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Zwischen Kolonialismus und Nationenbildung

Henner Fürtig

/ 19 Minuten zu lesen

Nach dem Ersten Weltkrieg teilen die Siegermächte den Nahen Osten unter sich auf. Nur nach und nach erlangen die arabischen Staaten ihre Unabhängigkeit, ein gemeinsames arabisches Nationalgefühl entsteht, kann aber die Einzelstaaten nicht überwinden. Erst der gemeinsame Feind, der neue Staat Israel, schweißt die arabischen Länder zusammen.

Gleichwertigkeit sieht anders aus. Eine Postkarte von 1905 karikiert das Missverhältnis zwischen der Selbstwahrnehmung europäischer Touristen in Ägypten und ihrer Sicht auf die einheimische Bevölkerung (© SSPL / Getty Images)

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren die meisten Einwohner des Nahen Ostens und Nordafrikas Untertanen des osmanischen Sultans, der als Kalif für viele von ihnen gleichzeitig religiöses Oberhaupt war. Zwar entstand in dieser Zeit eine embryonale arabische Nationalbewegung, aber letztlich eher als Antwort auf den erstarkenden türkischen Nationalismus und ohne zentrale Führung. Arabischer Nationalismus äußerte sich anfänglich weniger in politischen Forderungen als in dem Bestreben, das arabische kulturelle, speziell das literarische Erbe wieder zu beleben. "Nahda" (dt.: Erwachen) war das Schlüsselwort dafür. Bis zum Ersten Weltkrieg forderten die frühen arabischen Nationalisten eher Gleichberechtigung bzw. eine Anerkennung ihrer Kultur – etwa durch die Zulassung des Arabischen als Amtssprache – als staatliche Souveränität für arabischsprachige Regionen.

Dies änderte sich erst, als der Erste Weltkrieg auf den Nahen Osten übergriff. Die grundlegende Konfrontation zwischen der Entente (Großbritannien, Frankreich, Russland) und den Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich) politisierte die Bewegung, denn ihren Emanzipationsbestrebungen bot sich jetzt die reale Möglichkeit der Unterstützung durch Großbritannien und Frankreich. Für die Entente wiederum wurden arabische Nationalinteressen aber erst in dem Moment interessant, als der Sultan in seiner Eigenschaft als osmanischer Kalif im November 1914 zum Dschihad gegen die ungläubigen Feinde, also die Entente, aufrief. London sah sich nun nach einer arabischen muslimischen Persönlichkeit um, die hinreichend renommiert war, um dem osmanischen Aufruf zum Dschihad die Gefolgschaft zu entziehen. Es war der Scherif Hussein von Mekka, aus der Prophetenfamilie der Bani Haschim (Haschimiten), der den britischen Vorschlag, das Kalifat wieder "in arabische Hände" zu legen, bereitwillig aufnahm. Er wollte nicht nur arabischer Kalif, sondern auch Führer eines zukünftigen arabischen Einheitsstaates werden.

QuellentextBrief Henry McMahons an den Sherifen Hussein von Mekka (1915)

Am 24. Oktober 1915 schrieb der britische Hochkommissar in Kairo, Sir Henry McMahon, an den Scherifen Hussein von Mekka:
Die beiden Distrikte von Mersina und Alexandretta sowie Teile Syriens, die westlich der Distrikte von Damaskus, Homs, Hama und Aleppo liegen, kann man nicht als rein arabisch bezeichnen. Daher sollten sie von den geforderten Staatsgrenzen ausgeschlossen werden. […] Abgesehen von den genannten Änderungsvorschlägen ist Großbritannien bereit, die Unabhängigkeit der Araber in allen vom Scherifen von Mekka geforderten Gebieten anzuerkennen und zu unterstützen.
Ich bin davon überzeugt, daß diese Erklärung Sie zweifellos von der Sympathie überzeugt, die Großbritannien ihren arabischen Freunden entgegenbringt. Sie wird eine feste und dauerhafte Allianz begründen, deren sofortiges Ergebnis die Vertreibung der Türken aus arabischen Ländern und die Befreiung der arabischen Völker vom türkischen Joch sein wird, das so lange auf ihnen lastete.

Zitiert nach: Friedrich Schreiber / Michael Wolfssohn, Nahost. Geschichte und Struktur des Konflikts, Opladen, 4. Auflage 1996, S. 22

Deshalb nahm er 1915 einen lebhaften Briefwechsel mit dem Hochkommissar des britischen Protektorats Ägypten, Henry McMahon, auf. Dieser schickte seinerseits Abgesandte, allen voran Thomas Edward Lawrence ("Lawrence von Arabien"), um die Araber unter Führung des Scherifen zum offenen Aufstand gegen die Osmanen zu bewegen. Im Juni 1916 brach der "Aufstand in der Wüste" tatsächlich aus und störte die Nachschub- und Verbindungslinien der Osmanen auf der arabischen Halbinsel empfindlich.

