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The Hill They Climb | USA | bpb.de

USA Editorial Auf der Suche nach Heilung. (Wie) kann Joe Biden die Gräben überbrücken? Die amerikanische Lektion. Wie Polarisierung der Demokratie schaden kann The Hill They Climb. Die größten innenpolitischen Herausforderungen für Joe Biden und Kamala Harris Die USA zurück auf der multilateralen Bühne In rauen Gewässern. Was bedeutet Bidens Chinapolitik für Europa? Die Trump-Präsidentschaft: Eine Bilanz

The Hill They Climb Die größten innenpolitischen Herausforderungen für Joe Biden und Kamala Harris

Keneshia N. Grant

/ 16 Minuten zu lesen

Am 20. Januar 2021 wurden Joseph "Joe" Biden und Kamala Harris als Präsident und Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Nur wenige Tage zuvor hatten Anhänger:innen des scheidenden Präsidenten Donald Trump am Kapitol – also genau dort, wo Biden und Harris ihren Amtseid ablegten –, den gewaltsamen Versuch unternommen, Trump trotz der verlorenen Präsidentschaftswahl von 2020 den Verbleib im Amt zu ermöglichen. Dieser Versuch mag gescheitert sein, doch die Handlungen der Trump-Extremist:innen stehen für einige der drängendsten Probleme, die unsere Nation derzeit belasten. Biden und Harris sind nun in den höchsten Staatsämtern angekommen und müssen sich ab sofort mit dem Zustand befassen, in dem das Land sich nach vier Jahren sehr ungewöhnlicher Regierungsführung befindet. Die neue Regierung muss von Anfang an aufs Tempo drücken, da etliche innenpolitische Probleme dringend zu bearbeiten sind. Im Folgenden lege ich jene dar, die im heutigen Amerika oberste Priorität haben sollten. Darüber hinaus werde ich erläutern, welche Lösungen die Regierung vorsieht und erörtern, ob es ihr möglich sein wird, diese innerhalb ihrer vierjährigen Amtszeit umzusetzen.

Die Biden/Harris-Administration hat vier miteinander verwobene Krisen ausgemacht, denen sie sich vor allem widmen will: die Corona-Pandemie, die schwer geschädigte Volkswirtschaft, die Ungleichheiten zwischen den "Rassen" (racial disparities) und den Klimawandel. Am drängendsten sind dabei die anhaltenden Sorgen und der Streit darüber, wie die Nation als Ganzes auf das Coronavirus reagieren sollte. Die neue Regierung wird schwierige volkswirtschaftliche Entscheidungen treffen müssen, da weite Teile der Wirtschaft durch den gesundheitspolitischen Umgang mit der Pandemie Schaden genommen haben. Darüber hinaus lassen sich dank der Verbreitung von Handykameras und sozialen Medien einige der "Rassenprobleme" (racial issues) nicht mehr ignorieren:
In der jüngeren Vergangenheit haben die Amerikaner:innen über zahllose Displays verfolgt, wie Polizist:innen und Privatpersonen, die sich als Gesetzeshüter:innen aufspielen, Schwarze Menschen töten. Die Nation ist außerdem dazu gezwungen, mit dem Faktum umzugehen, dass überproportional viele nicht-weiße Amerikaner:innen am Coronavirus gestorben sind. Nicht zu übersehen sind weitere Probleme, mit denen die Menschen in den USA seit einigen Jahren zunehmend konfrontiert sind: Trockenheit, Waldbrände, Wirbelstürme und gewaltige Schneestürme.

In den ersten zwei Wochen seiner Präsidentschaft unterzeichnete Joe Biden fast so viele Exekutivverordnungen (executive orders) wie Franklin D. Roosevelt nach einem Monat – und Roosevelt ist, bezogen auf die gesamte Amtszeit, der bisherige Rekordhalter. Wie sein Vorgänger aus den 1930er Jahren hat Biden es mit gewaltigen Herausforderungen für die amerikanische Gesellschaft zu tun, die ein entschlossenes Regierungshandeln rechtfertigen. Zusätzlich zur Bewältigung der parallelen Krisen scheut der Präsident keine Anstrengung, um die Regierung wieder in das Fahrwasser der Präsidentschaft Barack Obamas zu bringen. Als Trump 2017 sein Amt antrat, war eine seiner obersten Prioritäten, die gesamte Arbeit der Obama-Regierung ungeschehen zu machen. Biden wiederum nahm mit 12 seiner 17 am ersten Tag im Amt erlassenen Verordnungen Maßnahmen von Trump zurück. Besonders bemerkenswert bei dieser Rückabwicklung sind der Verbleib in der Weltgesundheitsorganisation und der erneute Beitritt zum Pariser Klimaabkommen, der Baustopp der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko, die Aufhebung des Einreisestopps für Muslime sowie die Ankündigung, die Duldungsregelung für Minderjährige ohne Aufenthaltsstatus auszubauen.

