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Integrationspolitik Integrationsmonitoring Integrationstheorien Interview mit Andreas Zick Integration in superdiverse Nachbarschaften

Integrationsmonitoring

Dieter Filsinger

/ 6 Minuten zu lesen

Gelingt Integration oder gelingt sie nicht? Wie wirkungsvoll sind integrationspolitische Maßnahmen? Integrationsmonitorings sollen Antworten liefern – in klaren Zahlen.

Hamburger Schüler mit Migrationshintergrund bekommen von Profitänzer Giovanni Zocco (r) Ballettunterricht - das Musical "Billy Elliot" ist ihr Thema. (© picture-alliance/dpa)

Begriffsbestimmung: Was ist Integrationsmonitoring?

Monitoring bezeichnet die systematische und in regelmäßigen Abständen wiederholte Beobachtung, Beschreibung und Analyse von sozialen Sachverhalten mit Hilfe von Indikatoren. Indikatoren sind Kenngrößen, die über nicht oder nur schwer unmittelbar beobachtbare soziale Tatsachen Auskunft geben sollen. Sie erlauben eine genaue Beschreibung von Sachverhalten in Form von Messwerten und eine vergleichende Analyse zu vorab bestimmten bzw. zu früheren Messwerten. Mit den Integrationsmonitorings wird das Integrationsgeschehen (Integrationsprozesse und Integrationsergebnisse) in einer längerfristigen Perspektive mit sozialwissenschaftlichen Methoden beobachtet. Erwartet werden können somit ein besseres Verständnis von Integrationsprozessen und Erkenntnisse zu den Wirkungen der Interner Link: Integrationspolitik. Dies wiederum soll eine rationale Integrationspolitik ermöglichen.

Einführungskontext und Entwicklung in Deutschland: Akteure und Formate

In Deutschland ist seit Mitte der 2000er Jahre eine Integrationsberichterstattung auf kommunaler, Landes- und Bundesebene aufgebaut worden. Dies geschah im Kontext der politischen Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland und der damit einhergehenden Erkenntnis, die Interner Link: Integrationspolitik neu ausrichten zu müssen. Den Ausgangspunkt bildete die kritische, Anfang der 2000er Jahre erfolgte Analyse des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration, dass es in der Bundesrepublik Deutschland an einer systematischen, längsschnittlichen Integrationsberichterstattung (Integrationspanel) fehle. Diese sei aber eine Voraussetzung für eine umfassende Politik zur Steuerung von Integrationsprozessen.

Die Anregungen des Sachverständigenrats wurden zunächst von den Kommunen aufgenommen. Vorreiter war die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden, die 2004 ein lokales Interner Link: Integrationsmonitoring beschloss. Andere Großstädte folgten diesem Beispiel, bevor auch die Bundesregierung ein Monitoring von Integrationsprozessen einführte. In einer begleitenden Erklärung zum 2007 aufgelegten Nationalen Integrationsplan stellt sie fest, dass sich erfolgreiche Integrationspolitik an klaren Indikatoren messen lassen müsse. Dieser Erkenntnis folgend, legte sie im Jahr 2009 einen ersten Integrationsindikatorenbericht vor , dem in 2011 ein zweiter und in 2013 ein dritter Faktenbericht folgten. Die Berichte legen unterschiedliche Schwerpunkte, beispielsweise auf Bildung und Integration oder die Integration in den Arbeitsmarkt. Mittlerweile beteiligen sich auch alle Bundesländer an der Integrationsberichterstattung. Ein fünfter Bericht zum Integrationsmonitoring der Länder (2015-2017) wurde 2019 veröffentlicht.

Komplementiert wird diese Berichterstattung durch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), der seit 2010 jährlich Jahresgutachten und repräsentative Bevölkerungsbefragungen von Personen mit und ohne Migrationshintergrund (Integrations- und Migrationsbarometer) vorlegt. Zu nennen sind schließlich auch die etwa alle zwei Jahre erscheinenden Lageberichte der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die soziale Lage der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die jährlichen Migrationsberichte des Interner Link: Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (im Auftrag der Bundesregierung) und dessen Integrationsreports.