Das Sykes-Picot-Abkommen (1916) (© picture-alliance, dpa-Grafik 24 066; Quelle: bpb / Passia)

Als Gegenleistung für die militärische Unterstützung sicherte die britische Regierung zu, nach dem Sieg über das Osmanische Reich einen unabhängigen arabischen Staat zu gewähren. Nach der Kapitulation der Osmanen am 30. Oktober 1918 hatten die aufständischen Araber also allen Grund, von der Einlösung der britischen Versprechungen auszugehen. Sie konnten nicht wissen, dass London schon längst mit Paris anderslautende Abmachungen getroffen hatte. Am 16. Mai 1916 waren die britischen und französischen Diplomaten Mark Sykes und Georges Picot übereingekommen, die arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches in Form von "Einflusszonen" untereinander aufzuteilen (Sykes-Picot-Abkommen). Ein gutes Jahr später, am 2. November 1917, hatte der britische Außenminister Arthur James Balfour zudem im Namen seiner Regierung erklärt, die Errichtung einer "jüdischen Heimstätte" in Palästina zu unterstützen (Balfour-Deklaration). Damit waren schon vor der osmanischen Niederlage weitreichende Entscheidungen gefallen.

QuellentextDie Balfour-Deklaration (1917)

Ministerium des Äußeren, 2. November 1917
Mein lieber Lord Rothschild!
Zu meiner großen Genugtuung übermittle ich Ihnen namens S. M. Regierung die folgende Sympathie-Erklärung mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist:
Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Ziels zu erleichtern, wobei klar verstanden wird, daß nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Lande beeinträchtigen könnte.
Ich bitte Sie, diese Erklärung zur Kenntnis der zionistischen Föderation zu bringen.
gez.: James Balfour

Zitiert nach: Ernst Marcus, Palästina – ein werdender Staat, Frankfurter Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, Heft 16, Leipzig 1929, S. 261

Aus gutem Grund hielten Frankreich und insbesondere Großbritannien die Abkommen geheim, denn sie bedeuteten nichts weniger als den Bruch aller Zusagen gegenüber den Arabern, allen voran Hussein von Mekka. Bis zum Kriegsende war London somit an der Aufrechterhaltung der Fiktion von der britisch-arabischen Waffenbrüderschaft interessiert. Noch im Januar 1918 verfasste die britische Regierung, gemeinsam mit der französischen, eine Deklaration über die "Befreiungsmission", die den "von den Türken unterdrückten Völkern" die Souveränität nach dem "Sieg über den gemeinsamen Feind" verhieß.

Die Deklaration kam möglicherweise auch unter Druck von dritter Stelle zustande: Im gleichen Monat hatte US-Präsident Woodrow Wilson einen 14-Punkte-Plan verkündet, der allen Völkern der Erde das Recht auf Selbstbestimmung zusprach. Ein Plan, der in London und Paris als Fehdehandschuh eines weiteren Mitbewerbers um die Neuordnung der Region mit ihren vermuteten reichen Erdölschätzen interpretiert wurde.
Letztlich sorgte die Oktoberrevolution in Russland 1917 dafür, dass die britisch-französischen Geheimpläne aufgedeckt wurden. In ihrem Bestreben, die "verbrecherischen" Pläne des gestürzten Zaren und seiner "imperialistischen Helfershelfer" zu enthüllen, öffneten die Bolschewiken die geheimen Staatsarchive. Im Januar 1918 kam so auch eine Kopie des Sykes-Picot-Abkommens ans Tageslicht; die Fiktion der "Befreiungsmission" war nicht länger aufrechtzuerhalten.

Arabische Staatsbildung im Schatten des Verrats


Nachrichten verbreiteten sich bekanntlich vor einem Jahrhundert ungleich langsamer als in der Gegenwart. Als Faisal, der Sohn des Scherifen Hussein, Anfang Oktober 1918 an der Spitze der mit der britischen Orientarmee unter General Allenby verbündeten arabischen Truppen in Damaskus einmarschierte, waren ihm über das Sykes-Picot-Abkommen allenfalls Gerüchte zu Ohren gekommen. Deshalb schickte er sich umgehend an, die syrische Metropole zur Hauptstadt des nun zu errichtenden arabischen Reiches zu machen. Am 5. Oktober 1918 ernannte er einen "Direktorenrat", quasi eine provisorische Regierung.

Gemäß der Bestimmungen des Sykes-Picot-Abkommens, die Syrien Frankreich zugesprochen hatten, begann am 22. Oktober 1918 der britische Rückzug aus Syrien. Es folgte der Einzug französischer Truppen, der am 1. November 1919 abgeschlossen war. Nun konnten Faisal und die arabische Nationalbewegung nicht länger die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die britischen Verbündeten offensichtlich nicht gedachten, den während des Krieges geschlossenen Vertrag einzuhalten. Vielmehr deutete sich an, dass die osmanische Herrschaft durch eine neue, europäisch-westliche ersetzt werden sollte. Nicht nur in Syrien, sondern auch in anderen arabischen Regionen von Irak im Osten über Ägypten im Zentrum bis Marokko im Westen erhob sich daraufhin die Bevölkerung gegen diese Ausweitung und Vertiefung der kolonialen Unterdrückung. Britische und französische Truppen konnten die heftigen Aufstände in ihren jeweiligen Einflussgebieten zwar blutig niederschlagen, aber der Westen hatte das in ihn gesetzte Vertrauen endgültig verspielt.

