilter Familien- und Erwerbsarbeit geht aber nicht mit einer entsprechenden finanziellen Förderung einher. Das Erziehungsgeld reicht nicht zur Existenzsicherung und ermutigt daher junge Eltern nicht, gemeinsam Elternzeit zu beanspruchen. Die Regelung setzt weiterhin einen Familienernährer voraus, obwohl sie - wie auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz - einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit begründet und dadurch die Position der Beschäftigten bei der Umsetzung ihrer Arbeitszeitwünsche stärkt. Bei unveränderter Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen ist es allerdings meistens keine ernsthafte Frage, wer aus dem Beruf aussteigt.

Diese traditionelle Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung steht jedoch im Widerspruch zu den geäußerten Wünschen vieler Eltern. Bei einer repräsentativen Umfrage von Müttern mit Kindern unter drei Jahren wünschten sich 16 Prozent der westdeutschen Mütter, dass beide Eltern in Teilzeit arbeiten; 63 Prozent wollten eine Kombination aus Teilzeit und Vollzeit und 7 Prozent wünschten sich eine beidseitige Vollzeittätigkeit. Die bei 77 Prozent dieser Eltern tatsächlich vorherrschende Arbeitsteilung, bei der die Mutter die Berufsarbeit unterbricht und der Vater das Familieneinkommen sichert, wünschten dagegen nur 14 Prozent der Mütter. Auch die 20 Prozent "neuen Männer" in Deutschland wünschen sich eine aktive Vaterschaft und wären bereit, dafür ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren. Dennoch werden diese Wünsche nur selten in die Tat umgesetzt. Weniger als zwei Prozent der berechtigten Väter nahmen 2000 Elternzeit, und nur drei Prozent aller Väter in Deutschland arbeiteten im Jahr 2002 in Teilzeit. Dies ist unseres Erachtens auch auf die familienpolitischen Rahmenbedingungen zurückzuführen.

Familienpolitik basiert in der Bundesrepublik vor allem auf staatlichen Transferleistungen. Finanzielle Familienförderung und das Ehegattensplitting machen mit mehr als zwei Dritteln den größten Anteil des familienpolitischen Budgets aus. Von der dualen Förderung durch Kindergeld und Kinderfreibetrag profitieren zudem einkommensstarke Haushalte stärker als einkommensschwache. Es wird die Chance vertan, diese Mittel für die notwendige Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur einzusetzen. Stattdessen werden durch eine simple und einfallslose Kindergelderhöhungsstrategie enorme Summen nach dem Gießkannenprinzip verteilt. In dieser Hinsicht hat die rot-grüne Regierung nahtlos an die Familienpolitik der konservativ-liberalen Ära angeschlossen. Dies erklärt, warum sich trotz stetig wachsender Ausgaben die Situation für Familien in Deutschland kaum verbessert hat - obwohl das Bundesverfassungsgericht seit Jahren gesetzliche Veränderungen zugunsten von Familien anmahnt.

Darüber hinaus wird durch das Ehegattensplitting weiterhin eine klassisch-traditionelle Arbeitsteilung gefördert. Die vorhandenen juristischen Spielräume für eine steuerliche Besserstellung geschlechterdemokratischer Lebensentwürfe sind bisher aus politischen Gründen nicht genutzt worden. Eine verfassungsrechtlich mögliche Kappung des Ehegattensplittings im oberen Bereich oder die Umwandlung in ein Realsplitting als erster Schritt zur endgültigen Abschaffung wird zwar seit Jahren immer wieder gefordert und stand ursprünglich auch auf der rot-grünen Agenda. Aber nach der Wiederwahl wurde dieses Projekt ohne erkennbare Begründung aufgegeben. In der laufenden Legislaturperiode wird nun weiterhin eine traditionelle Arbeitsteilung in Höhe von etwa 22 Milliarden Euro pro Jahr (2003) subventioniert - während partnerschaftliche Lebensmodelle indirekt diskriminiert werden. Es ist die höchste geschlechterundemokratische Subvention der Republik.

Dennoch sieht die rot-grüne Regierung in der "Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ein zentrales politisches Reformvorhaben" und strebt an, für Kinder ein "bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot" zu schaffen. Hierfür legte die Bundesregierung innerhalb der laufenden Legislaturperiode bislang zwei Programme auf: Zum einen sollen die Länder pro Jahr eine Förderung von einer Milliarde Euro zum Ausbau der Ganztagsschulen erhalten. Allerdings krankt dieses Projekt - aufgrund der Länderhoheit beim Thema Bildung - an einer uneinheitlichen Definition von "Ganztagsschule". Es bleibt letzten Endes den Ländern überlassen, wie sie die Mittel im Rahmen ihrer Schulpolitik einsetzen. Auch finanziert der Bund nur bauliche Anpassungen. Die zusätzlichen Personalkosten werden nicht übernommen. Zum anderen hat sich die Bundesregierung die Verbesserung der frühkindlichen Betreuung zum Ziel gesetzt: Für unter Dreijährige soll - laut Agenda 2010 - bis zum Jahr 2006 die Betreuungsquote auf 20 Prozent in jedem Bundesland angehoben werden. Die Kommunen sollen jährlich 1,5 Milliarden Euro zur Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur erhalten - die Mittel sollen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eingespart werden. Bis Juni 2004 will die Bundesregierung hierzu einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Allerdings bleibt abzuwarten, wie verbindlich dieser Ausbau festgeschrieben werden kann und ob dieses Programm nicht dem allgemeinen Sparzwang oder dem Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern zum Opfer fällt. Die Familienministerin wirbt derzeit erst einmal tatkräftig für "lokale Bündnisse für Familie", die den Bund nichts kosten und auch die Unternehmen stärker in die Verantwortung nehmen sollen. Doch die Wirtschaft zeigt noch wenig Interesse an einer "Allianz für Familien". Trotz einiger Initiativen der Bundesregierung lässt also eine kurzfristige Entlastung der Familien durch einen massiven Ausbau der Kinderbetreuung auf sich warten. Hier sind jetzt vor allem die Bundesländer in der Pflicht, die jedoch unterschiedliche Vorstellungen von Kinderbetreuung und Müttererwerbstätigkeit haben.

