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Finanzielle Bildung

Polia Tzanova Maria Neubauer Hans Jürgen Schlösser Polia Tzanova Maria Neubauer / Hans Jürgen Schlösser /

/ 13 Minuten zu lesen

Mit "Ratgeber-Literatur" oder sporadischen Medienbeiträgen kann finanzielle Bildung nicht geleistet werden. Sie bedarf der fachdidaktischen Fundierung im Rahmen der ökonomischen Bildung.

Einleitung

Wozu benötigen private Haushalte finanzielle Bildung? Wenn private Haushalte finanzielle Dienstleistungen nachfragen, werden sie vor vielfältige Probleme gestellt, beispielsweise komplexe und undurchschaubare Produkte oder irreführende Werbung. Auch fehlt Haushalten meist das Verständnis der Funktionsweise von Finanzmärkten. In der Schule wird das notwendige Wissen nur selten erworben, weil es zum Teil den Lehrenden selbst an eigenen finanziellen Kompetenzen fehlt.

Zur Bewältigung ökonomisch geprägter Lebenssituationen und zum "guten Leben" im Sinne eines gelungenen und selbstbestimmten Lebens müssen finanzielle Entscheidungen getroffen werden. Um dies in zufriedenstellendem Maß bewerkstelligen zu können, sind Kompetenzen notwendig, die nicht im traditionellen Bildungskanon (Mathematik, Sprachen, Naturwissenschaften, Künste) enthalten sind. Finanzielle Entscheidungen können lebenslange Konsequenzen nach sich ziehen, weshalb möglichst frühzeitig damit begonnen werden sollte, finanzielle Kompetenzen zu erwerben, auch weil einige dieser Konsequenzen Gefahren bergen: "Financial services are both necessary to consumers and dangerous for them."

Ein Hauptziel der finanziellen Bildung ist die Vermeidung von Verarmungsprozessen. Studien belegen, dass finanzielle Fehler in der Haushaltsführung die wichtigste Ursache für Verarmung bei Arbeitslosigkeit darstellen. Sie führen die Haushalte früher oder später in die Überschuldung. Eine Studie zur Wirksamkeit von Schuldnerberatungen zeigt, dass sich der Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Schulden und Geld für die privaten Haushalte auszahlt: So erhöhte eine intensive Schuldnerberatung die Wahrscheinlichkeit, einen sicheren Arbeitsplatz zu erhalten, und bei einem Teil der Klienten stieg sogar das Einkommen an.

Über die Bewältigung finanziell geprägter Lebenssituationen hinaus verhilft finanzielle Bildung auch zu einem verbesserten allgemeinen Weltverständnis. Hierzu gehört ein grundlegendes Verständnis für die Funktion von Geld und Vermögen im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang sowie für die Funktionsweise von Finanzmärkten in einer globalisierten Wirtschaft. Finanzielle Kompetenz ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Sie beruht auf einer Verknüpfung von Kompetenzen zur Bewältigung privater Finanzprobleme mit solchen zur Analyse und Bewertung gesamtwirtschaftlicher Problemlagen und Politikkonzeptionen.

Zum Begriff der finanziellen Bildung

Finanzielle Bildung ist Teil der ökonomischen Bildung: "Financial education is therefore the addition of financial competence to the goals of economic education. Much of the current discussions around economic education in Germany and North-America revolve around exactly this issue: including financial knowledge, financial literacy and financial capability as goals for economic education."

