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Zur Institutionalisierung ökonomischer Bildung im allgemeinbildenden Schulwesen

Rudolf Schröder Dirk Loerwald Rudolf Schröder Dirk Loerwald /

/ 14 Minuten zu lesen

Ökonomische Bildung gehört zur Allgemeinbildung. Aber wie soll sie im Schulwesen verankert werden? In diesem Beitrag steht die Kontroverse um die Institutionalisierung der ökonomischen Bildung im Fokus.

Einleitung

Es gibt heute einen breiten Konsens darüber, dass ökonomische Bildung ein integraler Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung ist. Über die Art und Weise, wie ökonomische Bildung im allgemeinbildenden Schulwesen institutionell verankert werden sollte, gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Aus didaktischer Sicht kann die grundlegende Zielsetzung nur lauten, dass solche institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Erwerb ökonomischer Kompetenzen am besten fördern. Der institutionelle Rahmen ist so zu gestalten, dass Kindern und Jugendlichen in kumulativen Lernprozessen der Erwerb solcher Kompetenzen ermöglicht wird, die sie auf gegenwärtige und zukünftige Anforderungssituationen vorbereiten, mit denen sie in ökonomischen Kontexten konfrontiert werden (z.B. in ihren Rollen als Konsumenten, Geldanleger, Schuldner, Praktikanten, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Wirtschaftsbürger, Wähler).

Der institutionelle Rahmen in Schulen hat dem Anspruch und der Komplexität ökonomischer Bildung angemessen Rechnung zu tragen. Nur so kann eine lern- und bildungswirksame Bearbeitung der zahlreichen, zum Teil auch in diesem Heft dargestellten Aufgabenfelder der ökonomischen Bildung gewährleistet werden (z.B. Erziehung zu mündigen Wirtschaftsbürgern, Verbraucherbildung, finanzielle Allgemeinbildung, Entrepreneurship-Education, Berufsorientierung). Es geht uns deshalb im Folgenden um die Frage, inwiefern die existierenden Institutionalisierungsvarianten eine ökonomische Bildung im notwendigen Umfang und mit der notwendigen Systematik ermöglichen oder behindern.

Institutionalisierte Lehr-Lern-Prozesse

Das Bildungswesen ist ein Wirklichkeitsbereich, der von institutionellen Regelungen wie Erlassen, Gesetzen oder Lehrplänen geradezu bestimmt wird. Das Handeln schulischer Akteure ist zwar in vielen Fällen konstruktives und kreatives Handeln, es vollzieht sich aber innerhalb der institutionellen Strukturen des Schulsystems, die wiederum eine verhaltenskanalisierende Wirkung entfalten.

Der entscheidende institutionelle Handlungsrahmen für schulische Lehr-Lern-Prozesse ist das Schulfach. Ein domänenspezifisches Bildungsanliegen wird an deutschen Schulen in einem Schulfach unterrichtet. Die jeweils zugewiesenen Stundenkontingente verdeutlichen die Relevanz, die diesem Bildungsanliegen beigemessen wird. Der Zeitfaktor darf nicht unterschätzt werden, da sich institutionalisierte Lehr-Lern-Prozesse von anderen Lernprozessen gerade dadurch unterscheiden, dass sie zu bestimmten Zeitpunkten bewusst initiiert und für eine bestimmte Zeitdauer aufrecht erhalten werden sollen. Die Zuweisung von Zeitkontingenten impliziert, dass konstruktivistische Lernprozesse in engen Zeiträumen von außen eingeleitet werden müssen. Damit dies gelingen kann, benötigen Schülerinnen und Schüler die Ordnung und Struktur eines Schulfaches. Ein domänenspezifisches Bildungsanliegen kann als Querschnittsaufgabe verschiedener Fächer in Schulen nicht in erwünschtem Umfang lern- und bildungswirksam werden. Unterrichtsprinzipien eignen sich gegebenenfalls für fachübergreifende Bildungsbereiche (z.B. Medien- oder Sexualerziehung). Zur institutionellen Verankerung für ein domänenspezifisches Bildungsanliegen mit originären Inhalten und Methoden sind sie ungeeignet.