Jenseits dieser Umsetzungsschwierigkeiten hat bisher eine notwendige Verzahnung von Familien- und Arbeitsmarktpolitik, die zu Win-win-Situationen führen könnte, nicht stattgefunden. Die Annahme jedenfalls, dass der Ausbau der Kinderbetreuung Geld kosten und die steigende Erwerbstätigkeit von Müttern den Arbeitsmarkt belasten würde, erweist sich als falsch. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass genau diese Maßnahme Arbeitsplätze schaffen und Gelder in die Kassen der sozialen Sicherungssysteme spülen würde. Dagegen perpetuieren die mit der Agenda 2010 verbundenen Gesetze geschlechterdemokratische Disparitäten und fördern einen frauenspezifischen Niedriglohnsektor, statt versicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Niedrig qualifizierten Frauen droht, verstärkt aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt zu werden, da sie aufgrund der veränderten Anrechnung des Partnereinkommens aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes II und den Leistungen der Arbeitsämter herausfallen. Es ist zu befürchten, dass sie schlechter vermittelbar werden und weniger Qualifizierungsangebote erhalten werden. Die damit verbundenen Einsparungen sollen ironischerweise - im besten Falle - zum Ausbau der Kinderbetreuung bereitgestellt werden: nicht gerade eine gleichstellungspolitische Meisterleistung! Soweit die Bundesregierung den demographischen Wandel, der sich in den neuen Bundesländern zu einem regelrechten "Gebärstreik" ausgeweitet hat, bremsen wollte, müsste sie viel energischer dafür sorgen, dass junge Frauen in Deutschland nicht länger vor der Alternative Berufstätigkeit oder Kind stehen. Im Übrigen gehen bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit Geschlechterdemokratie und Demographie Hand in Hand. Der europäische Vergleich zeigt: Länder mit einem ausgebauten Betreuungssystem für Kinder aller Altersstufen und einer hohen Frauenerwerbstätigkeit haben in der Regel auch hohe Geburtenraten.

Es besteht also weiterhin eklatanter Reformbedarf für gleichberechtigte Lebensformen. Statt einen angeblichen Generationenkonflikt und Verteilungskämpfe zwischen Eltern und Singles zu beschwören, sollten Politik, Kommunen und Wirtschaft eher damit beginnen, die Rahmenbedingungen für junge Eltern in Deutschland zu verbessern, damit diese ihre jeweiligen Vorstellungen von einem "guten Leben mit Kindern" besser realisieren können. Dies gilt insbesondere für diejenigen Eltern, die einen partnerschaftlichen Lebensentwurf jenseits des klassischen Ernährermodells verwirklichen wollen. Wohlfahrtstaatliche Politiken setzen Rahmenbedingungen, die von den handelnden Subjekten als Chance oder Begrenzung ihrer Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Die Menschen agieren im Rahmen politisch vorgegebener Strukturen. Damit werden ihre Handlungen zwar nicht eindeutig vorbestimmt. Trotzdem sind die derzeit vorherrschenden gesellschaftlich-kulturellen Rahmenbedingungen keineswegs "neutral", sondern fördern eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Insofern implizieren sie ein traditionelles Geschlechterarrangement als hegemoniales Muster. Demgegenüber müssen sich Paare, die egalitäre Lebensentwürfe realisieren wollen, jenseits dieser hegemonialen Struktur bewegen und immer wieder besondere Anstrengungen auf sich nehmen, um dies auch praktisch in die Tat umzusetzen.

Geschlechterdemokratie in der Erwerbs- und Familienarbeit

Vor dem Hintergrund der aktuellen geschlechter- und familienpolitischen Lage in Deutschland haben wir eine eigene qualitative Studie durchgeführt und dort eben solche egalitären Geschlechterarrangements innerhalb junger Familien in denBlick genommen. Als "hartes Kriterium" für Geschlechterdemokratie in Paarbeziehungen mit Kindern galt: Die Arbeitszeitmuster beider Elternteile liegen jenseits der Normalarbeitszeit, mit einem besonderen Fokus auf veränderten Arbeitsformen und -zeiten der Väter. Daher wählten wir Paare aus, bei denen beide Elternteile in Teilzeit arbeiten, sich den Erziehungsurlaub bzw. die Elternzeit geteilt haben oder bei denen sich die Männer anderweitig als aktive Väter verstanden. Insgesamt wurden 25 Elternpaare interviewt. Wissen wollten wir, wie es trotz ungünstiger Rahmenbedingungen zu der jeweiligen Aufteilung gekommen ist, wie der Alltag solcher Familien im Einzelnen aussieht und welche (familien)politische Unterstützung sie benötigen. In geschlechterpolitischer Hinsicht hat uns zudem der emanzipatorische Gehalt solcher veränderter Arbeitsteilungsstrukturen interessiert.

