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Vom Wissen um das Nichtwissen | Wetter | bpb.de

Wetter Editorial Vom Wissen um das Nichtwissen. Die Meteorologie im Spannungsfeld zwischen Legenden und Naturwissenschaft Eine Geschichte des Wetterwissens Zum Stand der Technik in der Wettervorhersage Wetter im Wandel. Wie der Klimawandel unser Wetter der Zukunft beeinflusst Gesellschaftlicher Umgang mit Wetterextremen. Risiko, Management und Anpassung

Vom Wissen um das Nichtwissen Die Meteorologie im Spannungsfeld zwischen Legenden und Naturwissenschaft - Essay

Jörg Kachelmann

/ 15 Minuten zu lesen

Die Meteorologie ist im stetigen Wandel, die Messformen sind komplex und teils inkonsistent. Werden diese Unsicherheiten ignoriert, verfestigen sich schnell Legenden. Man sollte sich daher den Wert der Naturwissenschaften in Erinnerung rufen.

Mist, Quecksilberkügelchen auf dem 1970er-Jahre-Perserteppich. Was tun? Ich wusste, dass die Entsorgung ins Klo wohl nicht helfen würde bei den schweren Dingern und womöglich den ganzen Rhein zu Umkippen brächte, falls die Kläranlage das nicht packt. Also in den Staubsauger, da sieht es auch niemand, und ich war gerade allein zu Hause. Der Staubsauger aus den 1960ern hatte vorne ein Metallrohr und veränderte bemerkenswert sein Aussehen. Irgendetwas Metallisches außenrum blätterte ab und komplizierte das Unterfangen, die Kügelchen aufzusaugen. Am Ende war alles im Staubsaugerbeutel, das Gerät sah ganz anders aus, und mir wurde als 13-Jähriger nochmal bewusst, dass ich mit meinen Barometern und Thermometern vorsichtiger sein musste.

Im 17. Jahrhundert entdeckte der italienische Physiker Evangelista Torricelli, dass sich Quecksilber je nach Temperatur ausdehnt und dass man es auch für die Herstellung von Barometern verwenden kann. Rund 370 Jahre später hat sich am Prinzip nichts geändert, meine Quecksilber-Barometer und die ebensolchen Thermometer in der Wetterhütte funktionieren nach dem alten Prinzip von damals. Das ist sehr wichtig, weil wir heute bei der Beurteilung des Klimawandels darauf angewiesen sind, dass die Werte von früher mit den heutigen vergleichbar sind – was von den Instrumenten her der Fall ist, zugleich aber die Frage im Raum steht, wie das mit dem Strahlungsschutz gelöst wird, die Thermometer dürfen ja nicht in der Sonne hängen. Davon später mehr.

Bei der Luftfeuchtigkeit war es einfacher. Schon früh hatten Menschen (und das wahrscheinlich schon immer) entdeckt, dass sich Haare je nach Luftfeuchtigkeit verändern. Das begründete den Siegeszug des Haarhygrometers, das in den modernen Zeiten nur langsam durch elektronische Messverfahren abgelöst wird. Entscheidend war dabei herauszufinden, welche Haare sich bei Feuchtigkeitsänderung am linearsten verhalten, damit man keine seltsamen logarithmischen Skalen applizieren muss. Das Ergebnis war: Menschenhaare funktionieren besser als Tierhaare, Frauenhaare besser als Männerhaare und blonde Haare besser als braune – was vielen Friseuren weltweit einen kleinen Nebenerwerb ermöglichte, wenn sich blonde Frauen plötzlich zu einem Kurzhaarschnitt entschieden.

Wind und Sonne

Die Messung der Windgeschwindigkeit sowie der Sonnenscheindauer haben sich im Laufe der Zeit am stärksten entwickelt. Zu Anfang wurden die Windgeschwindigkeiten einfach aufgrund der Auswirkungen auf die Natur ("Blätter säuseln") geschätzt. Später wurden Metallplättchen drehbar auf eine Achse gebracht und über eine Windfahne so in den Wind gedreht, dass die Platte je nach Windstärke seitlich ausgelenkt wurde und über eine grobe Skala eine erste Fernablesung eines Geräts ermöglichte ("Wildsche Windfahne").

