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Die USA zurück auf der multilateralen Bühne | USA | bpb.de

USA Editorial Auf der Suche nach Heilung. (Wie) kann Joe Biden die Gräben überbrücken? Die amerikanische Lektion. Wie Polarisierung der Demokratie schaden kann The Hill They Climb. Die größten innenpolitischen Herausforderungen für Joe Biden und Kamala Harris Die USA zurück auf der multilateralen Bühne In rauen Gewässern. Was bedeutet Bidens Chinapolitik für Europa? Die Trump-Präsidentschaft: Eine Bilanz

Die USA zurück auf der multilateralen Bühne

Laura von Daniels

/ 15 Minuten zu lesen

In Reden des US-Präsidenten Joseph R. Biden ist häufig Vertrauen das Leitmotiv. Biden möchte in seinem Land die Demokratie stärken, die Wirtschaftsleistung durch staatliche Ausgaben und Investitionen steigern und auf der Basis eines stabilen Wachstums sozioökonomische und politische Spannungen verringern, um eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Aus neuer wirtschaftlicher Stärke und politischer Stabilität sollen die USA das notwendige Selbstvertrauen ziehen, um anderen Ländern erneut als Vorbild zu dienen und sie in ihrem Streben nach Demokratie und Wohlstand zu unterstützen.

Angesichts des Aufstiegs Chinas zielt Bidens Außenpolitik darauf ab, das Mächtegleichgewicht so zu beeinflussen, dass die Vereinigten Staaten ihre globale Vormachtstellung bewahren. Aus Sicht der Biden-Administration sind die USA zwar nicht ohne Fehler, aber sie besitzen genügend moralische Autorität und Verantwortungsgefühl, um die Welt anzuführen, insbesondere im Vergleich zu autoritären Ländern wie China oder Russland. Im politischen, wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Wettbewerb der Systeme soll die Demokratie gewinnen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die eigene demokratische Staatsform. Und dieses Vertrauen, das nicht erst in den Amtsjahren Donald Trumps, sondern bereits durch die globale Finanzkrise ab 2008 gelitten hat, will Biden zurückgewinnen. Damit ist das bestimmende Thema schon gesetzt: die Anbindung außenpolitischer Entscheidungen an die Interessen der US-amerikanischen Mittelschicht.

Außenpolitik für die Mittelschicht

Um das notwendige Vertrauen der US-Bürgerinnen und -Bürger für die eigene ambitionierte außenpolitische Agenda zurückzugewinnen, ist die Biden-Administration auf eine einfache wie bestechende Formel gekommen: Sie verspricht, ihre Politik an den "Interessen der Mittelschicht" auszurichten. Damit ist ein wichtiges Ordnungskriterium benannt, nach dem Aufgaben ausgewählt und Prioritäten festgelegt werden können.

Während das Konzept der "Mittelschicht" selbst vage bleibt, reicht schon die Maßgabe einer Außenpolitik für die Mittelschicht aus, um sich von Strategien früherer US-Regierungen abzugrenzen. In der Interim National Security Strategy Guidance (INSSG), dem ersten außenpolitischen Strategiedokument der Biden-Administration, finden sich eine Reihe entsprechender Prioritäten. Dazu gehört an erster Stelle das Einschreiten gegen Regelverstöße Chinas, sei es gegen internationale Handelsregeln oder gegen Menschen- und Bürgerrechte. Die chinesische Politik bedrohe sowohl die Freiheit als auch den Wohlstand der US-Mittelschicht. Um der aufstrebenden Weltmacht entgegenzutreten, setzt Biden auf Kooperation mit Verbündeten und strategischen Partnern. Eine Allianz stabiler und wehrhafter Demokratien soll als Bollwerk im Systemwettbewerb mit China – wie auch mit Russland und anderen autoritären Systemen – dienen.

Als zweites großes Ziel definiert die Biden-Administration den Kampf gegen den Klimawandel. Hier wird nicht nur die Abstimmung mit Verbündeten als zentral angesehen. Ein Blick darauf, welche Staaten den größten Anteil an Treibhausgasemissionen haben, verdeutlicht, dass ohne Kooperation mit China wenig zu erreichen sein wird. Auch in anderen Bereichen sind Lösungen ohne eine Kooperation mit China kaum vorstellbar; dazu zählen Rüstungskontrollabkommen und die Bewältigung der Nuklearkonflikte mit Nordkorea und Iran.