Die Paare waren zum Zeitpunkt der Befragung überwiegend in der Familiengründungsphase und hatten bis zu drei Kinder. Ihr Bildungsniveau ist überdurchschnittlich hoch; allerdings sind die Berufs- und Tätigkeitsfelder sehr unterschiedlich. Die meisten arbeiten in der Privatwirtschaft, ein Teil im öffentlichen Dienst, und einige wenige sind im Non-Profit-Bereich beschäftigt oder selbstständig. Beachtenswert ist, dass sieben der befragten Personen in Führungspositionen sind. Die Einkommensverhältnisse der Familien variieren erheblich, sie liegen netto inklusive staatlicher Transferleistungen zwischen 1 400 und 5 000 Euro. Die breite Spanne ist allerdings nicht nur auf Qualifikation und ausgeübten Beruf zurückzuführen, sondern hängt wesentlich davon ab, in welchem zeitlichen Umfang beide Elternteile erwerbstätig sind.

Besonderes Augenmerk haben wir auf die konkrete Arbeitszeit- und Betreuungssituation der Paare gelegt. Diese variierten nicht nur zwischen den Paaren, sondern auch im Verlaufe der jeweiligen Paarentwicklung. Feststellen konnten wir, dass neben strukturellen Rahmenbedingungen eine zentrale Voraussetzung für egalitäre Arbeitsteilungsmuster in der Paarbeziehung selbst liegt, insbesondere in deren Bildungs- und Einkommensstruktur. Die Frauen in unserem Sample sind überwiegend gleich oder höher qualifiziert als ihre Partner, was sich zugleich in ihrem Einkommensniveau niederschlägt. Insofern sind gleiche Startbedingungen von Mann und Frau in einer Paarbeziehung ein wesentliches Moment für die Herausbildung einer partnerschaftlich orientierten Arbeitsteilung.

Nach der Geburt eines Kindes gehen viele der Befragten zunächst in Erziehungsurlaub bzw. in die Elternzeit. In knapp der Hälfte der Fälle haben sich die Paare dabei abgewechselt und die Väter einen erheblichen Betreuungsanteil übernommen. Die vollen drei Jahre werden dabei keineswegs immer ausgeschöpft. Vielmehr wird bei sehr vielen Paaren relativ schnell - bei vielen gleich nach dem Mutterschutz - eine Vereinbarkeitslösung angestrebt, bei der beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren und zugleich Betreuungsaufgaben übernehmen. Überraschenderweise ist für die meisten die Umsetzung ihrer Arbeitszeit relativ unproblematisch, aber oft mit energischer Eigeninitiative verbunden. So haben manche der Befragten eine vorhandene Stelle geteilt oder sich eine neue Stelle gesucht, um ihre Arbeitszeitwünsche zu verwirklichen. Parallel dazu greifen alle Paare auf eine öffentliche und/oder private Fremdbetreuung zurück, einerseits Krippe und Kindertagesstätten, andererseits Tagesmütter bzw. private und familiäre Netzwerke. Auf diese Weise entstehen sehr komplexe und fragile Arrangements, innerhalb derer jeden Tag aufs Neue die unterschiedlichen Zeitregime zweier Arbeitsplätze und der Fremdbetreuung integriert werden müssen. Ein Leben jenseits traditioneller Familienstrukturen bedeutet also auf längere Sicht einen erhöhten Koordinationsaufwand.

In unserer Studie haben wir fünf unterschiedliche Arrangements von Arbeit und Leben herausgearbeitet. Mit "Arrangement von Arbeit und Leben" bezeichnen wir den Lebensentwurf sowie den konkreten alltäglichen Lebenszusammenhang eines Paares. Drei der gefundenen Arrangements können als strukturell egalitär gelten, weil hier beide Elternteile jeweils das gleiche Verhältnis von Arbeit und Leben wünschen und umgesetzt haben. Differenziert haben wir zwischen einem ausbalancierten, einem erwerbszentrierten und einem familienzentriertem Arrangement. Als strukturell spezialisiert haben wir zwei Arrangements bezeichnet, bei denen jeweils eine Person die Verantwortung für einen Lebensbereich übernommen hat. Beim traditionellen Arrangement arbeitet der Mann Vollzeit, und die Frau muss eine qualifizierte Teilzeittätigkeit mit den Familienaufgaben vereinbaren. Beim rollentauschorientierten Arrangement funktioniert die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern exakt umgekehrt: Der Mann hat die Verantwortung für die Familie übernommen, und die Frau sichert das Einkommen. Diese beiden letztgenannten Formen haben wir vorwiegend zur Kontrastierung verwendet. Unser besonderes Augenmerk galt vor allem den strukturell egalitären Arrangements.

Unter einem ausbalancierten Arrangement verstehen wir Lebenszusammenhänge, bei denen weder Arbeit noch Leben einen dominanten Status haben, sondern für einen gelungenen Lebensentwurf das Mischungsverhältnis von Beruf, Familie und weiteren Lebensbereichen zentral ist. Langfristig wollen hier beide Elternteile in Teilzeit arbeiten und Zeit für Familie, Partnerschaft und individuelle Interessen haben. Die meisten Personen mit ausbalanciertem Arrangement haben einen akademischen Abschluss und arbeiten mehrheitlich in pädagogischen und sozialen Berufen - teilweise im öffentlichen Dienst und teilweise bei freien Trägern. Trotz ihrer Teilzeitorientierung sind ihnen die Arbeitsinhalte wichtig, und sie sehen in der Erwerbsarbeit auch die Möglichkeit zur individuellen Verwirklichung. Es ist zu vermuten, dass in diesen Fällen häufig bereits die Berufswahl mit den anvisierten Abeits(zeit)vorstellungen zusammenhängt. Dafür sind Paare mit ausbalanciertem Arrangement bereit, auf einen Teil des Erwerbseinkommens zu verzichten. Das allerdings birgt zugleich ein Risiko, denn eine angespannte finanzielle Situation kann langfristig das Arrangement gefährden. Öffentliche Betreuungsangebote werden hier mit eigenen Betreuungszeiten und selbst organisierten Netzwerken verknüpft. Aufgrund ihrer vielfältigen Tätigkeiten in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen mit wechselnden Arbeitszeitmodellen haben diese Paare insgesamt einen hohen Koordinationsaufwand. Bei paralleler Teilzeitarbeit und einer täglich oder wöchentlich wechselnden Kinderbetreuung geben sich die Eltern oft "die Klinke in die Hand" und klagen über wenig gemeinsame Zeit.