Zur Verdeutlichung ein kleines Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, Deutsch als eigenständiges Schulfach würde abgeschafft. Begründet würde dies damit, dass eine bessere Vernetzung mit anderen schulischen Anliegen ermöglicht und eine "disziplinäre Verengung" verhindert werden solle. Germanistische Inhalte würden von nun an in allen Schulfächern vermittelt, schließlich werde ja auch in allen Schulfächern Deutsch gesprochen. Durch eine Vernetzung der germanistischen Anteile in diesen Fächern solle ein tragfähiges germanistisches Grundwissen vermittelt werden. Im Bildungsministerium würde argumentiert, dass man mit dieser neuen institutionellen Ausrichtung ein ganzheitliches Konzept verfolgen würde, das es erlaube, den Anwendungsbezug der deutschen Sprache in authentischen Kontexten sicher zu stellen.

Es ist zu vermuten, dass gegen eine solche Regelung begründeter Widerstand aufkommen würde. Querschnittsaufgaben ohne klare strukturelle und personelle Zuweisungen münden nicht selten in institutionalisierter Verantwortungslosigkeit. Das Scheitern der Rahmenvorgabe für die ökonomische Bildung in der Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen hat dies deutlich gezeigt. Ein weiteres Beispiel ist die Berufsorientierung, die in vielen Bundesländern als schulische Gesamtaufgabe in den Lehrerkollegien zu einer Situation der "verteilten Nicht-Verantwortlichkeit" führt. Unterrichtsprinzipien erscheinen für alle domänenspezifischen Bildungsanliegen unbrauchbar, die einen kumulativen Kompetenzaufbau zum Ziel haben. Deshalb wollen wir uns im Folgenden nur mit den Institutionalisierungsvarianten auseinandersetzen, welche die ökonomische Bildung in einem Schulfach verorten - sei es eigenständig oder in Kombination mit anderen Disziplinen.

Ökonomische Bildung im Integrationsfach

In Integrationsfächern werden mehrere domänenspezifische Bildungsanliegen innerhalb eines Faches unterrichtet. Solche Integrationsfächer sind im allgemeinbildenden Schulwesen in Deutschland fast ausschließlich im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld zu finden. Um die besonderen Herausforderungen zu verdeutlichen, die damit verbunden sind, soll das oben skizzierte Gedankenexperiment fortgesetzt werden: Man stelle sich vor, dass das Fach Deutsch abgeschafft werden solle und stattdessen in der Sekundarstufe I geplant sei, ein Integrationsfach "Germanische Sprachen" einzurichten, in welchem die Grundlagen der deutschen und englischen Sprache integrativ vermittelt werden sollen. Aufgrund seines integrativen Charakters biete dieses Fach auch Anknüpfungspunkte an nordgermanische Sprachen wie beispielsweise Schwedisch oder Dänisch. In der gymnasialen Oberstufe sollen auf Beschluss der Schulkonferenz ein Schwerpunkt Literatur im Rahmen des Faches Geschichte und ein Schwerpunkt Rhetorik im Fach Politik möglich werden. Besonders gefördert würden darüber hinaus Schulen, die sich an den Wettbewerben der Stiftung Lesen beteiligen.

Diese Idee klingt absurd, für die ökonomische Bildung wird sie aber in vielen Bundesländern in Form von Integrationsfächern wie Sozialwissenschaften, Gemeinschaftskunde oder Wirtschaft/Politik konkretisiert. Die zentrale inhaltliche Begründung für ein gesellschaftswissenschaftliches Integrationsfach lautet, dass Schülerinnen und Schülern eine multiperspektivische Sicht auf soziale Phänomene und gesellschaftliche Probleme ermöglicht werden solle, weil es zwischen den Realbereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zahlreiche Interdependenzen gebe.

Multiperspektivität zu fordern ist leicht, sie umzusetzen ist hingegen so voraussetzungsvoll, dass begründete Zweifel existieren, ob Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler dies im Rahmen eines Integrationsfachs leisten können. Dabei genügt es nicht, im restriktionsfreien Raum eine Vision davon zu entwickeln, wie in einem sozialwissenschaftlichen Unterricht Problemstellungen aus Sicht von drei Disziplinen umfassend bearbeitet werden könnten. Vielmehr sind die Gestaltungsbedingungen institutionalisierter Lehr-Lern-Prozesse in den Blick zu nehmen, weil sonst die Gefahr besteht, dass Machbarkeitsphantasien entwickelt werden, die die unterrichtliche Praxis ignorieren.

