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Das neue Spiel der Kräfte | bpb.de

Das neue Spiel der Kräfte

Thomas Jäger

/ 14 Minuten zu lesen

Prägt zunehmend ein Machtdreieck China-USA-Russland die Welt und Europa bleibt außen vor? Als sich im Juli 2018 US-Präsident Donald Trump mit Russlands Staatschef Putin in Helsinki traf, erfolgte dies ohne Abstimmung mit den Europäern. Dies macht deutlich, dass sich die politische Weltordnung neu justiert. Mit welchem Ziel? Ein Überblick von Prof. Thomas Jäger.

Die Präsidenten Donald Trump (USA) und Wladimir Putin (Russland). (© picture-alliance)

Es ist gut möglich, dass die Menschen in zwanzig Jahren auf unsere Gegenwart zurückschauen werden und sagen: "Damals ist eine neue internationale Ordnung entstanden." Denn Weltpolitik und Weltwirtschaft befinden sich derzeit in turbulenten Bewegungen. Dass die Staatenordnung in Bewegung ist bedeutet, dass eine ungeheure Dynamik und Unsicherheit die Beziehungen zueinander charakterisiert, getrieben von technologischem Fortschritt, Sicherheitsgefahren, wirtschaftlichen Chancen und demografischen Verschiebungen. Turbulent ist diese Entwicklung, weil heute noch nicht absehbar ist, welche neue Ordnung entstehen wird. Es sind mehrere Zukünfte möglich und die Entwicklungen in und zwischen den Staaten werden in den nächsten Jahren darüber entscheiden, wie die nächste internationale Ordnung konkret aussehen wird.

Unsicherheit über die nächste Entwicklung

Diese Unsicherheit konnte man Mitte Juli 2018 besonders an zwei internationalen Treffen beobachten, dem Nato-Gipfel in Brüssel und dem Zusammentreffen der amerikanischen und russischen Präsidenten in Helsinki. Viele Beobachter waren zuvor über die zu erwartenden Ergebnisse unsicher. Das ist sehr ungewöhnlich. Denn eigentlich werden solche hochrangigen Treffen minutiös vorbereitet und nur wenige Fragen werden dann vor Ort noch geklärt. Stattdessen fanden Vieraugengespräche statt, bei denen noch nicht einmal Protokoll geführt wurde. Was wurde denn besprochen?

Während die russische Diplomatie im Nachgang des Treffens der Präsidenten Putin und Trump sukzessive Einzelheiten verlautbarte, hielt sich der amerikanische Präsident bedeckt. Wochen später konnten seine engsten nationalen Sicherheitsberater noch immer keine öffentliche Stellung nehmen, wohl weil sie selbst nicht informiert sind. Der Kongress beabsichtigte sogar, die Dolmetscherin zu befragen, was wegen ihrer Geheimhaltungspflicht abgelehnt wurde. Das dokumentiert deutlich die Unsicherheit, die über grundlegende außenpolitische Entscheidungen besteht.

Soviel scheint klar zu sein: die Präsidenten haben über die Verlängerung von Verträgen zur nuklearen Rüstungsbegrenzung gesprochen. Der New Start Vertrag zur Reduzierung und Begrenzung strategischer, atomarer Angriffswaffen läuft 2021 aus. Und auch der INF-Vertrag von 1987 über das beiderseitige Verbot von Mittelstreckenraketen ist wieder Thema, zumal es Anschuldigungen gibt, Russland würde insgeheim Mittelstreckenraketen für die Aufrüstung an Land testen, doch einen eindeutigen Beweis blieben die USA bisher schuldig. Denn auf See dürfen sie stationiert werden und so lässt sich argumentieren, dass die Landversuche mit Raketen durchgeführt werden, die auf See stationiert werden sollen. Der Teufel steckt immer im Detail, auch wenn es um Fragen der internationalen Ordnung geht. Ordnungspolitik wird bei den Fähigkeiten zur Machtprojektion sehr konkret.

Rückzug der USA?