Zusammenfassend kann das ausbalancierte Arrangement von Arbeit und Leben als hochflexibel und individualisiert bezeichnet werden, wobei die Flexibilität zu einer mangelhaften beruflichen, finanziellen und sozialen Absicherung führt. Dies zeigt sich auch in den familienpolitischen Vorstellungen und Wünschen dieser Paare, die beispielsweise die geltende Elternzeitregelung begrüßen, für ihr Lebensmodell ab dem zweiten oder spätestens dritten Lebensjahr der Kinder allerdings verlässliche Angebote einer öffentlichen Ganztagsbetreuung benötigen. Als Anreiz in die richtige Richtung bewerteten sie zudem die explizite finanzielle Förderung bzw. steuerliche Entlastung von Familien, in denen beide Elternteile auch längerfristig auf Teilzeitbasis erwerbstätig sein wollen.

Beim erwerbszentrierten Arrangement dagegen steht die berufliche Entwicklung beider Elternteile im Mittelpunkt. Langfristig wollen hier Vater und Mutter trotz der Familie Vollzeit arbeiten und Karriere machen. Die Kinder werden entsprechend früh in Fremdbetreuung gegeben. Zum Selbstverständnis dieser Paare gehört, dass die Frau ihren Beruf nicht wegen der Familie aufgeben soll. Dennoch hat auch die Familie eine große Bedeutung; sie gilt aber als vereinbar mit den Berufsvorstellungen beider Elternteile. Diese Gruppe besteht fast ausschließlich aus AkademikerInnen. Zumeist arbeiten sie in der Privatwirtschaft und haben teilweise auch Führungspositionen inne. Insofern finden sich hier die SpitzenverdienerInnen unseres Samples. Häufig sind die Mütter nach der Geburt des Kindes nur kurz aus dem Beruf ausgestiegen. Im Anschluss realisieren beide Elternteile dann eine Teilzeittätigkeit mit 30 oder mehr Stunden pro Woche. Diese "Teilzeit" erweist sich faktisch als Strategie zur Reduzierung von Überstunden und als Flexibilitätspuffer. Zeit für die Kinder entsteht vor allem dann, wenn die Eltern im Rahmen der Teilzeitregelung tageweise zu Hause bleiben. An den verbleibenden Wochentagen werden die Kinder fremdbetreut. Da aufgrund der Arbeitszeiten der Eltern täglich viele Stunden abgedeckt werden müssen, werden zumeist verschiedene Betreuungsformen kombiniert, etwa öffentliche Kindertagesstätten und eine Tagesmutter. Diese komplexen Betreuungsarrangements erfordern einen hohen Koordinationsaufwand und einen ständigen Balanceakt, da es zumeist kein (familiäres) "Sicherheitsnetz" im Hintergrund gibt. Der Alltag solcher Paare ist stark durchorganisiert, und die Komplexität der Arrangements nimmt mit steigendem Alter der Kinder und mit deren Schulbesuch noch zu. Gemeinsame Zeit für die Familie haben erwerbszentrierte Paare überwiegend nur an den Wochenenden. Ansonsten ist ihr Alltag durch rigide Planung und permanenten Zeitmangel gekennzeichnet. In familienpolitischer Hinsicht benötigen diese Paare am dringlichsten eine garantierte öffentliche Ganztagsbetreuung von der Geburt der Kinder an. In unseren Interviews haben sie das - z. T. mit Verweis auf die Situation in vergleichbaren europäischen Nachbarstaaten, wie bspw. Frankreich - auch deutlich eingefordert. Gut könnten sie sich auch ähnliche Regelungen wie in Schweden vorstellen, wo für Zeiten des familienbedingten beruflichen Ausstiegs eine Lohnersatzleistung gezahlt wird. Das Erziehungsgeld dagegen entspreche in keiner Weise dem realen Einkommensausfall und gebe für Frauen und erst recht für Männer keinen Anreiz zur Familiengründung und Wahrnehmung damit verbundener Aufgaben. Zudem führe das Ausnutzen der maximal dreijährigen Dauer der Elternzeit dazu, dass der Kontakt zum Beruf zu stark verloren gehe.