Unter dem Eindruck der revolutionären Nachkriegsunruhen in Europa und im Nahen Osten, Lenins Machtübernahme in Russland sowie der Offerten von US-Präsident Wilson an antikoloniale Bewegungen veränderten London und Paris die Form ihrer Kolonialherrschaft. Am 20. April 1920 ließen sie sich in San Remo vom Völkerbund, den sie dominierten, "Mandate" über die begehrten Gebiete erteilen. Ihre Fremdherrschaft bemäntelten sie mit dem Vorwand, die fraglichen Länder auf die Unabhängigkeit "vorzubereiten". In leichter Abänderung des Sykes-Picot-Abkommens wurde Syrien nun in Palästina, Libanon und "Rest-Syrien" aufgeteilt. Die beiden letztgenannten Regionen fielen unter französisches, Palästina – ebenso wie der östliche Nachbar Irak – unter britisches Mandat. In diesem Gefüge war für Faisal kein Platz mehr. Am 28.Juli 1920 unterlag er südlich von Damaskus französischen Truppen und floh ins italienische Exil.

Seine ehemaligen britischen Verbündeten fanden jedoch bald eine neue Verwendung für ihn, als sie ihn am 21. August 1921 zum König des Irak ernannten. Fast gleichzeitig bestätigten sie auch die Herrschaft seines Bruders Abdullah über Transjordanien. Ihr Vater, Scherif Hussein, musste hingegen 1924 vor Ibn Saud, dem Begründer des modernen Saudi-Arabien, kapitulieren. Letztlich war die Inthronisierung Faisals symptomatisch für die europäische Kolonialstrategie. Das Mandatssystem gewährte dem Hochkommissar im jeweiligen Mandatsgebiet in der Regel nahezu uneingeschränkte Vollmachten. Wurde der Widerstand der Einheimischen aber zu groß und standen hinreichend verlässliche Bündnispartner im Mandat zur Verfügung, wählten Großbritannien und Frankreich in der Folgezeit einen indirekteren Weg der Herrschaftssicherung, indem sie Marionettenregime einrichteten. So erreichten Staaten wie Ägypten oder Irak die formale Unabhängigkeit schon vor dem Zweiten Weltkrieg, die faktische aber – wie die meisten anderen auch – erst sehr viel später.

Islamismus oder Nationalismus


Während sich der arabische Nationalismus – mit wenigen Ausnahmen wie etwa dem algerischen Widerstand gegen die Annexionsbestrebungen Frankreichs im 19. Jahrhundert – zunächst nicht gegen europäische, sondern eher gegen osmanische Bevormundung wandte, riefen die Einflussnahmen westlicher Mächte im Nahen Osten bei zeitgenössischen islamischen Denkern weitaus heftigere Reaktionen hervor. Das Osmanische Reich hatte ihnen viele Jahrhunderte als sichere Bastion für die Überlegenheit ihres Glaubens gegolten. Nun mussten sie feststellen, dass es im 19. Jahrhundert gegenüber dem Westen wirtschaftlich, technisch, militärisch und wissenschaftlich offensichtlich ins Hintertreffen geraten war.

Zahlreiche Gelehrte erklärten diese Entwicklung mit der Abkehr der Gläubigen von den Wurzeln des Islam und der Übernahme islamfremder Elemente aus anderen Ideologien und Systemen. Die Schlussfolgerung, die Lösung des Problems liege in der Rückkehr zu den Grundlagen des Islam, war im Grunde nicht neu. Entsprechende Mahnungen hatte es in allen Jahrhunderten gegeben. Organisierte Dichte gewannen sie im ausgehenden 18. Jahrhundert mit dem Wahhabismus und im beginnenden 19. Jahrhundert mit der Bruderschaft, die der aus Algerien stammenden Pilger Mohammed as-Senussi 1837 in Mekka gegründet hatte und die seitdem den Islam in Libyen prägt. Beide Bewegungen forderten eine Rückkehr zur Praktizierung des Islam wie in Zeiten des Propheten und der ersten vier Kalifen und gehören so zu den Vorläufern des heutigen Salafismus.

Gelehrte wie Jamal ad-Din al-Afghani (1838/39–1897) und Mohammed Abduh (1849–1905) bauten auf diesen Vorstellungen auf. Statt einer ständigen unkritischen Wiederholung und Nachahmung des Gewohnten plädierten sie allerdings für eine vernunftgesteuerte Neuinterpretation der heiligen Texte. So teilten sie lediglich die Fokussierung auf die idealisierte Frühzeit des Islam mit heutigen Salafisten, die auf der wortwörtlichen Umsetzung der überlieferten Quellen beharren.