Multiperspektivität ist ein wichtiges Bildungsziel der allgemeinbildenden Schule, weil sie die Entwicklung von Mündigkeit fördern kann. Der unmittelbare Schluss von der Multiperspektivität schulischen Lernens auf ein Integrationsfach ist aber unzulässig. Multiperspektivität ist eine Aufgabe der Schule als Ganzes, und die Schulfächer leisten ihren fachspezifischen Beitrag. Damit entwickeln die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Bildungsbiographie mindestens so viele disziplinspezifische Perspektiven, wie Fächer im Stundenplan verankert sind. Angesichts der Komplexität der Bildungsanliegen der einzelnen Fächer sollte Interdisziplinarität primär arbeitsteilig und kooperativ eingelöst werden, nicht nach dem Motto: "Eine(r) macht alles". Fachübergreifender und Fächer verbindender Unterricht sollte die Zusammenhänge zwischen den Fachperspektiven verdeutlichen.

Die Forderung nach einem Integrationsfach kann Multiperspektivität sogar gefährden. Dies ist dann der Fall, wenn die für die einzelnen Disziplinen eines Integrationsfaches vorgesehenen Zeitkontingente in Schule und Hochschule so knapp bemessen sind, dass weder in der Lehrerausbildung noch im schulischen Unterricht der Aufbau von Perspektivität gelingen kann. Reinhold Hedtke ist zuzustimmen, wenn er fordert, dass "eine handlungsorientierte Wirtschaftsdidaktik (...) von praktischen wirtschaftlichen Problemlagen der Lernenden ausgehen und ihnen dazu passendes Wissen vermitteln (muss)". Der Zusatz, dass es dabei ganz gleich sei, aus welcher Disziplin dieses Wissen komme, macht deutlich, dass hier die Organisationslogik und die lerntheoretischen Implikationen institutionalisierter Lehr-Lern-Prozesse in Schulen ignoriert werden. Es würde Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler fachlich und zeitlich überfordern, bei der Unterrichtsplanung alle für "wirtschaftliches Rollenhandeln" relevanten Disziplinen zu "befragen".

Aufgrund der knappen Zeit, die für ein Schulfach zur Verfügung steht, erscheint die Fokussierung auf eine relevante Bezugsdisziplin nicht nur hilfreich, sondern auch notwendig. Multiperspektivität setzt Perspektivität voraus, und der Aufbau von Perspektivität ist eine zeitaufwendige und herausfordernde Bildungsaufgabe. Die mit einer Perspektivierung von Problemen verbundene Einseitigkeit der Betrachtung ist kein Nachteil, sondern vielmehr eine Notwendigkeit: "Jede Perspektive ist einseitig und niemals ganzheitlich. Ohne einen Fokus wird der Blick nämlich unscharf." Das Verstehen, Anwenden und Vergleichen unterschiedlicher disziplinärer Denkansätze, also die theoriegeleitete Perspektivierung eines sozialen Problems, erfordert einen langfristig angelegten Lernprozess, in welchem die Theorien und Methoden der entsprechenden wissenschaftlichen Disziplin adressatengerecht und anwendungsbezogen erarbeitet und verinnerlicht werden können. Durch multiperspektivischen Unterricht wird die Perspektivität nicht aufgelöst, sondern vielmehr vorausgesetzt und multipliziert.

Ein weiteres zentrales Problem von Integrationsfächern ist, dass sie (fast) nichts ausschließen und damit die Bildungsprozesse in diesen Fächern der Beliebigkeit ausgesetzt sind. Problematisch wird dies vor allem dadurch, dass im Integrationsfach kein einheitliches fachlich fundiertes Grundverständnis existiert. Das führt dazu, dass das Prinzip der Exemplarität als Auswahlhilfe für Unterrichtsthemen an Gestaltungskraft verliert, weil in einem Integrationsfach nicht klar bestimmt werden kann, was das Wesentliche, Grundlegende, Typische, Strukturelle ist. Exemplarität kann nur kategorial unter Rückbindung an das bewährte Wissen einer Disziplin ermittelt werden.