Eine weitere Priorität der "Außenpolitik für die Mittelschicht" ist der Versuch, die sogenannten forever wars zu beenden – die seit den Anschlägen des 11. September 2001 anhaltenden Einsätze des US-Militärs in Afghanistan und im Irak sowie in weiteren Konfliktregionen des Nahen und Mittleren Ostens, die der US-Bevölkerung hohe Opfer abverlangt haben.

Zudem bleibt auch der Kampf gegen den Terrorismus eine Hauptaufgabe. Darüber hinaus legt die Biden-Administration Wert darauf, gemeinsam mit anderen wirtschaftsstarken Nationen armen Ländern bei zentralen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik, der Armutsbekämpfung und bei der wirtschaftlichen Entwicklung unter die Arme zu greifen. Angesichts der anhaltenden Pandemie fällt es nicht schwer, Argumente zu finden, warum globale Gesundheitspolitik und der Kampf gegen Armut im Interesse der US-Mittelschicht liegen. Beide Bereiche erhalten zunehmend auch eine geopolitische Bedeutung: Dort, wo sich die USA und ihre westlichen Verbündeten bei der Impfstoffverteilung und Entwicklungsfinanzierung zögerlich verhalten, füllen China und zum Teil Russland die Lücke.

Die außenpolitische Agenda der USA ist also bereits übervoll, selbst wenn man die Orientierung an der Mittelschicht als neues Ordnungskriterium anlegt. Im Folgenden wird exemplarisch anhand der Bereiche Pandemiebekämpfung, Umgang mit China sowie Klima- und Handelspolitik untersucht, wo US-Interessen liegen und inwieweit sie mit den Interessen und Vorstellungen der Verbündeten, insbesondere mit jenen der EU und Deutschlands, vereinbar sind.

Pandemiebekämpfung

Die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie steht aufgrund der weltweit noch immer steigenden Infektionszahlen und der Ausbreitung hochansteckender Virusvarianten ganz oben auf der außenpolitischen Agenda. Der US-Präsident hat bei Amtsantritt Ende Januar 2021 die Entscheidung seines Vorgängers, aus der Weltgesundheitsorganisation auszutreten, rückgängig gemacht. Im Februar schloss sich Biden bei einem virtuellen Treffen der G7-Staaten der Erklärung an, dass "kein Land sicher ist, solange nicht alle sicher sind" ("no one is safe until everyone is safe"). Die US-Regierung beteiligte sich mit zwei Milliarden US-Dollar (1,7 Milliarden Euro) an der multilateralen Initiative zur Impfung in Entwicklungs- und Schwellenländern, der sogenannten Covid-19 Vaccines Global Access (COVAX) Facility. Biden stellte zudem weitere zwei Milliarden US-Dollar für Impfkampagnen und zusätzliche Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus über die nächsten zwei Jahre in Aussicht. Gleichzeitig drängt die Biden-Administration auf eine Aufklärung des Ursprungs der Pandemie und fordert ihre Verbündeten dazu auf, der chinesischen Regierung gemeinsam klarzumachen, dass sie transparente Untersuchungen über den Ursprung der Pandemie zulassen sollte.

Als Ergänzung der Impfkampagne und der medizinischen Unterstützung könnte die Biden-Administration außerdem flankierende Finanzhilfen aus dem Kreis der wirtschaftlich stärksten Länder fordern. US-Ökonomen und Gesundheitsexpertinnen schlagen eine Initiative zur Entschuldung von armen und von Schwellenländern vor. Der 2020 unter den G7-Staaten vereinbarte Schuldenerlass für die ärmsten Länder wird nicht ausreichen, um das wachsende Überschuldungsproblem in den Griff zu bekommen. Schulden gegenüber privaten Gläubigern wurden nicht einbezogen, und so drohen vor allem Schwellenländer in eine Überschuldungsspirale zu geraten. Neben der entwicklungspolitischen hat diese Frage auch eine geopolitische Bedeutung. Gelingt es den westlichen Demokratien nicht, die durch die Pandemie in die Überschuldung getriebenen Länder finanziell zu entlasten, schickt man sie zunehmend in den Schuldendienst gegenüber China.