Konzeptionelle Grundlagen: Beobachtungsfelder, Indikatoren und Methodik

2005 führte das Statistische Bundesamt die "Bevölkerung mit Migrationshintergrund" als Konzept in ihre Bevölkerungs- und Sozialstatistiken ein. Zuvor unterschieden die Statistiken nur zwischen deutschen und ausländischen Staatsangehörigen. Die soziale Lage von Eingewanderten, die sich einbürgern ließen, aber auch Nachkommen von Migrant_innen konnte damit statistisch nicht angemessen abgebildet und analysiert werden. Die neue Kategorie erlaubt es, auch Integrationsprozesse von Personen ohne eigene Migrationserfahrung und mit deutscher Staatsangehörigkeit, die eine familiäre Migrationsgeschichte haben, sichtbar zu machen. Damit findet sie in allen Integrationsmonitorings Verwendung. Der Interner Link: Migrationshintergrund erscheint insofern als eine sozialstrukturell bedeutsame Tatsache, als er ein Faktor sozialer Ungleichheit sein kann.

Die Integrationsmonitorings beobachten im Kern Differenzen zwischen Personen bzw. auch Bevölkerungsgruppen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie folgen einem pragmatischen Integrationsverständnis und dem sozialwissenschaftlichen Lebenslagenansatz. Demnach zielt Integrationspolitik darauf ab, "die Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben zu verbessern und dauerhaft ein gutes Zusammenleben von Einheimischen und Migranten zu ermöglichen. Dabei ist das Grundverständnis leitend, dass Integration gleichberechtigte Teilhabe und Chancengleichheit in allen gesellschaftlichen Bereichen bedeutet (…). Ein Fortschritt der Integration bemisst sich demnach daran, dass sich die Lebensbedingungen von Personen mit und ohne Migrationshintergrund aneinander angleichen". Indikatoren für diese Angleichungsprozesse sind beispielsweise der Vergleich der Verteilung von Bildungsabschlüssen, der beruflichen Position oder der Wohnqualität in der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund. Gemessen wird der Grad der

  • strukturellen Integration (Inklusion in gesellschaftliche Funktionssysteme wie Bildung, Arbeitsmarkt, Politik),

  • der kulturellen Integration (Sprache, normative Orientierungen),

  • der sozialen Integration (Gruppenzugehörigkeiten) sowie

  • der identifikativen (emotionalen) Integration (Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft).

Das Indikatorenset orientiert sich an jenen Aspekten, die zentral die Chancen zu einer selbstständigen und gelingenden Lebensführung betreffen (rechtlicher Status, Beherrschung der deutschen Sprache, frühkindliche Bildung, Bildungsabschluss, Ausbildung, Position im Beschäftigungssystem/Arbeitsmarkt, (Nicht-)Abhängigkeit von Sozialtransfers). Hinzukommen Wohnbedingungen, gesundheitliche Lage, (interethnische) soziale Beziehungen und gesellschaftliche Beteiligung. Mittlerweile ist in der einschlägigen Fachdiskussion anerkannt, dass es zwingend Indikatoren bedarf, die den Grad der Offenheit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund und die Zugangschancen zu den Ressourcen der Gesellschaft einbeziehen. Einbürgerungsquoten und die interkulturelle Öffnung der Institutionen der Aufnahmegesellschaft sind hierfür aussagekräftige Indikatoren.

Die aus der amtlichen Statistik und bei einschlägigen Forschungsinstituten vorhandenen Daten werden ergänzt durch repräsentative Umfragen, welche die Sicht der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund abbilden. Ein Beispiel ist die regelmäßige Messung des "Integrationsklimas" (Externer Link: Integrationsbarometer) durch den SVR.