Ökonomische Bildung in einem eigenen Schulfach

Schulfächer sind historisch gewachsen, sie lassen sich aber auch fachdidaktisch begründen. Schulfächer können beschrieben werden als "besondere Zugriffsformen auf das in der Gesellschaft produzierte und in Umlauf gesetzte Wissen". Sie ermöglichen fachgebundene Lehr-Lern-Prozesse, in denen Erfahrungswissen systematisch mit Erkenntnissen konfrontiert werden kann. Heinz-Elmar Tenorth kommt zu dem Schluss, dass das Schulfach "mit guten Gründen als die zentrale Bedingung inhaltlich anspruchsvollen Lernens" gelten könne. Wesentliche Gründe sind Tenorth zufolge, dass den Lernenden durch einen eigenständigen kognitiven Zugang zur Welt und durch den Bezug zur Fachwissenschaft die Erschließung der Welt eröffnet werde. Schulfächer ermöglichen eine "interne Graduierung von Wissen", ein "Sequenzierung des Lernens" und eine "interne Ordnung".

Damit ein Schulfach Hilfestellungen für konstruktivistische Erkenntnisleistungen bereitstellen kann, sind klare Fachstrukturen notwendig, die Ordnung in kognitive Prozesse bringen. Ein eigenständiges, an eine Bezugsdisziplin angebundenes Schulfach kann einen kategorial legitimierten, an Lebenssituationen exemplifizierten und domänenbezogenen Kompetenzerwerb ermöglichen. Die Gegenstände eines solchen Unterrichtsfaches sind exemplarisch. Die Perspektive hingegen, verstanden als methodisch gestützte Wahrnehmung von Lebenssituationen und Problemen, ist das domänenspezifische Proprium des Faches: "Was der Lerner in der Beanspruchung durch das Fach erwirbt, sind Muster der Bearbeitung von Erfahrungen: In diesem Sinne könnte man auch sagen, jedes Fach enthalte eine Art Grammatik. Sein Aufbau bestimmt sich dementsprechend mehr durch die Paradigmen der Behandlung als durch die erworbenen Wissensinhalte." Schulfächer sind als domänenspezifische "Orte" zu konzipieren, an denen der Aufbau von Perspektivität im Zentrum steht, die aber gleichzeitig Raum für die intradisziplinäre Kontrastierung verschiedener bildungsrelevanter Perspektiven und Anknüpfungspunkte für fachübergreifende beziehungsweise Fächer verbindende Projekte bieten.

Aus den hier genannten Gründen wird für die als notwendig erachtete ökonomische Bildung von Wissenschaftlern, Politikern, Lehrkräften, Eltern und Schülern seit vielen Jahren ein eigenständiges Schulfach Wirtschaft im allgemeinbildenden Schulwesen gefordert. Es gibt aber Kritiker einer solchen institutionellen Lösung. So sehen beispielsweise Reinhold Hedtke u.a. "erhebliche Risiken" darin, die ökonomische Bildung in einem eigenständigen Fach zu verorten. Dies wird mit der Befürchtung begründet, dass in einem eigenständigen Fach Wirtschaft mit den Wirtschaftswissenschaften als primärem Referenzsystem die Schülerinnen und Schüler zu kühler ökonomischer Rationalität erzogen und der Arbeitswelt dienstbar gemacht werden. Eine solche Argumentation missachtet erstens die lebenspraktische Relevanz ökonomischen Wissens, zweitens die bildungstheoretischen Grundlagen einschlägiger wirtschaftsdidaktischer Konzepte und drittens die gängige Praxis des Wirtschaftsunterrichts in den Bundesländern, in denen in ausgewählten Schulformen Fachstrukturen existieren.

Problematisch ist vor allem, dass die Argumente gegen ein Schulfach Wirtschaft in weiten Teilen nicht fachdidaktisch, sondern verteilungspolitisch motiviert sind. Wenn die Bildungspolitik in den Bundesländern keine strukturellen Änderungen vornimmt, ist die Verteilung der Stundenkontingente innerhalb der Pflichtanteile ein Nullsummenspiel. Innerhalb eines solchen werden die zeitlichen Zugewinne des einen Faches stets zu Lasten anderer Fächer gehen. Insbesondere die in den Schulen etablierte politische Bildung hat unter diesen Rahmenbedingungen Kürzungen zu befürchten, was sich letztlich auch auf die Ausstattung an den Hochschulen auswirken wird.

