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Parlamentswahl in Rumänien | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Rumänien

Redaktion

/ 6 Minuten zu lesen

Am 6. Dezember wurden beide Kammern des rumänischen Parlaments neu gewählt. Die Sozialdemokraten bleiben stärkste Kraft in Abgeordnetenkammer und Senat – vor der Regierungspartei PNL und dem Reformbündnis USR-PLUS. Auch eine ultranationalistische Partei zieht ins Parlament ein.

Der Parlamentspalast in Bukarest gilt nach dem Pentagon als zweitgrößtes Verwaltungsgebäude der Welt. Er wurde als "Haus des Volkes" auf Wunsch des sozialistischen Diktators Nicolae Ceaușescu errichtet. (© picture-alliance/dpa, Wolfgang Kumm)

Rumänien hat am 6. Dezember ein neues Parlament gewählt. Wahlberechtigt bei den Wahlen zum Senat und zur Abgeordnetenkammer waren mehr als 18 Millionen Rumäninnen und Rumänen. Stärkste Kraft in der Abgeordnetenkammer wird mit 29,24 Prozent der Stimmen erneut die Sozialdemokratische Partei (Partidul Social Democrat, PSD). An zweiter Stelle landete mit 25,17 Prozent der Stimmen die bislang regierende Nationalliberale Partei (Partidul Național Liberal, PNL). Auf Platz drei folgt das Reformbündnis USR-PLUS mit 15,04 Prozent der Stimmen. Als Überraschung gilt der Einzug der ultranationalistischen Partei "Bündnis für die Vereinigung der Rumänen" (Alianța pentru Unirea Românilor, AUR). AUR erhielt 8,99 Prozent der Stimmen und wird erstmals im Parlament vertreten sein. Mit 5,82 Prozent der Stimmen zieht die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (Uniunea Democrată Maghiară din România, UDMR) erneut ins Parlament ein. Die Wahlbeteiligung lag bei 31,84 Prozent – und damit noch einmal knapp acht Prozent niedriger als 2016.

Die vergangene Interner Link: Parlamentswahl im Dezember 2016 hatten die Sozialdemokraten noch mit rund 45 Prozent der Stimmen gewonnen. Auch wenn die Partei deutlich an Stimmen einbüßen musste, wird sie auch künftig die meisten Abgeordneten in Abgeordnetenkammer und Senat stellen. Vorwahlumfragen hatten die Regierungspartei PNL an erster Stelle gesehen. Deren Vorsitzender Ludovic Orbán hat wegen des Wahlergebnisses noch am Montagabend seinen Rücktritt als Ministerpräsident verkündet.

Den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt in Rumänien der Präsident. Staatspräsident Klaus Iohannis hat nach der Wahl angekündigt, die Bildung eines Mitte-Rechts-Bündnisses anzustreben. Er steht der nationalliberalen Partei PNL nahe, die gemeinsam mit dem Reformbündnis USR-PLUS und der Partei der ungarischen Minderheit UDMR eine Regierungsmehrheit bilden könnte. Mit der PSD war Präsident Iohannis in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer Angriffe auf Justiz und Rechtsstaat immer wieder in Konflikt geraten.

Was bedeutet die Wahl für Rumänien?

Rumänien blickt auf eine turbulente Legislaturperiode zurück. Bei der Parlamentswahl 2016 hatte die PSD beinahe die absolute Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus gewonnen und bildete mit der Allianz der Liberalen und Demokraten (Alianța Liberalilor și Democraților, ALDE) eine Koalition. Ministerpräsident war zunächst der Sozialdemokrat Sorin Grindeanu. Bereits kurz nach dessen Amtseinführung kam es wegen eines geplanten Amnestiegesetzes zu Massenprotesten. Demnach sollte Amtsmissbrauch straffrei werden, wenn der Schadenswert unter 200.000 Lei (rund 41.000 Euro) liegt. Nachdem Grindeanu die Lockerung des Korruptionsstrafrechts nicht durchsetzen konnte, wurde die Regierung im Juni 2017 durch ein Misstrauensvotum der eigenen Regierungsparteien abgewählt – ein Novum in der rumänischen Politik.

Sein Nachfolger wurde der Sozialdemokrat Mihai Tudose, der jedoch ebenfalls nur ein halbes Jahr regierte und im Januar 2018 wegen mangelnden Rückhalts in seiner eigenen Partei zurücktrat. Nach dem Mihai Fifor interimsmäßig die Amtsgeschäfte führte, trat Viorica Dăncilă, ebenfalls von der PSD, seine Nachfolge an. Sie galt als Vertraute des mittlerweile wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilten ehemaligen PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea und trat nach dessen Verhaftung auch die Nachfolge als Parteivorsitzende an.

Im August 2018 kam es erneut zu landesweiten Interner Link: Demonstrationen gegen Korruption, bei denen durch massive Polizeigewalt Hunderte Demonstranten verletzt wurden. Im Zentrum der Proteste stand unter anderem die Entlassung von Laura Kövesi, Leiterin der rumänischen Behörde zur Korruptionsbekämpfung. Kövesi wurde mittlerweile zu ersten EU-Generalstaatsanwältin ernannt.

Die Regierung Dăncilă stürzte im Oktober 2019 schließlich über ein Misstrauensvotum. Staatspräsident Klaus Iohannis beauftragte nun die oppositionelle Nationalliberale Partei (Partidul Național Liberal, PNL) mit der Regierungsbildung. Seit November vergangenen Jahres führte Ludovic Orbán (PNL) als Ministerpräsident eine Minderheitsregierung. Bei den Kommunalwahlen im September 2020 verlor die PSD zwar deutlich an Stimmen, konnte aber verhältnismäßig dennoch viele Sitze und Ämter auf Kommunalebene behaupten.

