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Denkmalsturz und Denkmalschutz Positionen der Denkmalpflege zum Umgang mit Denkmälern des Kolonialismus

Johanna Blokker

/ 18 Minuten zu lesen

In den vergangenen Jahren sind Denkmäler zu einem ungewohnt heiß umstrittenen Thema im öffentlichen Diskurs geworden. Ob Standbilder von kolonialen Herrschern oder Konföderierten-Generälen stehen oder fallen sollten, ob Straßen und Bauten mit den Namen von Sklavenbesitzern oder -händlern umgetauft werden müssten, wird in den Medien, in der Politik und in der Wissenschaft debattiert, und dies international. Das Thema ist nicht neu, aber mit dem Mord an George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis und der gewaltigen Welle an öffentlichem Protest, die er im Sommer 2020 unter dem Banner der Black-Lives-Matter-Bewegung über die ganze Welt auslöste, stellt sich die Frage nach dem Platz von Denkmälern in unseren Städten und unserer Gesellschaft mit großer Dringlichkeit.

In der Vielstimmigkeit der öffentlichen Diskussion des vergangenen Jahres, zwischen all den Meinungsäußerungen und Stellungnahmen von AktivistInnen, ExpertInnen und MeinungsbildnerInnen, die geäußert, gedruckt und gesendet wurden, wird allerdings die Perspektive ausgerechnet derjenigen in der Gesellschaft, deren primäre Aufgabe und tägliches Geschäft die Auseinandersetzung und den Umgang mit Denkmälern darstellt – nämlich die DenkmalwissenschaftlerInnen und DenkmalpflegerInnen –, eher selten gefragt oder gehört. Doch ist diese Perspektive für die Kernfragen der aktuellen Debatte höchst relevant. Denn bei den Denkmalwissenschaften geht es nicht allein, wie viele vielleicht vermuten, um "technische Praktiken der Konservierung und Prozesse der Verwaltung des kulturellen Erbes", das heißt um die Erhaltung der materiellen Substanz historischer Objekte wie etwa Standbilder, wobei auch dies ein wichtiges Anliegen des Faches ist. Vielmehr geht es, in den Worten des britischen Heritage-Forschers Rodney Harrison, darum, "das Wesen des Kulturerbes kritisch zu diskutieren und die Gründe zu untersuchen, warum wir bestimmte Objekte, Orte und Praktiken für (…) schutz- und erhaltenswürdig halten". DenkmalwissenschaftlerInnen fragen nach den Funktionen und Wirkungen von historischen Objekten in der Gesellschaft und nach den Prozessen des Erinnerns und Vergessens, des Aneignens und Ablehnens, die sie manifestieren und fördern. Oder mit anderen Worten: Denkmäler sind "sichtbar gemachte Werte". Und natürlich sind es Werte, die im Mittelpunkt der aktuellen Debatten über Rassismus und Diskriminierung in vielen Ländern der Welt stehen, und weil Denkmäler für Werte stehen, sind sie zu Kristallisationspunkten dieser Debatten geworden.

Mit diesem Beitrag möchte ich die Gelegenheit nutzen, die besondere Perspektive der Denkmalwissenschaften in die aktuelle Diskussion über den Umgang mit Denkmälern für Persönlichkeiten der Kolonialzeit und VertreterInnen des Kolonialismus einzubringen. Dazu werde ich einige theoretische Grundsätze der Denkmalpflege einführen und auf dieser Basis verschiedene aktuell kursierende Vorschläge und Forderungen für den Umgang kritisch prüfen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf Beispiele aus Deutschland, Großbritannien und den USA und greife auf die Forschungen und Erkenntnisse von FachkollegInnen aus diesen Ländern zurück. Es wird kaum überraschen, dass es Konsens innerhalb des Faches ist, Denkmäler zu bewahren und die Beschädigung, Zerstörung oder Beseitigung dieser Objekte abzulehnen. Dies gleich zu Beginn zu verraten, nimmt allerdings nichts von der Pointe des Beitrags vorweg, denn die Denkmalpflege bewahrt keineswegs nur um des Bewahrens willen. Ganz im Gegenteil steht die Entscheidung für die Bewahrung eines Objektes am Ende eines sorgfältig reflektierten Denkprozesses, dessen theoretische Grundlagen – so meine Überzeugung – auch die allgemeine gesellschaftliche Debatte um Denkmäler produktiv vorwärtsbringen kann.

