Ausblick – zentrale sozialpolitische Trends
Welche Herausforderungen kommen auf die Sozialpolitik in Zukunft zu? Sind diese Probleme lösbar, oder wird die Sozialpolitik, wird der Sozialstaat damit überfordert? Viele, gerade junge Menschen, stellen sich diese Fragen. Dieses Kapitel widmet sich daher drei verschiedenen sozialpolitischen Herausforderungen und Trends.Im Folgenden werden Einschätzungen zu diesen sozialpolitischen Entwicklungen gegeben: Wandel der Erwerbsgesellschaft hin zu prekäreren Arbeitsplätzen und größeren Brüchen in Erwerbsbiografien, damit einhergehende Zweifel an der Tragfähigkeit des Generationenvertrages sowie neue Herausforderungen auf EU- und internationaler Ebene.
Wandel der Erwerbsgesellschaft
Betrachtet man das System der sozialen Sicherung aus einem systematischen Blickwinkel, fallen folgende Besonderheiten auf:- Die soziale Sicherung schützt vor allem das sogenannte Normalarbeitsverhältnis. Menschen, die keine kontinuierliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben und/oder sich dauerhaft im Niedriglohnsektor bewegen, können keinen ausreichenden Schutz bei Verlust des Arbeitsplatzes aufbauen.
- Die soziale Sicherung ist stark auf die Gewährung von materiellen Transfers wie Renten, Arbeitslosengeld oder Pflegegeldstufen ausgerichtet. Viele Zielgruppen benötigen aber einen besseren Zugang zu sozialen Dienstleistungen, um soziale Mobilität "nach oben" zu ermöglichen.
- Die soziale Sicherung verlängert die Einkommenssituation vom Arbeitsmarkt in den Sozialleistungsbezug. Aufgrund des dominierenden Äquivalenzprinzips ist der Umverteilungseffekt zwischen einkommensstarken und -schwachen Versicherten eher gering.
Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass zur Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine stetig wachsende Anzahl teils freiwilliger, teils unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigter gehört. Es sind in der Mehrheit Frauen. Darüber hinaus werden immer mehr Arbeitsverträge befristet, und 15 Prozent aller Erwerbstätigen sind ausschließlich geringfügig beschäftigt.


Für die Zukunft bleibt es eine der zentralen sozialpolitischen Herausforderungen, angemessene Lösungen für diese Problemlagen zu suchen, die sich aus den nach Wirtschaftssektor, Qualifikation und Geschlecht ausdifferenzierten Arbeitsbedingungen ergeben. Dabei wird es um eine Vielzahl von Einzelregelungen gehen, wobei jeweils abzuwägen ist zwischen den Interessen einer immer globaler orientierten Wirtschaft und den Interessen der Arbeitenden – übrigens auch der leitenden Angestellten und Selbstständigen. Als Beispiel kann ein Ausgleich zwischen den Interesse der Arbeitnehmer nach mehr Sicherheit und dem von Arbeitgebern nach stärkerer Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses angeführt werden. Unter dem Stichwort "Flexicurity" soll hier nach einem Kompromiss gesucht werden. Zugleich geht es um Entlohnungsfragen und dem davon abhängigen Sicherungsniveau bei Nichterwerbstätigkeit. Die Einführung des Mindestlohnes von zunächst 8,50 Euro (seit 1. Januar 2015) stellt einen ersten Schritt dar, um die Zahl der working poor (gemeint sind [in Vollzeit] beschäftigte Personen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze) zu beschränken. Er wird aber das Problem der Altersarmut nicht lösen können und kann die strukturellen Probleme, die sich vor allem bei längeren Phasen der Erwerbslosigkeit bzw. des Niedriglohnbezugs zeigen, nicht abmildern. Dazu wäre ein deutlich höheres Niveau des Mindestlohns vonnöten. Da gleichzeitig weder die Festlegung der Höhe der Soziallleistungen noch die Tarifpartner bei der Aushandlung der Löhne an das Niveau der Armutsrisikogrenze gebunden sind, die die Bundesregierung in ihrer Armuts- und Reichtumsberichterstattung (www.bmas.de) regelmäßig ausweist, kommt es aus systematischen Gründen dazu, dass in einem reichen Land wie Deutschland Menschen leben und arbeiten und dennoch keine Chance haben, der materiellen Armut zu entfliehen.