Hochschule(n) im digitalen Wandel. Bedarfe und Strategien
Durch Digitalisierung ist in den vergangenen Jahren vieles in Bewegung geraten: Lernende beugen sich in der Bibliothek über Laptops und arbeiten kooperativ Referate aus. Der Klassenraum erfährt eine Ausweitung, indem nicht nur Informationen im Internet recherchiert werden, sondern über Social Media auch Expertise von außen einbezogen wird. Die Vorlesung findet auf Youtube oder dem hochschuleigenen Streamingdienst statt, während der Hörsaal für kooperatives Arbeiten und individuelle Betreuung genutzt wird. Digitalisierung in Schulen lässt sich nicht auf Smartphones oder das Lernen von Programmiersprachen, in Hochschulen nicht auf das Einstellen von Materialien auf Lernplattformen reduzieren.Einer aktuellen Studie zufolge werden "innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 700.000 Menschen mit speziellen technologischen Future Skills" fehlenund "mehr als 2,4 Millionen schon Erwerbstätige in Schlüsselqualifikationen (…) befähigt werden" müssen.[1] Studierende benötigen also auch dringend Angebote, die sie auf eine Arbeitswelt vorbereiten, die erfordert, dass die Menschen mit sich verändernden Bedingungen Schritt halten können.
Digitale Kompetenz muss heute folglich zu den zu vermittelnden Grundkompetenzen gehören.[2] Bildung im digitalen Zeitalter sollte sich dabei an dem 2016 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) formulierten Ziel orientieren, also "Menschen helfen, sich als selbstbestimmte Persönlichkeiten in einer sich beständig verändernden Gesellschaft zurechtzufinden und verantwortungsvoll ihre eigenen Lebensentwürfe zu verfolgen".[3] Die Forderung, Lernende zum digitalen Kompetenzerwerb zu befähigen, gilt für Schul- und Hochschulbildung gleichermaßen. Der Fokus richtet sich häufig am Fachunterricht aus, um Informationen kontextuell beurteilen, aus Daten relevante Schlussfolgerungen ziehen und in Projekten zusammenarbeiten zu können. Daher sind Lehr- und Lernmodelle notwendig, die sowohl fachspezifische als auch interdisziplinäre Ausrichtungen ermöglichen.
In diesem Beitrag diskutieren wir zentrale Bedarfe, Herausforderungen und Potenziale, die sich durch die Digitalisierung für die Hochschule(n) ergeben. Grundlage ist dabei eine Unterscheidung zwischen Automatisierung und digitaler Transformation: Während Erstere "versucht, bestehende Prozesse und Geschäftsbereiche mit digitalen Tools und Prozessen zu ergänzen, abzubilden und zu ersetzen", strebt Letztere "darüber hinaus neue Ziele an, bei deren Erreichung die Digitalisierung neue Prozesse ermöglicht".[4]
Innovationstreiber Digitalisierung?