Eindämmung der Pandemie

Die größte Herausforderung für den neugewählten Präsidenten und die Vizepräsidentin ist der Umgang mit der Corona-Pandemie und den damit verbundenen innenpolitischen Problemen. Gemessen an der Zahl der Infektionen und der Toten sind die USA das weltweit am schwersten betroffene Land: Bis Ende Februar 2021 waren eine halbe Million Menschen an der Seuche gestorben. Inzwischen ist die Inzidenz zwar niedriger, und es gibt weniger Todesfälle, insgesamt ist aber mit vielen weiteren Toten zu rechnen. Was das Ganze noch schlimmer macht: Viele gehen davon aus, dass ein kompetenter Umgang der Vorgängerregierung mit der Pandemie die Verbreitung des Virus hätte eindämmen können und vielen Menschen das Leben gerettet hätte.

Die Regierung Biden/Harris wählte von Beginn an einen vollständig anderen Ansatz als die Trump-Administration. Bereits in der Zeit zwischen Wahlsieg und Amtsantritt fing Biden an, einen Plan für die Bewältigung der Pandemie auszuarbeiten. Die sieben Hauptziele des Plans reichen von der Wiederherstellung des Wählervertrauens über die Aufsetzung einer umfassenden Impfkampagne und Eindämmung der Virusverbreitung bis zur Öffnung von Schulen und Ermöglichung von Reisen. In Anerkennung der Tatsache, dass Regierungshandeln maßgeblich mitbestimmt, welchen Schaden das Virus verursacht, erließ Biden mit seiner ersten Verordnung überhaupt Hygienevorschriften wie Maskentragen und Abstandhalten für Bundesbedienstete und den Aufenthalt auf bundeseigenem Gelände. Eine weitere frühe Maßnahme war die Einrichtung eines Corona-Krisenstabs, der dem Präsidenten unmittelbar unterstellt ist und der das Vorgehen der Regierung in Washington mit dem der Bundesstaaten koordiniert. Darüber hinaus richteten Biden und Harris eine "Health Equity Task Force" ein und trugen damit dem Umstand Rechnung, dass Angehörige nicht-weißer Bevölkerungsgruppen in den USA mit mehr als zweimal höherer Wahrscheinlichkeit an Covid-19 erkranken oder daran sterben als Weiße. Die Task Force soll sicherstellen, dass die historisch und systemisch bedingte Rassen- und Klassenungleichheit in den USA keine negativen gesundheitlichen Folgen mehr für ethnische Minderheiten und Arme hat.

Es gab gewisse Zweifel, ob Biden seine Ankündigung, in den ersten 100 Tagen seiner Präsidentschaft 100 Millionen Amerikaner:innen Impfungen zu ermöglichen, würde einlösen können. Zum einen war nicht klar, ob genügend Impfdosen zur Verfügung stehen würden. Zum anderen bremsten extreme Wetterbedingungen im Februar in weiten Teilen der USA die Impfkampagne vorübergehend aus. Darüber hinaus zögern manche Amerikaner:innen, ob sie sich überhaupt impfen lassen sollten. Während in einigen Bevölkerungsgruppen Des- und Falschinformationen die Ursache dafür sind, gibt es in anderen Communities ein historisch begründetes Misstrauen gegenüber Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens, was auf negative Erfahrungen wie das verwerfliche Tuskegee-Experiment zurückzuführen ist. Bei diesem war zwischen 1932 und 1972 an Hunderten Schwarzen Männern erforscht worden, wie sich eine unbehandelte Syphiliserkrankung auswirkt – unter der Täuschung, sie bekämen Medizin.

