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Die unabhängige Ukraine* | Die Ukraine – ein Land zwischen West und Ost | bpb.de

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Die unabhängige Ukraine*

/ 7 Minuten zu lesen

1991 wird die Ukraine unabhängig. In den Folgejahrzehnten bemüht sie sich um politische und wirtschaftliche Konsolidierung sowie um ein auskömmliches Verhältnis zu den Nachbarn EU und Russland. In der Orangen Revolution 2004 treten innergesellschaftliche Konflikte zu Tage.

Am 8.12.1991 beschließen die Staatsoberhäupter L. Krawtschuk (Ukraine, 2. v. l.), S. Schuschkewitsch (Belarus, 3. v. l.) und B. Jelzin (Russland, 2. v. r.) die Auflösung der Sowjetunion. (© Ria Nowosti/Getty Images)

*Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Zeit vor dem Euro-Majdan und der bewaffneten Intervention Russlands.

Seit Dezember 1991 gibt es einen unabhängigen ukrainischen Staat. Er umfasst 603.628 Quadratkilometer und ist damit der nach Russland zweitgrößte Staat Europas. Sein Territorium ist identisch mit demjenigen der Ukrainischen Sowjetrepublik und grenzt an Russland, Belarus, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und die Republik Moldau.

Die Ukraine ist eine parlamentarische Präsidialrepublik. Sie ist administrativ in 24 Gebiete geteilt, die Autonome Republik Krim hat einen Sonderstatus.

Die Ukraine hatte im Jahr 2014 eine Bevölkerung von 45,4 Millionen. Im Jahr 1991 waren es noch 51,7 Millionen gewesen. Dieser Bevölkerungsschwund von über 11 Prozent ist in erster Linie auf die sehr niedrige Geburtenrate und auf eine im Vergleich mit westeuropäischen Ländern hohe Sterberate zurückzuführen. Die durchschnittliche Lebenserwartung ging in postsowjetischer Zeit von 72 auf 68 Jahre zurück, sie betrug im Jahr 2012 bei den Männern 63, bei den Frauen 74 Jahre.

Ethnien und Sprachen


Die größte ethnische Gruppe waren im Jahre 2001 die Ukrainer mit 77,8 Prozent vor den Russen mit 17,3. In den Gebieten Donezk und Luhansk stellten die Russen dagegen 40 Prozent, auf der Krim sogar 58 Prozent der Bevölkerung. Die Erfassung der ethnischen Zugehörigkeit geht auf die in der Sowjetunion offizielle Kategorie der Nationalität zurück, die es in den meisten Ländern nicht gibt. Sie ist nicht identisch mit der Sprachzugehörigkeit. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung bedient sich vorwiegend des Ukrainischen, die andere Hälfte des Russischen als Umgangssprache. Die Mehrheit ist beider Sprachen mächtig, die Ukrainer sind also eine zweisprachige Nation. Das Ukrainische ist alleinige Staatsprache, doch hat das Russische in den südlichen und östlichen Gebieten und in den größeren Städten mit Ausnahme der Westukraine seine dominante Stellung behalten.

Diese Fragen gewannen im Jahre 2014 an Bedeutung, da Russland seine bewaffnete Intervention damit begründete, seine "Landsleute" vor den nationalistischen Kiewer "Faschisten" beschützen zu müssen, die angeblich die russische Sprache unterdrückten und die Russischsprachigen insgesamt gewaltsam verfolgten. Diese Argumente trafen so nicht zu, denn weder von einer Verfolgung der Russischsprachigen noch von einer Diskriminierung der russischen Sprache konnte die Rede sein. 2012 hatte das ukrainische Parlament ein Gesetz beschlossen, das die Einführung von regionalen Amtssprachen, so auch des Russischen, erlaubte, wenn der Anteil der Muttersprachler dieser Sprachen mehr als zehn Prozent in der entsprechenden Region betrug. In neun Regionen wurde Russisch so zur regionalen Amtssprache. Der Versuch, dieses Gesetz 2014 wieder abzuschaffen, scheiterte. Außerdem fielen die ethnische und sprachliche Zugehörigkeit nicht mit der politischen Orientierung zusammen. Zahlreiche ethnisch russische und russischsprachige Ukrainerinnen und Ukrainer waren loyale Staatsbürgerinnen und -bürger, und die Mehrheit sprach sich allen Umfragen zufolge gegen einen Anschluss an Russland aus.