Die internationale Politik ist eben in heftiger Bewegung, nicht zuletzt auch deshalb, weil die USA ihre Rolle als Vormacht des Westens nicht mehr einnehmen möchten oder zumindest unter Präsident Trump anders ausüben. Der amerikanische Präsident akzeptiert den Abstieg der USA nicht. Er geht davon aus, dass die USA den unipolaren Moment, die alleinige Weltmacht zu sein, wieder herstellen können. Anders als Präsident Bush strebt er nicht an, die Welt demokratisieren zu wollen. Solange andere Staaten den USA nicht ins Gehege kommen, können sie im Innern leben, wie sie möchten. Anders als Präsident Obama ist er nicht zögerlich und reißt die angeblichen Schranken für sein Handeln rigoros ein. Ob er damit am Ende Erfolg haben wird, ist derzeit noch offen. Auf dem Weg dorthin aber verschreckt er viele Verbündete, die inzwischen die Distanz zu den USA anstreben.

Parallel zu diesen Gipfeln trafen sich die EU und China in Peking und schloss die EU mit Japan einen Freihandelsvertrag. Zeichnen sich hier neue Partnerschaften ab? Die internationale Ordnung ist jedenfalls in eine Phase des geopolitischen und geoökonomischen Übergangs eingetreten. Was wird folgen?

Ein Blick zurück

Um dies besser einschätzen zu können, hilft ein Blick zurück. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich zwei stabile Allianzen um die USA im Westen und die Sowjetunion im Osten gebildet. Diese bipolare Ordnung im Externer Link: Kalten Krieg wies erhebliche Defizite auf, war aber alles in allem politisch berechenbar. Beide Seiten überließen der anderen Seite ihre Einflusszone, in der die Vormächte die politische Ordnung bestimmten. Damit waren zwar nicht alle Kriege beendet, aber viele Konflikte waren eingefroren. Mit der Auflösung der Sowjetunion ging auch diese internationale Ordnung unter. Russland konnte den internationalen Einfluss nicht mehr aufbringen, um den USA weiter Paroli zu bieten. Und kein anderer Staat konnte diese Position übernehmen.

Helsinki als symbolisches politisches Parkett für Ost-West-Begegnungen. Im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) trafen sich dort im Juli 1975 bereits US-Präsident Gerald Ford (3.v.r.) und der russische Staatschef Leonid Breschnew (2.v.r.) sowie ihre Außenminister. Damals allerdings waren 35 Staaten bei den Verhandlungsrunden vertreten. Beim Helsinki-Gipfel Trump-Putin 43 Jahre später nur noch zwei. (© picture alliance / dpa)

USA als alleinige Weltmacht

Es gab deshalb nach 1991 nur noch eine Weltmacht, die USA. Drastische politische Fehler, wie der Irakkrieg, und Umstürze im Wirtschaftssystem, wie die Finanzkrise und deren Kosten für den amerikanischen Staat, reduzierten die Prägekraft der USA in der Weltpolitik. Noch immer als einzige Macht mit einem umfassenden Repertoire an wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten sowie einem großen Kreis an Verbündeten, streben die USA seit dem Amtsantritt von Präsident Trump an, die Führungsrolle in internationalen Krisen und Konflikten einzuschränken. Das bringt für die gesamte Staatenwelt Probleme mit sich, denn kein anderer Staat ist von seinen Fähigkeiten her in der Lage, diese Aufgabe von den USA zu übernehmen.

Russland, militärisch stark, ökonomisch schwach

Russland verfügt zwar über ein immenses Arsenal an Atomwaffen und ein schlagkräftiges Militär. Die russische Führung ist zudem bereit, das Militär einzusetzen, von Georgien über die Ukraine bis zu Syrien. Aber es ist den russischen Regierungen nach 1991 nicht gelungen, eine kraftvolle Wirtschaft aufzubauen. Russlands Wirtschaftsleistung beträgt weniger als 10 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Ohne einen stabilen Preis für Öl und Gas sowie sichere Absatzmärkte, würde Russland in wirtschaftliche Schwierigkeiten schlittern.

