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"Gewonnen ist das Ding ja nicht"

Harald Zindler

/ 5 Minuten zu lesen

Der Kampf geht weiter, sagt Harald Zindler. Als Chef-Campaigner von Greenpeace Deutschland hat er den Leuten einst das Risiko der Atomkraft bewusst gemacht. Nur: Wann wirkt Protest heute?

Greenpeaceaktivisten bei einer Protestaktion vor dem französischen AKW in Fessenheim. (© picture-alliance/dpa)

zeozwei: Harald Zindler, Sie haben Ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um gegen Atommüll zu protestieren – war das nicht ein bisschen verrückt?

Harald Zindler

: Verrückt waren die anderen. Großbritannien, aber auch Belgien, die Niederlande und die Schweiz versenkten damals Zehntausende Tonnen schwach und mittel radioaktiven Müll aus Reaktoren, Medizin und Forschung in den Tiefen des Meeres vor Europas Küsten. Das war gängige Praxis. Das flog aber nur auf, weil Greenpeacer in England Kontakt zu Gewerkschaftern hatten. Die erzählten, dass ihre Leute mit Schiffen rausfahren und den Müll versenken müssten.

1981 wollten Sie die Endlagerung im Meer stoppen, indem Sie mit dem Schlauchboot gefährlich nah an die Schiffe ranfuhren.

Wir sind da ohne Sicherheitsvorkehrungen raus. Sie haben versucht, uns mit Wasser aus dem Schlauchboot zu spritzen. Sie haben auch nicht aufgehört, die Fässer zu versenken. Wir konnten nur beten.

Sie haben damit nicht gerechnet?

Mit dieser Brutalität nicht. Eines unserer Schlauchboote wurde voll getroffen, mein Kollege rauskatapultiert. Glücklicherweise ist er nicht verletzt worden. Ein Unfall war das nicht, sondern voll bewusst gemacht. Ein Kameramann hat alles mitbekommen und die Szene filmen können. Als seine Bilder dann weltweit im Fernsehen ausgestrahlt wurden, wurde die Entsorgung der Atommüllfässer im Meer sofort eingestellt.

Es ging vor allem darum, Bilder zu erzeugen?

Bestimmt gibt es ein paar Idioten, die für "Bilder" ihr Leben riskieren. Uns ging es darum, da zu sein, wo die Sauereien passieren, und klarzumachen: So geht es nicht. Aber natürlich haben uns die Aufnahmen auch geholfen, Druck aufzubauen. Wer in den Achtzigerjahren ins erste oder zweite Programm des Deutschen Fernsehens kam, erreichte die Hälfte der deutschen Bevölkerung.

Also blieben die Atommüllfässer fortan an Land. Nur: Da stehen sie bis heute.

Die Konzerne fragten uns: "Was sollen wir denn nun damit machen?" Sie haben bis heute keine Idee, wie sie ihren strahlenden Müll entsorgen. Dabei ist die Aktion, die in Deutschland erstmals der breiten Öffentlichkeit klargemacht hat, welche Risiken die Atomkraft birgt, mehr als dreißig Jahre her.

Was hat Greenpeace genau erreicht?

Mit erreicht. Das war eine breite Bewegung. Da Sicherheitsstandards erhöht werden mussten und Atommüll nicht einfach ins Meer gekippt werden konnte, hat sich die Atomenergie verteuert. Und Atomkonzerne wie E.ON und RWE sind fast in die Pleite gerutscht. Da lacht mein Herz ein wenig.

Das ist der Kick: Der Kampf gegen Konzerne?

Gewonnen ist das Ding ja nicht! Aber ja, das macht schon zufrieden.

Was treibt Sie an?

Ich habe in den Siebzigerjahren Elektrotechnik studiert, wir sind nach Frankreich gefahren, haben einen schnellen Brüter angeguckt. Die Atomtechnik war spannend. Aber dann fiel mir das Buch Friedlich in die Katastrophe von Holger Strohm in die Hände. Es war ein Krimi für mich. Für viele andere auch. Strohm hat die Risiken der Atomkraft klargemacht. Erst dann entwickelten sich die vielen Bürgerinitiativen in Deutschland. Busse brachten die Leute zu Atomprotesten. Ich organisierte auf eigenes Risiko ein Schiff, um Demonstranten über die Elbe nach Brunsbüttel zu bringen.

Warum gingen Sie dann zu Greenpeace?

Mir war klar, wir gewinnen keinen Blumentopf, wenn wir einfach so wie die Bürgerinitiativen weitermachen. Da kam wie gerufen, als sich Greenpeace 1980 in Bielefeld gegründet hat und ein Jahr später nach Hamburg umzogen ist. Wir wollten ran an die Schwachstelle der Atomindustrie.

An das Geld?

An die Versenkung von Atommüll im Meer und die Atomtransporte, an die Atomwaffen zur See und die Atomtests. Das war eine heftige Konfrontation.

Womit wird die Umweltbewegung in fünf Jahren Schlagzeilen gemacht haben?

Tja ...

… oder muss man sagen, die Umweltbewegung war wichtig, aber ihre Zeit ist vorbei?