In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition für finanzielle Bildung. Eine für die Commerzbank arbeitende Autorengruppe stellt darauf ab, dass finanzielle Bildung dazu dienen solle, den Alltag zu bestehen und Chancen wahrzunehmen. Dazu gehören das Verständnis der Funktionen von Geld, das Geldmanagement, der Umgang mit Lebensrisiken, der Vermögensaufbau und die Altersvorsorge sowie das Verleihen und Anlegen von Geld. Grundlegend ist ein "handlungsorientierter lebenspraktischer Zugang" . Ernest Gnan et al. zeigen hingegen, dass auch andere Zugänge möglich sind. Die Autoren analysieren rund 50 Grundsatzerklärungen von Bildungsinitiativen zum Thema "finanzielle Bildung". Als Schnittmenge stellen sich die Vermittlung von Wissen und Verständnis sowie Kompetenzen zur Entscheidungsfindung heraus. Im Zentrum stehen das Wissen über und das Verständnis von Finanzdienstleistungen. Darüber hinaus zielen die untersuchten Bildungsinitiativen darauf ab, die Beziehungen zu anderen Akteuren des Finanzwesens im weiteren Sinne zu verbessern. Dazu gehören beispielsweise das Wissen über Möglichkeiten zur Selbsthilfe, das Wissen über Rechte und eine bessere Artikulation im Umgang mit Akteuren des Finanzdienstleistungssektors sowie die Abschätzung von gesellschaftlichen Konsequenzen finanzieller Entscheidungen. Ein weiteres Ziel finanzieller Bildung betrifft das "gesellschaftliche Umfeld". Dabei geht es um die Vermittlung von Werten, Einstellungen und Denkweisen im Zusammenhang mit finanziellen Entscheidungen.

In der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spielen das "Verständnis von Finanzprodukten" sowie "die Fähigkeit und das Bewusstsein um finanzielle Risiken und Möglichkeiten" eine Rolle. Andere beziehen darüber hinaus in ihre Definition das Verständnis von Finanzprodukten, das Sparen, das Ausgeben und die Bewältigung von Schulden ein. Hinzu tritt die Fähigkeit, auf aktuelle ökonomische Entwicklungen - wie beispielsweise die Finanzkrise - reagieren zu können. Dabei wird auf den Zusammenhang von privaten finanziellen Problemlagen und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen verwiesen. Der vom amerikanischen National Council on Economic Education (NCEE) entwickelte Test zur finanziellen Bildung "Financial Fitness for Life" erfasst auch "The Economic Way of Thinking" als einen wesentlichen Teilbereich. Darüber hinaus finden sich Subtests wie "Saving" und "Money Management" oder eine Mischung verschiedener Bereiche, beispielsweise "Spending and Using Credit".

Kernbereiche finanzieller Bildung

Will man auf der Basis der Literaturanalyse die Inhalte der finanziellen Bildung konkretisieren, lassen sich vier Kernbereiche identifizieren: Vermögen bilden, mit Verschuldung umgehen, sich versichern und täglich mit Geld umgehen (Zahlungsverkehr). Diese vier Bereiche tauchen so oder ähnlich immer wieder in den verschiedenen und ansonsten heterogenen Arbeiten zur finanziellen Bildung auf.

Die Kernbereiche bilden ein lebensnahes Inhaltskonstrukt. Eine exakte Abgrenzung ist im Einzelfall nicht immer möglich. So mag im Bereich "Täglich mit Geld umgehen" auch das Thema "Mit Verschuldung umgehen" relevant werden. Solche Überschneidungen können als Chance angesehen werden, Parallelen zu ziehen und Transfers zu leisten. Auch ist es möglich, Fach- und Bildungskategorien der ökonomischen Bildung wie beispielsweise Knappheit und Risiko mit Inhalten aus der finanziellen Bildung zu erarbeiten. Beispielsweise ist der Umgang mit Geld letztlich immer auf Ressourcenknappheit zurückzuführen. Ökonomische Kategorien lassen sich in allen vier Kernbereichen auffinden, wobei in jedem Kernbereich die einzelnen Kategorien unterschiedliche Relevanz haben können. Die Konzentration auf vier Kernbereiche erschöpft gewiss das Thema "finanzielle Bildung" nicht. Sie soll aber sicherstellen, dass die wichtigsten Inhalte erfasst werden. In der Abbildung (sh. Abbildung in der PDF-Version) werden die vier Kernbereiche mit ihrer Vernetzung grafisch veranschaulicht.

Vermögen bilden.