QuellentextKirchen und Religionen in der Ukraine

Heute gibt es in der Ukraine fünf christliche Kirchen. Die größte Anzahl von Gläubigen (geschätzte 37 % der Gesamtbevölkerung) hat die Ukrainische Orthodoxe Kirche, die dem Moskauer Patriarchat unterstellt ist (UOK MP), mit einem in Kiew residierenden Metropoliten an der Spitze. Ihre Geschichte geht auf das Jahr 1686 zurück, als die ukrainische orthodoxe Metropolie von Kiew, die zuvor direkt dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellt war, in die Russische Orthodoxe Kirche eingegliedert wurde. In der unabhängigen Ukraine erhielt die UOK MP den Status einer autonomen orthodoxen Kirche.

Ihr steht die Ukrainische Orthodoxe Kirche mit einem Patriarchen in Kiew (UOK KP) gegenüber (13 %), die sich im Jahre 1991 vom Moskauer Patriarchat abspaltete. Sie ist bisher von den anderen orthodoxen Kirchen nicht als kanonisch anerkannt worden. Der Kiewer Patriarch Filaret wurde 1997 von der Russischen Orthodoxen Kirche exkommuniziert. In der unabhängigen Ukraine stellte sich die UOK KP auf die Seite der nationalen Kräfte, während die UOK MP stärkere Bindungen an Russland hat. Im Gefolge des russisch-ukrainischen Konflikts gewann die UOK KP zahlreiche neue Anhänger, und ihr Anteil an den Gläubigen der Ukraine stieg auf über ein Viertel.

Erheblich kleiner ist die Ukrainische Autokephale Kirche (4 %), die nach der Russischen Revolution begründet wurde und sich direkt dem Patriarchen in Konstantinopel unterstellte. Sie wurde im Jahre 1937 aufgelöst, lebte aber unter ukrainischen Emigranten fort. Heute ist sie vor allem in der Westukraine vertreten.

Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (12 %), die ihren Schwerpunkt in Galizien und der Karpato-Ukraine hat, geht auf die Kirchenunion von 1596 zurück. Sie verbindet den orthodoxen Ritus und die Priesterehe mit den Dogmen der Römisch-katholischen Kirche und untersteht dem Papst. Sie wurde in der Habsburgermonarchie offiziell anerkannt und wurde zur Nationalkirche der Ruthenen. Im Russischen Reich und in der Sowjetunion wurde sie verboten, lebte aber im Untergrund weiter und erlebte seit den 1980er-Jahren einen starken Aufschwung. Viel geringer ist die Zahl der Gläubigen der Römisch-Katholischen Kirche (3 %), unter ihnen die in der Ukraine verbliebenen Polen.

In der unabhängigen Ukraine erhielten außerkirchliche christliche Gemeinschaften großen Zulauf, so die Baptisten, die Pfingstbewegung und die Zeugen Jehovas (zusammen 20 %).

Die Juden, die seit dem Spätmittelalter einen bedeutenden Anteil der Bevölkerung der Ukraine ausgemacht hatten, wurden während des Zweiten Weltkriegs mehrheitlich ermordet. Diejenigen Juden, die rechtzeitig in die östlichen Gebiete der Sowjetunion hatten fliehen können, kehrten nur zu einem kleineren Teil in die Ukraine zurück, und die Mehrzahl emigrierte später nach Israel und Deutschland. Heute leben in der Ukraine nur noch etwa 100.000 Juden (0,8 %). Der Islam ist in der Ukraine vor allem durch die Krimtataren vertreten (1,7 %).