Diese Asymmetrie an Fähigkeiten konnte man im Krieg in Syrien beobachten. Nachdem sich die USA und die europäischen Staaten nicht massiv in den Krieg eingemischt haben, um ihn zu beenden, hat dies Russland übernommen. Allerdings aus europäischer Interessenlage politisch auf der falschen Seite. Unter dem Schutz der russischen Luftwaffe und mit Unterstützung iranischer Hilfstruppen gelang es Präsident Assad deshalb, die Kontrolle über das Land, die ihm zwischenzeitlich fast völlig entglitten war, wieder zu erlangen. Damit wird das Regime stabilisiert, das Syrien zuvor regierte und wohl auch in Zukunft regieren wird. Genau das wollten die EU-Staaten eigentlich verhindern. Der Wiederaufbau des arg zerstörten Landes aber wird von Russland nicht zu stemmen sein. Russland, das wegen der schlechten Wirtschaftslage 2018 sogar den Verteidigungsetat senken musste, sucht nach Finanziers. Hier kommt die Europäische Union ins Spiel. In einem neuen Format – Russland, Türkei, Frankreich und Deutschland – soll ab Mitte 2018 über Wirtschaftshilfe verhandelt werden, die den ökonomischen Teil der Restauration des Assad-Regimes bedeuten wird. Wie diese Entwicklung weitergeht, ist noch offen. Ob auf dem Treffen zwischen den Präsidenten Putin und Trump in Helsinki auch über den Ölpreis gesprochen wurde, wird weiter gerätselt. Denn beide Seiten haben Interesse an einem stabilen und nicht zu hohen, aber auch nicht zu niedrigen Preis. Für Russland darf er nicht niedrig sein, weil es, wie die USA auch, Öl und Gas exportiert. Für die USA (und China) darf er nicht zu hoch sein, weil er sonst die wirtschaftliche Entwicklung dämpft. Russland bleibt aber auch dann absehbar ein militärisch sehr starker, wirtschaftlich nur mäßig einflussreicher Staat.

China, ökonomisch stark, militärisch stark rüstend

Das ist in China anders. In effektiver Weise haben die chinesischen Regierungen nach der gewaltsamen Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung 1989 das Land aus einem wirtschaftlich schwachen Entwicklungsstatus zur stärksten (oder zweitstärksten, je nach Zählweise) Wirtschaftsmacht der Welt gemacht. Die Aufrüstung des chinesischen Militärs wird mit Nachdruck betrieben. Die pazifischen Nachbarstaaten können Chinas Fähigkeiten schon kaum mehr etwas entgegensetzen. Aber gegenüber den USA ist China militärisch noch sichtbar unterlegen. Zudem hat China mit Nordkorea nur einen, zudem problematischen Verbündeten.

China fordert die USA heraus

Mit zwei großen Projekten aber strebt China an, die herausgehobene Stellung der USA herauszufordern. Mit der Neue Seidenstraße sollen von China über Russland und Zentralasien Handelswege nach Europa aufgebaut werden. China finanziert die Infrastruktur, baut Straßen und Bahnen, erwirbt Häfen und investiert in Fabriken entlang der Routen. Das klingt erst einmal wie ein großes Programm zur Entwicklung dieses weiten Territoriums. Darüber hinaus ist es aber der strategisch eingeschlagene Weg, den politischen Einfluss Chinas nach Westen bis in die EU zu erweitern. Mit dem 16+1-Format hat China seit Jahren entsprechende Beziehungen zu den osteuropäischen EU-Staaten und den Staaten auf dem Balkan aufgebaut. Begleitet wird dieses nach außen gerichtete Projekt von dem ehrgeizigen Ziel, in mehreren Schlüsselbranchen bis 2025 den chinesischen Staatsunternehmen eine führende Stellung zu verschaffen. Made in China 2025 heißt dieses Programm.

Chinas große Devisenreserven erlauben es der Regierung für die Neue Seidenstraße im ersten Schritt schon 900 Milliarden US-Dollar bereit zu stellen. Diese Kredite werden an Staaten entlang dem Weg nach Europa vergeben, in Zentralasien, an der afrikanischen Ostküste, in Nordafrika und in Südeuropa. Chinesische Firmen führen die Arbeiten aus, weshalb die Investition chinesischen Unternehmen zugute kommt. Falls die Staaten aufgrund mangelnden wirtschaftlichen Erfolgs die Kredite nicht zurückzahlen können, kauft sich China ein, in Europa ebenso wie in Asien. Die große Frage ist, ob China auf diese Weise nur den Handel ausweiten möchte, weil es ein stetes hohes Wirtschaftswachstum benötigt, um den erfolgreichen Weg fortsetzen zu können, oder ob die zivilen Häfen später auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Zumindest einen Militärstützpunkt hat China inzwischen in Dschibuti aufgebaut.

Der Hafen von Dschibuti im März 2018. Das Land mit weniger als 1 Millionen Einwohner am Kap Horn in Afrika hat inzwischen neben Militärbasen aus Frankreich, Italien und Japan auch eine Übersee-Basis der chinesischen Volksbefreiungsarmee. (© picture-alliance/AP)

Mit den Investitionen werden in Zukunft aber sicher auch politisch heikle Fragen aufgeworfen. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, sondern eher zu erwarten, dass China in den Region der neuen Seidenstraße umfassend vertreten sein wird. Das heißt, auch militärisch.