China einhegen

Während der Kampf gegen das Corona-Virus das unmittelbar drängendste Problem der Biden-Präsidentschaft ist, bleibt der Umgang mit China die wichtigste außenpolitische Frage. Die USA haben China nicht nur als ökonomischen Wettbewerber, sondern auch als Systemrivalen und mögliche militärische Bedrohung ausgemacht. Von der republikanischen Opposition und auch von den Wählerinnen und Wählern wird die Biden-Administration daran gemessen werden, welche Schritte sie unternimmt, um Chinas wachsender Dominanz in bestimmten wirtschaftlichen Bereichen und seinen politischen Einfluss in Asien und anderen Regionen Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig hat sich die US-Regierung das Ziel gesetzt, auf einigen politischen Feldern mit Peking zu kooperieren. Bidens Klimabeauftragter, der frühere US-Außenminister John Kerry, schlug dazu einen pragmatischen Weg vor: Die US-Regierung solle die Probleme, die nur mit China bewältigt werden können, losgelöst von anderen Fragen wie Menschenrechtsverletzungen verhandeln (compartmentalization).

Dazu müsste die Biden-Administration allerdings das Vertrauen der chinesischen Führung gewinnen. Derzeit gehen von Washington indes gemischte Signale aus: Die Ernennungen erfahrener "China-Falken" wie dem Sicherheitsberater der Regierung Barack Obamas, Kurt Campbell, und dem langjährigen Biden-Berater Ely Ratner in wichtige Positionen im Nationalen Sicherheitsrat und im Verteidigungsministerium legen nahe, dass Biden gegenüber China auf Konfrontation setzt. Ob sich andere Mitglieder in Bidens Mannschaft wie John Kerry mit einer Politik des Mittelwegs zwischen Eindämmung und Entgegenkommen behaupten können, ist unklar. Peking wird sehr genau verfolgen, welche Positionen sich in Bidens Umfeld mit Blick auf China durchsetzen.

Unter Präsident Trump hatten die USA in den sino-amerikanischen Beziehungen eine Kehrtwende vollzogen. Teil dieser Neuausrichtung war die Verknüpfung sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Instrumente. Den nach außen sichtbarsten Teil der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen China markierte die Verhängung hoher Zölle auf Basis der wahrgenommenen "Bedrohung für die nationale Sicherheit" (gemäß Abschnitt 232 des Trade Expansion Acts). Zölle helfen jedoch wenig, um im Wettbewerb um Standards, technologische Führerschaft, finanziellen Einfluss und Infrastrukturinvestitionen zu bestehen. Die Trump-Administration setzte daher auch auf weitere Instrumente: Investitionsbeschränkungen, Exportkontrollen und finanzielle Sanktionen, ganz zu schweigen von Visa-Restriktionen für eine Vielzahl chinesischer Bürgerinnen und Bürger, die an US-Universitäten tätig waren. Tatsächlich gelang es so, Chinas wirtschaftliche und technologische Entwicklung teilweise zu bremsen. An dieser Erkenntnis kommt auch der Teil der Biden-Administration nicht vorbei, der stärker auf Kooperation setzt. Biden wird an den für seine Politik nützlichen Instrumenten festhalten, solange China seine Außenpolitik nicht grundlegend ändert.

Während das von der Trump-Administration propagierte decoupling – die vollständige Entflechtung vom chinesischen Markt – von der Biden-Administration nicht länger explizit angestrebt wird, wird von Verbündeten jedoch weiterhin erwartet, chinesische Unternehmen aus "strategisch relevanten Bereichen" auszuschließen. Für Deutschland und die EU zeichnet sich in der Frage, ob man dem chinesischen Unternehmen Huawei erlaubt, sich am Ausbau der 5G-Mobilfunktechnologie zu beteiligen, keine Entspannung gegenüber den Jahren der Trump-Präsidentschaft ab. Die Biden-Administration steht hier nicht nur vonseiten der Republikaner im Kongress unter Druck, sondern auch vonseiten der Demokraten, die ein härteres Vorgehen gegen China aus strategischen und menschenrechtspolitischen Gründen fordern.

Auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik setzt die Biden-Administration den Kurs der Vorgängerregierung fort. Die Trump-Administration hatte mit der "Free and Open Indo-Pacific Strategy" einen Weg vorgezeichnet, wie Washington gemeinsam mit einer Allianz einzelner Staaten eine Vormachtstellung Chinas im Indischen Ozean und im Pazifikraum verhindern kann. Auch die Biden-Administration definiert in der neuen INSSG die Indopazifik-Politik als eines von zwei zentralen strategischen Standbeinen der US-Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Biden setzt hier auf die Zusammenarbeit mit Verbündeten und strategischen Partnern.