Danach kamen die Schalenkreuz-Anemometer, die sich bei mehr Wind immer schneller drehen und Windgeschwindigkeit für die meteorologische Praxis fernablesbar machten – der Dynamo erzeugte Strom, und auf Bergwetterwarten konnte man in der warmen Stube ablesen, wie sehr es draußen kachelte. Damit kommen wir aber zum größten Problem der Schalenkreuz-Windmesser: Man kann zwar den Dynamoschaft heizen, aber die dünnen Drehlöffel laden zur Ablagerung von Schnee und Eis ein. Die alten Windmesser auf dem Brocken, Fichtel- und Feldberg hatten entsprechend oft Dellen, wenn sie der Beobachter mit der Spitzhacke oder Schaufel beim Freimachen des Anemometers nicht optimal erwischt hatte. Hier müssen wir auch eine Ausnahme machen bezüglich der Konsistenz alter Klimareihen: Im Winter und insbesondere auf den Bergen waren früher die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten zu gering, weil durch Schnee und Eis langsame(re) Drehphasen und Phasen des Stillstandes nicht zu vermeiden waren. Heute werden viele Windmesser nicht mehr als solche erkannt, weil sie wie eine Gartenkralle aussehen. Ultraschall misst die Bewegung der Luft, und weil sich am Windmesser selbst nichts mehr bewegt, kann man die Dinger auch beliebig hochheizen und sie so eisfrei halten – bei Sturm und minus 20 Grad Celsius mit ein paar Hundert Watt.

Bei der Sonnenscheindauer ist die alte Methode, in der eine Glaskugel das Sonnenlicht bündelt und in einen Pappstreifen brennt, noch nicht überall vollständig abgelöst worden. Heute nimmt man Geräte, die den Schatten eines Bügels im Gerät auswerten: Ist einer da, scheint die Sonne – ohne Schatten, keine Sonne. Die Glaskugel-Methode hat den Nachteil, dass sie durch Menschen ausgewertet wird – so kam beispielsweise Usedom zur falschen Annahme, die Insel sei der sonnigste Fleck Deutschlands. Das ist völliger Unsinn und beruht darauf, dass vor Jahrzehnten ein rühriger und lokalpatriotischer Mitarbeiter des Meteorologischen Dienstes der DDR auch den fernsten Hauch einer Verfärbung des Pappstreifens vorschriftswidrig als real existierende Sonnenscheindauer gewertet hat. Das hat er zwar nur sehr kurz gemacht, aber so kam ein Jahr zustande, in dem es in Deutschland angeblich nirgendwo sonniger war als auf Usedom. Dieses Jahr der Falschauswertung wurde dann schlicht auf ein "gilt immer" hochgerechnet, und Usedom hat bis heute etwas, was sich auf Prospekte drucken lässt.

Immerhin ist Usedom realistischer in seinem Anspruch als viele andere Orte im Land, die von sich behaupten, dass sie die sonnigsten weit und breit seien. Dutzende Destinationen nehmen das für sich ohne wissenschaftliche Basis in Anspruch ("se non è vero, è ben trovato"), fast alle zu Unrecht. Wenn das jemand für sich in Anspruch nehmen darf, sind es die Insel Hiddensee und der Norden von Rügen, beides in der Ostsee gelegen. Die Erklärung ist einfach: Erstens muss der sonnigste Ort eher östlich liegen, da nicht alle Tiefs aus Westen bis dorthin durchkommen, zweitens muss der fragliche Ort sehr maritim, also im besten Fall eine Insel sein. Im Mai und Juni, wenn das Festland schon warm ist und Quellwolken über sich hat, ist das Ostseewasser noch kalt und unterdrückt so die Cumulusbildung – und genau dann sind auch die Tage besonders lang, sodass man mit den 16-Sonnenstunden-Tagen im Juni die verlorenen Binnenland-Seelen besonders nachhaltig abhängen kann.