Vermögensbildung durch Sparen bedeutet, in der Gegenwart zugunsten der Zukunft auf Konsum zu verzichten. Es werden also Konsum- und Einkommensströme zeitlich voneinander entkoppelt. Die Entscheidungen, die bei der Vermögensbildung getroffen werden müssen, verlangen Klugheit und Verantwortungsgefühl, und theoretisch umfasst der Planungshorizont die gesamte Lebensspanne. Das "gute Leben" bedeutet eine angemessene und selbstbestimmte Bewertung des Lebensstandards in verschiedenen Lebensphasen, beispielsweise während der ersten Berufstätigkeit, beim Existenzaufbau im mittleren Alter und im Ruhestand. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen damit überfordert sind. Tendenziell herrschen "Kurzsichtigkeit" und eine Vernachlässigung der Altersvorsorge vor.

Vermögen ist nicht allein Absicherung, sondern auch Einkommensquelle, sei es durch Zinsen, Mieteinnahmen oder Dividenden. Je nachdem, in welcher Form Vermögen gehalten wird - beispielsweise in Sparbüchern, Aktien, Immobilien -, unterscheiden sich Erträge und Risiken. Zur finanziellen Allgemeinbildung gehört, dass zumindest die wichtigsten und gängigen Finanzprodukte hinsichtlich ihrer Risiken, Fristen und Erträge verglichen werden können. Vermögensbildung ist rechtlich geregelt und wird - beispielsweise für die Altersversorgung und die Bildung von Wohneigentum - staatlich gefördert.

Die Verknüpfungen der individuellen und gesellschaftlichen Aspekte des Kernbereichs Vermögensbildung zeigen sich beispielsweise bei den Themen Inflation oder Vermögensverteilung. Der unterschiedliche Einfluss von Inflation auf verschiedene Vermögensformen - Wertverlust von Geldvermögen und "Flucht in die Sachwerte" -, die ungleiche Vermögensverteilung und ihre Entwicklung im Zeitablauf werfen Gerechtigkeitsfragen auf, die von hoher politischer Brisanz sind. Zum mündigen Staatsbürger gehört deshalb auch Finanzkompetenz als Allgemeinbildung.

Mit Verschuldung umgehen.

Verschuldung bedeutet, zugunsten der Gegenwart auf zukünftigen Konsum zu verzichten. Wieder werden Konsum- und Einkommensströme zeitlich voneinander entkoppelt, aber in umgekehrter Reihenfolge wie beim Sparen. Besonders junge Menschen tendieren dazu, die Rückzahlung von Krediten als "Nachsparen" aufzufassen, und übersehen deshalb die Risiken der Verschuldung. Kredite müssen fristgemäß zurückgezahlt werden, und bei verspäteten Raten fallen Verzugszinsen an. Mahnbescheide werden verschickt, Kredite gekündigt und zur sofortigen Zahlung fällig gestellt. Es folgen Lohnabtretungen, Pfändungen und am Ende der "Offenbarungseid", die Eidesstattliche Versicherung. Zur finanziellen Allgemeinbildung gehört es, Vor- und Nachteile der Kreditaufnahme mit einem Barkauf zu vergleichen. Dafür sollten unterschiedliche Kreditgeber und deren Geschäftsgebaren wie beispielsweise Banken, private Kreditvermittler oder Handelsunternehmen in Grundzügen bekannt sein.

Private Überschuldung liegt vor, wenn Ratenverpflichtungen nicht mehr bedient werden, weil das verfügbare Haushaltseinkommen und ein eventuell vorhandenes eigenes Vermögen dauerhaft nicht ausreichen, neben dem Lebensunterhalt weiteren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Am Ende nimmt der Schuldenberg - nicht zuletzt durch Verfahrenskosten - immer weiter zu, selbst wenn der Schuldner Raten abzahlt. Letzter Ausweg kann die Privatinsolvenz sein, die dem redlichen Schuldner eine Möglichkeit eröffnen soll, sich von seinen Restschulden zu befreien.