Eine Neuerung gegenüber der Strategie der Trump-Administration zeichnet sich jedoch dahingehend ab, dass Biden die militärische mit einer ökonomischen Partnerschaft verbinden könnte. Damit würde Biden an die Politik Obamas anknüpfen. So hat Biden das jüngste (virtuelle) Treffen der sogenannten Quad-Gruppe – einer informellen Allianz der USA, Indiens, Japans und Australiens – dazu genutzt, eine gemeinsame Initiative zu einer raschen und massenhaften Impfung gegen das Corona-Virus auf den Weg zu bringen. Neben dem sicherheits- und verteidigungspolitischen Nutzen der Quad-Gruppe erhöht sich durch diese Art der "vaccine diplomacy" als Antwort auf Chinas strategischen Impfstoffeinsatz auch der sozioökonomische Nutzen für die Partnerländer.

Klimapolitik

Die Biden-Administration hat angekündigt, die klimapolitische Wende hin zu sauberen Energieformen zu einer zentralen Säule einer um einen Aufschwung bemühten, wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik zu machen. Darüber hinaus hat der Präsident klargestellt, dass er den Kampf gegen den Klimawandel sowohl als Frage des nationalen Wohlstands als auch der internationalen Glaubwürdigkeit ansieht. Am Tag seiner Amtsübernahme sind die Vereinigten Staaten zum Pariser Klimaabkommen zurückgekehrt. Biden hat zwei neue Koordinatoren-Posten geschaffen – einen für die innenpolitische Abstimmung und Umsetzung von klimarelevanten politischen Entscheidungen und einen für außenpolitische Initiativen und Koordinierung mit Partnerländern. Mit der Auswahl von John Kerry als Special Presidential Envoy for Climate auf Kabinettsebene unterstreicht Biden, dass diese Aufgaben hohe Priorität besitzen.

Bereits in seinen ersten Amtstagen hat Biden per Exekutiverlass eine Art "klimapolitisches Screening" in Auftrag gegeben. Zudem hat er den Bau der von Umweltschützern kritisierten Keystone-XL-Pipeline gestoppt und über einen weiteren Exekutiverlass alle Bundesbehörden dazu verpflichtet, umwelt- und klimapolitisch verheerende Entscheidungen der Trump-Administration aufzuarbeiten. Um die eigenen Treibhausgasemissionen zügiger zu senken, hat Biden einen nationalen Klimarat wiederbelebt, der bereits unter der Obama-Administration daran gearbeitet hatte, die "gesellschaftlichen Kosten" pro Tonne ausgestoßener Treibhausgase zu ermitteln. Eine solche Kennziffer könnte die Grundlage dafür bilden, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu besteuern oder Unternehmen, die Einsparungen vornehmen, finanziell zu belohnen.

Für Ende April 2021 hat Biden die Regierungen von 40 Staaten nach Washington eingeladen, um über eine raschere Umsetzung der Pariser Klimaziele zu beraten. Die Biden-Administration wird bis dahin neue nationale Klimamaßnahmen (Nationally Defined Contributions, NDC) vorlegen. Die Einladung ging explizit auch an China und Russland – sie wurde allerdings zu einem Zeitpunkt ausgesprochen, zu dem die US-Regierung beide Staaten offen für Menschenrechtsverletzungen und aggressives außenpolitisches Handeln kritisiert und in Abstimmung mit Verbündeten auch neue Sanktionen gegen sie verhängt hat.

So ist derzeit nicht nur offen, ob die Regierungen Chinas und Russlands der Einladung nach Washington folgen und sich auf die compartmentalization einlassen werden. Die größere Frage lautet: Kann die Klimapolitik eine moderierende Funktion erfüllen? Sollte es zu einer weiteren Konfrontation zwischen den USA und China sowie Russland kommen, wird es auch beim Kampf gegen den Klimawandel kaum vorangehen. Den entstehenden Schaden könnten auch Fortschritte in der transatlantischen Abstimmung nicht aufwiegen. Während die USA und China gemeinsam für rund 40 Prozent der globalen CO2-Emmissionen verantwortlich sind und von ihrer Kooperation ein wichtiger Impuls für die gesamte Weltwirtschaft ausgehen würde, wäre die Wirkung einer verbesserten transatlantischen Klimazusammenarbeit wohl deutlich geringer.