Stellen Sie sich 200-Liter-Fässer Öl vor. Davon stellen wir viele nebeneinander, die Strecke führt von Hamburg bis Cuxhaven, über die Nordsee rüber nach England, dann Irische See, Irland, Atlantik, weiter zu den USA, dann Hawaii, China, durch die Wüste Gobi. Und dann wieder nach Deutschland zurück. Diese Menge, insgesamt 60 Millionen 200-Liter-Fässer, verbrauchen wir an einem Tag. Wir denken, das ist normal?

Ist es nicht?

Der Mensch verbraucht enorme Ressourcen, er strapaziert Äcker, er holzt Wälder ab, fischt Meere leer, er laugt den Planeten aus. Klassische Protestaktionen funktionieren aber nicht mehr allein. Auf den Schornstein klettern, zeigen, dass man auf ein abgesperrtes Firmengelände marschieren kann – das wird schnell langweilig.

Denken Sie sich was Neues aus!

Haben wir. Wir haben den Spiegel statt auf umweltschädlichem chlorgebleichtem Papier auf sauerstoffgebleichtem nachgedruckt. Der Markt für chlorgebleichtes Papier kippte weltweit. Ende der Neunzigerjahre haben wir auch Greenpeace Energy gegründet, sodass jeder seinen Atomausstieg machen konnte. Vormachen, wie es geht – das ist immer wichtiger geworden. Nur Blockade ist zu einfach. Zumal der Auseinandersetzung die Schärfe fehlt. Das Böse ist nicht mehr so klar.

Naja, die Welt hat ein Klimaproblem.

Sicher. Aber früher in der Antiatombewegung war man drin – oder raus. In der Friedensbewegung auch. Und man war gegen das Abschlachten der Robben und Wale. Und heute? Wir trennen alle noch brav unseren Müll. Aber alles andere scheint kaum handhabbar. Die Erderwärmung ist ja nicht das Einzige. Dazu kommen Kriege und soziale Ungerechtigkeit. 62 Superreiche besitzen laut Oxfam genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Wo ist da der Platz für den Protest des einzelnen?

In Deutschland formiert sich gerade ein Protest ...

... ja, gefährlicher Art. Aber die sogenannten "besorgten Bürger" protestieren nur gegen etwas. Nicht für etwas. Das bringt niemanden weiter.

Was bringt die Gesellschaft weiter?

Umweltverbände müssen Politiker vor sich hertreiben. Protestorganisationen wie Greenpeace sind verrückterweise absolut staatstragend: Sie werden in einer Demokratie, in der nur alle paar Jahre gewählt wird, zu einem Reparaturbetrieb für die Politik. Ihre Irrläufer werden durch solche Organisationen ausgeregelt.

Das heißt zum Beispiel für die Landwirtschaft, die hierzulande für 13 Prozent der Treibhausgase verantwortlich ist?

Natürlich muss sie ökologischer werden. Sie können aber nicht jeden einzelnen Trecker blockieren. Sie brauchen Zuspitzung und Personalisierung. So wie beim Fall VW. Den Managern war Umweltschutz offensichtlich egal, als sie bei den Abgaswerten getrickst haben. Und der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt tut dagegen nichts. Das zeigt, er hat keine Macht oder er will keine haben. Er vertritt nicht die Bürger.

… regt aber auch niemanden so richtig auf.

Die Flüchtlingsdebatte überlagert derzeit alles. Zu Recht. Aber Umweltprobleme werden auch für Flucht und Migration eine wachsende Rolle spielen. Dürre oder Knappheit an sauberem Wasser mögen nur zwei Faktoren unter vielen seien, aber sie sind welche. Einmal habe ich die Olympiamannschaft von Indien im Rudern gesehen, sie haben in reiner Pisse trainiert, nicht nur in Indiens Flüsse werden täglich Milliarden Liter Abwasser gepumpt.

Also brächte es mehr, in Indien als in Deutschland zu protestieren?

Greenpeace in Indien muss von hier aus mit finanziert werden. Es wird aber niemand Geld für ein anderes Land geben, wenn die Umweltschützer in Deutschland nichts machen. Umweltschützer werden wiederkommen.

Das Interview führte Hanna Gersmann und erschien zuerst in der zeozwei, dem taz-Magazin für Klima, Kultur, Köpfe, Externer Link: www.zeozwei.de

Fussnoten

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geboren 1944, wuchs in Hamburg auf. Er war Chef-Campaigner bei Greenpeace Deutschland und damit von 1981 bis Ende der Neunzigerjahre für die Aktionen des Verbandes verantwortlich. Seine Abteilung hieß inoffiziell "Abteilung Konfrontation". Bis 1989 war er auch einer von drei Geschäftsführern von Greenpeace Deutschland. Später arbeitete er ein Jahr als Aktionsdirektor in Indien und dann ein Jahr in Thailand und Indonesien. Es war seine Idee, auf Schornsteine zu klettern. Der erste, den er besetzte, war der der Chemiefirma Boehringer. Zindler berät Greenpeace derzeit bei der Entwicklung neuer Kampagnen.