Deutschland: Verwaltungs- und Infrastrukturkrise
Im Laufe des Jahres 2015 stieg die Zahl von Menschen, die Schutz vor Verfolgung, Krieg und Not suchen, nicht nur weltweit, sondern auch in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter auch Deutschland, stark an. In Deutschland entwickelte sich der starke Zuzug von Asylsuchenden ab Sommer 2015 zu einer Verwaltungs- und Infrastrukturkrise, die sich auf allen Ebenen – vom Bund, über die Länder bis zu den Kommunen – manifestiert.
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge steigt die Zahl unbearbeiteter Asylanträge (355.914 waren es Ende November), die Asylverfahren ziehen sich in die Länge, da es nicht genügend Personal gibt, das über die Asylanträge entscheidet (sogenannte Entscheider). Die Bundespolizei kommt angesichts mehrerer tausend Menschen, die täglich die südliche Landgrenze passieren, um in Deutschland Asyl zu suchen, nicht mehr mit der Erfassung der Personalien und Fingerabdrücke nach. Das BAMF vermutete im September, dass sich rund 290.000 Menschen in Deutschland aufhielten, die noch nicht als Asylsuchende registriert seien. Bundesländer und Kommunen sehen sich mit der Unterbringung der Schutzsuchenden überfordert. Leer stehende Baumärkte und Sporthallen werden zu Notunterkünften, in denen sich Feldbett an Feldbett reiht. Die beengte Unterbringungssituation, fehlende Privatsphäre, die Strapazen der Flucht und mit Kriegserfahrungen verbundene seelische Verletzungen, das zermürbende Warten auf die Entscheidung über den Asylantrag und schlichtweg Langeweile aufgrund fehlender (sinnvoller) Beschäftigungsmöglichkeiten entladen sich gelegentlich in teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern. Berichte über Schlägereien in Flüchtlingsunterkünften führen bei einigen Deutschen dazu, dass sie ihre Sorge um einen Anstieg der Kriminalität durch Asylsuchende bestätigt sehen. Belegbar ist dies jedoch nicht. Die vom Bundesinnenministerium beim Bundeskriminalamt in Auftrag gegebene Lageübersicht "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung" zeigt, dass Flüchtlinge "genauso wenig oder oft straffällig werden wie Vergleichsgruppen der hiesigen Bevölkerung."[1]
"Wir schaffen das!?"

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Integration in den Blick nehmen
Diesen Diskussionen gegenüber untergeordnet waren in Politik und Medien dagegen Debatten über die gesellschaftlichen Integrationsprozesse all derjenigen Asylbewerber, die als Flüchtlinge anerkannt werden und damit ein langfristiges Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten, auch wenn dieses Thema in der kommunalen Praxis, d.h. "vor Ort" – in Kindergärten, Schulen oder bei Arbeitgeberverbänden – schon längst angekommen ist und angegangen wird. Zentral sind dabei Fragen nach Möglichkeiten, den Neuankömmlingen gesellschaftliche Teilhabechancen zu eröffnen, sie sprachlich und beruflich (weiter) zu qualifizieren, ihnen Werte und rechtliche Grundlagen des Zusammenlebens in Deutschland zu vermitteln, den inter-religiösen Dialog zu fördern und als Gemeinschaft zusammenzuwachsen. Wie wollen und wie können wir zusammenleben? Antworten auf diese Frage werden in der Migrationsgesellschaft immer wieder neu ausgehandelt werden müssen.