Regen und Schnee

Kommen wir zum Niederschlag, von dem alle denken, dass es doch ganz einfach sei – Eimer rausstellen, Durchmesser oben wie Durchmesser unten (also zylindrisch), fertig. Dann einfach die Höhe der Wasseroberfläche vom Boden messen, und schon hat man die Regenmenge in Millimetern oder Litern pro Quadratmeter Boden. Aber: Es ist nicht so einfach, wie Sie denken. Zum einen gibt es das Problem, dass es bei uns auch schneit. Früher, als nur von Hand gemessen wurde, war es so: Jeder Wetterbeobachter hatte zwei Niederschlagsmesser. Hat es geschneit, wurde der eine reingenommen, um die Verdunstung zu verhindern mit einem Deckel bedeckt und das Tauwasser am Ende gemessen, während der frische Zweitniederschlagsmesser draußen seinen Dienst tat. Das ist ein etwas anstrengender Vorgang, auf den manche Wetterdienste verzichten – in Kanada beispielsweise wird nicht geschmolzen, sondern einfach angenommen, dass ein Zentimeter einem Millimeter Niederschlag entspricht. Das kann für nassen Schnee hinkommen, nicht aber für fluffigen Kanada-Schnee, der bei minus 20 Grad fällt – dann braucht es gut und gerne fünf Zentimeter, um einen Millimeter Wasser zu ergeben.

So wird der Jahresniederschlag an kanadischen Stationen ohne Niederschlagsmesser-Heizung systematisch überschätzt – die Heizung des Auffangeimers ist eine Möglichkeit, um der Realität näher zu kommen, aber auch sie macht Probleme: Der Auffangtrichter muss laufend über null Grad, bei starkem Schneefall oder strengem Frost auch deutlich darüber temperiert sein, damit Schneeflocken schmelzen und direkt gemessen werden können. Das führt nun wieder dazu, dass leichtes Nieseln bei drei Grad oder Schneegrieseln bei Frost gar nie gemessen wird, sondern direkt an der warmen Unterlage verdunstet – eine systematische Unterschätzung des Niederschlags ist die Folge.

Das ist nun ein Problem, wenn wir heutige Niederschlagsmessungen mit jenen aus früheren Jahrzehnten vergleichen wollen, hier fällt uns die Automatisierung auf die Füße. Wenn Beobachterpersonal auf Berggipfeln abgezogen wird, hat das oft den Verlust von jahrzehntelangen Messreihen zur Folge. Die Wetterbeobachter haben meist eine Batterie von Niederschlagsmessern aufgestellt und dann den genommen, der am meisten gemessen hat, denn Niederschlagsmessungen in den Bergen (und in den Prärien des Mittleren Westens) haben ein weiteres, großes Problem: Bei einem Schneesturm fällt meist absolut nichts in den Eimer, fast alles weht darüber hinweg. Es gibt zwar trichterartige Apparaturen, die in der horizontalen Luftströmung eine Abwärtskomponente herstellen sollen, aber viel können die nicht ausrichten. Oft messen die Automaten auf einem Berg nur noch ein Drittel der früher per Hand festgestellten Niederschlagsmengen – viele Wetterdienste geben dann gleich ganz auf.

Dadurch ist auch die Schneehöhenmessung nicht mehr das, was sie mal war. Schlurfte früher ein Beobachter durch die Schneewehen und steckte zehn Mal den Zollstock Richtung Boden und mittelte am Schluss das Ganze, entscheidet an windigen Orten heute Frau Holle-Zufall über die gemessene Schneehöhe – unabhängig davon, ob an der einen, entscheidenden Messstelle gerade der Schnee weg- oder hingeweht wurde.

Temperatur

Sie sehen, dass es kompliziert ist. Entsprechend schwierig ist es, ganz sicher zu ermitteln, wenn sich im Laufe der Jahrzehnte etwas verändert. Bei der Temperatur sehen wir den Klimawandel am weitaus deutlichsten und sichersten, auch wenn sich da einiges verändert hat. Früher wurde durchweg in sogenannten Wetterhütten gemessen, die Sonne und indirekte Strahlung aussperren sollen und in Nordamerika 1,5, sonst 2 Meter über "natürlichem Untergrund" stehen (Abbildung) – was in unseren Breiten bei Flachlandstationen einer Wiese gleichkommt, die kein Fußballplatz, aber viel größer als eine Blumenrabatte sein muss.