Der Regierung Biden/Harris gelang es jedoch, die notwendigen Impfdosen der Hersteller Pfizer und Moderna in ausreichender Anzahl zu reservieren, zudem wurde ein dritter Impfstoff von Johnson & Johnson zugelassen. Und obwohl die Impfkampagne langsamer anlief, als die Regierung gehofft hatte, konnte Biden bereits nach 58 Tagen verkünden, dass das 100-Millionen-Ziel erreicht worden ist. Die nächste große Hürde für die Kampagne ist, dass nach wie vor keine geeigneten Impfungen für Kinder verfügbar sind. Entsprechende klinische Studien sind noch nicht abgeschlossen, könnten aber bis zum Spätsommer positive Ergebnisse bringen. Kurz: Was die Pandemiebekämpfung durch Impfungen angeht, ist die Regierung ihrem Plan bisher sogar voraus.

Bekämpfung der Corona-Wirtschaftskrise

Zu der Frage, wie die Regierung die wirtschaftlichen Probleme infolge der Corona-Pandemie angehen sollte, gibt es unterschiedliche Ansichten. Während einige Analyst:innen, Ökonom:innen und republikanische Abgeordnete meinen, dass sich die US-Volkswirtschaft an einem Wendepunkt befinde und große Konjunkturmaßnahmen daher nicht notwendig seien, halten es andere, darunter der Präsident selbst und der Vorstand der US-Notenbank, für sicherer, rasch und massiv zu reagieren, um die wirtschaftliche Abwärtsspirale zu stoppen. Diese Haltung hat mit dem Umgang mit der schweren Wirtschaftskrise ab 2008 zu tun: Viele Beobachter:innen sind der Auffassung, dass sich die Regierung damals zu früh aus wichtigen Investitionen zurückgezogen habe, wodurch die Wirtschaft schleppender anlief als nötig. Diesen Fehler will Biden, der damals Vizepräsident war, nicht wiederholen.

Anfang März 2021 haben sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus dem 1,9 Billionen US-Dollar schweren "American Rescue Plan" zugestimmt. Zu den verabschiedeten Maßnahmen gehören Direktzahlungen an US-Bürger:innen (stimulus payment), Gelder für eine bessere Pandemiebekämpfung sowie zusätzliche Hilfen für Menschen, die ihre Arbeit verloren haben. Darüber hinaus soll es Hilfen für die Regierungen von Bundesstaaten und Kommunalverwaltungen geben. Denn dadurch, dass im zurückliegenden Pandemie-Jahr viele Amerikaner:innen daheim geblieben sind und der Konsum außer Haus zurückgegangen ist, sind auf lokaler und regionaler Ebene vielerorts auch die Steuereinnahmen gesunken. Die so entstandenen Defizite der Bundesstaaten haben gravierende Auswirkungen, denn die meisten staatlichen Dienstleistungen werden in den USA eher auf dieser als auf der Bundesebene erbracht. Einige der ursprünglich im Konjunkturpaket enthaltenen Maßnahmen lehnte der Senat jedoch ab, wie zum Beispiel die vorgeschlagene Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde.

Über diesen Schwerpunkt hinaus hat Biden im Zusammenhang mit der Corona-Krise noch andere Pläne. So hat er die Absicht geäußert, bei allen Bürger:innen mit einem Jahreseinkommen unter 400.000 Dollar auf Steuererhöhungen zu verzichten. Dies entspricht einer Umkehr der Steuerpolitik seines Vorgängers und eine Rückkehr zur steuerlichen Situation von 2016. Auch die Unternehmensteuer soll wieder auf das Vor-Trump-Niveau angehoben werden. Außerdem will Biden die Steuerlast reicher Amerikaner:innen erhöhen und mit den Einnahmen besonders hilfsbedürftige Teile der Gesellschaft unterstützen. Die Republikaner:innen im Kongress werden die geplanten Änderungen freilich nicht einfach durchwinken.