Wie wird in Rumänien gewählt?

Das rumänische Parlament besteht aus zwei Kammern – der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Beide Kammern werden am 6. Dezember neu gewählt. Wahlberechtigt ist, wer die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt und mindestens 18 Jahre alt ist.

Für die Abgeordnetenkammer werden 312 Sitze nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Hinzu kommen aktuell 17 Vertreterinnen und Vertreter der anerkannten nationalen Minderheiten, die sich nach der Wahl um einen Sitz bewerben können. Die Sperrklausel liegt bei fünf Prozent, außer eine Partei erreicht in mindestens vier der 43 Wahlbezirke mehr als 20 Prozent der Stimmen. Bündnisse aus zwei Parteien müssen landesweit mindestens acht Prozent der Stimmen erreichen. Die 136 Abgeordneten des Senats werden ebenfalls per Verhältniswahl gewählt. Es gelten die gleichen Bestimmungen für die Sperrklausel wie bei der Abgeordnetenkammer.

Rumäninnen und Rumänen, die im Ausland leben, konnten sowohl am 5. als auch am 6. Dezember ihre Stimmen für die Parlamentswahl abgeben. Laut Rumänischen Außenministerium wurden in diesem Jahr insgesamt 748 Wahllokale im Ausland eingerichtet, davon 61 in Deutschland.

Für Wahlkampfveranstaltungen galten aufgrund der Covid-19-Pandemie Abstandsregeln. In geschlossenen Räumen durften sich nur 20 Personen versammeln, Freiluftveranstaltungen waren für bis zu 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zugelassen. In Rumänien selbst gilt derzeit ein "Lockdown light" mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen und temporären Geschäftsschließungen.

Wer trat zur Wahl an?

Die Sozialdemokratische Partei (PSD) stellte in der vergangenen Legislaturperiode die mit Abstand größte Fraktion im Parlament, war seit Ende 2019 jedoch in der Opposition. Chef der Partei ist seit November 2019 der Politiker Marcel Ciolacu, der auf die ehemalige Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă folgte. Die PSD gehört nominell der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europaparlament an, de facto verbindet sie aber eine linkspopulistische Wohlfahrtspolitik mit nationalistischen und gesellschaftskonservativen Ansichten. Die Partei gilt als strukturell korrupt und ist die indirekte Nachfolgerin der Rumänischen Kommunistischen Partei.

Die Nationalliberale Partei (PNL) wurde von Ministerpräsident Ludovic Orbán in den Wahlkampf geführt. Die PNL verfolgt eine liberal-konservative Politik und gehört im Europäischen Parlament der Europäischen Volkspartei an. Der rumänische Präsident Klaus Iohannis war vor seiner Wahl ins höchste Staatsamt im Jahr 2014 sechs Monate lang Vorsitzender der PNL.

Auch dem Bündnis USR-PLUS gelang erneut der Einzug ins Parlament. Kernthema der wirtschaftsliberalen Parteien "Union Rettet Rumänien" (Uniunea Salvați România, USR) und "Partei für Freiheit, Einheit und Solidarität" (Partidul Libertate, Unitate și Solidaritate, PLUS) ist der Kampf gegen Korruption. PLUS ist die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Dacian Cioloș, der von 2010 bis 2014 EU-Kommissar für Landwirtschaft war und heute die liberale Fraktion "Renew Europe" im EU-Parlament anführt. Das Wahlbündnis hat nach den Kommunalwahlen im September das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Bukarest und in anderen Großstädten des Landes von der PSD übernommen.

Überraschend zog in diesem Jahr die neugegründete, ultranationalistische Partei "Bündnis für die Vereinigung der Rumänen" (Alianța pentru Unirea Românilor, AUR) ins Parlament ein. In ihrem Programm wirbt AUR unter anderem für ein traditionelles Familienbild, ein Europa der starken Nationalstaaten und die Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldau. Die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (Uniunea Democrată Maghiară din România, UDMR) wird erneut im Parlament vertreten sein. Die vom ehemaligen PSD-Chef Victor Ponta gegründete sozialliberale Partei Pro România (kurz: PRO) sowie die konservative Volksbewegungspartei (Partidul Mișcarea Populară, PMP) scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde.

Themen im Wahlkampf

Im Vordergrund standen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Rumänien hatte bei 19,4 Millionen Einwohnern bisher fast eine halbe Million Infektionen und mehr als 11.500 Tote gemeldet (Stand: 02.12.2020, Externer Link: European Centre for Disease and Prevention Control). Während das Infektionsgeschehen im Frühjahr überschaubar blieb, steckten sich im November durchschnittlich fast 8.000 Menschen pro Tag mit dem Virus an.

Die PSD kritisierte im Wahlkampf das Pandemie-Management der amtierenden liberalen Regierung. Das rumänische Gesundheitssystem hatte wegen schlechter Ausstattung und korrupten Strukturen schon vor Ausbruch der Pandemie einen schlechten Ruf. Ein großes Problem der medizinischen Versorgung in Rumänien ist, dass viele Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren das Land verlassen haben, um in anderen Ländern der EU besserbezahlte Jobs anzutreten.

Auch die Korruptionsbekämpfung war ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegt Rumänien den 70. Platz. Die Unabhängigkeit der Justiz, die Reform des öffentlichen Sektors und die Modernisierung des Staates waren die wichtigsten Wahlkampfthemen der PNL, aber auch des Bündnisses USR-PLUS.

Dieser Text wurde nach Veröffentlichung der Teilergebnisse am 08.12.2020 aktualisiert.

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