Gewollte und gewordene Denkmäler

Im Folgenden wird ausschließlich von sogenannten gewollten Denkmälern die Rede sein. Der Begriff wurde 1903 vom österreichischen Kunsthistoriker und frühen Denkmaltheoretiker Alois Riegl geprägt und bezeichnet "ein Werk von Menschenhand, errichtet zu dem bestimmten Zweck, um einzelne menschliche Taten oder Geschicke (oder Komplexe mehrerer solcher) im Bewußtsein der nachlebenden Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu erhalten. Es kann entweder ein Kunstdenkmal oder ein Schriftdenkmal sein, je nachdem es das zu verewigende Ereignis mit den bloßen Ausdruckmitteln der bildenden Kunst oder unter Zuhilfenahme einer Inschrift dem Beschauer zur Kenntnis bringt."

In dieser inzwischen über hundert Jahre alten Definition sind die Objekte problemlos wiederzuerkennen, um die es in der aktuellen Debatte hauptsächlich geht: die Standbilder, die historische Figuren darstellen und feiern; die Obelisken, Skulpturen, Gedenksteine und Tafeln, die sie ehren und die Erinnerung an sie wachhalten; die Benennungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden, die ihre Namen und Taten in die Struktur und den Stoff des öffentlichen Raums einschreiben und als Vorbild präsentieren.

Nicht behandelt werden hingegen die sogenannten gewordenen Denkmäler, die große Kategorie der Objekte, denen erst im Laufe der Zeit und aufgrund ihrer künstlerischen Qualität, ihrer historischen Zeugniskraft, ihres hohen Alters oder ihrer Seltenheit ein besonderer Wert zugeschrieben wird. Dabei wird anerkannt, dass auch gewordene Denkmäler koloniale Strukturen manifestieren, tradieren und "verewigen" können, wie etwa die Historikerin Mirjam Brusius mit Bezug auf Bristol, wo 2020 das Standbild des Sklavenhändlers Edward Colston durch Protestierende gestürzt wurde, festhält: "Viele Städte realisieren jetzt eben, dass ihr Reichtum", – und damit eigentlich ihr gesamtes architektonisches und städtebauliches Gefüge – "wie der von Bristol auf einem System der Ausbeutung basiert".

Bei beiden Denkmalkategorien, den gewollten und den gewordenen Denkmälern, geht es um Objekte und Orte, "die in der Gegenwart eine gewisse Bedeutung haben und sich auf die Vergangenheit beziehen", wie Harrison erklärt. Bereits hier kommen wir mit einem ersten fundamentalen Punkt der Denkmaltheorie in Berührung: Als kulturelle Erscheinung ist das Denkmal immer gegenwartsbezogen, es ist present-centered. Das heißt, es geht um bauliche oder andere materielle Artefakte aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart und für die Gegenwart Bedeutung haben. Aus dieser ersten Erkenntnis folgt unmittelbar eine zweite: Die Bedeutung oder der "Wert" eines Denkmals wohnt dem Denkmal nicht inne, sondern wird ihm vom jeweiligen Betrachter oder der jeweiligen Nutzerin entsprechend seinen eigenen Überzeugungen, Ansprüchen und Bedürfnissen zugeschrieben. So lässt sich mit der Kulturanthropologin Regina Bendix konstatieren: "Kulturerbe ist nicht, es wird." Beide Punkte führen schließlich zu dem Schluss, dass ein Denkmal weniger ein Ding als eine von Menschen ausgeübte Praxis ist, nämlich die Praxis der Inwertsetzung, der Zuschreibung von Wert und Bedeutung. Folglich ist es auch ein dynamisches Phänomen, das sich stets mit der wechselnden und sich entwickelnden Perspektive der BetrachterInnen in der Gegenwart ändert.