Diese Verteilungskonflikte können an einem Beispiel deutlich gemacht werden: Seit dem Jahr 2006 werden in Niedersachsen die politische und die ökonomische Bildung zu gleichen Teilen in einem Schulfach Politik-Wirtschaft unterrichtet. Der aktuelle Bundesvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Politische Bildung (DVPB) hat diese Entwicklung als "Stärkung des Wirtschaftsbereiches auf Kosten der politischen Bildung" bezeichnet. Es wird als "Gefahr" gesehen, wenn "es in Niedersachsen kein eigenes Unterrichtsfach für die politische Bildung mehr geben (würde)". An anderer Stelle heißt es, die DVPB werde sich gegen Initiativen zur Wehr zu setzen, "die ein marktaffines Unterrichtsfach Ökonomie aus der Politischen Bildung herausschneiden wollen".

Eine solche verteilungspolitisch motivierte Abwehr ist rational durchaus nachvollziehbar, und sie kann als Beleg dafür gesehen werden, dass auch in anderen Fachdidaktiken ein eigenständiges Schulfach als wichtig erachtet wird. Interessant und gleichsam verwunderlich ist hingegen, dass als Lösungsansatz für eine vermeintliche Ökonomisierung der politischen Bildung eine Politisierung der ökonomischen Bildung vorgeschlagen wird. Problematisch ist ein solches Denken in Nullsummenspielen und Verteilungskonflikten aber vor allem, weil dadurch kreative Lösungsansätze zur Entschärfung der (Zeit-)Knappheitsproblematik gar nicht in den Blick geraten.

Implikationen für die wirtschaftsdidaktische Lehre und Forschung

Die mangelnde institutionelle Absicherung der ökonomischen Bildung in der Schule hat zur Folge, dass der Unterricht oftmals von Lehrkräften ohne einschlägige Fakultas erteilt wird. In der Lehrerausbildung - sofern sie für die ökonomische Bildung erfolgt - wird der Handlungsspielraum dessen, was und wie gelehrt wird, auf die Ebene der Hochschullehrer verlagert. Dies hat unterschiedliche Studienstrukturen und -inhalte zur Folge. Exemplarisch: In Nordrhein-Westfalen ist es vom Studienstandort abhängig, wie viele Anteile Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsdidaktik im Rahmen des Studienfaches Sozialwissenschaften studiert werden. Ein Beispiel dafür, auf welch homöopathische Dosis die Ökonomik im Rahmen von Integrationsfächern zusammenschrumpfen kann, ist die Lehrerausbildung Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Die einzigen originär wirtschaftswissenschaftlichen Veranstaltungen sind eine Vorlesung Einführung in die Volkswirtschaftslehre (plus Tutorium) und eine in die Betriebswirtschaftslehre, wofür insgesamt acht Leistungspunkte vergeben werden. Das sind nicht einmal drei Prozent (!) eines Bachelor-/Master-Studiengangs (insgesamt 300 Leistungspunkte). Dass bei einer solchen Ausbildung Lehrkräfte heranwachsen sollen, die eine "bessere ökonomische Bildung" vermitteln sollen, darf bezweifelt werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in manchen soziologischen Veranstaltungen im Master-Studium ein wenig Wirtschaftssoziologie gelehrt wird.

Zu berücksichtigen sind außerdem die Implikationen für die Forschung. Mit einem interdisziplinären Fachverständnis, das - wie aufgezeigt - weder der Komplexität der Bezugsdisziplinen noch den Gegebenheiten des Schulalltags Rechnung trägt, können keine zielgerichteten fachdidaktischen Forschungsperspektiven entwickelt werden. Dies wiederum begünstigt die mangelhafte Verankerung der ökonomischen Bildung in den schulischen Lehrplänen der meisten Bundesländer. Auf die wechselseitigen Kausalitäten zwischen einem fehlenden Schulfach, unzureichender Lehrerqualifizierung und fachdidaktischer Forschung im Sinne eines "didaktischen Armutskreislaufes" sei an dieser Stelle nur verwiesen.

Resümee

Die Bildungsprozesse und -ergebnisse in den Fächern des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes sind - sofern möglich und sinnvoll - zueinander in Beziehung zu setzen. Die im Unterricht zu thematisierenden Lerngegenstände überschneiden sich zum Teil und sind darüber hinaus durch Interdependenzen gekennzeichnet. Daraus zu schlussfolgern, dass alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer innerhalb eines Faches im Rahmen von zwei oder drei Wochenstunden an Schulen unterrichtet werden sollen, missachtet die fachdidaktischen, lerntheoretischen und schulorganisatorischen Erfolgsbedingungen für institutionalisierte Lehr-Lern-Prozesse.