Der Autor beim Bedienen einer nach dem Konstrukteur Thomas Stevenson benannten Wetterhütte ("Stevenson Screen"). (© Jörg Kachelmann )

Früher nahm man es bei uns mit den Standorten nicht so genau, was zu legendären Fehleinschätzungen führte wie im Falle der "Sonneninsel" Usedom. In Freiburg im Breisgau stand die Wetterstation so nah an einer sonnenbeschienenen Hauswand, dass sie wunderbarerweise sensationelle Werte lieferte, die laufend im Deutschlandfunk vorgelesen wurden und den falschen Ruf begründeten, dass es in Freiburg besonders warm sei. Das war natürlich für einen Ort, der schon im Luv des Schwarzwalds liegt, viel mehr Bewölkung hat und auch höher liegt als der Oberrheingraben, völliger Blödsinn. Inzwischen wurde die Wetterstation an den Freiburger Flugplatz verlegt, und seither kann die Stadt froh sein, noch in den Top 30 der wärmsten Orte Deutschlands aufzutauchen.

Der im Durchschnitt wärmste Ort in Deutschland ist Heidelberg – allerdings nicht, weil es dort tagsüber besonders warm ist. Heidelberg begründet seine Spitzenposition nachts, wenn oft ein föhniger Bergwind vom Odenwald runterweht und so die Ausbildung eines nächtlichen Kaltluftsees verhindert. Tagsüber ist Heidelberg völlig unauffällig, und wenn es nur um die auffälligsten Höchsttemperaturen zwischen 8 und 20 Uhr geht und wir die Nacht beiseite lassen, sind die wärmsten Orte an unprätentiösen Orten wie Köln-Stammheim oder Duisburg-Baerl zu finden.

Manche Rekorde aus der Vergangenheit sind heute nicht mehr nachvollziehbar, wie die angeblichen minus 37,8 Grad im bayerischen Wolnzach-Hüll am 12. Februar 1929 als lange tiefste Temperatur in Deutschland. Sicher, der Botanische Garten in München hatte an jenem Tag auch muntere minus 31,6 Grad, aber dennoch liegt die Vermutung nahe, dass in Wolnzach-Hüll das Thermometer nicht zwei Meter über Boden in der Wetterhütte, sondern frei in Bodennähe lag – das macht nämlich an einem kalten, klaren Wintermorgen gerne nochmal fünf Grad Abzug aus, weil kalte Luft schwerer ist als warme.

Alte Hitzerekorde wurden auch schon mal nicht anerkannt, weil ihre Messung nicht der Zulassungsprozedur entsprach, etwa die Wetterhütten länger nicht gestrichen wurden und wärmeabsorbierend vor sich hin gilbten oder schmückende, aber wärmende Blumenkisten direkt unter die Hütte gehängt wurden. In der Automatisierungswelle von Wetterstationen sind die Holz-Wetterhütten deshalb nach und nach abgeschafft und durch ventilierte Thermometer ersetzt worden. Ein elektrischer Temperaturfühler sitzt in einem Rohr, durch das die Luft von einem Ventilator in erheblicher Geschwindigkeit durchgesaugt wird, um die korrekte Lufttemperatur messen zu können.

Diese Ventilatoren haben aber wiederum den Nachteil, dass sie nicht ewig laufen und dann mühsam ausgetauscht werden müssen. Manchmal sterben sie auch nur langsam, was häufig zu schwer zu erkennen ist, um rechtzeitig eingreifen zu können. Wir – das heißt die Kachelmann GmbH und die Versicherung Vereinigte Hagel (Anm. d. Red.) – stellen gerade ganz Deutschland mit Wetterstationen voll. Ziel ist es, in jeder Gemeinde eine Station zu haben. Zur korrekten Temperaturmessung wurden dabei Antike und Moderne zusammengeführt: Eine metallene Wetterhütte von außen im strahlenden, witterungsbeständigen Weiß, innen aber aufgrund neuer Erkenntnisse die Lamellen schwarz. Das bisschen Strahlung, was noch von außen durchkommt, wird so durch die Wand, aber nicht durch den Temperaturfühler in der Wetterhütte absorbiert. Studien durch den englischen und australischen Wetterdienst bestätigen, wie gut das funktioniert.