Der Umgang mit Verschuldung, insbesondere aber mit Überschuldung, stellt eine komplexe Aufgabe dar, bei der die privaten Haushalte auf Hilfe angewiesen sind, beispielsweise durch Schuldnerberatungsstellen. Das Wissen um Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten kann deshalb zur finanziellen Allgemeinbildung gezählt werden. Überschuldung führt zur Senkung des Lebensstandards, also zum Gegenteil dessen, was mit der Schuldenaufnahme ursprünglich beabsichtigt worden ist. Von der sozialen Umgebung wird Überschuldung oft als Symptom für Unfähigkeit und mangelnde Leistungsfähigkeit angesehen. Neben materiellen Problemen geht sie mit einer psychischen und sozialen Destabilisierung einher sowie häufig mit Ehe- beziehungsweise Familienproblemen und Suchtproblemen. Gesamtgesellschaftliche Aspekte der Verschuldung, die zur finanziellen Allgemeinbildung des mündigen Staatsbürgers gehören, sind die Staatsverschuldung und internationale Schuldenkrisen.

Sich versichern.

Versicherungen sind ein wesentliches Merkmal sozialer Marktwirtschaften. Der Kernbereich "Sich versichern" umfasst: Risiken für den Einzelnen, für seine Familie, für Gruppen und für die Gesellschaft insgesamt; Sozialversicherung und Individualversicherung; Versicherungsarten; statistische Aspekte und Risikominderung durch verantwortungsvolles Verhalten im eigenen Erfahrungsbereich.

Zur Finanzkompetenz gehört es, die Risiken des täglichen Lebens beschreiben zu können und sie nicht zu bagatellisieren oder gar zu ignorieren. Der Bagatellisierung von Risiken steht allerdings die "Überversicherung" gegenüber, welche durch aggressive Werbung und Verkaufsmethoden bewirkt werden kann. Mündige Verbraucher wählen von den vielfältigen Angeboten, die der Markt für Versicherungen bietet, jene aus, die ihren Bedürfnissen am besten dienen. Dazu müssen sie die Versicherungsangebote auf ihre Qualität, insbesondere hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses, hin analysieren und vergleichen können. Von besonderer Bedeutung ist, unter welchen Bedingungen eine Versicherung zahlt, welche Verpflichtungen der Versicherungsnehmer eingeht und welche Rolle Meldefristen sowie pünktliche Prämienzahlungen spielen.

Vorzeitiger Tod, Krankheit, Unfall, Diebstahl, Haftpflichtschäden und andere "Schadensfälle" können die wirtschaftliche Existenz eines privaten Haushalts gefährden. Keine Versicherung kann verhindern, dass solche Dinge geschehen. Der Einzelne hat allerdings einen gewissen Einfluss auf die Risiken, die er eingeht. Versicherungen leisten im "Schadensfall" Zahlungen, die mehr oder minder ausreichen, den Schaden zu beheben. Wo das nicht möglich ist - keine Versicherung kann einen tödlich verunglückten Menschen wieder lebendig machen - können finanzielle Schwierigkeiten, beispielsweise Einkommensausfall wegen eines Unfalls, für die Familie gemildert werden.

Die Verknüpfung privater und gesellschaftlicher Aspekte wird beim Vergleich zwischen Sozial- und Individualversicherung deutlich. In der Sozialversicherung - Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall-, und Arbeitslosenversicherung - richten sich die Beiträge nach dem Einkommen des Versicherten, nicht nach dem Risiko: Es gilt das Prinzip des sozialen Ausgleichs. Mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung finden die Zweige der Sozialversicherung ihre Entsprechungen in der Individualversicherung, beispielsweise in der privaten Lebensversicherung für die Alters- und Hinterbliebenenvorsorge. Im Unterschied zur Sozialversicherung folgt die Beitragsberechnung der Individualversicherung nicht dem Prinzip des sozialen Ausgleichs, sondern dem Äquivalenzprinzip (Versicherungsprinzip): Die Höhe des Versicherungsbeitrags richtet sich nach dem Risiko der jeweiligen Risikogruppe. Beide Prinzipien geraten leicht in Konflikt, wie der politische Diskurs über die Reform der Krankenversicherung zeigt.

Täglich mit Geld umgehen.