Der bis dato erfolgreichste Weg zur Förderung von Perspektivität - als Voraussetzung von Multiperspektivität - und zur Ermöglichung des Aufbaus domänenbezogener Kompetenzen ist im deutschen Schulwesen die Etablierung eines eigenständigen Schulfaches für die jeweilige Domäne. Jedes seriöse Bildungsanliegen ist im deutschen allgemeinbildenden Schulwesen auf die Fachstruktur angewiesen, und je ausgeprägter diese Struktur ist, umso mehr Chancen werden dem Aufbau von Kompetenzen in diesem Bereich ermöglicht. Zu behaupten, dass man mit einem Drittel der für ein Fach zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit und einem Drittel des für ein Unterrichtsfach vorgesehenen Workloads in der Lehrerausbildung einem Bildungsanliegen (hier: ökonomische Bildung) bessere Rahmenbedingungen bieten kann als mit einem eigenständigen Unterrichtsfach, erscheint in hohem Maße unplausibel. "Die (...) Vorstellung, Ökonomie könne an Schulen als Teilgebiet von Politik (oder eines anderes Fachs) unterrichtet werden, bedeutet einen Rückfall in längst überholt geglaubte Zeiten. Sie ist weder fachwissenschaftlich noch fachdidaktisch haltbar. Sie schadet dem Anliegen sowohl der ökonomischen als auch der politischen Bildung, und sie schürt eine sachlich nicht gebotene Rivalität, wo Kooperation, gegenseitige Ergänzung und offensives Eintreten für gemeinsame Ziele angesagt sind."

Anstelle von "Eingemeindungsversuchen" sollten zwischen den affinen Fachdidaktiken konstruktive Kooperationen angestrebt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die ökonomische Bildung wie auch die kooperierenden Fachdidaktiken im Schulunterricht, der universitären Lehrerausbildung und Forschung angemessen weiterentwickelt werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. den Beitrag von Hermann May in diesem Heft.

  2. Vgl. Helmut Fend, Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen, Wiesbaden 20082, S. 183ff.

  3. Vgl. Stefan Hopmann/Kurt Riquarts, Das Schulfach als Handlungsrahmen. Traditionen und Perspektiven der Forschung, in: Ivor F. Goodson/dies. (Hrsg.), Das Schulfach als Handlungsrahmen. Vergleichende Untersuchung zur Geschichte und Funktion der Schulfächer, Köln-Weimar-Wien 1999, S. 7.

  4. Vgl. dazu auch Andreas Wernet, Zeit als schulischer Handlungsrahmen: Befunde und schultheoretische Implikationen, in: ebd., S. 209-228.

  5. Vgl. Hans Kaminski, Zur Diskussion der ökonomischen Bildung als Fach oder als Integrationsaufgabe. Oder: Zur vikarischen Funktion der politischen Bildung für die ökonomische Bildung, in: Unterricht Wirtschaft, (2002) 4, S. 4-10.

  6. Vgl. zu diesem Begriff Reinhold Hedtke/Gerd-E. Famulla/Andreas Fischer/Birgit Weber/Bettina Zurstrassen, Für eine bessere ökonomische Bildung, Bielefeld 2010, S. 12; vgl. auch den Beitrag von Gerd-E. Famulla et al. in diesem Heft.

  7. Vgl. für die ökonomische Bildung: Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder in NRW vom 15.1.2004 - 522-6.8.0315 - zur Rahmenvorgabe für die ökonomische Bildung in der Sekundarstufe I.

  8. Vgl. dazu auch Dirk Loerwald/Gerd-Jan Krol, Ökonomische Bildung in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse einer Erhebung unter Gymnasiallehrerinnen und -lehrern, in: Unterricht Wirtschaft, (2010) 2, S. 53-57.

  9. Vgl. Rudolf Schröder, Übergang Schule und Beruf in Niedersachsen, in: Tagungsband zur Fachtagung am 11.2.2010 in Oldenburg (i.E.).