Bekanntlich sind die Mitglieder einer Gesellschaft sich nicht immer darüber einig, was ihnen wichtig oder wertvoll ist. Deswegen spricht man in der Denkmaltheorie von Inwertsetzung als gesellschaftlichem Aushandlungsprozess: Unter den Mitgliedern muss ausgehandelt werden, welche ihre gemeinsame Werte sind und was genau – sprich welche Objekte und Orte – auf welche Art und Weise für diese Werte stehen sollte. Solche Aushandlungsprozesse können durchaus mit Friktion und sogar Konflikt verbunden sein, insofern sind sie als politische Prozesse zu verstehen. Und genau wie in der Politik sind nicht alle Teilnehmer am Diskurs gleich gut aufgestellt. Manche sind aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft, aufgrund ihres finanziellen oder kulturellen Kapitals besser in der Lage, sich beim Bestimmen von gemeinsamen Werten und im Ringen um die Deutungshoheit über Denkmäler durchzusetzen. Anders gesagt, geht es auch hier um Machtverhältnisse. Harrison fasst zusammen: "Das kulturelle Erbe (…) ist ein dynamischer Prozess, bei dem es um Konkurrenz darüber geht, wessen Version der Vergangenheit (…) in der Gegenwart offiziell vertreten wird." Wessen Werte ein Denkmal zum Ausdruck bringen soll, wer durch dieses Medium spricht und mit welchem Recht, welcher Absicht und welcher Botschaft, sind also Fragen, die im Zentrum der denkmalwissenschaftlichen Forschung stehen.

Dass Denkmäler ein besonders starkes Konfliktpotenzial bergen, ja sogar den Anlass für Gewalt sein können, erklärt sich vor allem durch ihre legitimierende Wirkung, durch die Wahrnehmung der "moralische[n] und gesetzliche[n] Rechte, die sich aus der von ihnen behaupteten Version der Vergangenheit ergeben". Denn diese Objekte spiegeln Wertesysteme und Machtverhältnisse nicht nur wider, sondern können sie auch reproduzieren, verfestigen, normalisieren, naturalisieren, selbstverständlich machen – manchmal so selbstverständlich, dass die gegenwärtigen Praktiken und Politiken, die dahinterstehen, unsichtbar werden. Dies ist es, was im berühmten Aufsatz zu "Denkmale" des Schriftstellers Robert Musil auf besonders subtiler Weise Ausdruck findet: "Das Auffallendste an Denkmälern", schreibt er 1932, "ist daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler." Als Erklärung dafür bietet er folgende Beobachtung an: "Alles, was die Wände unseres Lebens bildet, sozusagen die Kulisse unseres Bewußtseins, verliert die Fähigkeit, in diesem Bewußtsein eine Rolle zu spielen." Die Feststellung erscheint vielleicht banal, in ihr verbirgt sich aber eine tiefere Wahrheit, die durchaus folgenreich ist. Von dieser "Kulisse unseres Bewußtseins", von ihren Konturen und Grenzen wird alles un- oder unterbewusst geformt, geprägt und gesteuert, was sich in unserem Bewusstsein abspielt, sprich unsere Denk- und Verhaltensmuster. Und das ist ein Problem: Die Werte, die einem Denkmal zugeschrieben werden, werden wiederum durch die Wirkung des Denkmals – durch seine naturalisierte und naturalisierende, seine legitimierte und legitimierende Wirkung – systemimmanent und strukturell.

Wenn Denkmäler sichtbar werden

Das alles kann Jahrzehnte, gar Jahrhunderte so bleiben, bis etwas passiert, das den herrschenden Konsens und das etablierte Wertesystem – die Selbstverständlichkeiten – infrage stellt und das Denkmal wieder sichtbar macht – wie jetzt. Die unmittelbaren Auslöser dieser Entwicklung sind verschiedene. In den USA rückten bereits vor dem Mord an George Floyd der Anschlag eines Neonazis auf antirassistische Demonstrierende in Charlottesville 2017 und das Massaker an neun Besuchern eines Gottesdienstes in einer afroamerikanischen Gemeinde in Charleston 2017 die Denkmäler und Symbole der Konföderierten in diesen und anderen Orten ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. In Großbritannien hingegen reichen die Bemühungen von Gruppen wie Countering Colston, eine breitere Diskussion um das Standbild des Sklavenhändlers zu fördern und öffentliches Interesse für die Entwicklung einer Strategie für den Umgang mit diesem Denkmal zu erwecken, bis in die 1990er Jahre zurück. Eine ähnlich lange Geschichte haben die Bestrebungen von AktivistInnen in Berlin, Straßennahmen im sogenannten Afrikanischen Viertel vom Berliner Senat und der Stadtverwaltung ändern zu lassen. Dass all diese Denkmäler, die bisher für nur bestimmte Gruppen in der Gesellschaft "sichtbar" waren, auf einmal im Bewusstsein und der Wahrnehmung aller präsent sind, macht deutlich, dass wir an einem Wendepunkt angekommen sind.