Zentrale Ergebnisse

Die bisher vorliegenden empirischen Befunde der Integrationsberichterstattung zeigen in vielen Feldern Fortschritte in Integrationsprozessen, insbesondere mit Blick auf die "zweite Generation", also in Deutschland aufgewachsene Kinder von Eingewanderten. Personen mit Migrationshintergrund erreichen zunehmend höhere Bildungsabschlüsse. Bemerkenswert ist die zunehmende Beteiligung an der frühkindlichen Bildung. Das vom SVR gemessene Integrationsklima, also die subjektive Wahrnehmung verschiedener Bevölkerungsgruppen zu Integrationsprozessen, weist darauf hin, dass dieses Interner Link: von einer Mehrheit positiv gesehen wird und erlaubt daher einen vorsichtigen Integrationsoptimismus. Allerdings machen die Ergebnisse des Integrationsmonitorings auch auf erhebliche, fortbestehende Ungleichheiten, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, aufmerksam. Ein Teil der Unterschiede zwischen Personen ohne und mit Migrationshintergrund ist vorwiegend mit Ungleichheiten der sozialen Herkunft oder mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus der Migrant_innen der "ersten Generation" zu erklären – was eine Relativierung des Migrationshintergrundes als beeinflussenden Faktor bedeutet. Ob eine Person etwa einen hohen Bildungsabschluss erreicht, hängt also nicht in erster Linie davon ab, ob sie einen Migrationshintergrund hat oder nicht, sondern vielmehr von der sozialen Herkunft, d.h. der Schicht bzw. Klasse, in die man hineingeboren wurde und die über den Zugang zu bestimmten Ressourcen und Wertesystemen entscheidet. Auch das vor der Migration erzielte Qualifikationsniveau beeinflusst Integrationsverläufe im Aufnahmeland. Allerdings bleiben auch Differenzen bestehen, die nicht mit sozialer Herkunft oder mit Qualifikationsunterschieden zu erklären sind, sondern stattdessen etwa auf (strukturelle) Diskriminierung, mangelnde Möglichkeiten politischer Partizipation oder unzureichende interkulturelle Öffnung von Institutionen zurückgeführt werden können. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen der Integrationspolitik, um Chancengleichheit zu ermöglichen.

Diskussion und Ausblick

Begleitet werden die Integrationsmonitorings durch eine kritische Diskussion, die verschiedene Aspekte thematisiert. So stellt sich die Frage, über wie viele Generationen der Migrationshintergrund erhoben werden soll. Einige Sozialwissenschaftler_innen befürchten beispielsweise, dass das Konzept des Migrationshintergrunds die damit erfassten Personen langfristig als "anders" markiert und damit Grenzziehungen verfestigt und Zugehörigkeit infrage stellt. Eine ausgereifte Alternative zu diesem statistischen Konzept ist jedoch noch nicht in Sicht. Nicht zuletzt die Kontinuität der Zuwanderung aus der EU und aus Drittstaaten, die in jüngster Zeit erneut ein hohes Niveau erreicht hat, verlangt eine Fortführung von Integrationsmonitorings. Positiv ist herauszustellen, dass der Perspektive der Migrationsbevölkerung mittlerweile mehr Gewicht beigemessen wird. Der deutlich erkennbare Strukturwandel der Migrationsbevölkerung, die Ergebnisse der Integrationsmonitorings sowie die von vielen Personen mit Migrationshintergrund subjektiv empfundenen Interner Link: "Mehrfachzugehörigkeiten" sprechen nachdrücklich dafür, die Beobachtungsweise der Integrationsmonitorings zu erweitern. Außerdem sollte erwogen werden, die Integrationsberichterstattung in längerfristiger Perspektive stärker mit der allgemeinen Sozial- und Bildungsberichterstattung bzw. Integrations- mit Diversitätsmonitorings zu verknüpfen.

Quellen / Literatur

Aumüller, Jutta (2010): Wie viele Generationen dauert Integration? Dossier: Bis in die dritte Generation? Lebensrealitäten junger Migrantinnen. Externer Link: www.migration-boell.de

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2009): Integration in Deutschland. Erster Integrationsindikatorenbericht. Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Berlin.

