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Die Reichszentrale für Heimatdienst 1918-1933 | Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung | bpb.de

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Die Reichszentrale für Heimatdienst 1918-1933 Die Erziehung der Deutschen zum Staat

Armin Musterle

/ 5 Minuten zu lesen

Die Bundeszentrale für politische Bildung kann auf eine Tradition zurückblicken, die länger ist als oftmals bekannt. Die Bundeszentrale für Heimatdienst, später Bundeszentrale für politische Bildung, knüpfte mit ihrem Namen an die Reichszentrale für Heimatdienst (RfH) aus Weimarer Tagen an.

Siegel der Reichszentrale für Heimatdienst. (© Public Domain)

Gegründet wurde die Reichszentrale als "Zentralstelle für Heimataufklärung“ im März 1918 noch unter der Ägide des Kaiserreichs. Ihr ursprüngliches Ziel war es, durch gezielte Pressekampagnen die Loyalität der Bevölkerung zu ihrer Regierung angesichts der Belastungen des Kriegsalltags sicher zu stellen. Die in dieser Form und Zielsetzung neuartige Institution blieb der Weimarer Republik, die dem Kaiserreich folgte, unter dem Namen Reichszentrale für Heimatdienst bis zu deren Ende 1933 erhalten. Im Hohenzollernstaat waren die Deutschen Untertanen gewesen – in der Republik waren sie Staatsbürger. Als solche sollten sie ihre Rechte verantwortungsvoll nutzen. Aus diesem Selbstverständnis heraus ergab sich das Programm der "staatsbürgerlichen Erziehung“, das die Reichszentrale verfolgte. Zu den frühen Unterstützern und Autoren im Kreis der Reichszentrale gehörten Politiker der wechselnden Koalitionsregierungen, aber auch namhafte Intellektuelle wie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss.

Aufbau und Struktur

Dr. Richard Strahl, ein Verwaltungsjurist, wurde 1918 zum Leiter der Behörde berufen und Dr. Wilhelm Ziegler, Historiker und Theologe, zu seinem Stellvertreter ernannt. Beide Personen blieben bis 1933 im Amt. Die Behörde gliederte sich in mehrere Abteilungen, ihr Aufbau und ihre Größe veränderten sich aber im Verlauf der Jahre. Gab es 1920 noch vier Abteilungen, waren es 1930 nur noch zwei.

Die Publikationen der Reichszentrale erschienen im hauseigenen Zentralverlag. Themenschwerpunkte waren u. a. Wirtschaftspolitik und Literatur zu den Versailler Verträgen (s.u.). Mit dem "Heimatdienst“ und den "Richtlinien“ veröffentlichte die Behörde in regelmäßigen Abständen Zeitschriften und Handreichungen zu tagesaktuellen politischen Fragen. Politische Inhalte sollten für jedermann zugänglich sein. Den Vertrauensleuten der Reichszentrale vor Ort - heute würde man von Multiplikatoren sprechen - sollte dazu passendes Material an die Hand gegeben werden. Ihnen kam die Aufgabe zu, die Deutschen auf ihre Rolle im demokratisch verfassten Staat einzustellen. Neben der Zentrale in Berlin entstanden Landesabteilungen in den Teilstaaten. Konferenzen und Schulungstage dienten dazu, den Kontakt zu den Vertrauensleuten und Interessierten aufzubauen und zu halten.

Hintergründe

Die Reichszentrale erhielt im Juli 1921 eine entscheidende Ausrichtung durch den Reichstag zugewiesen: "Die Reichszentrale für Heimatdienst dient der sachlichen Aufklärung über außenpolitische, wirtschaftspolitische, soziale und kulturelle Fragen, und zwar nicht im Geiste einzelner Parteien, sondern vom Standpunkte des Staatsganzen.“ (zit. nach Strahl 1928, S. 14). Dem Reichstagsentschluss, der die Behörde zur Überparteilichkeit verpflichtete und ein parlamentarisches Kontrollgremium installierte, war ein Streit über die Arbeit der staatlichen Einrichtung vorausgegangen. Abgeordnete der DNVP hatten die Auflösung der Behörde gefordert, da sie Werbung im Sinne der Weimarer Koalition (DDP, SPD und Zentrum) betrieben habe. Der Reichstagsentschluss bewahrte die Reichszentrale zwar vor der Auflösung, markierte in der Rückschau aber eine entscheidende Schwächung der demokratischen Werte in der programmatischen Ausrichtung. Ein Konsens über die inhaltliche Arbeit war nicht gefunden, schon gar nicht im Sinne der Demokratie. Nach dem formalen Staatsrechtsverständis der Weimarer Zeit war die demokratische Ordnung verhandelbar und nicht unumstößlich. Demokratische Positionen blieben im Reichstag in erster Linie mit den Weimarer Koalitionsparteien verbunden und waren kein Grundkonsens. Die Rückkehr zur Monarchie oder die Errichtung eines autoritären Regimes galten vielen, insbesondere (aber nicht nur) innerhalb der DNVP, als wünschenswerte Alternative.