Die Erklärung dafür, warum dieser Punkt ausgerechnet jetzt und nicht früher erreicht worden ist, wird die Wissenschaft noch jahrelang beschäftigen. Eindeutig ist, dass Denkmäler wie die Colston-Statue in Bristol oder die Figur des Konföderierten-Generals Robert E. Lee, die im Fokus der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Charleston stand, als Symbole und Manifestationen eines nicht mehr selbstverständlichen Wertesystems verstanden werden und aus genau diesem Grund zu Objekten des Streits geworden sind. Gerade dieses Umstritten-Sein macht noch mal die wesentliche Funktion des Denkmals in der Gesellschaft deutlich, nämlich als Medium für das Führen von Diskursen über Werte, als Orte, wo Menschen im wortwörtlichen Sinne zusammenkommen können, um an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen teilzunehmen. So gesehen sollten sie also vielleicht doch nicht ohne Weiteres zerstört oder entfernt werden, sondern stehen bleiben und bewahrt werden. Und dies nicht etwa deswegen, weil, wie Musil schreibt, man so eine persona non grata "gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals ins Meer des Vergessens [stürzen] kann" (ein Bild, das stark, wenn auch nur zufällig an die Behandlung der Colston-Statue durch Demonstrierende im Sommer 2020 erinnert). Im Gegenteil: Ein Denkmal sollte stehen bleiben, weil es erst recht durch die Beseitigung unsichtbar wird und auch nicht nach dem Verebben des "Meeres des Vergessens" wieder zum Vorschein kommen kann.

Dies kann keiner der Konfliktparteien wirklich zum Vorteil gereichen. GegnerInnen der Beseitigung von Denkmälern wollen Denkmäler stehen lassen, aus Angst vor der "Ausradierung" oder "Umschreibung unserer Geschichte" sowie der "Zerstörung unseres kulturellen Erbes". Diese Logik ist falsch: Das Geschehene kann man nicht ungeschehen machen, vergessen machen lässt es sich mit derart einfachen Mitteln auch nicht. Geschichte umschreiben hingegen kann man und sollte man auch: Geschichtsschreibung ist stets in Bewegung, Geschichte wird stets überarbeitet und neu ausgelegt. Dieses Argument bringt Brusius mit Bezug auf den Colston-Streit auf den Punkt: "Selbstverständlich wollen wir Geschichte neu schreiben, das bringt ja der Beruf quasi so mit sich, dass man immer wieder versucht, Lücken zu schließen." Dies ist es auch, was die BefürworterInnen einer Beseitigung fordern, nämlich Ergänzung und Vervollständigung unseres Bildes von der Vergangenheit, das von Denkmälern, wie sie jetzt noch stehen, nur teilweise, sehr voreingenommen und oft schlichtweg falsch dargestellt wird. Weit davon entfernt, das kulturelle Erbe zerstören zu wollen, arbeiten sie also daran, die Voraussetzungen für die Entstehung eines Erbes an diesen Stätten zu schaffen, und das zum ersten Mal. Denn zumindest die Konföderierten-Denkmäler waren noch nie "unser kulturelles Erbe", sie waren nie Produkt eines Aushandlungsprozesses unter den Mitgliedern der Gesellschaft, sondern gezielte Propaganda von Interessensgruppen. Viele WissenschaftlerInnen haben darauf hingewiesen: "Der Zweck ihrer Aufstellung bestand darin, die afroamerikanische Bevölkerung einzuschüchtern und (…) das Ende der Rassentrennung zu verhindern". In der Tat gab es zwei historische Momente, in denen die Aufstellung solcher Denkmäler und anderer Symbole besondere Höhepunkte erreichte: in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die sogenannten Jim-Crow-Gesetze erlassen wurden, auf der die "Rassentrennung" beruhte, und in den 1950er und 1960er Jahre, als die Bürgerrechtsbewegung erste Etappensiege feiern konnte. In diesem Sinne veranschaulichen diese Standbilder, Gedenktafeln und Ähnliches in besonders markanter Weise, was Riegl über gewollte und gewordene Denkmäler festhielt: "[I]m ersteren Falle wird uns der Erinnerungswert von anderen (den einstigen Urhebern) oktroyiert, im letzteren wird er durch uns selbst bestimmt".