An der Schnittstelle des Reformislam und des ultrakonservativen Salafismus wirkte Raschid Rida (1865–1935). Durch seine direkten Erfahrungen mit dem westlichen Kolonialismus kam er zu dem Schluss, dass nur ein islamisches politisches System die Probleme der Muslime lösen könne. Mit dieser These ebnete er den Weg zum "politischen Islam" oder Islamismus. Inspiriert von Rida gewannen immer mehr islamische Aktivisten die Überzeugung, dass die Errichtung einer "gerechten islamischen Ordnung" keine ferne Vision, sondern ein politischer Auftrag für das Hier und Jetzt sei. So war der ägyptische Grundschullehrer Hassan al-Banna davon überzeugt, dass der Islam die Lösung aller, theologischer wie irdischer Fragen beinhalte, als er 1928 in Ägypten die Muslimbruderschaft, die erste und bis in die Gegenwart wichtigste islamistische Organisation, gründete. Auch al-Banna wurde dabei von den täglichen Erfahrungen mit dem britischen Kolonialismus in seinem Wohnort Ismailiya beeinflusst.

Trotz der starken antiwestlichen und antikolonialistischen Ausrichtung des Islamismus war es allerdings der arabische Nationalismus, der in den kommenden Jahrzehnten den ideologischen Rahmen des antikolonialen Kampfes stellen sollte. Das ergab sich hauptsächlich aus der Tatsache, dass die Kolonialmächte in der arabischen "Erbmasse" des Osmanischen Reiches – in der Regel außerordentlich willkürliche – Grenzen neuer Territorialstaaten gezogen hatten. Diese Grenzen bewirkten, dass Unabhängigkeit zunächst immer nur für das konkrete Mandat, Protektorat oder anderweitig abhängige Gebiet erzielt werden konnte. Obwohl die panarabische Vision eines gemeinsamen souveränen arabischen Staates weiterbestand, entwickelten sich aus dieser Konstellation der ägyptische, der syrische und der algerische Nationalismus. Gleichzeitig erstarkten lokale Eliten, die in Kollaboration mit den Kolonialmächten eigene Machtpositionen aufbauten, die sie nicht mehr zugunsten des Panarabismus aufgeben wollten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich zwischen den Weltkriegen zwei neue, doch grundlegende Veränderungen in der arabischen Welt ergaben: Erstens avancierte der Westen in Gestalt seiner prominenten Kolonialmächte zum Hauptgegner. Zweitens fand der Kampf der arabischen Nationalbewegung – ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen – nicht mehr in einem gesamt-, d. h. panarabischen Kontext statt, sondern im Rahmen der von eben jenen Kolonialmächten gezogenen nationalstaatlichen Grenzen.

Antizionismus als Identitätsstifter


Für die 1897 in Basel gegründete "Zionistische Weltorganisation" bedeutete die Balfour-Deklaration von 1917 einen großen Erfolg. Denn die Deklaration unterstützte deren zentrales Projekt, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen. Dieser Erfolg war lange ungewiss: Politisch gehörte das spätere Mandatsgebiet Palästina 1917 noch zum Osmanischen Reich, das dem zionistischen Ansinnen ablehnend gegenüberstand. In den europäischen Hauptstädten stieß der Zionismus bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ebenfalls auf geringes Interesse; zwar fand er bei den Juden Osteuropas und Russlands, die unter Pogromen litten, einen gewissen Widerhall, aber die jüdische Bevölkerung Mittel- und Westeuropas verfolgte die Bewegung eher mit Desinteresse.

Das Eingehen der britischen Regierung auf die Ziele der "Zionistischen Weltorganisation" lässt sich im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückführen. Zum einen motivierte die ungünstige Kriegsentwicklung die britische Regierung schon seit 1916 zu verstärkten Anstrengungen, die USA zu einem Kriegseintritt auf Seiten der Entente zu bewegen. Die Balfour-Deklaration sollte die starke jüdische Gemeinde in den USA veranlassen, sich mit ihrem politischen Gewicht für diesen britischen Wunsch einzusetzen. Zum anderen und vor allem war die Deklaration aber dem strategischen Stellenwert des Nahen Ostens geschuldet. Als geografische Verbindung zwischen den ausgedehnten Besitzungen des Empires bis nach Indien und als Erdöllagerstätte war seine Bedeutung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts stetig gewachsen, und daher hatte man sich bekanntlich bereits ein Jahr zuvor im Sykes-Picot-Abkommen mit Frankreich über die Aufteilung des Nahen Ostens nach dem Sieg über die Osmanen geeinigt. In diesem Zusammenhang erfuhr die zionistische Bewegung eine strategische Neubewertung. Sie sollte nunmehr als "natürliche Verbündete" bei der Durchsetzung britischer Interessen in der zukünftigen Einflusszone helfen. Die arabisch-muslimische Mehrheitsbevölkerung im britischen Mandatsgebiet Palästina befürchtete deshalb von Beginn an eine einseitige Bevorzugung der jüdischen Mitbewohner durch die Mandatsmacht. Die Befürchtungen wurden seit Ende der 1920er-Jahre vor allem durch zwei Entwicklungen verstärkt:

Erstens hatte die Mandatsverwaltung ehemalige osmanische Staatsländereien großzügig an jüdische Siedler verteilt bzw. preisgünstig verkauft. Dadurch verringerte sich das Angebot an frei verfügbarem Ackerland, und die Bodenpreise stiegen an. Dies veranlasste zahlreiche arabische Grundbesitzer zum Verkauf an jüdische Siedler und verringerte damit das Angebot an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche für arabische Kleinbauern und -pächter. Zweitens stiegen infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland die jüdischen Einwanderungszahlen. Zwischen 1933 und 1939 wanderten offiziell 176.000 Juden nach Palästina ein, davon 50.000 allein aus Deutschland. Damit verschob sich die Zusammensetzung der Bevölkerung im Mandatsgebiet weiter zu Ungunsten der Araber. Hatte ihr Anteil 1922 noch bei 90 Prozent gelegen, so betrug er 1936 nur noch 70 Prozent.

Angesichts dieser Entwicklungen wurde Hadsch Amin al-Husseini, der Großmufti (also der oberste islamische Rechtsgelehrte) von Jerusalem zum radikalsten antizionistischen Führer in Palästina. Er stellte den Konflikt zwischen Juden und Arabern als religiösen Kampf dar und konnte so eine für die Zwischenkriegszeit eher ungewöhnliche Liaison zwischen Islamisten und Nationalisten bewirken. Bereits in den 1920er-Jahren kam es zu ersten blutigen Ausschreitungen und zunehmenden Übergriffen auf jüdische Siedlungen sowie auf zivile und militärische Einrichtungen der Briten.

Im November 1935 forderte al-Husseini von der britischen Mandatsmacht, sowohl die weitere jüdische Immigration als auch den Landverkauf an jüdische Siedler zu verbieten. Mitte April 1936 fügte er die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit hinzu und rief am 19. April einen sechsmonatigen Generalstreik aus. Die Streikleitung übernahm ein am 25. April 1936 gegründetes "Arabisches Hochkomitee" unter al-Husseinis Führung. In der Folgezeit wandelte sich der Streik in einen Aufstand, arabische Freischärler verübten Anschläge gegen jüdische und britische Einrichtungen, britische Sicherheitskräfte und jüdische paramilitärische Verbände schlugen zurück. Am 30. Juli 1936 erklärten die Briten das Kriegsrecht. Aufständische wurden inhaftiert, teilweise hingerichtet, ihr Besitz beschlagnahmt oder zerstört.

Als verschiedene Vermittlungsversuche scheiterten, eskalierte Mitte 1937 der Aufstand erneut. Im September 1937 verboten die Mandatsbehörden das "Arabische Hochkomitee", al-Husseini floh in den Libanon. Trotzdem hielten die Kämpfe an. Obwohl 20.000 zusätzliche britische Truppen und knapp 15.000 jüdische paramilitärische Kämpfer im Einsatz waren, dauerte es bis zum Herbst 1938, ehe die britische Kontrolle über das Mandatsgebiet weitgehend wiederhergestellt war.

Die britische Palästinapolitik und der "Arabische Aufstand" radikalisierten die gesamte arabische Unabhängigkeitsbewegung. Die jungen arabischen Nationen, die sich gerade eigene Flaggen als Symbol ihres Selbstverständnisses zulegten, fanden in der Unterstützung der arabischen Palästinenser und in der Ablehnung des zionistischen Staatsprojekts einen gemeinsamen Nenner. Je konturloser das Projekt eines gemeinsamen arabischen Staates wurde, desto stärker entfaltete sich die Wirkung von Symbolen und Parolen: Darunter war der Antizionismus die wirkmächtigste.

Der Zweite Weltkrieg als Wegscheide


Nicht zuletzt aus Kostengründen und angesichts begrenzter personeller Ressourcen hatte vor allem die britische Kolonialmacht schon seit dem Ende des Ersten Weltkrieges in vielen ihrer Einflussgebiete eine indirekte Herrschaft bevorzugt, die ihre Macht kaum schmälerte, aber eine einheimische abhängige Elite als "Puffer" zur Masse der unterdrückten Bevölkerung installierte. Diese Elite war an der Fortdauer des externen Einflusses interessiert und stand deshalb auch für Szenarien einer rein formalen Unabhängigkeit zur Verfügung. Obwohl die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges große Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens in Mitleidenschaft gezogen hatten, zeigten sich die längerfristigen Wirkungen des Krieges insbesondere in einer Schwächung der Kolonialmächte. Großbritannien und Frankreich konzentrierten sich nach 1945 auf ihre wirtschaftlich und strategisch wichtigsten Kolonien, Italiens Kolonialzeit in Libyen war bereits 1943 mit der Niederlage gegen die Briten zu Ende gegangen.