  10. Vgl. zu ökonomischen Kompetenzmodellen den Beitrag von Thomas Retzmann in diesem Heft.

  11. Vgl. Thorsten Hippe, Wie ist sozialwissenschaftliche Bildung möglich? Gesellschaftliche Schlüsselprobleme als integrativer Gegenstand der ökonomischen und politischen Bildung, Wiesbaden 2010.

  12. Vgl. zu beiden Aspekten ausführlich Dirk Loerwald, Multiperspektivität im Wirtschaftsunterricht, in: ders./Maik Wiesweg/Andreas Zoerner (Hrsg.), Ökonomik und Gesellschaft. Festschrift für Gerd-Jan Krol, Wiesbaden 2008, S. 232-250.

  13. Reinhold Hedtke, Was man von der Betriebswirtschaftslehre lernen kann. Handlungsorientierung und Pluralismus in der ökonomischen Bildung, in: Gesellschaft - Wirtschaft - Politik (GWP), (2010) 3, S. 360.

  14. Ebd., S. 363.

  15. Thomas Retzmann, Von der Wirtschaftskunde zur ökonomischen Bildung, in: Hans Kaminski/Gerd-Jan Krol (Hrsg.), Ökonomische Bildung - legitimiert, etabliert, zukunftsfähig?, Bad Heilbrunn 2008, S. 82.

  16. Vgl. ebd., S. 83.

  17. Vgl. S. Hopmann/K. Riquarts (Anm. 3).

  18. Klaus Giel, Zur Philosophie der Schulfächer, in: Ludwig Duncker/Walter Popp (Hrsg.), Über Fachgrenzen hinaus - Chancen und Schwierigkeiten des fächerübergreifenden Lehrens und Lernens. Band I: Grundlagen und Begründungen, Heinsberg 1997, S. 33.

  19. Heinz-Elmar Tenorth, Unterrichtsfächer - Möglichkeit, Rahmen und Grenze, in: I.F. Goodson et al. (Anm. 3), S. 193.

  20. Ebd.

  21. K. Giel (Anm. 18), S. 36.

  22. Vgl. R. Hedtke et al. (Anm. 6), S. 12.

  23. Vgl. dazu auch H. Kaminski (Anm. 5).

  24. Vgl. dazu ausführlich Thomas Retzmann, Über das Verhältnis von ökonomischer und politischer Bildung, in: Georg Weißeno (Hrsg.), Politik und Wirtschaft unterrichten, Bonn 2006, S. 204ff.

  25. Dirk Lange, Zum Unterrichtsfach "Politik-Wirtschaft". Oder: Wird die Politische Bildung klammheimlich abgeschafft? in: Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, (2006) 3, S. 24.

  26. Ebd., S. 23.

  27. Dirk Lange, Markierungen zum Selbstverständnis der DVPB, in: Polis, (2009) 2, S. 26.

  28. Vgl. D. Lange (Anm. 25), S. 24.

  29. Vgl. dazu auch Rolf Dubs, Die Bedeutung der wirtschaftlichen Bildung in einer Demokratie, in: Luise Ludwig/Helga Luckas/Franz Hamburger/Stefan Aufenanger (Hrsg.), Bildung in einer besseren Demokratie II. Tendenzen - Diskurse - Praktiken, Opladen 2011, S. 204ff.

  30. R. Hedtke et al. (Anm. 6).

  31. Vgl. dazu ausführlich Hans Kaminski/Katrin Eggert (unter Mitarbeit von Karl-Josef Burkhard), Konzeption für die ökonomische Bildung als Allgemeinbildung von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II, Berlin 2008, S. 59.

  32. Klaus-Peter Kruber, Ökonomische und politische Bildung - der mehrperspektivische Zugriff auf Wirtschaft und Politik, in: Dietmar Kahsnitz (Hrsg.), Integration von politischer und ökonomischer Bildung?, Wiesbaden 2005, S. 77.

Dr. rer. pol., geb. 1965; Professor für Ökonomische Bildung mit dem Schwerpunkt Berufsorientierung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät II, Department für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Institut für Ökonomische Bildung (IfÖB), Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg. E-Mail Link: r.schroeder@uni-oldenburg.de

Dr. paed., geb. 1974; Juniorprofessor für Wirtschaft/Politik und ihre Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Institut für Sozialwissenschaften, Olshausenstraße 40, 24098 Kiel. E-Mail Link: loerwald@politik.uni-kiel.de