Aus diesem Grund möchte ich den BefürworterInnen einer Beseitigung dringend empfehlen, ihre Position zu überdenken. Hier besteht die Chance, ein echtes Erbe im modernen Sinne entstehen zu lassen, ein Erbe, das seine unentbehrliche gesellschaftliche Funktion erfüllen und eine anhaltende Wirkung entfalten kann. Denn wenn es stimmt, dass "es mehr als der Entfernung eines Standbilds bedarf, um Whiteness aus seiner Herrschaftsposition zu rücken", so stimmt auch: "Wenn du an den Standbildern rüttelst, geraten auch die Strukturen ins Wanken". Gerade als Griffflächen für ein solches Rütteln sind Denkmäler gut – vorausgesetzt, sie sind noch da.

Einen Streit wert

Damit sind wir bei dem wichtigsten denkmaltheoretischen Punkt, den ich hier in die Diskussion einführen möchte: Zu den wesentlichen Werten eines Denkmals für die Gesellschaft gehört neben seinem künstlerischen und historischen Wert auch sein sogenannter Streitwert. Der Begriff des Streitwerts wurde gegen Ende der 2000er Jahre von der Denkmalwissenschaftlerin Gabi Dolff-Bonekämper geprägt und hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Dolff-Bonekämper schreibt 2010: "Ein umstrittenes Denkmal – also ein des Streitens wertes Denkmal" könne wichtig sein, und dies "nicht obwohl, sondern gerade weil es Streit auf sich zieht" – sprich weil es dynamische Prozesse der Aushandlung von Werten und aktive Auseinandersetzungen mit der Bedeutung der Vergangenheit in der Gegenwart fordere und fördere.

"Streit durchzieht alle gesellschaftlichen Inwertsetzungs-Vorgänge. (…) Denn über jeden Wert kann gestritten werden. (…) Das Streiten, das offenbar jeder Denkmalwerdung inhärent ist, sehe ich (…) als kulturell produktive, in der Sache wie in der Gesellschaft weiterführende Tätigkeit." Wenn der Wert und die Bedeutung des Denkmals niemals endgültig feststehe, sondern sich mit der Zeit und der Perspektive des Betrachters kontinuierlich ändere, "kann auch das Streiten über das Denkmal immer wieder neu erforderlich sein. Gewissheiten können erschüttert werden, die neuerliche Betrachtung des Denkmals kann ganz andere Schlüsse und Erklärungen erbringen. Vorausgesetzt, es ist noch da. Die Unabschließbarkeit der Deutungsvorgänge macht also die Denkmalsubstanz umso wertvoller, denn sie enthält Antworten auf Fragen, die bislang noch keiner gestellt hat."

Auf die Frage des heutigen Umgangs mit den umstrittenen Denkmälern des Kolonialismus übertragen, heißt dies, diese Objekte zu bewahren und intakt zu halten, sowohl in ihrer materiellen Beschaffenheit als auch in ihren räumlichen Zusammenhängen. Denn letztendlich sei das, was "den Denkmalen tatsächlich eigen ist", allein "ihre Form, ihre Substanz und ihr Ort in Raum und Zeit"; sämtliche andere ihrer Qualitäten entstehen und bestehen ausschließlich in den Köpfen der Menschen. Aus diesem Grund, fasst Dolff-Bonekämper zusammen, "haben wir Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen (…) zwar eine kritische Beziehung zur Bedeutung der Denkmale, aber ein affirmatives Verhältnis zu ihrer Substanz".