Eines der größten wirtschaftspolitischen Versprechen des Präsidenten ist es, die Armut in den USA zu bekämpfen. Unabhängig vom Corona-Konjunkturpaket warben Biden und Harris bereits im Wahlkampf für eine Mindestlohnerhöhung auf 15 Dollar pro Stunde. Diese wird sich wahrscheinlich eher über einen längeren Zeitraum im Laufe ihrer Amtszeit realisieren lassen. Außerdem hat Biden vorgeschlagen, im Rahmen des "Build Back Better"-Programms Bundesmittel zu verwenden, um Arbeitsplätze zu schaffen und die landesweite Infrastruktur wieder aufzubauen. Da dabei unter anderem die Schaffung von Jobs im Bereich der erneuerbaren Energie gefördert werden soll, enthält dieser Plan auch eine ökologische Komponente.

Klima und Umwelt

Eines der entscheidenden Wahlkampfthemen war die Klima- und Umweltpolitik. Die Veränderungen der Umwelt haben dazu geführt, dass die Amerikaner:innen immer häufiger von Katastrophen heimgesucht werden – was es einfacher für sie macht, ökologische Themen keineswegs nur als etwas Abstraktes zu betrachten. Dürren und verheerende Waldbrände in Kalifornien sowie die wiederkehrenden Wirbelstürme im Süden der USA sind auf den globalen Temperaturanstieg zurückzuführen. Texas hingegen, eigentlich einer der wärmsten Bundesstaaten, erlebte im Februar 2021 extreme Kälte und sehr starken Schneefall. Angesichts des Drucks, den jüngere Amerikaner:innen und der linke Flügel der Demokratischen Partei ausüben, und angesichts der unzähligen von der Trump-Administration in diesem Bereich durchgesetzten Änderungen wird die neue US-Bundesregierung bei diesen Themen einen langen Atem brauchen.

Die Regierung Biden/Harris hat den "Klimanotstand" als eine ihrer obersten Prioritäten eingestuft. Biden hat bereits eine Verordnung unterzeichnet, durch die der Klimawandel zu einem zentralen Thema der US-Außenpolitik und zu einem Hauptaspekt der nationalen Sicherheit wird. Biden hat zudem eine nationale "Climate Task Force" ins Leben gerufen, die ein abgestimmtes Vorgehen gegen den Klimawandel ermöglichen soll, und sich verpflichtet, bei seinem gesamten Regierungshandeln die Umstellung auf erneuerbare Energien im Blick zu behalten. Weiterhin will er die Verpachtung von bundeseigenem Land zur Öl- und Gasförderung vorläufig stoppen, die Offshore-Windkraft ausbauen und 400 Milliarden Dollar in Forschung und Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien investieren.

Biden hat zudem einige Entscheidungen und Regulierungen der Obama-Regierung wieder in Kraft gesetzt, die die Trump-Administration zurückgenommen hatte. So sind die USA an seinem ersten Tag im Amt dem Pariser Klimaübereinkommen wieder beigetreten, womit sie sich zu umfangreichen Reduktionen der Treibhausgasemissionen bis 2025 verpflichten. Bis 2050 soll die gesamte US-Verwaltung klimaneutral arbeiten. Außerdem hat die Regierung die unter Trump gelockerten Abgasnormen für Autos wieder verschärft, wodurch der zugelassene Benzinverbrauch sinkt. Ab 2026 müssen Neuwagen mit einer Gallone Benzin 51 Meilen weit kommen, während es zuvor nur 40 Meilen pro Gallone waren. Auch hofft Biden, dass sich künftig mehr Amerikaner:innen für ein Elektroauto entscheiden – deshalb soll es mehr Ladestationen geben, und der Steuernachlass für Käufer:innen von Elektroautos soll wieder eingeführt werden.

Nach Angaben der "New York Times" hat Donald Trump in seiner Amtszeit mehr als 100 Umweltvorschriften geändert. Biden hat eine Überprüfung sämtlicher Entscheidungen und Handlungen der Vorgängerregierung angeordnet, die den Klimawandel und Umweltfragen betreffen. Ziel ist es, alle politischen Maßnahmen rückgängig zu machen, die der Umwelt schaden, keine wissenschaftliche Grundlage haben und/oder nicht im nationalen Interesse liegen. Ganz im Sinne einer weiteren Maßnahme der Obama-Regierung hat Biden auch die Genehmigung für die Keystone-XL-Pipeline zurückgezogen, die Trump erteilt hatte. Die Pipeline sollte kanadische Ölfelder mit dem US-Transportnetz verbinden, damit das kanadische Öl in den Golf von Mexiko geliefert werden kann. Befürworter:innen der Pipeline führen an, diese sei notwendig für die wirtschaftliche Entwicklung. Umweltschützer:innen argumentieren, an der Strecke würden Natur und Menschen geschädigt.

