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Meinung: Lügen als Demokratieproblem

Prof. Rolf Schwartmann

/ 4 Minuten zu lesen

Wenn sich gezielte Falschmeldungen auf Wählerstimmen auswirken, können sie für die Demokratie gefährlich werden.

Falschmeldungen verbreiten sich oft über Social Media Kanäle wie Twitter. (CC, von WDNet Studio) Lizenz: cc by/2.0/de

Den besten Freund von Donald Trumps Schwiegersohn kenne ich aus einem USA-Urlaub. Jetzt ist sein Freund, der Schwiegersohn, der engste Berater des Präsidenten und mein Freund der engste Berater des Schwiegersohns. Damit bin ich in Sachen Medien in Deutschland der engste Berater des Freundes von Donald Trumps Schwiegersohn. Um drei Ecken gedacht, heißt das: Ich bin Donald Trumps Medienberater für Deutschland. Klar, dass er mich manchmal anruft, um Medienfragen zu erörtern. Manchmal ruft er mich an, wenn ich im Restaurant bin. Dann erscheinen sein Foto und sein Name mit dem üblichen iPhone Klingelton auf meinem Smartphone. Ich muss das Gespräch nach ein paar Minuten abbrechen. Schließlich will ich nicht unhöflich zu den Anderen am Tisch sein. Denen erzähle ich dann die Geschichte vom Freund des Schwiegersohns ausführlich.

Wann sind Lügen für die Demokratie gefährlich?

Die Story ist fake und sie ist ungefährlich. Sie taugt bestenfalls zum Aufschneiden. Aber echt an ihr ist nicht nur die Lüge, sondern auch das Bild des Trump-Anrufs. So ein Video kann mit einem Bild von Trump jeder erstellen. Die Welt ist seit jeher voll von Lügengeschichten wie diesen und das Netz macht es heute jedem einfach, sie zu verbreiten. Es sind jedoch nicht solche Lügengeschichten, die uns im Wahljahr Sorgen machen. Vielleicht würden manche behaupten, nicht eingehaltene Wahlversprechen seien auch Fake-News. Es gibt jedoch einen erheblichen Unterschied: Ein Wahlversprechen gibt man, um es zu halten, auch wenn man dabei scheitert. Auch Fehler bei der Recherche von Journalisten, die so genannten Zeitungsenten, sind menschlich, verkraftbar und nicht neu. Jeder Journalist korrigiert sie, sobald er sie bemerkt.

Gefährlich werden Falschmeldungen dann, wenn sie die Meinung von Menschen mit Lügen beeinflussen wollen. Die sollen ja gerade nicht korrigiert werden, sondern bewusst verzerren. Während des US-Wahlkampfs z.B. wurde ein Drehbuch aus wahren und falschen Fakten geschrieben, um gezielt der demokratischen Kandidatin zu schaden. In der "Pizza-Affäre" (Pizzagate) um Hillary Clinton ging es monatelang um deren erfundene Verwicklung in einen Kinderpornoring. Auch wenn Forscher in den USA den Einfluss solcher Geschichten auf das Wahlergebnis in Abrede stellen, kann man keinesfalls sicher sein, dass sie das Wahlergebnis nicht beeinflussen. Hierzulande hat die Fake-Meldung "Bettina Wulff ist eine Prostituierte" jedenfalls schon einmal das Amt des Bundespräsidenten beschädigt. Auch der Bundeswahlleiter Dieter Sarreither warnte zu Recht vor Fake-News, weil sie der Wahlentscheidung am Ende ihre Rechtmäßigkeit entziehen können. Damit ist die Demokratie in Gefahr.


Der Gefährdung der Demokratie entgegenwirken

Gezielte Fehlinformationen können auch von staatlicher Seite kommen. Das erleben wir gerade in den USA. Dort wurden offenkundige staatliche Fehlinformationen kurz nach der Amtseinführung von Donald Trump schlicht in "alternative Fakten" umbenannt. Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, lieferte kurz nach der Amtseinführung die "alternative Fakten" zu den spärlichen Besucherzahlen bei der Vereidigung des Präsidenten. Wenn gesichert ist, dass die Luftbildaufnahme über den öffentlichen Zulauf zur Amtseinführung wirklich vom Zeitpunkt des laufenden Ereignisses stammt, dann ist das so plump, dass man darüber lachen muss. Wir leben nicht in den USA, sondern in einer Republik, in der der Staat keine Lügen verbreitet. Im Gegenteil: Man versucht die Demokratie vor Falschmeldungen zu schützen. Das ist schwer, weil gut gemachte Lügengeschichten oft nur schwer von Wahrheiten zu unterscheiden sind. Der Staat muss nun handeln, um den freien Meinungsbildungsprozess im Netz zu schützen. Dabei muss er behutsam vorgehen, um ihn nicht zu ersticken. Die Politik diskutiert aktuell Maßnahmen gegenüber den Betreibern sozialer Medien. Sie reichen von Herkunftsangaben für Nachrichten bis zu einem neuen Rechtsrahmen für Facebook & Co, wie sie auch für etablierte Medien gelten.

Die Meinungsfreiheit jedenfalls gilt auch für Blogger und Plattformen nur in den Grenzen der Verfassung, auch wenn es für sie keine internen Prüfgremien gibt, wie den Presserat, Rundfunkräte oder Landesmedienanstalten. Vor Beleidigungen und rechtswidrigen falschen Tatsachenbehauptungen muss man auch in sozialen Medien so effektiv geschützt sein, wie im Falle der "klassischen Medien". Es kann nicht sein, dass die Grenzen der Verfassung für Äußerungen auf Facebook nicht wirksam geschützt werden, nur weil ihre Meinungen auf Plattformen verbreitet werden deren Anbieter behaupten, sie seien keine Medienanbieter. Sie sind Medium und Faktor der Meinungsbildung und deshalb regulierungsbedürftig.

Die Bedeutung der Google-Entscheidung des EuGH

Das auch Netzdienste der Regulierung unterstehen, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Google-Entscheidung zum "Recht auf Vergessen werden" schon 2014 klargestellt. Seitdem gibt es mit dem Google-Beirat auch ein Gremium, wie es gerade bei Facebook diskutiert wird. Der EuGH hat damals die Informationsfreiheit im Netz den Persönlichkeitsrechten nachgeordnet und setzt schon bei belanglosen Wahrheiten den digitalen Radiergummi an. Man kann die Entscheidung zur Informationsfreiheit auch auf die Meinungsfreiheit übertragen: Jeder hat ein Recht darauf, dass sogar wahre Äußerungen über ihn vom Algorithmus nicht mehr gefunden werden, wenn sie diskreditierend und für die Öffentlichkeit belanglos geworden sind. Für Lügen mit hoher Bedeutung im Meinungsbildungsprozess muss das erst recht gelten. Donald habe ich übrigens gesagt, dass für mich das Wort des Jahres 2017 schon jetzt schwer zu toppen ist. Es lautet: "Alternative Fakten".

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Professor Dr. habil. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht und forscht und lehrt insbesondere in den Bereichen nationales und internationales Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf dem Datenschutzrecht sowie den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Geistigen Eigentums.