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2011): Integration in Deutschland. Zweiter Integrationsindikatorenbericht. Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Berlin.

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2013): Faktenbericht. Faktenbericht 2013. Integration in Bildung und Arbeitsmarkt. ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik. Berlin.

Bundesregierung (2007): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – neue Chancen. Berlin.

Filsinger, Dieter (2014): Monitoring und Evaluation: Perspektiven für die Integrationspolitik des Bundes und der Länder. WISO-Diskurs. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Filsinger, Dieter (2016): Integrationsmonitoring. In: Brinkmann, H. Ulrich/Sauer, M. (Hrsg.): Einwanderungsland Deutschland. Entwicklung und Stand der Integration. (Lehrbuch zu zentralen Aspekten der Integration in Deutschland aus sozialwissenschaftlicher Perspektive). Wiesbaden: Springer VS, S. 117-143.

Filsinger, Dieter (2018): Integrationsmonitoring. In: Gesemann, Frank/Roth, Roland (Hrsg.): Handbuch Lokale Integrationspolitik. Wiesbaden: Springer VS, S.705-722.

Haug, Sonja (2010): Ansätze der Integrationsmessung: Evaluation von Integrationsmaßnahmen versus Integrationsmonitoring. Nürnberger Integrationstage – BAMF. Regensburg.

Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister/Senatorinnen und Senatoren der Länder (IntMK) (Hg.) (2019): Fünfter Bericht zum Integrationsmonitoring der Länder 2015 – 2017. Berlin. Externer Link: www.integrationsmonitoring-laender.de.

Kunz, Thomas (2015): Happy Birthday, Migrationshintergrund? In: Migration und Soziale Arbeit, 37. Jg., Heft 3, S. 258 – 264.

Meyer, Wolfgang (2004): Indikatorenentwicklung. Eine praxisorientierte Einführung. Ceval Arbeitspapiere Nr. 10. Universität des Saarlandes. Saarbrücken.

Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration (2004): Migration und Integration – Erfahrungen nutzen, Neues wagen. Jahresgutachten des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration. Berlin.

SVR – Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2018): Jahresgutachten 2018 mit Integrationsbarometer. Berlin.

Worbs, Susanne (2010): Integration in klaren Zahlen? Ansätze des Integrationsmonitoring. In: Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut/Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): focus Migration, Kurzdossier Nr. 16. Interner Link: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/57240/integration-in-zahlen (Zugriff: 11.12.2018).

Worbs, Susanne/Friedrich, Lena (2008): Integrationsberichterstattung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis, Nr. 2, S. 250-269.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Meyer (2004).

  2. Filsinger (2008), S. 68ff.

  3. Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration (2004).

  4. Filsinger (2014; 2018).

  5. Bundesregierung (2007).

  6. Beauftragte (2009).

  7. Beauftragte (2011).

  8. Beauftragte (2013).

  9. Konferenz (2019).

  10. vgl. ausführlicher Worbs (2010); Filsinger (2016); für die kommunale Ebene vgl. Filsinger (2018).

  11. Beauftragte (2009), S. 20.

  12. Filsinger (2016).

  13. für einen Überblick vgl. Filsinger (2016).

  14. zusammenfassend vgl. Filsinger (2016).

  15. vgl. zusammenfassend Filsinger (2016); vertiefend Jahresgutachten, Integrations- und Migrationsbarometer des SVR.

  16. vgl. Beauftragte (2013).

  17. Aumüller (2010); Kunz (2015).

  18. Filsinger (2018).

Lizenz

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Weitere Inhalte

Dieter Filsinger ist Professor für sozialwissenschaftliche Grundlagen, Sozialpolitik und Evaluation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Sozial-/Bildungspolitik, Soziale Arbeit, Übergänge im Lebensverlauf, Migration, Integration und Interkulturalität.