Ein weiterer wichtiger Teil der finanziellen Bildung ist der tägliche Umgang mit Geld. Hierzu gehört in erster Linie die Erstellung eines persönlichen Haushaltsbuches. Es sollte die Einnahmen und Ausgaben für einen bestimmten Zeitraum, beispielsweise eine Woche oder einen Monat, ausweisen, um sich einen Überblick über das eigene Budget, seine Belastung und seine Struktur zu verschaffen.

Für die Organisation des Zahlungsverkehrs ist die Kompetenz zur Verwaltung eines Girokontos unerlässlich: Überweisung, Einzugsermächtigung, Dauerauftrag, Lastschrift, Online-Banking. Zur Verwaltung eines Girokontos gehört die ständige Kontrolle über das laufende Kontoguthaben, um potenzielle Kontoüberziehungsgefahren abzuwenden.

Durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von EC-Karten, die der Erleichterung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs dienen, kann schnell der Überblick über die eigenen Finanzen verloren gehen. Beim Einsatz von Kreditkarten wird das Girokonto erst zu einem späteren Zeitpunkt belastet. Leicht sind die Ausgaben längst vergessen, wenn sie im Kontoauszug ausgewiesen werden. Viele Banken und Sparkassen bieten für Schüler und Auszubildende ein oft kostenloses Girokonto an, bei dem eine Kontoüberziehung nicht oder nur in geringem Maße möglich ist. Die meisten anderen relevanten Funktionen stehen allerdings zur Verfügung. Das Schülerkonto bietet die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren die Grundlagen des Zahlungsverkehrs zu erlernen. Zu beachten ist, dass der Kontoinhaber für falsch eingetippte Werte selbst die Verantwortung trägt. Aus Sicht der Kreditinstitute hat das kostenlose Girokonto für Schüler auch die Funktion, frühzeitig Kunden zu binden. Deshalb sind Girokonten für Schüler häufig mit besonderen Vergünstigungen verknüpft, die bisweilen an ein bestimmtes Alter gebunden sind.

Stand und Perspektiven der finanziellen Bildung

In Europa wurden in der jüngsten Zeit zahlreiche Projekte initiiert, die auf die Stärkung der finanziellen Bildung ausgerichtet sind. Immer wieder starten vor allem Banken Initiativen zur Förderung der finanziellen Allgemeinbildung. Nach wie vor jedoch ist die finanzielle Bildung großer Bevölkerungskreise unzureichend.

Dabei ist das Interesse an finanzieller Bildung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchaus vorhanden. Die Selbsteinschätzung hinsichtlich ihrer Finanzkompetenz fällt bei etwa 50 Prozent der Befragten dieser Gruppe indes sehr schlecht aus. Im Hinblick auf Geld- und Finanzfragen meinen sie, sich "kaum" oder "gar nicht" auszukennen. Thomas Retzmann führt allerdings eine Studie an, die auf die Selbstüberschätzung von Jugendlichen hinweist. Diese Unsicherheit beruht meistens auf Wissensdefiziten im täglichen Umgang mit Geld. Eine Untersuchung der Commerzbank zeigt, dass die negative Selbsteinschätzung realistisch ist. So verfügen Studierende der Wirtschaftswissenschaften nur zu einem kleinen Teil (14 Prozent) über ein gutes Finanzwissen. Im Vergleich zum Rest der Bevölkerung schneiden sie damit lediglich marginal besser ab. Auch außerhalb des deutschsprachigen Raums kommen Studien immer wieder zu dem Ergebnis, dass die finanzielle Bildung sowohl von jungen als auch von älteren Menschen mangelhaft ist.