Die Digitalisierung hat an den Hochschulen bislang kaum zu disruptiven Innovationen oder großen strategischen Änderungen in der Bildung geführt.[5] An den Hochschulen mangelt es an Bildungsangeboten, die digitale Kompetenzen und Fachkenntnisse vermitteln.[6] Digitale Anwendungen zur Unterstützung der Lehre, wie Foren, Online-Prüfungen oder gegenseitige Bewertungen der Studierenden sind noch die Ausnahme.[7] Dies ist zumindest teilweise dadurch zu erklären, dass Hochschulen mitunter eine stark binnenreferenzielle und angebotsorientierte Struktur aufweisen und die gesellschaftlichen Anforderungen weniger aus der nutzerorientierten Außenperspektive betrachten, das heißt aus Sicht der Studierenden.[8] Digitale Medien sollten letztlich nicht um ihrer selbst willen zum Einsatz kommen, sondern um konkreten Bildungsanforderungen gerecht zu werden.[9] Dies ist insofern eine Herausforderung, als die Klientel "im Wesentlichen aus 'digital natives' besteht".[10] Digitalisierung ist somit weniger als technischer, sondern vielmehr als gesellschaftlicher Prozess zu betrachten, der starre Strukturen in den Hochschulen transformieren kann[11] und das traditionelle Bildungsverständnis infrage stellt.[12]Schule und Hochschule im traditionellen Sinn basierten vor allem auf dem geschriebenen Wort, vermittelt durch Lehrtexte und Bücher oder durch Frontalunterricht und Vorlesungen. Diese Formen der Stoffvermittlung wurden didaktisch verändert, etwa durch Seminare mit hoher Beteiligung der Studierenden oder durch Gruppenarbeit und offenen Unterricht in der Schule. Die Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben (können), gehen jedoch weiter. Es wird nicht mehr ausreichen, Bewährtes in moderne Formen zu bringen. Vielmehr müssen Hochschulen einüben, jenseits bestehender Lehr- und Lernformate zu agieren.[13]
In den Hochschulen existieren unterstützende Einrichtungen wie Rechenzentren, Zentren für Medien und IT oder E-Learning-Stellen mit Schulungsangeboten und mediendidaktischer Beratung. Die Bereitschaft, derartige Angebote anzunehmen, steigt. Die Erkenntnis, dass es arbeitsteilige Teams zur Realisierung von Lehrmitteln und zur Konzeption didaktischer Szenarien braucht, kann mit dieser Entwicklung allerdings nicht Schritt halten. Auch die Einsicht, dass sich längst neue pädagogische Schnittstellen entwickelt haben, beispielsweise in Bereichen der Lernbegleitung und Mediendidaktik, und sich die Rolle der Lehrenden verändert, hat sich bisher noch nicht flächendeckend durchgesetzt.
Heterogene Studierendenschaft
Die geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die "noch nie dagewesene Diversität von Studierenden" sind bislang selten Gegenstand universitärer Diskurse im Hinblick auf die Bildungsziele der Hochschule.[14] Aufgrund des demografischen Wandels und des damit verbundenen Rückgangs an traditionellen Studierenden, die ihre Hochschulzugangsqualifikation schulisch und beispielsweise nicht beruflich erworben haben, wird sich der Wettbewerb der Hochschulen verschärfen beziehungsweise werden sie, um diese Entwicklung zu kompensieren, neue Zielgruppen in den Blick nehmen müssen, die dank der neuen medialen Möglichkeiten und höheren Transparenz die Hochschulangebote stärker vergleichen können und werden.Am Beispiel der von Studierenden gewünschten und eingeforderten Flexibilität lässt sich diese Entwicklung verdeutlichen. Denn der Anspruch, "flexibel" zu sein, bezieht sich nicht allein auf räumliche Unabhängigkeit, sondern auch auf die grundlegende Entscheidung, an welcher Stelle der Biografie akademische Bildung stattfinden soll. Lebenslanges Lernen wird so stärker in den Fokus rücken. Umso wichtiger ist es, eine Offenheit in der Struktur von Studienformaten zu etablieren, um unterschiedlichen Biografien bestmöglich begegnen zu können.[15] Daher sind vor allem Formate in der Diskussion, die individualisiertes und personalisiertes Lernen ermöglichen, wie beispielsweise Lernpfade, in denen mithilfe adaptiver Technologie individuelle Empfehlungen zum Lernverlauf gegeben werden können. Auch kooperatives, durch virtuelle Kommunikationstools unterstütztes Lernen wird an Relevanz zunehmen. Offene Formate spielen überdies auf der Ebene der Durchlässigkeit eine wichtige Rolle, der Prozess der Materialerstellung kann zudem durch das Prinzip des Teilens mithilfe von offenen und freien Bildungsressourcen vereinfacht werden.[16] Zentral ist es, durch Blended-Learning-Angebote, die On- und Offline-Lernphasen didaktisch kombinieren, "die richtige Mischung für die jeweils einzelnen Lernenden" zu finden.[17] An der Fernuniversität in Hagen wird dies beispielsweise unter anderem so realisiert, dass gedruckte Studienmaterialen verschickt, aber auch ergänzend in virtuellen Lernumgebungen diskutiert, reflektiert und teils gemeinsam bearbeitet werden.