Wirtschaft und Gesellschaft


Die Ukraine, die lange ländlich geprägt gewesen war, weist einen Urbanisierungsgrad von 70 Prozent auf. Der Westen des Landes ist im Gegensatz zum Osten weiter stark agrarisch orientiert. Die Hauptstadt Kiew hatte 2012 2,81 Millionen Einwohner, gefolgt von Charkiw (1,44 Mio.), Odessa und Dnipropetrovsk (je 1,0 Mio.), Donezk (955000), Saporischschja (773000), Lwiw (Lemberg; 730.000) und neun weiteren Städten mit mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Die Ukraine ist das zweitärmste Land Europas mit einem (kaufkraftbereinigten) Bruttoinlandsprodukt (BIP) von ca. 7700 US-Dollar pro Kopf (2010). Sie liegt damit nur vor der Moldau, aber klar hinter Russland. Auf die Industrie entfielen 2010 31 Prozent des BIPs, auf die Landwirtschaft neun und auf Dienstleistungen 60 Prozent. Der wichtigste Industriezweig war wie seit über hundert Jahren die Schwerindustrie mit den Standbeinen im Steinkohlebergbau des Donbass und der Eisenerzgewinnung im Dnjeprbecken von Krywyj Rih und den Industriestädten Charkiw, Dnipropetrowsk, Saporischschja, Donezk und Mariupol. Schlüsselsektor war die Stahlerzeugung: Die Ukraine lag hierin weltweit auf Platz 8; 80 Prozent gingen in den Export, was 40 Prozent der Gesamtausfuhren ausmachte. Dazu kamen die Maschinen- und Rüstungsindustrie, die chemische Industrie, besonders die Erzeugung von Stickstoffdünger. Die Informationstechnologie zeigte eine dynamische Entwicklung.

Wichtige Exportgüter waren außerdem Flugzeuge, Panzer und Raketen. Gleichzeitig wurden die eigenen Streitkräfte vernachlässigt. Die Ausgaben für die Armee betrugen nur etwa fünf Prozent derjenigen Russlands. Die wichtigsten Außenhandelspartner waren Russland und die Europäische Union mit ungefähr gleichen Anteilen. In der Energieversorgung war die Ukraine von Erdgas- und Erdölimporten aus Russland abhängig. Moskau veranlasste dies, wiederholt Druck auf Kiew auszuüben, indem es damit drohte, der Ukraine den Erdgashahn zuzudrehen.

Die Landwirtschaft gewann gegenüber der Sowjetzeit an Bedeutung. Die Ukraine gehörte zu den wichtigsten Weizenexporteuren weltweit und wurde ihres Rufs als "Kornkammer Europas" wieder gerecht. Dazu kam der Anbau von Zuckerrüben, Mais und Sonnenblumen.

Wie in den meisten anderen postsowjetischen Staaten war die Wirtschaft in den 1990er-Jahren zusammengebrochen, und das Bruttonationaleinkommen betrug am Ende des Jahrzehnts nur mehr 40 Prozent des Standes von 1989, der durchschnittliche Monatslohn nur noch 67 Euro. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, vor allem ältere Menschen, Behinderte und Jugendliche, lebten in bitterer Armut und litten große soziale Not. In den ersten sieben Jahren des 21. Jahrhunderts erlebte die Ukraine dann allerdings ein starkes Wirtschaftswachstum, und die Verluste der 1990er-Jahre konnten annähernd wettgemacht werden.

In den Jahren 2008/09 traf dann die globale Finanzkrise die ukrainische Wirtschaft mit voller Wucht, und das reale BIP ging um 15, die Industrieproduktion sogar um 22 Prozent zurück. Danach erholte sich die Wirtschaft wieder, erreichte jedoch den Stand von 2008 nicht ganz. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gewährte der Ukraine hohe Kredite, im Gegenzug sollte das Land Reformen wie die Konsolidierung des Haushaltes, die Erhöhung der Gaspreise und des Rentenalters durchführen. Diese wurden jedoch lange verschleppt und erst ab 2011 allmählich umgesetzt. In der Wirtschaft und Politik spielten einzelne Oligarchen eine herausragende Rolle. Der reichste Ukrainer war Rinat Achmetow, der ein Imperium aus Metallurgie, Chemie, Stromerzeugung und Kommunikation mit dem Schwerpunkt im Donbass besaß.

Obwohl sich nun die Löhne erhöhten, blieb die soziale Situation breiter Bevölkerungskreise prekär. Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung waren unzureichend. Weit verbreitet war die Korruption, die als "Schmiermittel" in Wirtschaft, Polizei, Justiz, ja selbst im Gesundheits- und Bildungswesen allgegenwärtig war.

In der unabhängigen Ukraine löste sich die Kultur von den Fesseln des Sozialistischen Realismus. Vor allem die ukrainische Literatur blühte auf und stieß zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf Resonanz im Ausland. Die Werke von Jurij Andruchowytsch, Oksana Sabuschko und Serhii Schadan wurden in viele Sprachen übersetzt, ebenso die auf Russisch geschriebenen Romane und Novellen Andrej Kurkows.