Die EU, ökonomisch stark, militärisch schwach und vor allem zerstritten

Die Europäische Union ist zwar wirtschaftlich stark, aber militärisch ein Zwerg und diplomatisch nicht schlagkräftig. Denn die EU spricht derzeit mit 28 Stimmen und ist vor allem mit sich selbst befasst. Der Austritt Großbritanniens beschäftigt die EU enorm und noch immer ist unklar, wie das Verhältnis nächstes Jahr aussehen wird. Die Eurokrise hat in vielen Staaten Südeuropas wirtschaftliche Schäden ausgelöst, die noch immer nicht behoben sind. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere junger Menschen ist hoch. Flucht und Migration haben die EU-Staaten tief zerstritten. EU-kritische Parteien erhalten deutliche Zustimmung.

Gemeinsam, was alleine nicht geht?

Derzeit stagniert auch der Versuch, die Ordnung der internationalen Beziehungen durch internationale Organisationen zu gestalten. Ihre Bedeutung steigt nicht, sondern sinkt in manchen Fällen. Die Vereinten Nationen und andere Organisationen können die Beziehungen zwischen den Staaten nicht regeln. Im Gegenteil. Sie verlieren gerade an Einfluss, weil einige Großmächte deutlich dokumentieren, dass sie ihr Verhalten von diesen Organisationen nicht beschränken lassen wollen. Als US-Präsident Trump seine erste Rede vor der Generalversammlung der VN hielt, waren viele Regierungen schon froh, dass er sich zu dieser Organisation bekannte. Unterorganisationen wie die UNESCO oder den Menschenrechtsrat haben die USA inzwischen verlassen.

Global fehlt also derzeit eine Führungsmacht, die internationale Regeln aufstellen und durchsetzen kann – und dies auch will. Wie wird sich das Verhältnis der Mächte zueinander entwickeln und wie wird dies die Entwicklung der internationalen Ordnung beeinflussen?

Die USA unter Präsident Trump

Die Wahl von Präsident Trump spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Denn Trump, Wirtschaftsnationalist und erklärter Gegner breit aufgestellter multilateraler Verfahren, denkt in einem globalen Konzert der Mächte. Als stärkste Macht die USA, als zweitstärkste Mächte China und Russland, sind nach seiner Ansicht aufgefordert, internationale Krisen und Konflikte zu bearbeiten. Die übrigen Staaten spielen seiner Ansicht nach in einer niedrigeren Liga. Nur: die drei Mächte stehen gerade in einem instabilen Verhältnis zueinander.

Dieses soll über die herausgehobene Rolle der USA stabilisiert werden. Wenn kein anderer Staat die USA militärisch oder wirtschaftlich herausfordern kann, so der Grundgedanke dieser Strategie, werden die Beziehungen fester und erwartungssicher sein. Dies wird in China ganz anders gesehen, weil die Überwindung der amerikanischen Vorherrschaft wesentlicher Teil des Wiederaufstiegs Chinas als regionale Vormacht ist. Aus deutscher Sicht ist vor allem festzustellen, dass internationale Organisationen in diesem Denken keine Rolle spielen. Die Bearbeitung internationaler Fragen soll alleine in den Händen der Großmächte liegen. Die Vereinten Nationen und andere Organisationen werden genutzt, wenn sie hilfreich sind; sonst nicht. Jeglicher Souveränitätstransfer an internationale Organisationen widerspricht diesen Vorstellungen. Im Gegenteil geht es darum, abgegebene Kompetenzen wieder zurückzuholen, wie dies gerade in der Handelspolitik geschieht, um die jenseits der Welthandelsorganisation gestritten wird. Für die EU, die auf größere Kompetenzen für internationale Organisationen setzt, ist besonders bitter, dass Präsident Trump mit diesem Denken nicht alleine steht. Auch die Präsidenten Xi und Putin sehen das so.

China einhegen

Werden die USA und China die Neujustierung ihres Verhältnisses bewerkstelligen können, ohne dass es zu Gewalt kommt? Das ist eine der wichtigsten Fragen mit Blick auf die künftige internationale Ordnung. Denn in der Vergangenheit führte der Abstieg einer Macht und der Aufstieg einer anderen Macht häufig zum Krieg.