Wetterlegenden

Dennoch wird man natürlich in einem Land, in dem man naturwissenschaftliche Fächer in der Schule "abwählen" kann, althergebrachten Aberglauben nie weg bekommen. So ist etwa die Legende, dass es eine "Temperatur in der Sonne" gäbe, völliger Unsinn. Es gibt nur eine Lufttemperatur – hängt man ein Thermometer in die Sonne, misst es seine eigene Temperatur. Die besten Ergebnisse für ein Facebook-Posting à la "BEI MIR SIND ES 50 GRAD!!!11!!" liefert daher ein schwarzes Thermometer. Wir müssen nicht darum herum reden: Deutschland ist ein Zentrum für Aberglauben. Es mag eine Bundeszentrale für politische Bildung, aber keine solche für Allgemeinbildung geben – mit fatalen Folgen.

So hält sich bis heute der wunderliche Begriff der "Mittagshitze", obwohl in Wahrheit an heißen Sommertagen die höchste Temperatur gegen 18 Uhr gemessen wird. Traurig legendär ist der Deutschen Angst vor dem Durchzug, die jeden heißen Sommer viele alte Menschen das Leben kostet, weil sie in Räumen mit geschlossenen Fenstern jämmerlich vor sich hinsterben, statt in ihren Wohnungen mit Ventilatoren für ausreichend Belüftung zu sorgen. Und ja, damit die Feuchtigkeit des Schwitzens abgeführt wird, müssen die Ventilatoren nicht nur angeschaltet, sondern auch die Fenster auf sein. Tödlich auch die deutsche Legende, die Fenster zu schließen, damit die "Hitze nicht reinkommt" – alles Reisen hat leider nicht geholfen, dass die Erkenntnis gereift ist, dass 35 Grad bei trockener Luft viel angenehmer sind als 25 Grad bei Windstille im Regenwald.

Man wird auch nie verstehen, wie die einheimischen Legenden vom "steifen Hals" entstanden sind, der Menschen scheinbar widerfährt, sobald sie mit einem Wind von zwei Kilometern pro Stunde im Büro konfrontiert werden. Dieselben Leute freuen sich im Urlaub auf den Kanaren über die tägliche steife Passatbrise und können dort auch beschwerdefrei Cabrio fahren. Die Bauarbeiter dort, laufend dem schröcklichen Wind ausgesetzt, klagen auch nie über Beschwerden.

Höhepunkt der wetterbedingten "German Angst" ist das "Biowetter", ebenfalls eine deutsche Erfindung. Selbst Ärzte – man kann damit Geld verdienen, dann muss man es mit dem hippokratischen Eid nicht so genau nehmen – verbreiten den hanebüchenen Unsinn, dass es den Körper belaste, wenn es im Frühling tagsüber mal plus 10 Grad tagsüber sei und eine Woche später plus 15. Die Medien sind dann voll davon, dass uns dieses "Achterbahn-Wetter" fix und fertig mache, während wir aber via Ferienflieger innerhalb weniger Stunden Temperaturunterschiede von minus 10 zu plus 30 Grad erleben und diese wiederum besser aushalten. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass wir einen ganzen Winter lang nicht weinend zusammenbrechen, wenn es von der Kälte draußen in die gemütliche Stube geht – von der Achterbahnfahrt der Temperaturen in der Sauna ganz zu schweigen.

Vom Wert der Naturwissenschaften

Die Gruselgeschichten des Biowetters funktionieren auch und vor allem wegen des Notstands bei der naturwissenschaftlichen Bildung. Wüsste man noch, dass alle acht Höhenmeter der Luftdruck um ein Hektopascal sinkt, hätte es das eingebildete Raunen über die Beschwerden bei herannahenden Tiefs oder "Wetterwechsel" etwas schwerer. Jeder Kölner oder Bonner, der ins Bergische, in die Eifel oder ins Siebengebirge fährt, erlebt einen – beschwerdefreien – Wetterwechsel. Wer testen möchte, ob ein Wetterwechsel wirklich etwas ausmacht, kann notfalls auch eine Aufzugfahrt in einem Frankfurter Hochhaus als Testplattform benutzen.