Im Gegensatz dazu steht das familienzentrierte Arrangement von Arbeit und Leben, bei dem für beide Elternteile das gemeinsame Familienleben am wichtigsten ist. Auch hier haben Mutter und Vater einen qualifizierten Beruf, wollen langfristig aber nicht unbedingt in Vollzeit arbeiten, sondern viel gemeinsame Zeit als Familie verbringen - insbesondere solange die Kinder noch klein sind. Die Initiative für dieses Lebensmodell ging häufig von den Männern aus, die mit ihren Kindern zu Hause bleiben wollten. Die Realisierung ihrer Arbeitszeitwünsche hängt jedoch von den jeweiligen beruflichen Möglichkeiten ab. Viele Befragte dieser Gruppe arbeiten als Beamte im öffentlichen Dienst und haben daher gute Chancen, ihre Wünsche umzusetzen, ohne berufliche Risiken einzugehen. Zugleich aber ist den Paaren bewusst, dass sie mit Teilzeitarbeit auf beruflichen Aufstieg verzichten. Dennoch nehmen die Männer dies in Kauf, zum Teil weil ihre berufliche Tätigkeit wenig Aufstiegsmöglichkeiten zulässt und nur bedingt als sinnstiftend erfahren wird. Charakteristisch für Paare mit familienzentriertem Arrangement ist, dass sie noch oder wieder in ihrem sozialen und familiären Herkunftsmilieu wohnen und ihre Kinder weitgehend selbst betreuen wollen. Meist geht dies mit einer engen Beziehung zu den Großeltern einher, die ebenfalls in der Nähe wohnen und sich an der Betreuung beteiligen. Eine frühe Fremdbetreuung der Kinder außerhalb der Herkunftsfamilie wird dagegen abgelehnt. Insofern ist ihre Betreuungssituation relativ unproblematisch. Die Paare kennen sich meist schon aus Schulzeiten, haben einen gemeinsamen Freundeskreis und sind in das Gemeinschaftsleben des Wohnortes eingebunden. Allerdings stößt ihr unkonventionelles Arrangement dort teilweise auf Unverständnis. Dennoch erleben es die Männer als ein Privileg, Zeit für ihre Kindern zu haben. Familienpolitisch sind auch Paare mit familienzentriertem Arrangement auf öffentliche Betreuung angewiesen. Allerdings wollen sie in den ersten Jahren ihre Kinder nicht gleich in "fremde" Hände geben und halten dies auch hinsichtlich der Entwicklung der Kinder für angebracht. Insofern sind sie mit der geltenden Elternzeitregelung zufrieden, da dadurch die Möglichkeit der Eigenbetreuung in den ersten drei Lebensjahren der Kinder abgesichert ist. Durch die noch am Ort lebenden Großeltern ist die Betreuungssituation auch danach weniger problematisch als für Paare mit ausbalanciertem oder erwerbszentriertem Arrangement von Arbeit und Leben.

Zum einen zeigt unsere Studie, dass partnerschaftliche Arrangements sehr verschiedene Formen annehmen können und ihnen jeweils ganz unterschiedliche Entwürfe des Verhältnisses von Arbeit und Leben zugrunde liegen. Gemeinsam ist ihnen, dass sich die Geschlechter aufeinander zu bewegen und die Zufriedenheit mit ihren egalitären Lebensentwürfen hoch ist. Frauen wollen Beruf und Familie verbinden, und Männer haben ein Interesse an aktiver Vaterschaft, für die sie teilweise auch berufliche Risiken in Kauf nehmen. Geschlechterkonflikte scheinen dabei weniger existenziell und ideologisch abzulaufen und die Veränderungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung insgesamt einem eher pragmatischen Modus zu folgen.

Zum anderen zeigen unsere Befunde ebenso deutlich, dass die tatsächliche Realisierbarkeit egalitärer Vorstellungen von konkreten Rahmenbedingungen sowie Ressourcen und Kompetenzen der Betroffenen abhängt. Erst dadurch werden sie denkbar und lebbar. Neben der konkreten Paarkonstellation ist die Möglichkeit, Dauer und Lage von Arbeitszeiten weitgehend an eigene Bedürfnisse anzupassen und im Alltag auch im Bedarfsfall flexibel handhaben zu können, eine weitere Grundvoraussetzung. Gleichermaßen braucht es schließlich flächendeckend finanzierbare, zeitlich ausreichende sowie verlässliche öffentliche Betreuungsangebote für Kinder aller Altersstufen. Da die vorherrschenden Rahmenbedingungen jedoch immer noch auf ein traditionelles Arrangement von Arbeit und Leben ausgerichtet sind, müssen Paare mit egalitärem Anspruch strukturelle Defizite individuell auffangen. Die Umsetzung solcher Arrangements stellt somit eine beachtliche Leistung dar. Denn die Paare müssen die Fähigkeit und Kompetenz entwickeln, geeignete Rahmenbedingungen selbsttätig herzustellen und im Alltag immer wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Nötig sind hierzu unter anderem Eigeninitiative, Zeitmanagement, Flexibilität, Stresstoleranz und Selbststeuerungs- und Organisationsfähigkeiten - und dies umso mehr, je stärker das Normalarbeitsverhältnis weiter auf Vollzeit ausgerichtet ist, flächendeckende Kinderbetreuungsangebote und Ganztagsschulen nicht in Sicht sind und beide Elternteile auch mit Kindern nahe an Vollzeit arbeiten wollen bzw. aus unterschiedlichen Gründen arbeiten müssen.

Geschlechterdemokratie als Modellprojekt

Aus unserer Studie lassen sich zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen: Erstaunlich, wie die jungen Paare zurechtkommen, eine gute, selbstverantwortliche Leistung - da sollte der Staat sich heraushalten. Oder: Geschlechterdemokratische Modelle stehen noch eher am Anfang, sie bedürfen der politischen Ermutigung, da immer mehr Paare sie wünschen, allerdings gegen den Strich durchkämpfen müssen. Zugleich sind diese Modelle auch arbeitsmarktpolitisch von hoher Relevanz. Wenn Paaren sowohl eine egalitäre Aufteilung von Erwerbs- und familialer Alltagsarbeit als auch (existenzsichernde) Teilzeitarbeit ermöglicht werden soll, müssten unseres Erachtens mindestens folgende Anforderungen erfüllt sein:

- Ein ausreichendes und flexibles Betreuungsangebot für Kinder bis sechs Jahre sowie geeignete schulische Angebote müssten gewährleistet sein;

- diese müssten qualitativ hochwertig sein;

- Teilzeitbeschäftigung müsste sozialversicherungsrechtlich besser abgesichert werden;

- das Teilzeit-Modell müsste bei einem geringen Familieneinkommen durch entsprechende finanzielle Kompensation flankiert werden.