Politische Entwicklung von 1991 bis 2013


Der unabhängige ukrainische Staat stand zunächst vor der Aufgabe der Konsolidierung nach außen. Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten wurden in bilateralen Verträgen geregelt, so auch das Verhältnis zu Russland, mit dem im Jahre 1997 ein Freundschaftsabkommen geschlossen wurde, in dem sich die beiden Staaten ihre territoriale Integrität garantierten. Schon im Jahre 1994 hatte die Ukraine auf ihre Kernwaffen verzichtet. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland, die ukrainische Souveränität zu achten. Die Ukraine war Mitglied der von Russland dominierten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), die jedoch von sekundärer Bedeutung blieb. Gleichzeitig vollzog sich eine Annäherung an den Westen, beginnend mit einem 1994 abgeschlossenen Partnerschaftsabkommen mit der EU und der Aufnahme in den Europarat ein Jahr später.

Im Inneren vollzog sich der Prozess der Staatsbildung. In gut 20 Jahren gelang es, politische Stabilität zu erreichen, mit korrekten Parlaments- und Präsidentenwahlen und einer weitgehenden Medienfreiheit. Die innenpolitische Entwicklung war durch die Abfolge der Präsidenten geprägt. Der erste Präsident Krawtschuk (1991–1994) trat als Vertreter der nationalen Interessen der Ukraine hervor. Ihm folgte der Industriemanager Leonid Kutschma (1994–2004), der das Verhältnis zu Russland verbesserte und marktwirtschaftliche Reformen einleitete. Außenpolitisch verfolgte er eine "multivektorale" Linie, die einen gleich großen Abstand (Äquidistanz) zu Russland und der EU anstrebte.

In seiner zweiten Amtsperiode regierte er zusehends autoritär, was eine oppositionelle Bewegung auslöste. Als seinen Nachfolger favorisierte er Viktor Janukowytsch, ehemaliger Ministerpräsident und Gouverneur der Region Donezk, der auch von Russland unterstützt wurde. Sein Gegenkandidat Viktor Juschtschenko, ehemaliger Präsident der Nationalbank, stand dagegen für Demokratisierung und die Zuwendung zum Westen. Anfang September 2004 wurde Juschtschenko Opfer eines Giftanschlags. Die Stichwahl am 21. November gewann Janukowytsch, doch waren die Resultate offensichtlich gefälscht. Dagegen erhob sich eine spontane Volksbewegung. Hunderttausende strömten auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz, den Majdan, und erreichten in der sogenannten Orangen Revolution eine Wiederholung der Wahl, die Juschtschenko gewann.

Die beiden Protagonisten der Orangen Revolution, der neue Präsident und seine Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko, verloren allerdings in kurzer Zeit ihren politischen Kredit, indem sie sich in Machtkämpfen erschöpften, statt dringend notwendige Reformen durchzuführen. Die Quittung dafür erhielten sie in den Präsidentenwahlen von 2010, die Janukowytsch im zweiten Wahlgang knapp gegen Tymoschenko gewann. In diesen und den vorangegangenen Wahlen sprach sich die Bevölkerung im Osten und Süden mehrheitlich für den stärker auf Russland orientierten Kandidaten (Janukowytsch) aus, die Wählerinnen und Wähler im Westen und im Zentrum stimmten mehrheitlich für die prowestlich ausgerichteten Juschtschenko bzw. Tymoschenko und ihre Parteien.

Der neue Präsident baute seine Machtstellung rasch aus, er schränkte die demokratischen Rechte ein und verfolgte seine politischen Gegner, unter ihnen Tymoschenko, die er inhaftieren ließ. Außerdem nutzte er seine Stellung, um sich und seine Familie zu bereichern. Das Verhältnis zu Russland, das sich unter Juschtschenko verschlechtert hatte, verbesserte sich wieder. Präsident Putin versuchte ohne Erfolg, die Ukraine zum Beitritt in die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft zu bewegen, die als Gegengewicht zur EU geschaffen worden war. Gleichzeitig setzte Janukowytsch die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union fort. Nach langen Verhandlungen wurde im Jahr 2012 ein Assoziierungsabkommen paraphiert, das am 28./29. November 2013 in der litauischen Hauptstadt Vilnius unterschrieben werden sollte. Eine Woche vor diesem Termin zog die ukrainische Regierung unter dem Druck Russlands ihre Zusage zurück. Dies war der Anlass für eine neue Massenbewegung, den Euro-Majdan.