Einbildung ist ein scharfes Schwert, wovon Scharlatane aller Art profitieren. Es ist durch eine Reihe wissenschaftlicher Studien nachgewiesen, dass Hagelflieger – also Flugzeuge, die Silberjodid-Partikel ausbringen, um die Hagelbildung zu verhindern – keinen Einfluss auf die Hagelbildung haben. Dennoch werden sogar Steuergelder ausgegeben, damit bauernschlaue Bauernfänger mit einem teuren Hobby das gute Gefühl haben können, die Flugstunden von anderen bezahlt zu bekommen. Auch hier hülfe das Wissen, dass ein bestimmter Ort nur alle 20 bis 30 Jahre von einem Großhagel heimgesucht wird – also können sich die scharlatanesken Hagelflieger gut ausrechnen, dass jedes Jahr begeisterte Menschen feststellen, dass es schon wieder nicht gehagelt hat. Falls Sie auch günstig ans Geld anderer Menschen herankommen möchten: Behaupten Sie einfach, dass Sie eine Anti-Weltuntergangs-Maschine erfunden hätten. Jeden Morgen werden Sie nach dem Prinzip der Hagelflieger eine Erfolgsmeldung abgeben könnten: Es hat wieder geklappt! Werfen Sie Geld über mich.

Besonders grotesk wird es, wenn in einzelnen Landkreisen in Baden-Württemberg und Sachsen Menschen durch sogenannte Hagelkanonen belästigt werden. Menschen mit Affinität zum persönlichen Urknall schießen bei Gewittern Kanonen ab und erzählen anderen Menschen, dass der damit verbundene Knall Hagelkörner trotz des stürmischen Getöses in der drei Kilometer höheren Gewitterwolke erschrecken und zur spontanen Desintegration derselben führen würde.

Wenn niemand mehr etwas weiß, glauben alle alles. Menschen bei uns glauben, dass Flüsse und Kanäle "Wetterscheiden" seien und das Wetter beeinflussten. Nein, in keiner Form. Nicht einmal der Nebel ist da, weil da ein Tal ist, sondern weil da ein Fluss ist – vom Rauchen des Flusses bei strengem Frost abgesehen, aber das hat wiederum nichts mit Nebel zu tun. Menschen bei uns glauben, dass der Mond einen Einfluss aufs Wetter hätte, weil sie nicht wissen, dass der Mond auf der ganzen Welt genau gleich aussieht und somit der Aberglaube, der Mondwechsel entspräche einem Wetterwechsel, sofort ad absurdum geführt wird. Menschen glauben an den Hundertjährigen Kalender, der auf der Theorie beruht, dass sich das Wetter an einem fränkischen Kloster, das im Mittelalter durch einen Abt sieben Jahre lang beobachtet wurde, bis ans Ende der Zeit alle sieben Jahre wiederholte. Die gute Nachricht für sparsame Menschen ist: Hat man sieben Jahre den "Hundertjährigen" gekauft, hat man ausgesorgt – denn im achten Jahr hat man den identischen Inhalt vom ersten.

Naturwissenschaftliche Bildungsferne einer Bevölkerung ist eine gute Basis für Geschäftemacher aller Art. Alle halten alles für möglich, und wenn Sie in Ihre Suchmaschine des Vertrauens "Wetter Ostern 2020" eingeben, sehen Sie wohl schon im März schöne Ergebnisse, die sicher gut geklickt werden: Dass Experten "erste Vorhersagen wagen" und andere Versatzstücke aus dem Stehsatz des nie versiegenden Fundus des frei erfundenen Schwachsinns.