Obwohl Trump in Windeseile viele umweltpolitische Maßnahmen aus der Zeit Obamas rückgängig gemacht hatte, benötigten viele dieser Maßnahmen Jahre, bis sie tatsächlich wirksam wurden, und einige davon durchlaufen immer noch die gesetzgeberischen Verfahren. Entsprechend werden auch die Veränderungen, die Präsident Biden in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft angestoßen hat, Jahre brauchen, bis sie Wirkung entfalten können. Ganz allgemein gilt, dass ein US-Präsident nur recht eingeschränkte Möglichkeiten hat, Veränderungen durch Exekutivverordnungen herbeizuführen, da der Nachfolger diese ohne Weiteres rückgängig machen kann. Und so wird Biden die Unterstützung des Kongresses benötigen, wenn er eine Klimagesetzgebung auf den Weg bringen will, die seine Präsidentschaft überdauern soll.

Rassismus, Polizeigewalt und Bürgerrechte

Zu Beginn seines Wahlkampfes beschrieb Biden den Schrecken, den er empfand, als er 2017 die Bilder vom Aufmarsch weißer Nationalisten in Charlottesville sah und sein Vorgänger Trump dies mit den Worten kommentierte, es habe "auf beiden Seiten sehr anständige Leute" gegeben ("very fine people on both sides"). Biden beschrieb die Wahl von 2020 daher als "Kampf um die Seele der Nation". Die Regierung Biden/Harris wird sich deshalb auch mit Bürgerrechtsfragen befassen müssen – insbesondere mit dem anhaltenden Rassismus und der Polizeigewalt. 2020 richtete sich neue Aufmerksamkeit auf den unhaltbaren Zustand, dass es immer wieder zu Vorfällen kommt, bei denen unbewaffnete Schwarze durch Polizist:innen oder Privatpersonen, die selbst für law and order sorgen wollen, ermordet werden. Im vergangenen Jahr erregten insbesondere die Fälle von Ahmaud Arbery, Breonna Taylor und George Floyd das öffentliche Interesse.

Ahmaud Arbery wurde ermordet, als er durch seinen Wohnort im Süden von Georgia joggte. Die Personen, die ihn töteten, wurden zunächst weder festgenommen noch angeklagt – bis ein Artikel der "New York Times" und die Veröffentlichung von Videoaufnahmen der tödlichen Schüsse die amerikanische Öffentlichkeit alarmierten. Breonna Taylor wurde in ihrer Wohnung in Louisville, Kentucky von Zivilpolizisten im Schlaf ermordet. Eigentlich suchten sie zwei Männer, die in keinerlei Beziehungen zu Taylor standen, die zwar in derselben Stadt, aber an einem ganz anderen Ort wohnten. Taylors Lebensgefährte ging von einem Raubüberfall aus und schoss deshalb auf einen der Polizisten, woraufhin diese etliche Male in die Wohnung feuerten und Taylor tödlich verletzten. Von den drei Polizisten, die für dieses Geschehen verantwortlich sind, wurde letztlich nur einer angeklagt – und das nicht wegen Mordes, sondern wegen fahrlässiger Gefährdung (wanton endangerment).

George Floyds Tötung am 25. Mai 2020 in Minneapolis unterscheidet sich von ähnlichen Vorfällen in der jüngeren Vergangenheit vor allem durch das nie dagewesene Ausmaß der Reaktionen darauf. Nachdem die Nation dabei zusehen konnte, wie er unter dem Knie eines Polizisten auf den Boden gedrückt flehte, dass er nicht atmen könne ("I can’t breathe"), nach seiner Mutter rief und schließlich sein Leben verlor, kam es weltweit zu Protesten. Als Präsidentschaftskandidat räumte Joe Biden damals ein, dass auch er nicht in der Lage sein werde, den systemischen Rassismus kurzfristig zu beseitigen, vielmehr sei dies die Aufgabe für eine ganze Generation. Er versprach jedoch, unter seiner Präsidentschaft eine nationale Polizeiaufsicht ins Leben zu rufen und rief den Kongress dazu auf, eine Polizeireform in die Wege zu leiten.