In einer Studie der Commerzbank zu Ursachen für mangelndes Finanzwissen wurden Einstellungen und Normen zum Umgang mit Geld geprüft. Das Thema Geld ist in Deutschland nach wie vor tabu: "Über Geld spricht man nicht". Weder über zu wenig noch über zu viel Geld wird geredet. Das Thema Geld wird zur Intimsphäre gezählt. Menschen, die sich in finanziellen Fragen auskennen, werden nicht als tüchtig angesehen, sondern genießen einen schlechten Ruf. Man glaubt, sie seien "oberflächlich" oder wollten andere übervorteilen. Der Nutzen einer Beschäftigung mit Geld wird gering eingeschätzt. Eine weit verbreitete Einstellung besteht darin, dass der Staat den Bürger zu versorgen habe und eine eigenständige Beschäftigung mit Geld daher überflüssig sei. Auch erscheint vielen das Thema zu komplex oder abstrakt. Diese Einstellungen treffen nicht auf alle Befragten gleich stark zu, aber im Trend ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen es vermeiden, sich intensiv mit finanziellen Fragestellungen auseinanderzusetzen.

Der Grundstein für einen erfolgreichen Umgang mit den eigenen Finanzen sollte bereits im Kindesalter gelegt werden, indem Eltern versuchen, ihren Kindern eine adäquate Einstellung zum Taschengeld zu vermitteln. Finanzielle Bildung im Elternhaus ist wirksamer als in der Schule oder anderen externen Bildungsinstitutionen. Doch nicht alle Elternhäuser können dies leisten. Finanzielle Bildung zu Hause misslingt, wenn die Eltern selbst in Geldangelegenheiten inkompetent sind. Finanzielle Inkompetenz wird in diesen Elternhäusern dann über die Generationen verfestigt.

Deshalb und aus Gerechtigkeitserwägungen sind in der finanziellen Bildung die Schule, die politische Bildung allgemein und die Einrichtungen der Erwachsenenbildung in der Pflicht. Mit "Ratgeber-Literatur" oder sporadischen Medienbeiträgen kann finanzielle Bildung nicht geleistet werden. Sie bedarf der fachdidaktischen Fundierung im Rahmen der ökonomischen Bildung gemäß dem Leitbild des mündigen Verbrauchers und mündigen Wirtschaftsbürgers.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Klaas Macha/Michael Schuhen, Financial Literacy von angehenden Lehrerinnen und Lehrern, in: Thomas Retzmann (Hrsg.), Finanzielle Bildung in der Schule, Schwalbach/Ts. 2011, S. 143-158, und Udo Reifner/Anne Schelhowe, Financial Education, in: Journal of Social Science Education, 9 (2010) 2, S. 32-42.

  2. Vgl. Lothar Krappmann, Kompetenzförderung im Kindesalter, in: APuZ, (2002) 9, S. 14-18.

  3. U. Reifner/A. Schelhowe (Anm. 1), S. 32.

  4. Vgl. Dieter Korczak/Gabriela Pfefferkorn, Forschungsvorhaben zur Überschuldungssituation und Schuldnerberatung in der Bundesrepublik Deutschland, Abschlussbericht, München 1990.

  5. Vgl. Bundesregierung, Lebenslagen in Deutschland. Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2008.

  6. Vgl. Astrid Kuhlemann/Ulrich Walbrühl, Wirksamkeit von Schuldnerberatung in Deutschland, Gummersbach 2007, S. 16.

  7. U. Reifner/A. Schelhowe (Anm. 1), S. 33.

  8. Marco Habschick/Martin Jung/Jan Evers, Kanon der finanziellen Allgemeinbildung, Frankfurt/M. 2004, S. 9.

  9. Vgl. Ernest Gnan/Maria A. Silgoner/Beat Weber, Volkswirtschafts- und Finanzbildung: Konzepte, Ziele, Messung, in: Geldpolitik und Wirtschaft, (2007) 3, S. 30-52.

  10. Vgl. OECD, OECD Project on Financial Education and its International Network on Financial Education, 2009, online: www.financial-education.org/dataoecd/8/28/44409678.pdf (22.2.2011).

  11. Vgl. Investor Education Fund, online: www.getsmarteraboutmoney.ca/managing-your-money/planning/investing-basics/Pages/what-is-financial-literacy.aspx (22.2.2011).

  12. National Council on Economic Education, Financial Fitness for Life. Theme Tests. Questions with Answers. Entire Assessment for the Upper Elementary Level, New York 2004; vgl. auch dies., Entire Assessment for Middle School level, New York 2004; dies., Entire Assessment for high school level, New York 2004.

