Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Homosexuelle | 27. Januar – Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus | bpb.de

27. Januar - Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Editorial Wessen Gedenken? Wessen gedenken? Rassistische Gesinnung(en) Ausgewählte Opfergruppen Juden Sinti und Roma Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter "Gemeinschaftsfremde" und Kranke Homosexuelle Nicht angepasste Jugendliche Anmerkungen zur Erinnerungskultur Impressum

Homosexuelle

Gernot Jochheim

/ 3 Minuten zu lesen

Wie bei anderen Opfergruppen des NS-Rassismus schuf das NS-Regime auch für die Verfolgung von Homosexuellen eigens eine Behörde; 1936 wurde die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung", angesiedelt beim Reichskriminalpolizeiamt, eingerichtet. Die Bezeichnung des Aufgabenfeldes offenbart die Zielsetzung. Die Nationalsozialisten meinten, einer "Schwächung der allgemeinen Volkskraft", also der Bevölkerungszahl, vorbeugen zu müssen.

Die strafrechtrechtliche Verfolgung von Homosexualität in der modernen Geschichte ist insofern wenig nachvollziehbar, als dass bislang nicht aufgezeigt werden konnte bzw. kann, welches Rechtsgut durch freiwillige sexuelle Beziehungen zwischen mündigen gleichgeschlechtlichen Partnern überhaupt verletzt wird. Das vermochten auch die Nationalsozialisten nicht. Umso irrationaler fielen die Begriffe aus, mit denen Homosexuelle charakterisiert wurden. Sie galten als "entartet" und als "Volksschädlinge". Wie "der Jude" – dieser in ungleich größerem Maße – fungierten Homosexuelle als sozialdemagogisches Schreckensbild und wie diese geradezu als "Staatsfeinde". Der "lesbischen Liebe" maßen die NS-Rassenhygieniker im Übrigen unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten wenig Bedeutung zu.

Nachdem die Polizeibehörden bereits 1933 damit begonnen hatten, die homosexuelle Subkultur zu zerschlagen, wurde 1935 mit der Verschärfung des § 175 Strafgesetzbuch eine massive Verfolgung von Homosexuellen eingeleitet. Dabei erfasste die Gestapo letztlich rund 90.000 Männer, häufig ermöglicht durch Denunziationen von "Volksgenossen". Insgesamt wurden 50.000 Männer zu Freiheitsstrafen verurteilt. Dreiviertel von ihnen wegen "einfacher Homosexualität", also wegen sexueller Kontakte zwischen erwachsenen Männern. Diese Gesetze, die im Übrigen auf der Grundlage des "Ermächtigungsgesetzes" ergangen waren, galten in der Bundesrepublik bis 1969. Das Bundesverfassungsgericht hatte noch 1957 in einem Urteil diese Gesetzgebung als mit den Werten des Grundgesetzes vereinbar erklärt und in der Urteilsbegründung eine ausgeprägte negative Vorurteilshaftigkeit erkennen sowie jedwede Sachgerechtigkeit vermissen lassen.

Am 12. Juli 1940 ordnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (ab August 1943 auch Reichsinnenminister), an, "in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner ‚verführt‘ haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis/Zuchthaus in ‚polizeiliche Vorbeugehaft‘ zu nehmen". Von diesem Zeitpunkt an stieg die Zahl der homosexuellen KZ-Gefangenen deutlich. Homosexuelle Männer, die ihre Freiheitsstrafe verbüßt hatten, konnten ihrer Einweisung in ein KZ entgehen, wenn sie sich kastrieren ließen. Neben diesen Regelungen gab es in der SS und in der Wehrmacht einen Erlass bzw. "Richtlinien", wonach "widernatürliche Unzucht" mit dem Tode zu bestrafen war. In derartigen Fällen kamen Betroffene direkt in ein Konzentrationslager, wo sie ermordet wurden.

Zwischen 10.000 und 15.000 wird die Zahl der Männer geschätzt, die wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslagern gefangen gehalten worden sind. Sie waren in den KZs im besonderen Maße den Schikanen der Wachmannschaften ausgesetzt; so wurden sie den schwersten Arbeitskommandos zugeteilt und Opfer medizinischer Experimente wie tödlicher "Strafmaßnahmen". Von ihren Mitgefangenen, die vermutlich homosexuellen Männern gegenüber die damals in der Gesellschaft generell anzutreffende feindselige Einstellung gehabt haben dürften, erfuhren sie zumeist keine Solidarität. Ihre Todesrate lag bei 60 Prozent.

Der Frankfurter Engel – ein Mahnmal an die Verfolgung Homosexueller

Der Frankfurter Engel – ein Mahnmal an die Verfolgung Homosexueller (© Rosemarie Trockel)

Die Skulptur "Frankfurter Engel" in Frankfurt am Main war in Deutschland das erste Mahnmal, das an die Verfolgung von Homosexuellen erinnert – nicht allein während der NS-Zeit. Die Bronzefigur wurde von der 1952 geborenen bildenden Künstlerin Rosemarie Trockel, Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf, geschaffen und 1994 auf dem späteren Klaus-Mann-Platz eingeweiht. Die Vorlage für die Figur war das an den Flügeln lädierte Gipsmodell einer am Ende des 19. Jahrhunderts ursprünglich für das Westportal des Kölner Doms geplanten Figur, eines "Engels mit Schriftband".

Der Engel wurde zu einer neuen Figur, indem die Künstlerin ihm den Kopf abschlug und diesen leicht verdreht wieder fixierte. Die Spuren der Abtren¬nung blieben sichtbar, was, wie auch der gebrochene Flügel, als ein Symbol für die nicht wiedergutzumachenden Schädigungen durch die Homosexuel-lenverfolgung wie für ein "Anderssein" stehen soll.

Literaturhinweise und Internetadressen


Eschebach, Insa (Hg.): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homo­sexualität im Nationalsozialismus. Berlin 2012, 208 S.

Grau, Günter (Hg.): Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskrimi­nie­rung und Verfolgung. Frankfurt a. M. 2004, 368 S.

Externer Link: www.gedenkort.de/chronik.htm

Fussnoten

Dr. Gernot Jochheim ist Friedens- und Konfliktforscher und war Lehrer. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Sozialgeschichte, Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit und Probleme politisch-gesellschaftlichen Wandels sowie im pädagogischen Bereich Gewaltprävention und Erinnerungskultur.