Dies bedeutet natürlich nicht, dass Statuen und Straßennamen, die den Gedanken des Kolonialismus verherrlichen und Strukturen der Diskriminierung reproduzieren, einfach so belassen werden sollten, wie sie sind. Vielmehr müssen sie in ihren historischen Kontext eingeordnet werden. Ihre Geschichte muss vervollständigt und nuanciert werden, dieses Wissen aktiv vermittelt und die Bedeutung der kolonialen Vergangenheit für uns in der Gegenwart gemeinsam diskutiert werden. Gerade hier kann die Denkmalwissenschaft als Geschichts- und Kulturwissenschaft eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus kann sie als gestaltendes Fach zur Entwicklung von Vermittlungs- und Präsentationsstrategien beitragen, die auf kreative Art und Weise die "oktroyierten" Botschaften von "gewollten Denkmälern" infrage stellen, ohne sie zu beschädigen oder zu zerstören und ohne ihre historische Zeugniskraft zu beeinträchtigen oder dem freien Spiel gegenwärtiger und zukünftiger Deutungsvorgänge Grenzen zu setzen.

Kontextualisierung und künstlerische Aufarbeitung sind es übrigens auch, wofür die meisten Aktivistengruppen, die koloniale Denkmäler als Fokus und Ausgangspunkt für ihren politischen Protest nehmen, sich einsetzen – neben Countering Colston in Großbritannien zum Beispiel auch Decolonize Berlin in der deutschen Hauptstadt. Letztere wurde 2019 zur Koordinierungsstelle für die Entwicklung des "gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzepts zur Geschichte und den Folgen des Kolonialismus in Berlin" benannt, das im August jenes Jahres vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen wurde und bis Ende 2021 vorgelegt werden soll. Im bereits veröffentlichten Zwischenbericht der Koordinierungsstelle wird die "Begleitende Kommentierung von Denkmälern und Orten mit kolonialem Bezug" nachdrücklich empfohlen, Beseitigungen oder substanzielle Änderungen an diesen Objekten hingegen werden nicht gefordert. In ihrer Auffassungen zum Umgang mit ihnen liegen also AktivistInnen und DenkmalpflegerInnen oft bereits nah beieinander.

Für die Ausarbeitung von "profunde[n], wissenschaftlich erarbeitete[n], abgestimmte[n] und ausgewogene[n]" Erläuterungen von Denkmälern allerdings, wie vom Denkmalamt in Bremen für die Bismarck-Statue in jener Stadt empfohlen wird, dürfte manchen DiskursteilnehmerInnen das Durchhaltevermögen fehlen. Denn die notwendigen politischen Aushandlungsprozesse sind oft sehr langsam, zäh und träge – und dies nicht zuletzt deswegen, weil sich viele umstrittene historische Persönlichkeiten bei genauerer Betrachtung als ambivalente Figuren zeigen: Neben Bismarck, Colston oder Cecil Rhodes stehen inzwischen auch Thomas Jefferson, George Washington, Winston Churchill und viele andere wegen rassistischer Einstellungen in der Kritik. Auch hier sind DenkmalwissenschaftlerInnen gefragt, und zwar "als Konsens oder zumindest Kommunikation organisierende Moderatoren" mit viel Erfahrung sowohl beim Treffen von schwierigen Entscheidungen – man kann nicht alles bewahren – als auch im Umgang mit Komplexität, Widerspruch und unbequemen historischen Wahrheiten. "Es ist möglich, die Beiträge von Menschen zu würdigen und gleichzeitig ihre Schwächen anzuerkennen", meint die Historikerin Annette Gordon-Reed. Auf die Frage "Wo hört es auf?" müssen wir gemeinsam Antworten finden, und dies im offenen Dialog sowie auf Basis von vollständigem Wissen um die historischen Umstände. Dies wiederum könnte zu einer Aufweichung der derzeit oft kompromisslosen Haltungen im Streit um das Erbe des Kolonialismus und zu mehr Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis führen.