Eine der Forderungen, die nach dem Mord an Floyd besondere Aufmerksamkeit erhielten, war jene, der Polizei einen Teil der finanziellen Mittel zu entziehen ("Defund the Police") und sie stattdessen für soziale und Gesundheitsdienste zu verwenden. Dadurch soll bei Problemen, die außerhalb des Strafrechts liegen, eine Alternative zum Polizeiruf geschaffen werden – zum Beispiel eine Suchtberatung. Hier sind sich Biden und der linke Flügel seiner Partei aber nicht vollständig einig: Der Präsident ist dagegen, Polizeibudgets zu kürzen; vielmehr ist er der Überzeugung, dass die Polizei nur mithilfe großer Investitionen besser werden könne. Allerdings stimmt er der Linken darin zu, dass niemand wegen des bloßen Gebrauchs von Drogen im Gefängnis landen sollte. Zudem hat er sich eindeutig für eine Polizeireform ausgesprochen. Wie sich die Regierung Biden/Harris in dieser Frage genau verhalten wird, bleibt indes noch abzuwarten.

Die neue Regierung hat jedoch schon deutlich gemacht, dass sie weitere Bürgerrechtsthemen mit großer Dringlichkeit behandeln will, und der Präsident und die Vizepräsidentin sind darum bemüht, dass Bürgerrechtsfragen sämtliche Bereiche der Regierungsführung und der US-Gesellschaft durchdringen. So traf sich Kamala Harris im Februar mit weiblichen Führungskräften, um mit ihnen über die große Zahl der Frauen zu sprechen, die dem Arbeitsmarkt wegen der pandemiebedingten Veränderungen an Arbeitsplätzen und Schulen verloren gegangen sind. Und Biden unterzeichnete in seinen ersten Tagen im Amt Verordnungen für mehr Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt sowie gegen die Diskriminierung von US-Bürger:innen asiatischer und pazifischer Herkunft, die seit Beginn der Pandemie vermehrt Feindseligkeiten ausgesetzt sind. Des Weiteren unterzeichnete er eine Verordnung, die bessere Beziehungen zwischen der US-Regierung und der indigenen Bevölkerung ermöglichen soll. Auf Druck der Schwarzen Community unterstützt Biden zudem den Plan einiger Mitglieder des Repräsentantenhauses, die Möglichkeit von Reparationszahlungen zu prüfen – also die Idee, Nachfahren versklavter Menschen für das angetane Leid zu entschädigen.

Biden wird noch zahlreiche weitere Probleme angehen müssen, und viele gesellschaftliche Gruppen hoffen darauf, dass seine Regierung bürgerrechtlichen Fortschritt bringt – vom Thema race bis zu Fragen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentitäten. Als Präsident ist Biden in einer starken Position, um kurzfristige Veränderungen herbeizuführen. Doch alles, was er langfristig bewirken will, muss vom Kongress abgesegnet werden. Viele Amerikaner:innen erwarten von der neuen Regierung, dass sie die notwendigen Schritte unternimmt, um all diese Probleme anzugehen, selbst wenn diese innerhalb der vier Jahre kurzen Amtszeit nicht vollständig zu lösen sein sollten.

Politische Polarisierung und Extremismus

Der Extremismus im Inneren der USA hat seit Jahren zugenommen. Bei den Unruhen vom 6. Januar 2021, bei denen das Kapitol in Washington gestürmt wurde, spielte es eine zentrale Rolle, dass die Randalierer:innen das Gefühl hatten, das Land bewege sich in eine völlig andere Richtung als von den Gründervätern vorgesehen und versprochen. Deutlicher ausgedrückt: Viele Trump-Anhänger:innen legen – infolge der Wahl Barack Obamas zum ersten Schwarzen US-Präsidenten und angesichts sich ändernder demografischer Realitäten – wachsende rassistische Ressentiments an den Tag. Die Wahl Trumps, seine spalterische Rhetorik sowie die zunehmende Bedeutung der sozialen Medien haben den politischen Diskurs in den Vereinigten Staaten grundlegend verändert.