Internationale Handelspolitik

Die USA könnten unter Verbündeten und Partnern viel Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie in der Handelspolitik zu einer kooperativen Politik zurückkehren. Gleichzeitig lastet auf der Biden-Administration innenpolitischer Druck, die US-Unternehmen vor "unfairen" Handels- und Wirtschaftspraktiken anderer Staaten zu schützen, eigene arbeits- und umweltpolitische Standards zu verteidigen und in strategischen Bereichen die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von Importen zu beenden. Nicht alle Ziele werden miteinander vereinbar sein.

Möchte die Biden-Administration die EU zu einer gemeinsamen Positionierung gegen Chinas Regelüberschreitungen bewegen, hätte sie mehrere Möglichkeiten. Erstens könnte sie die von Trump eingeführten Aluminium- und Stahlzölle nach Abschnitt 232 des Trade Expansion Acts zurücknehmen und weitere Zölle – etwa auf Autos – ausschließen. Zweitens könnten die USA gemeinsam mit der EU und anderen Partnern wieder mehr Gewicht auf die Welthandelsorganisation (WTO) legen, um gegen Handelspraktiken Chinas vorzugehen. Dazu bräuchte die US-Handelsbehörde zunächst kein weiteres Mandat des US-Kongresses und könnte unter Einhaltung üblicher Berichtspflichten selbstständig mit den WTO-Mitgliedern verhandeln.

Als ein erstes freundliches Signal an die WTO kann man die Entscheidung werten, der Kandidatur der nunmehr von 164 Staaten einstimmig ernannten neuen WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala das Vertrauen auszusprechen, deren Ernennung die Trump-Administration noch aufgehalten hatte. Nimmt die Biden-Administration die WTO ernst, wird sie auch die US-Blockade bei der Neubenennung von Richterinnen und Richtern für die WTO-Berufungskammer aufheben. Die Blockade hatte seit Dezember 2019 dazu geführt, dass die Streitschlichtung – von vielen als das Herzstück der WTO verstanden – außer Kraft gesetzt war. Noch hält sich die US-Regierung hier allerdings bedeckt. Gleichzeitig mehren sich in den USA aber auch Stimmen, die dafür werben, die WTO-Streitschlichtung dafür zu nutzen, Chinas neo-merkantilistischer Wirtschaftspolitik Grenzen zu setzen. So hat die in WTO-Verfahren erfahrene Juristin Jennifer Hillman der US-Regierung vorgeschlagen, gemeinsam mit anderen Staaten einen großen Fall vor die Streitschlichtungsgremien der WTO zu bringen, um die Vielzahl chinesischer Verstöße gegen einzelne WTO-Regeln darzustellen und zu verhandeln.

Der Abschluss bilateraler oder multiregionaler Abkommen erscheint derzeit hingegen unwahrscheinlich. Zwar könnte die Biden-Administration versuchen, noch vor Ablauf des bis Juli 2021 geltenden Verhandlungsmandats des Kongresses – der Trade Promotion Authority (TPA) – bereits begonnene Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich und Kenia abzuschließen. Für weitere Abkommen wäre aber eine Verlängerung des TPA-Mandats und damit eine 60-Stimmen-Mehrheit im Senat notwendig. Biden und die Führung der Demokraten im Kongress werden genau überlegen, ob sie vor den Zwischenwahlen im Herbst 2022 wertvolles politisches Kapital für Handelsabkommen einsetzen. Mittelfristig sind politische Mehrheiten aber nicht ausgeschlossen, wenn es den Demokraten gelingt, Handelsabkommen mit anderen relevanten Politikfeldern zu verknüpfen. Im transatlantischen Bereich etwa ist eine Verbindung von Handels- und Klimapolitik vorstellbar. Für die Rückkehr zum Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (zunächst TPP, dann CPTPP), aus dem die USA nach Trumps Wahlsieg ausgestiegen sind, spricht nach wie vor, dass es ein geeignetes Instrument sein könnte, um China neben militärischer Präsenz auch in ökonomischer Hinsicht in Asien etwas entgegenzusetzen. Derartige Abkommen ließen sich auch mit einem Nutzen für die US-amerikanische Mittelschicht begründen.