Dabei erscheinen uns insbesondere junge Paare als Adressaten unverzichtbar, da eine egalitäre Arbeitsteilung in jüngerem Lebensalter erlernt wird. Wie aus der vergleichenden Analyse familienpolitischer Modelle in europäischen Staaten zudem deutlich wird, müssen insbesondere junge Männer angesprochen und für einen Rollenwandel motiviert werden.

Notwendige familienpolitische Reformen stehen aber im Gegensatz zur aktuellen politischen Realität. Denn was Bundesregierung und Opposition derzeit zur Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur anbieten, droht an parteipolitischen Ideologien, Kompetenzgerangel oder fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Kommunen zu scheitern. Bei Licht besehen, stehen wir vor einer Totalblockade potenzieller Verbesserungen. Statt Geschlechter- und Familienpolitik mit der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zusammenzudenken, wird entkoppelt, was zusammengehört. Die Chancen stehen schlecht, Teilzeitarbeit gesetzlich und tarifpolitisch als Paar-Arbeits-Lebensmodell durchzusetzen, um Arbeitsumverteilung mit veränderten Arbeits- und Lebensarrangements innovativ in neuer Weise zu kombinieren.

Die Kluft, die sich zwischen den notwendigen Reformen und dem realpolitisch Machbaren auftut, scheint derzeit unüberwindbar. Denn es fehlen die politischen Akteure, die einen solchen Wandelernsthaft voranbringen wollen. Vermutlich bräuchte es mehr Druck von unten, um Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für Familien auf die politische Tagesordnung zu setzen. Das sicherlich wirkungsvollste Mittel wäre ein offensiver Gebärstreik der jungen Generation als provozierende Aktion. Voraussichtlich werden sich junge Paare aber nicht in dieser Weise zum konzertierten Handeln verabreden. Stattdessen suchen sie zunehmend individuelle "Lösungen" für strukturelle Probleme.

Politische Ermutigungen sind dennoch notwendig und können gerade auf der individuellen Ebene ansetzen. Daher schlagen wir als pragmatischen Schritt zum Aufbrechen der geschlechterdemokratischen Stagnation ein begrenztes Modellprojekt vor. Weil infrastrukturelle Angebote kaum vorhanden, oft unflexibel und nicht auf die spezifischen Arbeits- und Lebenssituationen der Paare mit Kindern zugeschnitten sind, soll die Familie selbst zum zentralen Akteur und Motor für die Auswahl und Anlage der Kinderbetreuung gemacht werden. Im Gegensatz zur Regulierung auf Bundesebene wäre ein solches Modellprojekt bei Ländern oder Kommunen anzusiedeln, wo die konkreten Weichenstellungen vorgenommen werden müssten. Es zielt darauf, junge Eltern bei ihrer Alltagsorganisation in kurz- bis mittelfristiger Perspektive zu unterstützen.

Wir schlagen ein Stadt- oder Länder-Modell vor: "500 Paare mit kleinen Kind(ern) erhalten für Halbe-halbe-Erwerbsarbeit 500 Euro Zusatzförderung als Bonus für Geschlechterdemokratie." Die Inanspruchnahme dieses Modells soll an folgende Bedingungen geknüpft sein:

- Beide Elternteile arbeiten bei der Antragstellung bereits in einem 40- bis 80 Prozent-Teilzeitkorridor von Erwerbsarbeit und haben Kind(er) unter sechs Jahren.

- Das monatliche Haushalts-Nettoeinkommen liegt unter 2 000 Euro.

- Die Inanspruchnahme begründet keine individuellen Rechtsansprüche, sondern ist eine befristete Zusatzförderung mit beschränktem Mitteleinsatz.

Bei einer monatlichen Unterstützung der Paare mit 500 Euro ergäben sich als Kosten für ein Land oder eine Großstadt bei 500 Paaren drei Millionen Euro pro Jahr. Das Modellprojekt würde entsprechend teurer, wenn für das zweite oder dritte Kind Sonderzuschläge gezahlt werden. Es zielt auf eine Ermutigung derjenigen, die sich eine geschlechterdemokratische Aufteilung der Erwerbsarbeit bisher nicht leisten können.

Als weiteres Element schlagen wir vor, fünfzehn Stunden wöchentlich flexible Kinderbetreuungsleistungen in Form eines Schecks zu vergeben. Dieses Modell setzt am Bedarf nach flexibler und qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung an, der sich in den Ergebnissen unseres Projekts zeigt. Damit wollen wir die Eltern zu alleinigen Akteuren machen und ihnen die Auswahl der für sie optimalen Form der Kinderbetreuung ermöglichen. Für die Inanspruchnahme dieses Betreuungsschecks gelten die gleichen Bedingungen wie oben genannt. Die Einkommensgrenze liegt allerdings bei 3 000 Euro.