Nähe oder Distanz? US-Präsident Donald Trump bei einem Treffen mit Chinas Staatschef Xi Jinping am 9. November 2017 in Beijing. (© picture alliance / AP Photo)

China ist militärisch zwar noch nicht global, aber im Pazifik sehr wohl handlungsfähig. Die USA wollen ihren Vorteil der globalen Machtprojektion behalten und fordern nicht zuletzt deshalb auch von ihren Verbündeten höhere Verteidigungsausgaben. Gleichzeitig versuchen die USA Chinas Handelsvorteile einzuschränken, um das Projekt "Made in China 2025" nicht erfolgreich werden zu lassen. Innovation und Fortschritt sollen weiterhin die wirtschaftliche Schlüsselstellung der USA begründen. Auch politisch gehen die USA deshalb ungewohnte Wege – dazu gehört wohl auch das Treffen des US-Präsidenten mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un im Juni 2018, der bislang als chinesischer Bündnispartner gilt.

2018 verhinderten die USA, dass chinesische Technologieunternehmen auf dem amerikanischen Markt handeln durften, unterbanden sie die Lieferung von hochwertigen amerikanischen Technologiegütern an chinesische Firmen zur Weiterverarbeitung und wirkten auf die Verbündeten ein, ähnlich zu handeln. In Deutschland und Frankreich wurden seitdem, anders als das früher der Fall war, Firmenbeteiligungen und –übernahmen durch chinesische Firmen verboten oder verhindert. Die Chinapolitik der westlichen Staaten ist vorsichtiger geworden. Im Zweifel werden nun Sicherheitsbedenken gegenüber einer intensiveren wirtschaftlichen Kooperation als wichtiger betrachtet.

Bessere Beziehungen zu Russland würden das Ausgreifen der Neuen Seidenstraße einhegen. Der globale Wettbewerb zwischen den USA und China um die Frage, wer die internationale Ordnung mehr prägt als der andere, schlägt auf Russland und die EU durch. Russland hat sich der sehr engen Anbindung an China bisher verweigert. Die EU hätte gerne mit allen anderen gute wirtschaftliche Beziehungen. Welche Entwicklungen sind aus dieser Lage wahrscheinlich?

Ein Konzert der großen Drei?

Möglicherweise werden sich die drei großen Mächte USA, China und Russland in einem neuen Format wiederfinden, in dem dann über die internationale Ordnung verhandelt wird. Noch führen die USA jeweils bilaterale Gespräche: mit China über die Handelspolitik, die beide Staaten in eine Eskalation der Strafzölle getrieben hat. Paradoxerweise liegt dies weder im amerikanischen Interesse, denn die Verbraucherpreise steigen dort an und treffen vor allem die sozial schwächere Wählerschaft des Präsidenten, noch im chinesischen Interesse, denn die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas, das Herzstück des Machterhalts, ist an wirtschaftlichen Wohlstand gebunden. Deshalb ist auch nicht auszuschließen, dass beide Regierungen vom Abgrund eines Handelskrieges zurückweichen. Aber das haben nur sie zu entscheiden, alle übrigen Staaten haben hier kein Mitspracherecht.

Unter öffentlichem Druck werden Russland und die USA auch wieder über nukleare Rüstung verhandeln. Auch die damit zusammenhängenden Probleme betreffen viele andere Staaten, die auch hier ohne Stimme sind. Die internationalen Organisationen und G-Formate verlieren dabei an Bedeutung.

Konkurrierend oder kooperierend? Gruppenbild mit drei Global Playern, aufgenommen am 11. November 2017 beim Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) im vietnamesischen Danang. In der vorderen Reihe von rechts nach links: Chinas Präsident Xi Jinping, Vietnams Präsident Tran Dai Quang, Indonesiens Präsident Joko Widodo. Dahinter: Der Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, Russlands Staatschef Vladimir Putin und US-Präsident Donald Trump. (© picture alliance / AP Photo)

Für die europäischen Staaten, die derzeit noch überall stark vertreten sind, würde es besonders bedeutsam sein, hier mit am Tisch zu sitzen. Aber noch spricht die EU nicht mit einer Stimme.

Zwei Ordnungsmächte

Vielleicht bildet sich aber auch wieder eine Zweiteilung der Welt, nunmehr mit den USA auf der einen und China auf der anderen Seite als Zentren von Allianzen. Dies lässt sich als kooperativer Wettbewerb vorstellen.

