Wie europäisch ist die kulturelle Amerikanisierung?
Frankreich
Anders als in den westdeutschen Besatzungszonen blieb das amerikanische Militär nach 1945 in Frankreich besonders von der ländlichen Zivilgesellschaft weiter entfernt; in weiten Teilen Süd- und Westfrankreichs ergaben sich fernab amerikanischer Truppenpräsenz ohnedies keine Berührungspunkte.[16] Ähnlich wie im deutschen Falle wirkte aber in den frühen 1950er Jahren ein geballtes amerikanisches Transferangebot in Gestalt gezielter kultur- und medienpolitischer Maßnahmen auf die französische Nachkriegsgesellschaft. Wo amerikanische Verantwortliche sich als Propagandisten in eigener Sache betätigten, verfehlten sie in Frankreich allerdings häufiger als in der Bundesrepublik ihr Ziel. So verfingen etwa die amerikanischen Werbefeldzüge für den Marshallplan hier kaum.[17] In den Bereich der Elitenkultur drangen deutlich weniger als in der Bundesrepublik amerikanische Güter vor, da zahlreiche französische Linksintellektuelle, die sich in den "années Sartre" bis Mitte der 1950er Jahre dem Kommunismus öffneten, der amerikanischen Massenkultur aus dezidiert ideologischen Gründen misstrauten. Im Gegensatz dazu gewannen umtriebige Akteure im intellektuellen Austausch mit den USA und erklärte "Atlantistes" wie Raymond Aron erst allmählich an Bedeutung.[18]Auch jenseits der Elitenkontakte öffnete sich die französische Nachkriegsgesellschaft dem amerikanischen Konsumstil eher zögerlich. Dies erschwerte es selbst der amerikanischen Produktikone Coca-Cola, sich auf dem französischen Markt zu behaupten. Insofern erschienen hier stärker als in der Bundesrepublik Konsumgewohnheiten ideologisiert und der Bedarf nach energischer Abgrenzung von US-amerikanischer Massenkultur ungleich höher als in der Bundesrepublik.[19]
Als Inbegriff dafür, dass eine breitere französische Öffentlichkeit in den fortschreitenden 1950er Jahren sich dann aber doch amerikanischer Massenkultur zu öffnen begann, galt der Jazz. Dass die Amerikanisierungsbereitschaft sich auch hier nicht als reine Stilverpflanzung auswirkte, sondern französische Musikliebhaber mit einer eigenen Agenda auf den Plan rief, wurde ebenso deutlich: So verdankte sich die Popularität des Jazz gerade nicht dem Ehrgeiz, den US-amerikanischen Kulturstil zu imitieren, sondern einer erfolgreichen Aneignungsstrategie durch die französischen Selbstamerikanisierer: Sie fassten den Jazz als multiethnische Musiktradition auf und stellten Anschlüsse an die französische Musikkultur so her, dass der französische Kult des Jazz sogar Raum zur Distanzierung oder Amerikakritik bot.[20]
Unterdessen blieb z.B. die französische Film- und Kinobranche vom amerikanischen Transferangebot zunächst ganz unbeeindruckt. Auf dem Musiksektor trat man amerikanischen Labels mit Quotierungen entgegen und schirmte damit den heimischen Markt trotz bald erzwungener Lockerungen protektionistisch ab. Umgekehrt gelang es der französischen - anders als der deutschen - Filmindustrie spätestens ab den 1960er Jahren, an Erfolg und Renommee französischer Filme aus der Vorkriegsepoche anzuknüpfen und damit neben Italien zu einem wichtigen Repräsentanten europäischer Filmkunst auch in den Staaten zu avancieren. Mithin ließ sich selbst die Resistenz am Ende in den USA erfolgreich vermarkten. Zudem entstanden kreative Varianten im Umgang mit amerikanischen Gütern und Konsumformen. Anders als auf Coca-Cola reagierte die französische Branche eine Dekade später deutlich flexibler auf den amerikanischen Exportschlager McDonald's, indem sie nun mit konkurrierenden "restauration rapide"-Konzepten aufwartete und offensiv um eigene Marktanteile konkurrierte.[21]