Die Eltern erhalten einen Kinderbetreuungsgutschein für fünfzehn Betreuungsstunden in der Woche pro Kind, der sowohl in einer öffentlichen als auch bei einer privaten Kinderbetreuung einlösbar ist. Die Zeitbudgets können kontinuierlich gesammelt, konzentriert oder zyklisch eingesetzt werden - je nach konkreter Arbeits- und Lebenssituation. Mit diesem Modell soll zugleich ein Brückenschlag zwischen Arbeitsmarkt- und Familienpolitik erfolgen, indem die private Kinderbetreuung über arbeitsmarkpolitische Instrumente teilfinanziert wird. Die im Bereich der Kinderbetreuung geschaffenen Teilzeit-Arbeitsplätze sollen grundsätzlich sozialversicherungspflichtig sein. Zur Abwicklung dieser Tätigkeiten schlagen wir vor, eine Service-Agentur einzurichten, bei der die Tagesmütter bzw. -väter die Betreuungsschecks einlösen können und welche die Versicherungsleistungen an die gesetzlichen Versicherungsträger sowie die Lohnsteuer abführt. Um die geforderten Qualitätsstandards bei der privaten Kinderbetreuung durch Tagesmütter bzw. -väter einzuhalten, sollen bei bestehenden Einrichtungen und Trägern - Mütterzentren, Diakonie, Caritas - so genannte Familienagenturen eingerichtet bzw. bestehende ausgebaut werden. Sie können zum einen entsprechende Informationen an die Eltern weitergeben und zum anderen eine Qualifizierung des Betreuungspersonals sicherstellen.

Wird ein durchschnittlicher Brutto-Stundenlohn einer Erzieherin nach Bundesangestelltentarif zugrunde gelegt (12,50 Euro), ergeben sich für diesen Modellteil jährliche Kosten von 9 750 Euro pro Familie und Kind. Für die Finanzierung dieses Modellteils ergeben sich grundsätzlich mehrere Optionen. Für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung wären jedoch Mini-Jobs und Ich-AGs nur bedingt tauglich; qualifizierte Teilzeit-Positionen wären die beste Lösung. Anstatt einer simplen Kindergeldstrategie würden beispielsweise für eine Milliarde Euro etwa 100 000 junge Teilzeit-Familien eine qualitativ hochwertige und selbst gesteuerte Kinderbetreuung erhalten, die kurzfristig umsetzbar wäre - mit 30 000 neuen Arbeitsplätzen inklusive.

Mit diesen Vorschlägen könnte zumindest ein Einstieg in die aktive Förderung geschlechterdemokratischer Lebensentwürfe erfolgen. Andernfalls müssen junge Paare weiterhin ihre Vorstellungen gegen herrschende Rahmenbedingungen leben. Mit etwas mehr politischem Handlungswillen könnte ein Modellprojekt egalitäre Arrangements für mehr Elternpaare lebbar machen und zeigen, dass Geschlechterdemokratie hochattraktiv ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Anneli Rüling, Familienpolitik = Frauenpolitik? Konturen einer Debatte, in: Femina Politica, 12 (2003) 1, S. 9 - 16; Spiegel-Titel "Der letzte Deutsche", in: Der Spiegel, Nr. 2 vom 5. 1. 2004; Jürgen Borchert, Wozu noch Familie, in: Die Zeit, Nr. 3 vom 17.1. 2003.

  2. Vgl. ausführlich zum Zusammenhang von demographischem Wandel und sozialen Sicherungssystemen: Ulla Knapp, Kinder, Inder und die Frauen. Eine Diskussion der aktuellen migrationspolitischen Debatte aus geschlechterpolitischer Sicht, in: Friederike Maier/Angelika Fiedler (Hrsg.), Gender Matters: Feministische Analysen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Berlin 2002, S. 133 - 159.

  3. Vgl. hierzu Sigrid Leitner, Tour de force der Gleichstellung: Zwischensprints mit Hindernissen, in: Antonia Gohr/Martin Seelaib-Kaiser (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, Opladen 2003, S. 249 - 264.

  4. Die daran gekoppelte Kampagne "Mehr Spielraum für Väter", die für neue Lebensmodelle werben sollte, fiel allerdings wesentlich knapper aus als geplant.

  5. Das Erziehungsgeld wurde auch seit seiner Einführung 1986 nicht mehr erhöht, in der Novellierung 2001 wurde zwar eine Anpassung der Einkommensgrenzen für Eltern vorgenommen - diese wurden allerdings zum 1.1. 2004 wieder gesenkt; vgl. Wolfgang Büser, Weniger für Babys, mehr für die Volljährigen, in: Süddeutsche Zeitung vom 28.1. 2004.

  6. Vgl. Petra Beckmann, Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Tatsächliche und gewünschte Arbeitszeitmodelle von Frauen mit Kindern liegen immer noch weit auseinander, in: IAB Werkstattbericht, (2002) 12.

  7. Vgl. Paul M. Zulehner/Rainer Volz, Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie ihre Frauen sie sehen, Ostfildern 1998, S. 34ff.

  8. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, Berlin 2003.

  9. Dabei gab nur ein Drittel der Väter persönliche oder familiäre Gründe für die Teilzeit an, vgl. Statistisches Bundesamt, Leben und Arbeiten in Deutschland - Ergebnisse des Mikrozensus 2002, Wiesbaden 2003, S. 44ff.

  10. Vgl. Margit Schratzenstaller, Steuer- und transferpolitische Aspekte aktueller Familienpolitik, in: Friedericke Maier/Angelika Fiedler (Hrsg.), Gender Matters: Feministische Analysen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Berlin 2002, S. 181 - 210.

  11. Vgl. Peter Bleses, Wenig Neues in der Familienpolitik, in: Antonia Gohr/Martin Seelaib-Kaiser (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, Opladen 2003, S. 189 - 209.