Die Arabische Liga (© picture-alliance, dpa-Grafik 10477, Quelle: Auswärtiges Amt, Arabische Liga; Stand: August 2015)

So waren es bereits sechs formal selbstständige Staaten (Ägypten, Irak, Transjordanien, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien), die am 22. März 1945 in Kairo die "Liga der Arabischen Staaten" oder auch "Arabische Liga" gründeten. Jemen trat im Mai 1945 bei. Die Charta der Liga sprach von einem Konsultations- und Nichtangriffspakt, der die einzelstaatliche Souveränität aller Mitglieder achtete. Damit bekräftigte sie den Trend der vergangenen beiden Jahrzehnte zu einer arabischen Staatenvielfalt. Lediglich am Rande wurde auf das Fernziel eines gesamtarabischen Staates verwiesen. Es war einmal mehr der Palästinakonflikt, der für einen starken inneren Zusammenhalt sorgte, denn ein kaum verheimlichter Zweck der Ligagründung bestand darin, die Gründung eines Staates Israel auf dem Boden des britischen Mandatsgebiets Palästina zu verhindern.

Nachdem die Briten unmittelbar nach Kriegsende zunächst versucht hatten, den USA das Mandat zu überantworten, delegierten sie es nach deren Absage an die Vereinten Nationen (United Nations=UN), die 1945 entstandene Nachfolgeorganisation des Völkerbunds. Am 29. November 1947 nahm die UN-Vollversammlung mit der Resolution 181 einen Plan für Palästina an, der Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufteilte. Der Großraum Jerusalem sollte unter internationale Kontrolle gestellt werden. Während die Mehrheit der jüdischen Bewohner den Plan akzeptierte, lehnte die arabische Seite ihn vehement ab. Daraufhin schuf Israel am 14. Mai 1948 mit seiner Staatsgründung durch Israels ersten Premierminister David Ben Gurion vollendete Tatsachen. Die Arabische Liga erklärte dem neuen Staat einen Tag später den Krieg.

Unmittelbar danach begann der Einmarsch ägyptischer, syrischer, jordanischer, libanesischer und irakischer Truppen in Israel. Ihr unkoordiniertes Handeln, ihr Interesse, sich gegenseitig an der Besetzung Palästinas und damit am Machtzuwachs zu hindern, sowie die veralteten Strukturen ihrer Armeen ließen den Angriff jedoch schnell versanden.

Am 1. Juni 1948 trat ein auf Druck der UN vereinbarter Waffenstillstand in Kraft. Die Atempause nutzte insbesondere Israel, um sich für eine weitere Kriegsphase besser vorzubereiten. Schon in den Anfangstagen des Ersten Nahostkrieges hatten sich die israelischen Truppen als besser ausgebildet und bewaffnet erwiesen. Außerdem kam dem jungen Staat zugute, dass er trotz eines Waffenembargos der UN gegen die Kriegführenden mit Zustimmung der Sowjetunion Waffen aus Beständen von deren osteuropäischen Satellitenstaaten kaufen konnte.

Zwischen Oktober 1948 und Januar 1949 führten mehrere israelische Offensiven zu einer katastrophalen Niederlage der arabischen Angreifer. Am 24. Februar 1949 schloss Ägypten einen Waffenstillstand, dem sich die anderen kriegführenden arabischen Staaten bis Juli anschlossen. So kontrollierte Israel am Ende des Krieges ein weitaus größeres Gebiet, als es durch den UN-Teilungsplan von 1947 zugesprochen bekommen hatte. Im Ergebnis der Waffenstillstandsverhandlungen und unter Vermittlung der UN wurden die Westbank der Verwaltung Jordaniens und der Gazastreifen Ägypten unterstellt. Die arabische Seite erkannte die neuen Grenzen zwar nicht an, doch die USA, Frankreich und Großbritannien traten als Garantiemächte zugunsten Israels auf.

Im kollektiven Gedächtnis der Kriegführenden hat der Erste Nahostkrieg einen völlig entgegengesetzten Stellenwert. Während die arabische Welt Israels Staatsgründung, die Vertreibung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung und die Niederlage im Krieg als "Nakba", als Katastrophe wertet, wird der Waffengang von 1948/49 in Israel als "Unabhängigkeitskrieg" überliefert.

Der Ausgang des Ersten Nahostkrieges verschärfte die Ausrichtung der arabischen Unabhängigkeitsbewegung. Die als einseitige Parteinahme zugunsten Israels wahrgenommene Politik der Westmächte führte zu einer erneuten Zuspitzung des Kampfes gegen die Kolonialherrschaft Großbritanniens und Frankreichs. Das katastrophale Versagen der einheimischen Eliten im Nahostkrieg untergrub deren Legitimität. Sie wurden als unfähige Handlanger der Kolonialmächte und nunmehr auch Israels angesehen und folglich zu Feinden der Nationalbewegung erklärt.

