Deutschlands großer Konfessionskrieg
In nie dagewesener Weise hat der Dreißigjährige Krieg Europa verheert. Es schrumpfte von vormals 16-17 Millionen Einwohnern auf rund zehn. Sein Ende markiert der Westfälische Frieden von 1648 als Zweiter Religionsfrieden. Denn der Dreißigjährige Krieg war ein Konfessionskrieg um die Lesarten des Ersten Religionsfriedens.

Dann also, drittens, der "Schwedische Krieg" (1630-1635) – Gustav Adolf von Schweden schwingt sich zum Retter des deutschen Protestantismus auf, beispielloser Siegeslauf bis nach München, doch fällt der Schwedenkönig 1632. Gewonnen hat diese dritte Kriegsphase die kaiserliche Seite. Eigentlich folgen nun drei diffuse Übergangsjahre, bis feststeht, dass sich auch Frankreich dauerhaft militärisch in Mitteleuropa engagiert; doch hat sich eingebürgert, den deshalb so genannten "Französisch-Schwedischen Krieg" schon 1635 einsetzen zu lassen. Ihn beendet 1648 der Westfälische Frieden, den die Hofburg aus einer eher schwachen Position heraus beschicken muss: Denn die entscheidenden Schlachten dieser vierten, der letzten Kriegsphase (Alerheim, Jankau) gewinnen 1645 die auswärtigen Alliierten.
Wie sehr der Dreißigjährige Krieg zunächst ein Konflikt um Lesarten des Religionsfriedens (damit um konfessionelle Besitzstände) gewesen ist, zeigt das Restitutionsedikt von 1629: Als sich eine Seite, die kaiserlich-katholische, scheinbar auf der ganzen Linie durchgesetzt hatte, als sie sich also ihre langgehegten Träume erfüllen (oder, nüchterner gesagt: ihre Kriegsziele realisieren) zu können schien, nutzte sie das – für einen Oktroi ihrer Lesarten des Ersten Religionsfriedens! Das Restitutionsedikt legt für fünf besonders brisante Problemzonen des Augsburger Friedenswerks fest, dass und warum sie die Katholiken schon immer richtig interpretiert hätten, wohingegen die Lesarten der Protestanten grundverkehrt seien, weshalb sie alles, was sie dieser ihrer Interpretationslinie entsprechend in Besitz genommen hätten, dem Katholizismus zurückzugeben, zu "restituieren" hätten.

Schon früher war aus dem großen deutschen Konfessionskrieg auch ein Verfassungskampf geworden, weil die Kaiser in dieser langen reichstagslosen Zeit allzu gern katholische Waffenerfolge für eine Stärkung der monarchischen Gehalte in der Mischverfassung des Reiches ausnutzten. Beispielsweise besagte der Prager Vertrag von 1635 (er sollte die dritte Kriegsphase beenden), dass alle reichsständischen Bündnisse außer dem Kurverein aufzulösen seien, dass alle Truppen auf Reichsboden auf den Kaiser vereidigt würden. Und: der Prager Vertrag war auch Steuerbewilligung! Ein Jahr danach ließ sich der Kaiser Reichssteuern von einem Kurfürstentag "bewilligen". Viele Zeitgenossen sahen die Gefahr, dass eine dauerhaft reichstagslose Regierungspraxis begründet werden könnte.
Das hat in den Westfälischen Frieden tiefe Spuren eingegraben. Er beendete 1648 nicht nur die dreißigjährige Kriegskatastrophe, er stellte auch klar, dass der Reichstag das zentrale politische Forum des Reiches sei; und dass Reichsstände Bündnisse schließen, Truppen unterhalten dürften. Man kehrte verfassungspolitisch in die Vorkriegszeit zurück, räumte mit anderen Kriegsfolgelasten zentralistische Deformationen des politischen Systems weg. Insbesondere sind die Kompetenzregelungen von 1648 als Antwort auf die Paralyse des Reichtags seit 1608 und als Kontrafaktur zum Prager Vertrag zu lesen.
Über weite Strecken präsentiert sich der Westfälische Frieden als Zweiter Religionsfrieden. Die diese wortreichen Passagen einleitende Präambel betreibt Kriegsursachenforschung. Schuld am Dreißigjährigen Krieg seien die "Gravamina" (lat. gravamen, im Plural gravamina, heißt "Beschwerde"), die beide Konfessionsparteien vor Kriegsausbruch einander vorzuhalten beliebten. Schauen wir uns diese Gravaminalisten an, merken wir, dass sie die angeblich völlig unhaltbaren Verdrehungen des Religionsfriedens durch den Widerpart anprangern. Also war der Dreißigjährige Krieg, der Diagnose unserer Präambel zufolge, ein Konfessionskrieg: nämlich Kampf um Lesarten des Ersten Religionsfriedens.


Dieser wurde deshalb einerseits bekräftigt, andererseits deutlich modifiziert. Es ist die große Tragik der vormodernen deutschen Geschichte, dass das Reich zweimal Anlauf zu seinem Religionsfrieden nehmen musste. Neues regulatives Zentralprinzip für die konfessionelle Besitzstandsverteilung war ein Stichdatum: der 1.1.1624. Konfessionelle Besitzstände, die für dieses Stichdatum plausibel gemacht werden konnten, hatte der Landesherr zu respektieren; Minderheiten, die sich bis dahin gehalten hatten, musste er also auch fortan dulden. Er konnte den Konfessionalisierungsgrad des Territoriums nicht über den 1624 erreichten Stand hinaus vorantreiben. Ausdrücklich genoss nun auch der Calvinismus reichsrechtlichen Schutz. Der Erste Religionsfrieden wollte einigermaßen fair sein, aber dieser auslegungsoffene Text zurrte keine Parität fest; 1648 hingegen wurde ausdrücklich die Parität, die völlige rechtliche Gleichheit zwischen den nun drei reichsrechtlich zulässigen Konfessionen zur Richtschnur des Verhältnisses zwischen den Glaubensrichtungen erklärt.