Inhaltliche Ausrichtung

Über die inhaltliche Ausrichtung der Reichszentrale schrieb ihr Leiter Richard Strahl 1928 : "Bei der wesentlich erweiterten und gesteigerten Mitwirkung des Volkes am öffentlichen Leben liegt es nicht nur im Interesse des Staates, sondern auch des Staatsbürgers selbst, daß die objektive Unterrichtung über die Geschehnisse und Zusammenhänge des politischen Lebens zur Vervollkommnung und Vertiefung der politischen Urteilsfähigkeit auch der breiten Massen gewährleistet wird. Dieser klare und einfache Gedanke bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des Heimatdienstes.“ (Strahl 1928, S. 7) Die Deutschen galten als politisch weniger begabt als Briten oder Franzosen. Die vergleichsweise späte Gründung eines deutschen Nationalstaates wirke nach. Die politische Interessenlage, so die Beobachtungen, galt als ebenso zersplittert wie die Landkarte Deutschlands. Zu den regionalen Unterschieden traten noch konfessionelle Gegensätze und soziale Konflikte. Kultur- und Klassenkampf waren die Schreckgespenster der selbsternannten Volkserzieher. Das Schlagwort vom "Volkscharakter“ wurde so zur Maßgabe für die politische Bildungs- und Erziehungsarbeit. Der Charakter konnte und musste mithilfe der richtigen Hebel geformt und verändert werden.

Die notorische deutsche Uneinigkeit sollte mittels gemeinsamer Bezugspunkte überwunden werden. Kontrovers diskutierte Themen hatten keinen Platz auf der Agenda. Erziehung zum Staat bedeutete, die Deutschen auf größere, gemeinsame Ziele einzuschwören. Eine große Bedeutung kam hier der Außenpolitik zu. Der Kampf gegen das "Versailler Diktat“ wurde auch über die Reichszentrale beschworen. Die Autoren unterstützten den außenpolitischen Revisionskurs von Gustav Stresemann. Der "Heimatdienst“ gedachte zum zehnjährigen Jubiläum mit Sonderseiten der Friedensverträge, freilich nicht ohne deren fatale Wirkung für Deutschland zu betonen und deren Revision zu fordern. Die ablehnende Haltung zu den Verträgen blieb aber ein Scheinkompromiss. Die Parteien im rechten Spektrum agitierten aus der Fundamentalopposition heraus, während die Parteien in Regierungsverantwortung auf einen pragmatischeren Kurs einschwenken mussten. Eine Revision der Verträge forderte jeder, wie diese aussehen sollte, ob total oder partiell, darüber schieden sich die Geister. Die Demokraten konnten die Forderungen der Rechten (und auch der Kommunisten) schlichtweg nicht überbieten.

Ein zorniger Blick richtete sich nach Osten auf die neu gegründete Republik Polen. Das Schicksal der Deutschen in den dem polnischen Staat zugeschlagenen Gebieten sollte die Reichsdeutschen zur Einigkeit bewegen. Man signalisierte keinerlei Bereitschaft, sich mit den Gebietsverlusten abzufinden. Die Reichszentrale veröffentlichte dazu zahlreiches Kartenmaterial und Schriften. Politiker und Autoren jeder Couleur postulierten das Ideal der "Volksgemeinschaft“ nach innen und über die Reichsgrenzen hinweg. Die Konflikte im Innern, die Deutschland auf der europäischen Bühne schwächten, würden sich nach dieser Vorstellung durch das Gemeinschaftsgefühl regulieren lassen. Zwar bekannten sich Politiker der Weimarer Koalition wie Hermann Müller (SPD) oder Wilhelm Marx (Zentrum) in ihren Beiträgen im "Heimatdienst“ zur Weimarer Verfassung, jedoch kamen auch andere Stimmen wie beispielsweise Kurt von Schleicher oder Franz von Papen zu Wort, die keinesfalls demokratische Positionen vertraten. Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten war das Ende der Reichszentrale besiegelt. Unter Joseph Goebbels´ Führung wurde das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda geschaffen und der totalitäre Staat setzte auf andere Mittel zur Erziehung des Volkes. Die ehemaligen Autoren und Mitarbeiter der Reichszentrale schlugen nach 1933 ganz unterschiedliche Wege ein. Einige arrangierten sich mit den neuen Machthabern – so fand Wilhelm Ziegler seinen Platz in Goebbels´ Ministerium - andere waren zur Flucht gezwungen oder gingen in die innere Emigration.

Fazit

Die Reichszentrale war in der Zwischenkriegszeit wohl die einzige Behörde ihrer Art in Europa. Sie verfügte über Strukturen und die organisatorischen Mittel, um im gesamten Reichsgebiet tätig zu werden. Über das Netz von Vertrauensleuten und über die Veröffentlichung von populärwissenschaftlichen Schriften versuchte sie, die Menschen zu erreichen und zu beeinflussen. Ihre Ziele mussten dabei aus zwei Gründen unklar bleiben. Zum einen verpflichtete sie der Reichstag zur Überparteilichkeit und machte sie damit im Sinne der Demokratisierung quasi zahnlos. Zum anderen sollten sich Teile des Führungspersonals als wenig enthusiastisch erweisen, die Demokratie zu verteidigen, als sie bedroht war. Klare Bekenntnisse zur Demokratie kamen nur von Politikern der demokratischen Parteien. Eine neutrale Instanz im Sinne demokratischer Werte war die Reichszentrale nicht, durfte sie aber nach 1921 auch nicht sein. Erziehung zum Staat bedeutete nicht – oder nicht notwendigerweise – Erziehung zur Demokratie.

Quellen / Literatur

Johannes Karl Richter, Die Reichszentrale für Heimatdienst: Geschichte der ersten politischen Bildungsstelle in Deutschland und Untersuchung ihrer Rolle in der Weimarer Republik, Berlin 1963.

Richard Strahl, Arbeit und Organisation des Reichsheimatdienstes, in: Reichszentrale für Heimatdienst (Hrsg.), Zehn Jahre Reichsheimatdienst, Berlin 1928.

Klaus W. Wippermann, Politische Propaganda und staatsbürgerliche Bildung: Die Reichszentrale für Heimatdienst in der Weimarer Republik, Köln 1976.

Fussnoten

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