Eine dieser Veränderungen ist, dass Hass auf nicht-weiße Minderheiten immer offener gezeigt und öffentlich artikuliert wird. Außerdem ist viel mehr Fehl- und Desinformation zu politischen Themen im Umlauf. Schließlich sind die Gräben zwischen den Amerikaner:innen mit unterschiedlichen politischen Ansichten immer tiefer geworden. Jeder einzelne dieser Faktoren trat deutlich zutage, als die Randalierer:innen durch den Sturm des Kapitols Trumps Versuche unterstützten, doch noch irgendwie im Amt zu bleiben.

Biden hat sich bisher mit Kommentaren zu Trumps Präsidentschaft und Handlungen weitgehend zurückgehalten, auch während des nachträglichen Amtsenthebungsverfahrens gegen seinen Vorgänger. Dies deutet darauf hin, dass er lieber nach vorne schauen und sich auf das eigene Regieren konzentrieren will, als zurückzublicken. Die Untersuchungen zu den Unruhen am und im Kapitol laufen allerdings noch. Die Aufsicht darüber liegt bei Bidens Justizminister, dem bisherigen Richter Merrick Garland, der insbesondere durch die Ermittlungen gegen den sogenannten Unabomber sowie nach den Bombenanschlägen von Oklahoma City 1995 und auf die Olympischen Spiele von Atlanta 1996 viel Erfahrung mit Extremismus und inländischem Terrorismus mitbringt. Auch das Heimatschutzministerium, an dessen Spitze nun Alejandro Mayorkas steht, wird sich mit dem Extremismus im Inneren befassen: In einem Gastbeitrag für die "Washington Post" führte der Minister aus, dass er gewaltbereiten inländischen Extremismus zu einem nationalen Prioritätsbereich (National Priority Area) erklärt habe. Dies ist eine Äußerung von einiger Tragweite, da sein Ministerium unter dem Eindruck der Terrorangriffe vom 11. September 2001 geschaffen wurde, um vor allem Feinde im Ausland zu bekämpfen. Erstmals richtet eine Regierung die Kräfte dieser Behörde ins Innere, um Terrorist:innen im eigenen Land zu bekämpfen. Weil dies nun zu einem Schwerpunkt geworden ist, kann das Heimatschutzministerium auch die Regierungen von Bundesstaaten und lokale Verwaltungen anweisen, ihnen zugewiesene Bundesmittel entsprechend einzusetzen.

Das Problem des Terrorismus im Inneren kann Biden indes nicht alleine lösen. Er ist nicht nur abhängig von der Unterstützung republikanischer Politiker:innen, sondern benötigt außerdem die Hilfe von Medienunternehmen, führenden Köpfen aus der Technologiebranche und der breiten Öffentlichkeit, wenn er hier etwas erreichen möchte. In Anbetracht der Geschichte dieser Nation ist es eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, dass domestic terrorism noch jahrelang auf der Tagesordnung der amerikanischen Politik stehen wird.

Fazit

Die US-Politik der vergangenen vier Jahre war anders als alles, was die Menschen in den USA und überall sonst auf der Welt bisher kannten. Mit der Wahl und Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris keimt nun allerorten die Hoffnung auf, dass es damit in der Regierungsführung des Landes eine Rückkehr zur Normalität gibt. Biden und Harris haben allerdings noch einen langen Weg vor sich, denn die meisten ihrer Vorhaben sind nicht schnell umzusetzen und hängen von der Zustimmung des Kongresses ab, der nicht immer mit den Plänen des Weißen Hauses einverstanden sein dürfte. Es ist jedoch zu sehen, dass einige der in die Wege geleiteten Veränderungen bereits Wirkung entfalten, und so ist zu erwarten, dass sich auch in Zukunft noch so manches ändern wird.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Jan Fredriksson, Senden.

ist Professorin für Politikwissenschaft an der Howard University in Washington, D.C. 2020 erschien ihr Buch "The Great Migration and the Democratic Party: Black Voters and the Realignment of American Politics in the 20th Century". E-Mail Link: keneshia.grant@howard.edu, Externer Link: http://www.keneshiagrant.com