Von der formalen zur realen Unabhängigkeit


Am 23. Juli 1952 stürzte eine Gruppe "Freier Offiziere" den probritischen König Faruq in Kairo und leitete damit eine neue Runde des arabischen Kampfes um nationale Unabhängigkeit ein. Auch in vielen anderen arabischen Ländern bildeten fortan Vertreter der unteren Mittelschichten, zumeist des Militärs, das Rückgrat der Befreiungsbewegung und der republikanischen Regime, die aus ihr hervorgingen.

Oberst Gamal Abdel Nasser, der Gründer der "Freien Offiziere" und der neue "starke Mann" Ägyptens, erzwang 1954 den Rückzug britischer Truppen aus der Suezkanalzone und verstaatlichte am 26. Juli 1956 die von Großbritannien und Frankreich betriebene Suezkanalgesellschaft, das Symbol westlicher Beherrschung Ägyptens. Im verzweifelten Bestreben, die Einnahmen als Betreiber und die Kontrolle über den strategisch wertvollen Transportweg über diese Wasserstraße vom Mittelmeer über das Rote Meer bis zum Indischen Ozean nicht zu verlieren, besetzten daraufhin französische und britische Truppen am 31. Oktober 1956 die Kanalzone. Bereits zwei Tage zuvor hatte Israel in Absprache mit London und Paris seinerseits Ägypten angegriffen (Suezkrise). Zwar eroberte Israel innerhalb weniger Tage die Sinaihalbinsel sowie den Gazastreifen, musste sich aber – genauso wie Großbritannien und Frankreich – zurückziehen, als die Sowjetunion drohte, zugunsten Ägyptens militärisch einzugreifen, und die USA und die UN klar gegen den Vorstoß votierten. Aus dem kurzfristigen militärischen Anfangserfolg Israels und der europäischen Kolonialmächte wurde ein langfristiger politischer Erfolg Ägyptens, das die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien aus dem Land drängen konnte und den Suezkanal unter seiner Kontrolle behielt. Fortan wurde die israelisch-ägyptische Grenze von bewaffneten UN-Friedenstruppen gesichert.

Nach 1948 hatte damit ein weiterer Nahostkrieg eine Zeitenwende in der Region markiert. Die "klassische" Kolonialepoche ging zu Ende, die neuen Kräfte in der Region waren die selbstbewusster gewordenen arabischen Nationalisten sowie die gegnerischen Großmächte USA und Sowjetunion. Ihr "Kalter Krieg" bestimmte nun zu einem wesentlichen Teil die Geschicke des Nahen Ostens, er zwang die jeweiligen Regierungen zu einem "Balanceakt" zwischen den Fronten und in den meisten Fällen auch zu einer Parteinahme. Durch die Lagerbildung wurde der weitere Dekolonisierungsprozess stark beeinträchtigt. Schon 1955 war beispielsweise der Irak zum Kern eines antikommunistischen Militärbündnisses (Bagdad-Pakt: Großbritannien, Irak, Iran, Pakistan, Türkei sowie die USA als Beobachterin) auserkoren worden, während die Sowjetunion als Schutzpatronin der arabischen Befreiungsbewegungen auftrat. Ihr wandte sich nach dem Machtwechsel 1958 auch der Irak zu.

Durch ihr Votum zugunsten Ägyptens in der Suezkrise, dem Zweiten Nahostkrieg, war es den USA gelungen, ihre Weltkriegsalliierten Großbritannien und Frankreich im Nahen Osten als führende westliche Mächte abzulösen. Doch gleichzeitig eröffnete die Suezkrise der US-Administration auch einen neuen Blick auf die nahöstliche Konfliktlage. Hinter dem Bestreben nach nationaler Unabhängigkeit vermutete sie nun allzu oft den "langen Arm Moskaus", was den politischen Spielraum der USA erheblich einschränkte und viele der arabischen Führer geradezu auf die Seite des Ostblocks trieb.

Als besonders signifikant gilt in diesem Zusammenhang die "Eisenhower-Doktrin". Mit ihr erklärte der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower (reg. 1953–1961) am 5. Januar 1957, dass sein Land an jedem Ort und mit allen Mitteln (also auch Nuklearwaffen) prowestliche Regime vor kommunistischer Unterwanderung oder einer Bedrohung durch die Sowjetunion schützen werde. Die Doktrin wurde zweimal ausdrücklich angewendet: im April 1957, als eine US-Flotte den jordanischen König Hussein I. vor der Opposition schützte, und in der Libanonkrise 1958, als US-Truppen den Sturz des prowestlichen christlichen Staatspräsidenten Camille Chamoun verhinderten. Die aggressive und kontraproduktive Wirkung seiner Doktrin veranlasste Eisenhower jedoch 1959, anlässlich eines USA-Besuchs des damaligen sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chruschtschow, die Doktrin zugunsten der Koexistenz beider Machtblöcke aufzugeben. In geänderter Form begleitete der Kalte Krieg die Entwicklung im Nahen Osten jedoch bis zu seinem Ende zu Beginn der 1990er-Jahre.