Dafür gelten die letzten zehn Jahre als Beispiel, auch wenn kleinere Konflikte das dünne Eis der friedlichen Kooperation immer wieder durchbrachen. Es ist aber gut möglich, dass diese Gewaltfreiheit vor allem den mangelnden Fähigkeiten Chinas zu verdanken war. Denn eine Interpretation des chinesischen Aufstiegs ist, dass die Führung so lange pragmatisch vorgeht, jeden Konflikt mit den USA scheut und im Windschatten dieser Zusammenarbeit stark werden möchte, bis sie später die Konfrontation suchen und annehmen kann.

Eine andere Interpretation hingegen besagt, dass es aufgrund der vielen sozialen Gegensätze in China, der großen regionalen Wohlstandsunterschiede und ethnischen Konflikte gar nicht im Interesse der Führung liegen kann, einen gewaltsamen Konflikt mit den USA zu suchen. Allerdings nimmt die nationalistische Rhetorik in China schon länger zu. Und bei genauer Betrachtung liegen die Programme von Präsident Trump (Make America Great Again) und Präsident Xi (Make China Great Again) gar nicht so weit auseinander. Noch ist zu beobachten, dass für beide die wirtschaftliche Entwicklung oberste Priorität hat. Allerdings stehen eine Reihe von Territorialkonflikten im südchinesischen Meer und vor allem die gewichtige Taiwan-Frage zwischen ihnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, auch wenn dies wenig wahrscheinlich scheint, dass diese Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Aber es kann auch anders kommen.

Viele Beobachter gehen davon aus, dass der Abstieg des Westens China zur dominanten Macht werden lässt. Die Westernisierung (die Welt nach den eigenen Vorstellungen des Westens prägen) würde dann der Osternisierung weichen. Dabei spielt dann das Verhältnis zwischen den USA und der EU eine besonders wichtige Rolle. Denn der Westen reicht über die USA hinaus und umschließt beispielsweise auch Japan und Australien. Ob das so bleiben wird, oder beide pazifische Mächte in den Einflussbereich Chinas geraten, ist eine ordnungspolitisch höchst relevante Frage. Denn sie ist mit der Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autoritären Systemen verbunden, die in westlichen Staaten noch immer nur zögerlich betrachtet werden.

Zerstobene Hoffnung auf Demokratisierungsprozesse

Die große Hoffnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts war ja, dass die beiden großen Staaten, China und Russland, demokratisch werden. Russland deshalb, weil seine Gesellschaft dem Vorbild der europäischen Staaten folgen sollte, und China, weil eine große millionenzählende Mittelschicht nach dem wirtschaftlichen Erfolg auf politische Teilhabe drängen würde. Beides hat sich nicht eingestellt und inzwischen geht die Entwicklung weit eher in die andere Richtung: in Russland und China sind die autoritären Strukturen fester verankert als zuvor und nutzen moderne Überwachungstechnik, die Bevölkerung engmaschig zu kontrollieren. Andere Staaten kopieren dies inzwischen, als Modell für erfolgreiches Regieren: Politisch autoritäre Strukturen und ein gewisser Grad an wirtschaftlicher Handlungsfreiheit, stabilisiert durch die netzgetriebene soziale Kontrolle, die gläserne Bürgerinnen und Bürger einem intransparenten Herrschaftssystem gegenüber stellen.

Das bringt eine zentrale Frage zurück auf die Tagesordnung: wie werden die westlichen Staaten ihre demokratische Lebensweise bewahren können? Wie werden sie Menschenrechte, Presse- und Versammlungsfreiheit, freie Wahlen und vieles mehr schützen können?

Die zukünftige Verteilung an Macht und Einfluss wird auch darüber entscheiden, wie frei, offen und demokratisch Gesellschaften verfasst sind - und bleiben.

Ergänzend:

- Interner Link: Was geschieht, wenn der INF-Vertrag platzt? Ein Interview mit Prof. Bernd Greiner

- Interner Link: Eine tiefe Krise der Rüstungskontrolle. Eine Analyse von Dr. Oliver Thränert von der ETH Zürich.

- Eurotopics-Debatten nach dem Helsinki-Gipfel im Juli 2018: Externer Link: "Wie riskant ist Trumps Außenpolitik?" und Externer Link: "EU und China nähern sich an"

- Zur Externer Link: sicherheitspolitischen Presseschau der bpb

ist Professor für Politikwissenschaft, Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik. E-Mail Link: thomas.jaeger@uni-koeln.de