Die Meteorologie hat große Fortschritte gemacht, aber es wird noch länger gehen, bis irgendjemand einen Monat ante festum weiß, ob es nun regnet oder nicht. Unter der Zunahme dieser vermeintlichen Vorhersagen müssen wir alle leiden, weil so immer mehr rasende Stürme und "Russenpeitschen" auf uns zu kommen, die es in Wahrheit nie gibt. Etwa 90 Prozent aller Medienberichte zum Thema Wetter und Klima liegen ganz oder teilweise daneben. Es wehrt sich kein Presserat, und wir können nur hoffen, dass Petrus an der Himmelspforte gerade bei Unsauberkeiten zu diesem Thema präpurgatorisch die Fehlbaren darauf hinweisen wird, dass das stete Alarmschreien schlimme Folgen haben kann: Es nimmt dann niemand mehr ernst, wenn etwa wirklich mal ein ungewöhnlich starker Sturm kommt.

Wir dürfen auf alle Fälle gespannt sein, wie der Winter 2019/20 ausfällt. Die einzig seriösen Vorhersagen des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen sehen durchweg leicht zu warme Wintermonate voraus, was zu den unvermeidlichen "Rekordwärme"-Schlagzeilen geführt hat – gleichzeitig wurde aber auch anderswo "Rekordkälte" vorhergesagt, weil angeblich die Sonne müder würde. Auch hier gilt die 90-Prozent-Regel: Dass ein Monatsdurchschnitt ein Grad über dem Normalwert liegt, kann vieles bedeuten: eine Woche extrem gesäßkalt und drei Wochen deutlich zu warm oder zwei Wochen tierisch warm und zwei Wochen deutlich zu kalt – und alle Kombinationen dazwischen. Wir wissen, dass wir nichts wissen. Gut wäre, wenn das alle wüssten.

Wie geht es weiter?

Als Sohn eines Beamten der Deutschen Bundesbahn – er war damals sehr stolz auf das Plakat mit dem Wetter, Sie wissen schon – bin ich dennoch versucht, Ihnen am Ende dieses Textes Mut zu machen. Der technische Fortschritt der Meteorologie geht weiter, Landwirte können auf ihr Grundstück klicken und erhalten mit einer Auflösung von 125 Metern nach einer Nacht mit lokalen Gewittern die Information, wie viel es am einen und anderen Ende des Ackers geregnet hat, damit der Trecker nicht festfährt. Bald gibt es ein operatives Vorhersagemodell mit einer Auflösung von 100 mal 100 Metern, das sich um Stadtmeteorologie, urbane Hitzepole, Frischluftströme und Schadstoffursachen kümmert und, so ist zu erwarten, Dinge herausfinden wird, die manchen auch politisch geförderten Trend der vergangenen Jahre ad absurdum führen: Wenn man in Deutschland wieder saubere Luft unterhalb der Grenzwerte möchte, müsste man nur alle Holzöfen stilllegen.

Schon deren Klimaneutralität ist eine freie Erfindung aus dem Baumarktprospekt, die leider von vielen geglaubt wird – viel schlimmer aber ist: Die heimischen Holzöfen sind aktuell die größte Quelle für Feinstaub (abends und nachts auch für Stickoxide), und weil viele Waldverbrenner auch Müllverbrenner sind, gibt es auch wieder Dioxin in den trampolinierten Vorgärten. Das Ablenkmanöver mit den Straßensperrungen für Diesel hat viel Schönes, aber Sie werden in ein paar Jahren selber lernen, dass sich die Feinstaubbelastung abends und nachts in Wohngebieten vervielfacht hat. Bald muss Willy Brandt auferstehen, um zu sagen, dass es nachts nicht mehr stinken soll, nicht nur über der Ruhr. Dass es ein Menschenrecht ist, ein Kinderzimmer auch mal lüften zu dürfen zwischen 18 und 8 Uhr, wenn es sich andere "gemütlich" machen. Und dass dem Waldverbrennen am Amazonas und dem im heimischen Kaminofen mindestens eine Sache gemeinsam ist: Es ist in beiden Fällen eine Umweltkatastrophe.

Und dieser Text ist nur dafür da, damit niemand in ein paar Jahren sagen kann, dass man das nicht gewusst hätte, damals.

ist Meteorologe, Unternehmer und Moderator. Er betreibt unter anderem die Wetterseite Externer Link: kachelmannwetter.com.