Der ägyptische Erfolg beflügelte die arabische Nationalbewegung in den Folgejahren in ihren Bestrebungen um vollständige Souveränität. Am 14. Juli 1958 folgten irakische "Freie Offiziere" dem Beispiel ihrer ägyptischen Vorbilder, stürzten die probritische Monarchie, riefen die Republik aus und wiesen britische Militärs aus dem Land. In Nordafrika hatte Libyen schon 1951 die Unabhängigkeit erreicht, 1956 folgten Tunesien und Marokko. In Algerien tobte zu diesem Zeitpunkt allerdings schon seit zwei Jahren einer der längsten und blutigsten Kolonial- und Bürgerkriege im arabischen Raum, der erst nach acht Jahren im März 1962 mit der Souveränität Algeriens endete. Frankreich hatte Algerien als Siedlungskolonie, letztlich als Teil des "Mutterlandes" betrachtet. Auf der Arabischen Halbinsel war Saudi-Arabien seit seiner Gründung 1932 souverän gewesen, von den dortigen britischen Domänen machte Kuwait 1961 den Anfang, während die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Arabischen Emirate am 2. Dezember 1971 den Schlusspunkt unter das Kapitel europäischer Kolonialgeschichte im Nahen Osten setzte.

Erdöl als historischer "Wirkstoff"


Die frühen 1970er-Jahre markierten auch das Ende eines weiteren Abhängigkeitsverhältnisses, das die Geschicke der Region seit Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt hatte: die Unterdrückung und Ausbeutung der Förderländer durch ausländische Erdölkonzerne.

Nachdem 1908 in Südwestpersien (heute Iran) die ersten Erdölvorkommen im Nahen Osten gefunden worden waren, setzte der internationale Wettlauf um ihre Kontrolle ein. Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegskrise unterbrachen den Wettlauf kurzzeitig, ehe er Ende der 1920er-Jahre mit erneuter Heftigkeit ausbrach. Mit der Entdeckung gewaltiger Erdölfelder auf der Arabischen Halbinsel kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Region endgültig zum ertragreichsten Fundort des wichtigsten Einzelrohstoffs für das 20. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die wichtigsten internationalen Erdölunternehmen die Fördergebiete untereinander auf. In Widerspiegelung der politischen Machtverhältnisse dominierten dabei zunächst britische, später US-amerikanische Unternehmen, aber Dauerrivalität herrschte auch mit französischen, niederländischen und italienischen Konkurrenten.

Einigkeit bestand lediglich in einem Punkt: den Herkunftsländern die Verfügungsgewalt über ihre wertvollste Ressource zu verweigern. Als der iranische Ministerpräsident Mohammed Mossadegh 1951 die Erdölproduktion seines Landes zu verstaatlichen suchte, setzten die westlichen Erdölunternehmen daraufhin bei ihren Regierungen einen nahezu lückenlosen Boykott iranischen Erdöls durch. Mossadegh wurde schließlich im August 1953 durch einen von der CIA mitorganisierten Putsch gestürzt. Das sicherte den Ölfluss zu den gewohnten Bedingungen, und den USA gelang es gleichzeitig, die Monopolkontrolle der Briten über das Öl zu brechen.

Vor diesem Hintergrund gestaltete es sich für die Förderländer außerordentlich mühsam, den westlichen Erdölmultis nach und nach Zugeständnisse abzutrotzen und die eigenen Gewinnmargen schrittweise zu erhöhen. 1960 gründeten sie die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC= Organization of the Petroleum Exporting Countries), der nahezu alle Nahostländer angehören. Der Zusammenschluss von Irak, Iran, Katar, Kuwait, Saudi Arabien, VAE markierte einen wichtigen Zwischenerfolg, der die Verhandlungsmacht der Förderländer gegenüber dem Westen erheblich stärkte. Es sollte allerdings noch ein gutes Jahrzehnt dauern, bis alle namhaften Förderländer uneingeschränkt über ihre Erdöl- und Erdgasressourcen verfügen konnten. Damit übernahmen sie allerdings auch die Aufgabe und die Kosten, die inzwischen veralteten Erdölförderanlagen nachzurüsten. Im Ergebnis hatten die Staaten des Nahen Ostens Mitte der 1970er-Jahre jedenfalls sowohl ihre politische als auch ihre wirtschaftliche Souveränität erreicht.

Die Arabische Liga (© picture-alliance, dpa-Grafik 10477, Quelle: Auswärtiges Amt, Arabische Liga; Stand: August 2015)

Prof. Dr. Henner Fürtig ist Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien und Professor für Nahost-Studien an der Universität Hamburg. Er absolvierte mehrjährige Aufenthalte in Iran und Ägypten. Danach war er Leiter eines Forschungsteams am Zentrum Moderner Orient in Berlin, bevor er 2002 an das Deutsche Orient-Institut, ab 2007 GIGA Institut für Nahoststudien in Hamburg wechselte. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind die Neueste Geschichte und Politik des Vorderen Orients. Dazu erschienen zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland. Herr Professor Fürtig hat die Koordination dieser Heft-ausgabe übernommen.
Kontakt: E-Mail Link: henner.fuertig@giga-hamburg.de