  13. Vgl. weiterhin z.B. Hans Kaminski et al., Unterrichtseinheit "Finanzielle Allgemeinbildung" (o.J.); vgl. auch Michael-Burkhard Piorkowsky et al., Verbraucherkompetenz für einen persönlich erfolgreichen und gesellschaftlich verantwortlichen Konsum. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV, Bonn-Berlin 2008; vgl. auch Allianz Global Investors, Mit Geld richtig umgehen, Frankfurt/M. 2007.

  14. Vgl. zur Diskussion um die kategoriale Bildung beispielsweise: Klaus-Peter Kruber, Hinführung zu "Denken in ökonomischen Kategorien" als Aufgabe des Wirtschaftsunterrichts, in: Bernd O. Weitz (Hrsg.), Standards in der ökonomischen Bildung, Bergisch Gladbach 2005, S. 203-223.

  15. Vgl. Hans Jürgen Schlösser, Konsumentenkredite in der Bundesrepublik Deutschland, in: Unterricht Wirtschaft, 3 (2000), S. 10f.

  16. Vgl. ders., Schulden und kein Ende? Überschuldung, Insolvenzrecht und der private Haushalt, in: Unterricht Wirtschaft, 3 (2000), S. 7-9.

  17. Vgl. ders., Risiko und Versicherungen, in: arbeiten+lernen Wirtschaft, 29 (1998), S. 22-33.

  18. Vgl. das EU-Programm DOLCETA zur Verbrauchererziehung, online: www.dolceta.eu (24.2.2011); vgl. auch Michael-Burkhard Piorkowsky, Lernen mit Geld umzugehen, in: APuZ, (2009) 26, S. 40-46.

  19. Vgl. Marco Habschick/Britta Seidl/Jan Evers, Survey of Financial Literacy Schemes in the EU27, Hamburg 2007, sowie Heiko Steffens, Trends, Praxis und Politik zur Förderung der Verbraucherbildung aus Sicht der OECD, in: T. Retzmann (Anm. 1), S. 159-170.

  20. Vgl. Bundesverband deutscher Banken, Jugendstudie. Wirtschaftsverständnis und Finanzkultur, Berlin 2003, 2006 und 2009.

  21. Vgl. Thomas Retzmann, Einführung in die Thematik. Finanzielle Allgemeinbildung im Defizit - Eine Herausforderung für die ökonomische Bildung, in: ders. (Anm. 1), S. 5-7.

  22. Vgl. Commerzbank, Finanzielle Allgemeinbildung von Studenten der Wirtschaftswissenschaft (Präsentation), Frankfurt/M. 2004.

  23. Vgl. Annamaria Lusardi/Olivia S. Mitchell/Vilsa Curto, Financial Literacy among the Young. Working Paper, 2009; dies., Financial Literacy an Financial Sophistication in the Older Population: Evidence from the 2008 HRS, Working Paper, 2009.

  24. Vgl. Commerzbank, Die Psychologie des Geldes. Qualitative Studie für die Commerzbank AG, Präsentation, Hamburg 2004.

  25. Vgl. Stephen J. Dubner, Is Teaching Financial Literacy a Waste of Time? Freakonomics. Blog der New York Times vom 19.9.2008, online: http://freakonomics.blogs.nytimes.com/
    2008/09/19/is-teaching-financial-literacy-a-waste-of-time (24.2. 2011).

Dipl.-Volkswirtin, geb. 1977; wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZöBiS (s. oben). E-Mail Link: tzanova@zoebis.de

Dipl.-Soziologin, geb. 1981; wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZöBiS (s. oben). E-Mail Link: neubauer@zoebis.de

Dipl.-Volkswirt, Master of Science, Dr. rer. pol., geb. 1952; Professor, Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen; Vorsitzender des Zentrums für ökonomische Bildung in Siegen (ZöBiS); Hölderlinstraße 3, 57076 Siegen. E-Mail Link: hans.schloesser@uni-siegen.de