Biden, die EU und Deutschland

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger sieht Präsident Biden klare Vorteile in der Zusammenarbeit mit Verbündeten und strategischen Partnern. Gleichzeitig sollten sich die EU und Deutschland darüber im Klaren sein, dass die Einbeziehung von Verbündeten für die Weltmacht USA zwar wünschenswert, aber nur in wenigen Bereichen eine notwendige Bedingung ist, um eigene Interessen zu verfolgen. Daran ändert das Konzept einer "Außenpolitik für die Mittelschicht" wenig. Wie dargestellt, beansprucht Biden für sein Land die weltpolitische Führungsrolle. Er hat aber gleichzeitig innenpolitisch alle Hände voll zu tun, um die US-Mittelschicht – das Gros der Wählerinnen und Wähler – von seiner Politik zu überzeugen. Innenpolitische und wirtschaftliche Stabilisierung sollen das Fundament für eine gestärkte Position der USA in der Welt bilden. Und dies wird die Biden-Administration mindestens bis zu den nächsten Zwischenwahlen, wahrscheinlich jedoch darüber hinaus beschäftigen.

Die europäische Politik sollte diese Phase nutzen, um eigene sicherheits-, verteidigungs- und wirtschaftspolitische Interessen zu formulieren und Positionen untereinander abzustimmen. Bisher zeichnet sich ab, dass die Biden-Administration – wie erhofft – mit der EU und mit dem Vereinigten Königreich pragmatisch und im Ton weniger konfrontativ als in den vier Jahren zuvor zusammenarbeiten wird. In Washington ist aber auch bekannt, bei welchen politischen Projekten die Europäer und die EU selbst gespalten und daher wenig durchsetzungsfähig sind. Ein Paradebeispiel dafür ist der Bau der Gaspipeline Nordstream 2, bei dem die Bundesregierung gegenüber Washington isoliert dasteht und in der Frage der Sanktionen, die die Inbetriebnahme der Pipeline wohl verhindern werden, nicht mit Rückendeckung anderer Länder rechnen kann.

In anderen Bereichen – etwa in der Klimapolitik – könnte der Interessenausgleich zwischen der EU und den USA aus deutscher Sicht erfolgreicher ablaufen. Hier ist die EU schon recht weit in ihrem internen Abstimmungsprozess und setzt mit dem sogenannten CO2-Grenzausgleich ("Carbon Border Adjustment Mechanism") gerade einen eigenen Standard zur Dekarbonisierung, dem die Biden-Administration interessiert bis wohlwollend gegenübersteht. Hier wird es darauf ankommen, dass die EU das Perfekte – die baldige Umsetzung ihres eigenen Standards – nicht zum Feind des Guten werden lässt. Von einem abgestimmten transatlantischen Ansatz zum Abbau von Treibhausgasen hätten beide Seiten mehr Vorteile.

Ein weiterer Bereich, der im gemeinsamen Interesse der EU und der USA liegt, ist die Zusammenarbeit in der Handelspolitik. Mit dem Führungswechsel in Washington verbessern sich die Aussichten darauf, dass die WTO als Ort für multilaterale Verhandlungen und Streitschlichtung wiederbelebt wird. Die EU besteht zurecht darauf, dass die Biden-Administration die US-Blockade der WTO-Streitschlichtung aufhebt. Gleichzeitig hat Brüssel diese Forderung an Washington aber nicht zu einer conditio sine qua non für Verhandlungen über notwendige WTO-Reformen in anderen Bereichen gemacht, in denen sich EU- und US-Interessen überschneiden. Für die transatlantische Zusammenarbeit wird es darauf ankommen, weitere Bereiche zu identifizieren, in denen sich US- und EU-Interessen überlappen und die EU eigene Kapazitäten vorweisen kann sowie mit einer Stimme spricht. Verloren gegangenes Vertrauen ließe sich so wohl am besten wiederherstellen – sowohl in den Regierungszentralen beiderseits des Atlantiks als auch in der US-Mittelschicht. Dies wäre die Voraussetzung dafür, dass die USA dauerhaft wieder die Führungsrolle auf der multilateralen Bühne übernehmen.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und leitet die Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. E-Mail Link: laura.daniels@swp-berlin.org