Der Erfolg solcher Aushandlungs- und Annäherungsprozesse setzt indes voraus, dass im Ringen um die Deutungshoheit gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen und alle Teilnehmer in gutem Glauben handeln. Leider ist dies nicht immer der Fall: Allzu oft sind Machtverhältnisse weiterhin durch eine Schieflage zugunsten politisch einflussreicher Interessengruppen charakterisiert. Vielfach haben die Kräfte, die den Status quo aufrechterhalten, wenig mit Demokratie zu tun. Es handelt sich eher um Machtausübung durch das Establishment, das sich dazu auch der Instrumente seiner Macht, das heißt der Gesetze – inklusive Denkmalschutzgesetze – bedient, um das öffentliche Infragestellen von kolonialen Denkmälern zu verhindern. Mit Dolff-Bonekämper möchte ich argumentieren: Es ist und darf nicht der Sinn dieser Gesetze sein – zumindest nicht in modernen Demokratien – die Machtposition von einzelnen Gruppen in der Gesellschaft zu sichern. Vielmehr geht es darum, der ständigen Reflektion, der Weiterentwicklung und wo nötig der Neuauslegung und Anpassung des Denkmalbegriffs einen geordneten Rahmen zu geben. Insofern müssen die Angriffe auf koloniale Denkmäler und die zerstörerischen Interventionen mancher AktivistInnen-Gruppen vor allem als Ausdruck der Frustration über das Versagen von demokratischen Prozessen verstanden werden, und nicht etwa als Beispiele für gelebte Direktdemokratie.

Zusammenfassung

Aus Sicht der Denkmalwissenschaften sind historische Kontextualisierung und zerstörungsfreie künstlerische Aufarbeitung für den Umgang mit Denkmälern des Kolonialismus die Optionen erster Wahl. Am besten soll dies auch an Ort und Stelle erfolgen, das heißt nur in Ausnahmefällen im Skulpturenpark oder im Museum. Zwar bieten museale Einrichtungen ideale Bedingungen für die Vermittlung von Kultur und Geschichte, wie die Denkmalpflegerin und Architekturhistorikerin Daniela Spiegel zu Recht betont, stellen aber letztendlich geschlossene Räume dar, in denen Diskussionen über koloniales Erbe nicht mehr in der Öffentlichkeit geführt werden. Mit einer Überführung ins Museum wird ein Denkmal zudem endgültig aus seinem Kontext entfernt, und ein Teil der Zeugnis- und Aussagekraft des Denkmals geht verloren, was kaum mehr durch kontextualisierende Texte kompensiert werden kann. Es sei der öffentliche Raum als integrales Ganzes, der das größte Potenzial biete, "um am vorherrschenden Geschichtsbewusstsein zu rütteln und Denkanstöße für Dekolonisierungsprozesse zu geben", argumentiert die Historikerin Bebero Lehmann im Zwischenbericht der Koordinierungsstelle für das Gesamtstädtische Aufarbeitungskonzept der kolonialen Vergangenheit Berlins. In einer durch Kolonialismus geprägten und von diesem Erbe durchdrungenen Stadt wie Bristol zum Beispiel sollten Denkmäler als Orientierungspunkte in einer breiteren urbanen Topografie von aktiver Erinnerungsarbeit fungieren. Vor allem wird es wichtig sein, Kolonialismus nicht als museales, sprich rein historisches Phänomen zu präsentieren – als etwas, das der Vergangenheit bereits angehört –, sondern als gegenwärtige und auch in den Räumen des täglichen Lebens zu erlebende Realität. "Es gibt viele Möglichkeiten, unserer Geschichte zu gedenken, ohne diejenigen zu verherrlichen, die auf der falschen Seite der Geschichte standen", schreibt der "dezeen"-Redakteur und gebürtige Bristoler Tom Ravenscroft. Ebenso können und sollten unsere Antworten auf die Frage nach dem angemessenen Umgang mit kolonialen Denkmälern vielfältig und heterogen sein. Viele können in Museen überführt werden, andere mit Begleittexten versehen und wieder andere zu Stätten künstlerischer Interpretation gemacht werden. Auch dies ist übrigens ein Kernprinzip der Denkmalwissenschaft: Es darf keine Pauschalregeln geben, man entscheidet von Fall zu Fall. Vor allem sollte keine Lösung als endgültig betrachtet werden, die Aushandlungsprozesse müssen dynamisch, die Deutungsvorgänge unabgeschlossen bleiben. Nur so können wir garantieren, dass das Erbe der Vergangenheit weiterhin als nützliche und konstruktive Kraft zur positiven gesellschaftlichen Veränderung fungieren kann – in dem Bewusstsein, dass Veränderungen immer notwendig und Verbesserungen immer möglich sein werden.

studierte Kunst- und Architekturgeschichte in Montreal, Toronto und New York und hat den Lehrstuhl Denkmalpflege an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus inne.
E-Mail Link: johanna.blokker@b-tu.de