  12. Vgl. Sabine Berghahn, Ehegrund versus Gleichberechtigung? Tendenzen der steuerlichen Verfassungsrechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 GG, in: Femina Politica, 12 (2003) 1 , S. 46 - 55.

  13. Vgl. Stefan Bach u.a., Untersuchungen zu den Wirkungen der gegenwärtigen Ehegattenbesteuerung aufgrund der fortgeschriebenen Daten der Einkommenssteuerstatistik, DIW Materialien 27, Berlin 2003, S. 63.

  14. Vgl. SPD und Bündnis '90/Die Grünen, Erneuerung - Gerechtigkeit - Nachhaltigkeit. Für ein wirtschaftlich starkes, soziales und ökologisches Deutschland. Für eine lebendige Demokratie. Koalitionsvertrag, Berlin 2002. Im Internet unter: http://www.spd.de/servlet/PB/show/1023294/Koalitionsvertrag.pdf, 26.1. 2004, S. 25.

  15. Der Beginn des Programms ist zumindest bereits "stillschweigend" von 2004 auf 2005 verschoben worden. Derzeit ist die Finanzierung im Rahmen der Umverteilung beim Bund-Länder-Finanzausgleich geplant, vgl. Vera Gaserow, Weich wie Wachs. Rot-grüne Initiative für stärkere Betreuung von Kleinkindern hat viele Lücken, in: Frankfurter Rundschau vom 27. 2. 2004.

  16. Vgl. Ulrike Putz, Schmidt schmiedet lokale Bündnisse fürs Kinderkriegen, in: Spiegel Online vom 8. 1. 2004 unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,281038,00. html.

  17. Zum positive Beschäftigungseffekt durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen vgl. Ulla Knapp, Beschäftigung und Geschlechterverhältnis, in: F. Maier/A. Fiedler (Anm. 10), S. 11 - 60; zur möglichen Kostenersparnis vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Abschätzung der (Brutto-)Einnahmeeffekte öffentlicher Haushalte und der Sozialversicherungsträger bei einem Ausbau von Kindertageseinrichtungen, Gutachten im Auftrag des BMFSFJ, Kurzfassung, Berlin 2002.

  18. Vgl. Christel Degen/Christine Fuchsloch/Karin Kirschner, Die Frauen nicht vergessen. Forderungen für das Vermittlungsverfahren der Hartzgesetze III und IV, in: Frankfurter Rundschau, Dokumentation vom 26. 11. 2003.

  19. Eine Ausnahme bildet allerdings Irland, das trotz niedriger Frauenerwerbsbeteiligung hohe Geburtenraten aufweist, vgl. Bert Rürup/Sandra Gruescu, Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung. Ein Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2003, S. 11.

  20. Vgl. zum Folgenden ausführlich Karsten Kassner/Anneli Rüling, "Nicht nur am Samstag gehört Papa mir!" - Väter in egalitären Arrangements von Arbeit und Leben, in: Angelika Tölke/Karsten Hank (Hrsg.), Das 'Vernachlässigte' Geschlecht in der Familienforschung: Untersuchungen zu Partnerschaft und Elternschaft bei Männern, in: Zeitschrift für Familienforschung, (2004) Sonderheft 4 (i.E.).

  21. Beispielsweise durch den Abbau von Überstunden aus familiären Gründen oder aber durch Übernahme von Familienaufgaben im Rahmen flexibler bzw. flexibilisierter Arbeitszeitmodelle.

  22. Theoretisch ist dieser Begriff an das Konzept der Alltäglichen Lebensführung angelehnt. Vgl. Projektgruppe "Alltägliche Lebensführung" (Hrsg.), Alltägliche Lebensführung. Arrangements zwischen Traditionalität und Modernisierung, Opladen 1995.

Dipl.-Pol., M.Sc. (Sociology), geb. 1974; Doktorandin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung; Redaktionsmitglied der femina politica, Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft.
Anschrift: DissLocation, Taborstr. 6, 10997 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: rueling@gmx.de

Veröffentlichungen u.a.: Familienpolitik = Frauenpolitik? Konturen einer Debatte, Einleitung des Schwerpunktheftes "Familienpolitik = Frauenpolitik", in: femina politica, 12 (2003) 1; Wohlfahrtsstaat, Geschlechterverhältnisse und familiale Arbeitsteilung - theoretische Überlegungen, in: Peter Döge/Karsten Kassner/Gabriele Schambach (Hrsg.), Schaustelle Gender. Aktuelle Beiträge sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung, Bielefeld 2004 (i.E.).

Dipl.-Soz., geb. 1971; Doktorand am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt und Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung.
Anschrift: Mainzer Landstr. 250, 60326 Frankfurt/M.
E-Mail: E-Mail Link: k.kassner@soz.uni-frankfurt.de

Veröffentlichungen u.a.: Soziale Deutungsmuster - über aktuelle Ansätze zur Erforschung kollektiver Sinnzusammenhänge, in: Susan Geideck/Wolf-Andreas Liebert (Hrsg.), Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern, Berlin-New York 2003; Alltägliche Lebensführung, Habitus und Geschlecht, in: Peter Döge/Karsten Kassner/Gabriele Schambach (Hrsg.), Schaustelle Gender. Aktuelle Beiträge sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung, Bielefeld 2004 (i.E.).

Dr., geb. 1942; Professor für Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.
Anschrift: Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut, Ihnestr. 22, 14195 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: pgrottia@zedat.fu-berlin.de

Veröffentlichungen u.a. zur Arbeits- und Sozialpolitik sowie zu Neuen Sozialen Bewegungen.